Die physikalische Größe der Zeit ist sehr genau messbar. Sie ist nach Erkenntnissen der Relativitätstheorie aber auch vom Bewegungszustand der Objekte abhängig auf die sich die Zeitmessung bezieht. So laufen die inneren Prozesse eines physikalischen Systems bezogen auf einen Beobachter langsamer ab, wenn sich das System relativ zum Beobachter bewegt. Der Effekt wird aber erst dann so richtig offenbar, wenn die Bewegung nahezu mit Lichtgeschwindigkeit erfolgt.
Der Gedanke, dass Zeit in irgendeiner Weise von der Bewegung, bzw. der Geschwindigkeit abhängt, ist in der Literatur schon vor der Physik geäußert worden, die diesen Gedanken erst im Rahmen der Relativitätstheorie Einsteins begrifflich erfasste. Das folgende Beispiel aus einem Lustspiel, mag dies demonstrieren:
Darin äußert sich der Schulmeister, ein Protagonist aus diesem Stück, über eine bevorstehende Schlacht:
„… auch flüstert man sich aus zuverlässigen Quellen in die Ohren, daß das auseinandergelaufene Heer des Ypsilanti am 25sten künftigen Monats in einer großen Bataille gesiegt hat.
Tobies: (Nase und Maul aufsperrend): Am 25sten k ü n f t i g e n – ?
Schulmeister: Wundern Sie sich nicht, Herr Tobies! Die Kuriere gehen rasch! Verbesserte Poststraßen, verbesserte Poststraßen!
Tobies: Jesus Christus! So ’ne Poststraße, worauf der Kurier einen Monat vorausläuft, möchte ich vor meinem Tode wohl ‚mal sehen!
Schulmeister: Freilich ist so etwas hier zu Lande rar! Aber, Herr Tobies, Sie werden ja aus eigner Erfahrung bemerkt haben, daß ein gutes Pferd auf einer guten Chaussee den Weg von einer Stunde in einer halben zurücklegt; wenn Sie sich nun das Pferd immer besser und die Chaussee immer vortrefflicher denken, so muß es ja natürlich dahin kommen, daß das Pferd den Weg in einer Viertelstunde, in zehn Minuten, in einer Minute, in nichts, in gar nichts und zuletzt in noch weniger als gar nichts zurück gelegt! Begreifen Sie?
Tobies: Ich begreife, aber verstehen tu ich Sie hol mich der Teufel! Doch noch nicht.
Schulmeister: Da Sie mich schon begreifen, macht es soviel nicht aus, ob Sie mich auch verstehen.“*
Hier ist der Autor noch ein erheblichen Stück über den Wettlauf zwischen dem für seine Schnelligkeit bekannten Achilles und einer sich langsam bewegenden Schildkröte noch erheblich hinausgegangen. Die dem griechischen Philosophen Zenon von Elea (5. Jh. v. Chr.) zugeschriebene Behauptung, dass Achilles trotz seiner größeren Schnelligkeit die mit einem kleinen Vorsprung startende Schildkröte niemals einholen geschweige den überholen könne, ist gar nicht so leicht zu widerlegen. Jedenfalls, wenn man sich auf die mathematische Seite des Problems einlässt.
Christian Dietrich Grabbe. (1801-1836): Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung. Frankfurt 1987, S.12f
Kaum hatte ich mit dem Lesen begonnen, dachte ich an Achilles und die Schildkröte (und an die Infinitesimalrechnung). Aber die Beweisführung des Schulmeisters ist natürlich moderner. Heute überholt sich so mancher selbst und wundert sich, dass er sich im Hier und Jetzt nicht finden kann.
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Dein letzter Satz hätte Grabbe sicherlich sehr gefallen, wenngleich er eher für heutige Zeitgenossen zutrifft, als für Leute seiner Zeit.
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Das thematisierte auch einst ein Film mit Belmondo. Der Protagonist packte immer mehr in seine Zeit, in reinster Raserei , trotz aller Warnung. Mitten in seiner emsigen Geschäftigkeit wurde plötzlich die Kinoleinwand schwarz…
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Das Schwarzwerden ist dann wohl der Kipppunkt, von dem Ule in ihrem Kommentar sprach.
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So „eine Raserei“ habe ich punktuell ja auch immer versucht. Sich alles gleichzeitig in den Mund stecken…
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Der Genuss leidet durch die Mischung…
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Interessanter link. 😀
Man könnte das interne zeitraster des Gehirns ändern,
Man würde so mehr in einer Sekunde erleben.
Aber was wäre dabei gewonnen ? 😀
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Vermutlich wäre nichts gewonnen. Die Langsamkeit hat auch ihre Reize…
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Hallo, Joachim!
Und wenn, je schneller wir leben, um so schneller unsere Lebensuhr abgelaufen wäre? Sich zu bremsen, wann immer man sich beim „Multitasking“ erwischt, bringt jedenfalls viel Aufmerksamkeit und Zufriedenheit ins Leben zurück. Ich glaube, das gilt auch für das rein lineare Tempo.
