Eine transparente Plastiktrinkflasche steht auf der Fensterbank im Sonnenlicht. Dieses fällt etwas nach links verschoben von vorn oben ein. Abgesehen von einer intensiven Lichtstreuung im oberen Bereich der Flasche, die so intensiv ist, dass die Details überstrahlt werden, fallen einige spektralfarbene Streifen auf.
Zum einen fällt ein regenbogenfarbiger Teilkreis auf ein Blatt weißes Papier, das ich der besseren Sichtbarkeit vor mir auf den Schreibtisch gelegt habe. Er entsteht dadurch, dass das Licht beim schrägen Auftreffen auf die Wasseroberfläche in der Flasche gebrochen wird. Die gerundete Wasserschicht wirkt gewissermaßen wie ein Prisma, durch das das weiße Licht zum Einfallslot hin gebrochen wird und zwar zunächst beim Auftreffen auf das Wasser und anschließend beim Verlassen des Wassers. Weil es dabei auf eine kreisrunde Front trifft wird es nicht nur nach unten, sondern auch zur Seite abgelenkt. Dadurch ergibt sich in der Projektion auf dem Tisch, ein runder Lichtstreifen, der länger ist als der Querschnitt der Flasche.
Da der Brechungsindex nicht nur vom brechenden Material, dem Wasser, abhängt, sondern auch von der Wellenlänge des Lichts, wird das Licht unterschiedlicher Wellenlängen unterschiedlich stark gebrochen: kurwelliges Licht (vor allem Blau) wird stärker (zum Einfallslot hin) gebrochen als langwelliges (vor allem Rot). Daher liegt der rote Streifen außen und der blaue innen. Ganz sauber gelingt die Aufspaltung in Farben nicht, weil die Kunststoffwand der Flasche nicht ganz homogen ist.
Zum anderen beobachtet man zwei spektralfarbene Streifen auf dem unteren Teil des Fensterrahmens. Sie kommen dadurch zustande, dass das unterhalb der Wasseroberfläche einfallende Sonnenlicht zunächst gebrochen und dadurch nicht nur zum Einfallslot hin abgelenkt, sondern auch spektral zerlegt wird. Anschließend trifft das sich auf diese Weise verjüngende Lichtbündel auf die Innenwand der Flasche (auf die man blickt), wird dort teilweise reflektiert und schließlich beim Wiederaustritt aus der rückwärtigen Wand der Flasche abermals gebrochen. Dabei tritt wie bei der Entstehung eines Regenbogens in einem Wassertropfen eine deutliche Verstärkung des Lichts auf, so dass zu jeder Seite bei einem bestimmten Winkel ein farbiger Streifen zu sehen ist. Jenseits dieses Winkels kommt kein Licht mehr an. Die im übrigen Bereich gebrochenen farbigen Lichtstrahlen mischen sich wieder zu weißem Licht. Wir haben wir es also hier mit einem regenbogenartigen Phänomen zu tun, das wegen der Zylindergeometrie der Flasche jedoch nur auf eine Ebene beschränkt ist.
Schließlich sieht man innerhalb der Flasche noch so etwas wie ein helles Rechteck. Es kommt dadurch zustande, dass ein Teil des durch die Flasche hindurchstrahlenden Lichts beim Durchgang durch die Kunststoffwand teilweise an Inhomogenitäten des Materials gestreut und gebrochen wird. Es gelangt auf diesem Wege ins Auge des Betrachters gerät und wird sichtbar.
Der Alltag birgt doch immer wieder kleine „Wunder“. Da muss man sich nicht wundern, dass die frühen Menschen sich von Geistern, Dämonen,Götter umgeben fühlten.
Die hatten zwar noch keine Plastikflaschen, aber irgendetwas stand oder wuchs um sie herum das sicherlich einen solchen „Zauber“ erzeugte – und wenn es nur Wolken, Donner, Blitz oder Schatten waren.
LikeGefällt 2 Personen
Wohl wahr! Heute werden die Götter etc. eher durch Mechanismen ersetzt…
LikeGefällt 1 Person
Und die haben dann auch wie die Götter ihren eigene Kopf :-))
LikeGefällt 1 Person
Die Gefahr besteht zumindest…
LikeLike
Spannend was so eine einfache Wasserflasche alles zaubern kann 😀
LikeGefällt 1 Person
Ja, was mich daran immer wieder begeistert, dass das Große (z.B. der Regenbogen) aus im Kleinen und Unscheinbaren enthalten ist.
