Als Kind hatte ich Schwierigkeit zur Kenntnis zu nehmen, dass „Unfall“ mit „n“ und nicht mit „m“ wie „Umfall“ geschrieben wird, denn das Wort hatte ich in einem ganz konkreten Fall kennengelernt. Als unser Nachbar nach dem wöchentlichen, weinseligen Kartenspiel wie gewohnt mit der Schwerkraft hadernd nach Hause torkelte. Sein verbundener Kopf, den er dann einige Tage mit sich herumtrug, wurde mir – die wahren Umstände verschweigend – als Folge eines Unfalls dargestellt, wobei ich dem konkreten Ereignis entsprechend Umfall verstand.
Solche Vorfälle geben natürlich zu denken. Insbesondere die Vorstellung, dass wir durch eine Kraft nach unten gezogen werden, wenn wir hinfallen, war mir und ist auch heute noch den noch nicht durch naturwissenschaftliches Denken infizierten Menschen fremd. Aus lebensweltlicher Sicht sieht man darin eher eine Frage von oben und unten oder einfach einen Ausdruck der gewohnten Beschaffenheit der Welt.
Wenn jemand fällt, nähert er sich dem Erdboden. Physikalisch gesehen könnte man es aber ebenso gut so betrachten, dass ihm die Erdoberfläche entgegenkommt. Es ist einfach eine Frage des Bezugssystems. Im Alltagsleben würde man es allerdings so nicht ansehen. Es sei denn man hat ein wenig über den Durst getrunken und einen Teil der Kontrolle über sich selbst verloren. Dann kann es auch schon mal so erfahren werden: Ich tastete mich durch den Hof, bis der Hof sich plötzlich erhob und mir kräftig eins auf die Schnauze gab. Aber ich ließ mich nicht zurückhalten, nahm, wenn auch wankend, meinen Weg wieder auf, mehrmals kam der Hof wieder hoch und verpaßte mir viele Abreibungen hintereinander.* Das heißt aber noch lange nicht, dass man damit bereits den physikalischen Blick erlangt hat.
Wenn eine solche Situation droht, gilt es Vorsorge zu treffen. Das tat beispielsweise der Christian Grabbes (1801 – 1836) Feder entsprungene Schulmeister, welcher mit einem um den Kopf gewickelten Bettlaken angetroffen und von seinem Bekannten, Herrn Mollfels, gefragt wird: Donnerwetter, Herr Schulmeister, was ist das für eine tolle Verkappung? Und er antwortet: Vorsicht Herr Mollfels, bloße Vorsicht! Wegen des Umfallens besaufe ich mich gerne mit verbundenem Kopf! Worauf Mollfels antwortet: „O du weiser, erfahrener Praktikus! Als dein demütiger Schüler ahme ich dir stracks in deiner Vorsichtsmaßregel nach!“ Anschließend sehen sie mit den Bettlaken um die Köpfe wie unglückliche, in die Mitte des Milcheimers gefallene Fliegen aus.**
Die Idee ist physikalisch gesehen gar nicht so schlecht (Ich sagte es doch!). Immerhin kann die Abbremsung beim Zusammenprall mit der Erdoberfläche auf eine durch die luftgepolsterten Laken vorgegebene längere Strecke verlängert werden, wodurch die Stoßkraft entsprechend vermindert wird.
* Luigi Meneghello. Wieder da! Berlin 1993, S. 174
** Christian Dietrich Grabbe. Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung. Frankfurt 1987, S. 92
Der Bodenkuss kann sehr schmerzhaft sein.
Sich mit der Hand dagegen wehren, kann auch nicht zweckdienlich sein, wenn man Neurodermitis hat.
Am besten man wickelt sich im Vorfeld umwändig ein…
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Bei der nächsten Feier sollte man also vorsichtshalber ein Bettlaken bei sich haben. 😉
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Gottseidank gibt’s grad keine Feiern?!
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Die Bettlaken können also im Bett bleiben 😉
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Da wo sie hingehören.
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Genau.
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Perfekte Frühstückslektüre, die mich zum Schmunzeln gebracht hat, Liebe Grüße
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Das freut mich. In diesem Sinne einen schönen, sonnigen Sonntag und liebe Grüße, Joachim.
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Unfall ist in der Tat oft ein Umfallen …
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Das merkt man auch daran, dass m und n nicht nur benachbarte Buchstaben sind, sondern auch klanglich dicht beieinander liegen. 😉
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Das ist das, was alten Leuten öfters passiert.
Ich hörte einst im Garten einen ganz leichten Ruf. Meine Nachbarin war gestürzt und konnte sich nicht mehr selbst aufhelfen. Das Rufen musste ich wohl einige Minuten nicht gehört haben. Leider hat so ein Fall zumeist drastische Konsequenzen.
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Und daran zeigt sich dann, was für eine komplexe Angelgenheit doch das für selbstverständlich gehaltene Stehen und Gehen in Wirklichkeit ist. Wenn man so will ein akrobatischer Akt, der ständige Ausgleichsaktivitäten erfordert. Das kann man auch daran ablesen, dass Kinder, die ja (zumnindest am Anfang) sehr lernfähig sind, doch ganz schön lange brauchen, um Stehen und Gehen zu lernen. Und wie unser Beispiel hier zeigt, sobald die Schaltzentrale auch nur ein wenig gestört ist, kann es bereits zum Um(n)fall kommen.
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Auch das Fallen ist anders, wenn man jung ist. Wie sagt man so schön: „Wie eine Katze fallen.“
Ich bin als Kind mal vom Fahrrad gestürzt und habe mir nur Schürfwunden zugezogen.
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Erinnere mich nicht an die Ausfälle beim Älterwerden. Du hast recht, insbesondere das gefahrlose Fallen geht einem verloren. Obwohl ich früher beim Judo das Fallen gelernt habe, nützt mir das heute sehr wenig. Auf dem glatten Eis gehe ich wie eine lahme Ente und passe (aus purer Eitelkeit) auf, dass es keiner sieht. Der Drang schöne Eisstrukturen zu finden ist aber zum Glück noch stärker ausgeprägt.
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Ja, das ist leider wahr …
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Mein Sohn sprach als Kleiner und sprechern Lernender auch immer von Umfall und Düsenneger (statt Düsenjäger) …
herzlichst, Ulli
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Ein später Trost für mich. Meine Oma hat mich damals aber wegen dieser Verwechslung meinerseits ausgelacht, was ich bis heute nicht vergessen habe… Liebe Grüße, Joachim
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