Wie klug und vorausschauend doch Grabbes kleine Anekdote ist … vielleicht gab es auch zu allen Zeiten dieses Phänomen, dass Menschen versuchen die Dinge immer schneller zu erledigen. Bis zu einem gewissen Grade sicher auch ein wünschenswerter Effekt, aber wie immer ist da die Frage nach dem Kipppunkt.
Dein Foto mit dieser rätselhaften Naturschrift im Blau finde ich sehr reizvoll.
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Ja, liebe Ule, das Immer-schneller-werden ist wohl der Menschheit einbeschrieben. Oft waren es die Poeten, die den Physikern in dieser Hinsicht voraus waren. Vielleicht wurden durch solche komödiantischen Texte wie den von Grabbe solche Dinge überhaupt erst denkbar – eine Voraussetzung dafür, sich damit auch (u.a. physikalisch) zu befassen. Was das reale Leben betrifft, so sollte man sich (hier spreche ich vor allem mich selbst an) ein bisschen mehr der Entdeckung der Langsamkeit widmen. Dann kommt man gar nicht erst in die Gefahrenzone des Kipppunkts – bzw. physikalisch – des Phasenübergangs.
Bei dem Foto hatte ich die Assoziation, dass ähnlich wie hier die gerade Linie als Repräsentantin der Zeit durch die Wellenbewegung des Wassers verzerrt wird, die echte Zeit Gravitationsfelder verzerrt werden kann.
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Das ist ja auch gängige physikalische Vorstellung (wem sage ich das!): Zeit ist nicht starr, andere Felder interagieren.
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🙂
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Die Wellenbewegung dehnt quasi die Originallänge des Schattenwurfes aus – in der Metapher dürfen wir also davon ausgehen, dass die Bewegung uns zusätzliche Zeit schenkt.
Wenn das mal real auch so klappte …
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…für Menschen, die sich langweilen (soll es geben) wäre eher eine Stauchung der subjektiven Zeit angesagt…
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Sich langweilen? Was ist das denn?
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Soll es geben 😉
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Danke, Joachim!
Eine amüsante guten Morgen Geschichte, bei der man einfach die Relativitätstheorie näher gebracht bekommt.
Zu Gerda: ja, leider ist das Überholen seiner selbst gerade im Internet heute nicht unüblich. 😉
Allen einen schönen Tag von Susanne
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Vielen Dank, liebe Susanne! Das Überholen bzw. Überholenwollen ist ja heute geradezu zu einem Lebensmotiv geworden. Wir sind dabei unsere eigene Zeit (Eigenzeit!) zu veräußerlichen. Lass es ruhig angehen! Joachim.
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Ich versuche gerade mit meiner wissenschaftlichen Arbeit zu entschleunigen. Es ist mir gut gelungen, ich habe seit Anfang des Monats keine Kommentare beantwortet.
LG Susanne
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Das klingt gut. Wenn man mit einer wissenschaftlichen Arbeit auch noch entschleunigen kann, dann ist man fein raus… Weiterhin viel Erfolg!
LG, Joachim.
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Ja, das stimmt, Joachim. Nun habe ich mein erstes Kapitel vorgestellt und nun geht es daran, die Kommentare einzubauen und aus dem vorgestellten ein rundes, interessantes Kapitel zu machen.
LG und Danke, Susanne
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Schreibst du an einer Masterarbeit oder an einer Dissertation? Ich bewundere dich schon solange dafür, dass du das Wissenschaftliche auch noch so nebenbei machst. Jedenfalls wünsche ich dir einen „guten Wirkungsgrad“. Liebe Grüße, Joachim.
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Lieber Joachim,
ich schreibe an meiner Dissertation zum (Arbeits)Thema das digitale Werkverzeichnis. Es hat hier in der Blogwelt nur den Anschein, ich „mache“ das Wissenschaftliche nebenbei, weil ich wenig darüber berichte. Ich denke, es nimmt schon von meiner produktiven Arbeit 50% ein. Meinen BA (2016) habe ich zum Thema Wissenschaftlichkeit und Designo in Albrecht Dürers Werk geschrieben und den Master (2019) zum Thema Unfertig oder Fertig in (einer) Zeichnungen der Romantik in Deutschland. 🙂
Beides hat mich ganz selbstverständlich zum Werkbegriff, den ich in meiner Dissertation (seit 2020) untersuche, geführt.
In „Bloghausen“ zeige ich in letzter Zeit verstärkt „nur“ meine Kunstwerke, ohne wie noch vor einigen Jahren, viel dazu zu schreiben. Meine Schreibe geht in meine Dissertation.
Ich höre öfter Podcast oder Diskussionen zum Werk während ich zeichne. 😉 😉 😉
Ein schönes Wochenende wünscht dir Susanne
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Danke, liebe Susanne, jetzt blicke ich durch, was die Verteilung deiner Aktivitäten betrifft. Ich stelle mir vor, dass die praktischen Arbeiten ein guter Ausgleich zum theoretischen Arbeiten ist. Gleichzeitig kommt es sicherlich zu einer gegenseitigen Befruchtung.
Auch dir ein schönes Wochenende, bitte auch mit Phasen der Entspannung, Joachim
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