LikeGefällt 1 Person
Der „Geburtlichkeitstheoretiker“ dreht das um und sagt dazu: Nichts ist im Großen, was nicht vorher im Kleinen war.
LikeGefällt 1 Person
Davon gehen auch die Physiker aus: zuerst waren es die Atome, dann die Elementarteilchen.
LikeLike
Das mit dem Rechteck ist für mich der famoseste Teil.
Es hat auch Ähnlichkeit mit einer Motte, wie mir scheint, haha.
Wie bei einer Motte gibt es eine Rundung der Flügel am Ende des Körpes zum Körper hin, um ihn einzuhüllen. Dies ist hier der Fall. Das Kopfende des Rechtecks ist aber sozusagen abgeschnitten, das Licht reicht nicht mehr hin.
LikeGefällt 1 Person
Ja, bei solchen Anblicken fällt einem noch einiges ein. Ich habe mich rein auf die physikalischen Dinge beschränkt.
LikeGefällt 1 Person
Genial, muß ich auch mal probieren!
LikeGefällt 1 Person
Jau, war gar nicht so einfach mit Lichtgeschwindigkeit zu fotografieren.
LikeLike
Der „regenbogenfarbige Teilkreis“ ähnelt übrigens sowohl optisch als auch vom verantwortlichen Mechanismus her mehr einem vergleichbar häufigen aber weit weniger bekannten Phänomen der atmosphärischen Optik: dem Zirkumzenitalbogen Halo (siehe z.B. Wikipedia https://en.wikipedia.org/wiki/Circumzenithal_arc).
Details zur Analogie finden sich im Artikel „Artificial circumzenithal and circumhorizontal arcs“, Am. J. Phys. Vol. 85(8), 575-581, M. Selmke and S. Selmke, 2017. (https://arxiv.org/abs/1608.08664)
Bei zylindrischen Blumenvase tauchen die rückwärtigen Regenbögen wie im Bild übrigens vervielfacht auf, verursacht durch die endliche Wanddicke: „Revisiting the round bottom flask rainbow experiment“, Am. J. Phys. Vol. 86(1), 14-21, M. Selmke and S. Selmke, 2018. (https://arxiv.org/abs/1612.09563)
LikeGefällt 1 Person
Vielen Dank für Ihre kompetenten Ergänzungen und die Literaturhinweise (die ich selbst bereits kenne). Mir ist klar, dass die Wasserflasche weder direkt mit Wassertropfen (Regenbogen) noch mit Eiskristallen (Zirkumzenitalbogen) verglichen werden kann. Aber als grobe Anschauungshilfe für die Entstehung des Regenbogens halte ich das Beispiel insbesondere für die (meiner Einschätzung nach) weit überwiegende Leserschaft meines Blogs durchaus für geeignet. Grobe Vergleiche hinken natürlich immer irgendwie, aber was wäre die Alternative? Eine meiner Motivationen dieses Blogs ist es möglichst ohne Formeln auszukommen und an eigene Erfahrungen der Leserinnen und Leser anzuknüpfen. Es grüßt H. Joachim Schlichting.
LikeLike
In jedem Fall sind beide Experimente eine schöne Anschauungshilfe, auch ohne Formeln.
Sofern sich ein Lesender bis in die Kommentare verirrt hoffe ich, dass das Interesse groß genug sein könnte auch genauer in die Analogien reinzuschauen. Wie beschrieben bieten diese eben noch einige spannende Überraschungen (zusätzliche Regenbögen durch die Gefäßwand, Sonnenstand-abhängiger Öffnungswinkel der Regenbögen, neues Phänomen: Zirkumzenitalbogen (es lohnt sich danach Ausschau zu halten), …). Viele Grüße, Markus.
LikeGefällt 1 Person
Auf jeden Fall sind Ihre Ergänzungen und Anregungen von großem Wert. Bei einer schnöden Plastikflasche, wie sie bei mir nach einer Wanderung zufällig auf dem Schreibtisch in der Sonne stand, ist es schwierig die inhomogene Gefäßwand einigermaßen verlässlich mit einzubeziehen. Bei Glas ist es schon günstiger. Was den Regenbogenwirkel betrifft, so sind in diesem Fall auch noch die Richtung und Höhe der Sonne zu berücksichtigen. Der Zirkumzenitalbogen ist wirklich eine spannende Angelegenheit. Meine Aufnahmen waren bislang nicht sehr überzeugen ;). Gruß, Joachim Schlichting
LikeLike