Nach dem gestrigen nahezu Sommertag ist es kaum noch vorstellbar, dass vor gut einem Monat noch Schnee und Kälte herrschten. Indem ich nunmehr feststelle, dass der Vollmond vom Palmsonntag allmählich angeknappert wird, also abnimmt, werde ich an die runde Eisscholle erinnert (siehe Foto), die ich aus der Vogeltränke herausgelöst und dann spielerisch in den Schnee gesteckt hatte, wo sie von der tiefstehenden Sonne lichterloh entflammt wurde. Mir stand sofort das Bild des Vollmonds vor Augen, der durch eine Wolkenschicht hindurchtauchte. Einiges stimmt an dieser Assoziation: das Runde, das im Sonnenlicht leuchtende, die Strukturierung der Oberfläche, das Eisige… Dass diese glasige Lichtlache* eine flache, transparente Scheibe ist und zudem kein Licht reflektiert, sondern bricht und einen Schatten hervorruft, stört dabei nur wenig.
Mich erinnert das Bild an einige der zahlreichen Zitate über den Mond von Arno Schmidt (1914 – 1979). Hier nur zwei Beispiele:
Als junger Mensch hing mir der Mond wie eine Frucht mit schaumiger Seidenschale und schartigen Silberkern in den Weinranken. Jetzt liegt eine glasige Lichtlache inmitten der Zelle: die müßte rund sein, dann flösse ich wie auf einer Eisscholle in schwarzer Unendlichkeit, blitzschnell umgetrieben, der letzte Mensch (oder der erste: was wäre unangenehmer?).*
Hellgraue Steppdecke des Nachthimmels. Die Lampe machte ihr O aus Licht. Wind schwieg ein bißchen; verfangen; der Grünspan des Mondes erschien ab und zu über der Bohnenwand.**
*Arno Schmidt. Alexander oder Was ist Wahrheit. Frankfurt 1975. S.: 16
** Ders. Das steinerne Herz. Berlin 1990. S.: 646
Glasige Lichtlache … das ist schon ein toller Einfall 🤗
Dankeschön für deine poetische Vollmondpräsentation!
Herzliche Nachtgrüße vom Lu
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Danke, lieber Lu, die große Ähnlichkeit, die sich mir durch die rund Eisplatte geradezu aufdrängte und die Lektüre von Arno Schmidt brachten die Assoziationen fast zwangsläufig hervor…
Herzliche Morgengrüße, Joachim.
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Seeehr schön ☀️🌟☀️
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🙂
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Ich staune immer wieder, wie schöne und passende literarische Zitate du zu deinen Abbildungen findest, Joachim.
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Danke, liebe Ule, hier war es umgekehrt, ich hatte Arno Schmidts Passagen über den Mond gelesen und beim Befreien der Vogeltränke vom Eis sah ich plötzlich den Zusammenhang…
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Das erlebe ich beim Lesen bildreicher Sprache auch oft.
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Was die Belletristik betrifft, so ziehe ich sprachlich interessante Autor*innen vor. Krimis meide mit Ausnahmen weitgehend.
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Belletristik ist ja auch nur was für Situationen, wenn man für was Gescheites zu müde ist. Schmidt oder Jellinek zähle uch nicht zur Belletristik 🙂
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Ok, soll ich lieber sagen: anspruchsvolle Literatur? Jellinek und Schmidt gehören nämlich schon zu meinen Favoriten.
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Die haben ja auch keine Belletristik geschrieben, sondern Literatur!
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Es ist nicht gut, dass der Begriff Literatur einmal für viele Spezies steht (auch in der Physik spricht man von Literatur) und zum anderen für anspruchsvolle Romane etc.
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Du hast recht, es kann nur zu Missverständnissen führen. Im Bereich des „Schreibstudiums“ unterscheidet man zwischen Literarischem Schreiben und Kreativem Schreiben. Auch ziemlich missverständlich, wenn man nicht mit der Materie vertraut ist.
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🙂
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Der erste wäre unangenehmer, denn dann hätte man eine ungeheure Bürde. Man gäbe womöglich weiter, was die Menschheit alle Zeit dunkel umtriebe und von der sie nur schwer bis garnicht loskäme.
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Aber als erster Mensch wüsste man von all dem Elend ja noch nichts…
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Man brauchte nur in sich hineinschauen…
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Stimmt, aber vielleicht würde man als erster Mensch da noch nicht das ganze Elend sehen…
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Weil der erste Mensch noch nicht multiplizieren kann?!
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Selbst das Addieren musste mühselig gelernt werden…
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Schön und geistreich deine Assoziationen und Bilder! Mir fehlt bei deinem Mond allerdings doch einiges, vor allem die Corona fehlt mir, die mich beim Betrachten des Fast-Vollmondes gestern wieder sehr bezauberte. Mit deinem Mond würde ich kein Gespräch anfangen, mit Luna am Himmel aber spreche ich immer gern. 😉
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Vielen Dank, liebe Gerda! Stimmt, die Corona fehlt. Auch ich ziehe den Mond der Dichter und Liebenden vor… 😉
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Toll, ich dachte es sei eine gefrorene Seifenblase.
..grüßt Syntaxia
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Da bist du der Realität näher als ich mit meiner Mondassoziation 😉
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