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Physik im Alltag und Naturphänomene, Rubriken: "Spielwiese" und "Blickwinkel"

Geheimnisvolle Farben im Fenster

H. Joachim Schlichting. Physik in unserer Zeit 52/3 (2021), S. 151

Manche Kunststofffolie kann zu intensiven Farberscheinungen führen, wenn durch sie hindurchtretendes (polarisiertes) Himmelslicht unter dem Brewster-Winkel ins Auge des Betrachters reflektiert wird.

Manche Farben sind gar keine und man sieht sie trotzdem und zwar dort, wo sie nicht sind. Das kann man mit bewusst in Kauf genommener Paradoxie an den in prächtigen Farben leuchtenden Oberlichtfenstern des oberen Fotos sehen. Bei den Fensterscheiben handelt es sich um normale Floatglasscheiben, wie man sie überall in der Umwelt vorfindet. Die bunten Farben in denen sie erstrahlen werden an einer ganz anderen Stelle „erzeugt“. Das erkennt man u.a. daran, dass die Kunststoffrahmen der Fenster das farbige Licht reflektieren.

Verantwortlich für die Entstehung der Farben ist eine Kunststofffolie, mit der das schräge gläserne Vordach (unteres Foto rechts) überzogen ist. Die Folie wurde vermutlich aus Sicherheitsgründen angebracht, um beim eventuellen Bruch der Scheiben, die Fragmente zusammenzuhalten. In dem Ausschnitt des Glasdachs (unteres Foto links) kann man die Folie infolge kleiner Aufwellungen an der Kante sogar erkennen.

Diese Folie hat die – vermutlich nicht beabsichtigte – Eigenschaft, wie manche Kristalle doppelbrechend zu sein. Das heißt, wenn sie von polarisiertem Licht durchdrungen wird, treten zwei Teilwellen unterschiedlicher Geschwindigkeit auf. Diese führen dazu, dass ihre jeweiligen Phasen nicht mehr in derselben, sondern in unterschiedlichen Ebenen gleich sind. Davon würde man normalerweise gar nichts merken, wenn das in dieser Weise modifizierte Licht nicht auf die Oberlichtscheiben aufträfe und von diesen unter einem bestimmten Winkel, dem sogenannten Brewster Winkel, ins Auge des Betrachters reflektiert würde. Denn unter diesem Winkel wird das Licht abermals polarisiert, wobei die verschiedenen Ebenen der Teilwellen wieder zusammenfallen und interferieren. Aufgrund der durch die Doppelbrechung bewirkten Phasenverschiebung, kommt es zu Verstärkungen und Abschwächungen bestimmter Wellenlängen des sichtbaren Lichts, d.h. zu einzelnen Farben.

Die Voraussetzung, dass das auffallende Licht polarisiert ist, wird immer dann erfüllt, wenn es bei klarem blauem Himmel aus einer Region kommt, die senkrecht zur Strahlrichtung der Sonne orientiert ist. Und dass man die Scheibe nun gerade unter dem Brewsterwinkel betrachtet, ist kein Zufall. Denn bereits in der Nähe dieses Winkels ist die Polarisationswirkung bereits so stark, dass die Farben bereits schemenhaft zu erkennen sind. Sobald man aber etwas Farbiges bemerkt, dessen Intensität mit der Blickrichtung variiert, justiert man den Blick meist automatisch so, dass die Farben besonders deutlich wahrgenommen werden – und das ist unter dem Brewster-Winkel der Fall.

Ich selbst habe das Phänomen zum ersten Mal in einem Nahverkehrszug beobachtet. Dort zeigten sich die Farben auf einer gläsernen Zwischenwand, über die die Reflexionen der hell beschienenen Außenwelt huschten. Deren Licht war vorher durch das Fenster des Zuges auf der Innenseite der Scheibe angebrachte Kunststofffolie gefallen. Diese Folie, die die Scheibe gegen mutwilliges Zerkratzen schützen sollte, war ebenfalls doppeltbrechend und damit ursächlich für die Farberscheinungen verantwortlich. Das wurde mir allerdings erst einige Zeit später klar, als ich an einem Fenster das Vorhandensein einer solchen Folie dadurch erkannte, dass diese offenbar bei dem Versuch die Scheibe zu zerkratzen beschädigt worden war.

Übrigens lässt sich die Farberscheinung in großer Deutlichkeit mit einer Overheadfolie hervorrufen, die man zwischen zwei Polarisationsfolien legt. Dieses nach einem ihrem Erfinder Michael Berry „Berry Sandwich“ [1] benannte Folienset macht es möglich, das Phänomen mit jeder Lichtquelle hervorzubringen. Im polarisierten Licht (z.B. bei blauem Himmel) kann man die äußere Folie sogar weglassen.

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Literatur

[1] Michael Berry et al. Black plastic sandwiches demonstrating biaxial optical anisotropy. European Journal of Physics 20 (1999), 1–14

Originalbeitrag

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Diskussionen

16 Gedanken zu “Geheimnisvolle Farben im Fenster

  1. Mir kam gestern der Gedanke ,ob man in jedem Falle alle Auswirkungen einer Technik prüft.
    Die Folie hier hat harmlose konsequenzen. Aber selbst bei einer neuen Brille können Irritationen ,etwa im Augenwinkel, auftreten, die beim Autofahren zu einem schreck führen könnten.
    Alles kann man allerdings freilich nicht abfangen, das ist klar.

    Gefällt 1 Person

    Verfasst von kopfundgestalt | 14. Mai 2021, 08:47
  2. Folien mit den Eigenschaften einer Seifenblase oder einer Ölpfütze. Wobei mir die Verwendung von Erdöl bei der Herstellung von Kunststoffen schon als möglicher Erklärungsansatz erscheint. Mich hätte nicht wirklich überrascht, wenn das „Glas“ auch ohne Folie solche Phänomene hervorriefe, denn Glas ist heute ja nicht mehr das, was es ursprünglich war, nämlich eigentlich kein fester Stoff, sondern eine extrem zähe Flüssigkeit, wie man an sehr alten Fensterscheiben, die nach unten immer dicker werden, gut beobachten kann/konnte.

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    Verfasst von christahartwig | 14. Mai 2021, 09:04

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