
War es ein Witzbold, der diese nicht wirklich ernst zu nehmende Barriere vor einem Waldweg anbrachte? Kann man wirklich hoffen, eine reale Gegebenheit, hier einen Weg, dadurch aus der Welt schaffen, dass man sie einfach verbal für nichtig erklärt?
Oder handelt es sich um ein modernes Verbotsschild, dass der Weg auf den Berg hinauf nicht mehr benutzt werden darf? Immerhin klingt es besser als: „Betreten des Weges verboten!“. Aber was sollte das für einen Sinn haben, wo man sich doch jeden anderen Weg durch den Wald selbst wählen könnte, wie man es beispielsweise beim Pilzesuchen tut: Dort wo man geht ist ein Weg. Etwas allgemeiner könnte man auch das moralische und selbstverpflichtenden Obligat bemühen: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
Die Situation ist irgendwie kafkaesk, denn bleibt die Frage nach dem Gesetz, dem hier Ausdruck verliehen werden soll: Unsere Gesetze sind nicht allgemein bekannt, sie sind Geheimnis der kleinen Adelsgruppe, welche uns beherrscht. Wir sind davon überzeugt, daß diese alten Gesetze genau eingehalten werden, aber es ist doch etwas äußerst Quälendes, nach Gesetzen beherrscht zu werden, die man nicht kennt.*
Es könnte also sein, dass das „K“ in „KEIN“ für „Kafka“ steht und „EIN WEG“ übrig bleibt. Aber dann wäre das Schild überflüssig.
Wenn man sich der Situation von Seiten der Kunst nähert, wird man vielleicht an René Magrittes „Ceci n’est pas une pipe“ (Dies ist keine Pfeife) als Unterschrift einer realistisch gemalten Pfeife erinnert. Denn man es nicht mit einer realen Pfeife zu tun, die man rauchen könnte, sondern mit der Abbildung einer solchen, was eben ein großer Unterschied ist. Bezogen auf das vorliegende beschriftete Holzgestell könnte man sogar à fortiori sagen, es ist nicht einmal eine Abbildung eines Weges aber auch keines Weges (was immer das sein könnte).
Immerhin wird auch hier die Beziehung zwischen dem Objekt, seiner Bezeichnung und seiner Repräsentation angesprochen und das nicht in einer philosophischen oder kunsthistorischen Vorlesung/Abhandlung, sondern im Wald. (Ich glaub‘ ich bin im Wald.)
Schon diese Gedanken, die mir beim Anblick des Werks kommen, zeigen eine gewisse Bedeutung, sodass ich nicht zögere von einem „Kunstwerk“ zu sprechen. Es ist zudem handwerklich professionell gefertigt, geometrisch exakt mit plakativen Druckbuchstaben und steht in einem interessanten Spannungsverhältnis zu der natürlichen Umgebung.
* Franz Kafka. Zur Frage der Gesetze. In: ders., Sämtliche Erzählungen. Frankfurt 1970, S. 314
Rechts daneben gehört unbedingt ein ebensolches Schild mit „!Kein Baum!“
Genau! Allein schon aus Konsistenzgründen…
Nicht wirrklich, Sonja, solange das Schild aus Holz ist. Auch ein gewesener Baum ist ein Baum, oder?
Das Schild hat kafkaeske Züge. Einerseits wirkt die Szenerie irgendwie bedrohlich bzw. positiv ausgedrückt fantasievoll. Was führt denjenigen dazu, dieses Schild aufzustellen. Andererseits auch etwas Absurdes, denn es ist ja offensichtlich, dass Viele nicht nur glaubten, dass da ein Weg ist, sondern ihn auch noch gegangen sind und ihn damit noch einmal mehr zum Weg weg von was auch immer machten.
Und auf eine dritte Weise ist es auch typisch deutsch. Für alle denkbaren Verbote gibt es tolle Schilder.
Am Ende denke ich: Der Weg ist das Ziel und scheinbar gibt es nicht immer ein Ziel…
Genauso ist es, liebe Julia. Das „Kafkaesk“ habe ich sogleich übernommen, denn die „Gesetze“ waren ja ein großes Anliegen von Kafka. Und um Gesetze geht es hier sicher auch, wenngleich sie genauso undurchschaubar sind wie in Kafkas Welt.
Jedenfalls hat sich jemand richtig Mühe gegeben ein Geheimnis zu „produzieren“ Ist man nicht erst recht geneigt, den Verweis zu ignorieren? Bei mir um die Ecke gab es ein Ähnliches Schild. Mein absoluter Lieblingsweg ist seit geraumer Zeit nun aber endgültig mit einem festen Tor verriegelt und abgezäunt. Das Geheimnis hat aber der Nabu gelüftet. An unserer „Strunde“ wurden Eisvögel gesichtet. Da ist der Grund für mich plausibel. Aber ich würde so gerne mal spinxen..,. Liebe Grüße von Marie
Ich würde sagen: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Kein Tor ist unüberwindbar. Außerdem ist das „Geöffnet werden können“ eine der Daseinsberechtigungen eines Tores. Der Nabu wird dir bestimmt eine Sondergenehmigung einräumen. Eine ähnliche Situation habe ich im „Naturpark Niedersächsischen Wattenmeer“ an der Nordseeküste in Ostfriesland erlebt, wo mir nicht nur das „Tor“ geöffnet wurde, sondern ich auch noch eine informative Führung durch das Vogelschutzgebiet erhielt. Liebe Grüße, Joachim
Das ist keine Streetart! 😉
Nein, ist es nicht. Also doch!
Man könnte das „k“ von „kein“ durchstreichen. Ergebnis: Es gibt immer einen Weg! 🙂
Das wäre zumindestt ein positiver Zugang. 🙂
Dazu lässt sich vieles sagen – was Du ja auch schon hier gemacht hast.
Zum einen hatte ich im Frühjahr einen Ordner „Outdoor-Culture“ angelegt, mit gefundenen Objekten in der Natur, die als Kunst gelten könnten. Das war z.b. ein Veranstaltungsprogramm , in eine Ritze eines Baums gedrückt, zu einer Zeit, in der es ja keine Veranstaltungen gab!!
Ausserdem frappierte mich der Gedanke: Wenn schon Museen zu sind, wieso nicht Kunst öffentlich präsentieren?! Vielleicht hatten einige wenige, die etwas in der Natur zurückliesen, genau das vorgehabt.
Die Abbildung der Pfeife bei Magritte besagte ja sehr wohl, daß es eine Pfeife war. Zwar nicht anzufassen, aber dennoch eine Pfeife mit Fug und Recht. Ist die Spiegelung einer Pfeife im Spiegel etwa keine Pfeife? Ist das Konstrukt, das unsere Augäpfel + Gehirn aus dem Lichtinput macht, eine Pfeife?! Unser Gehirn macht etwas aus dem physisch vorhandenen, das bei näherer Betrachtung nicht mal physisch ist, sondern aus Strings besteht oder ähnlichem.
Übrigens habe ich das mit dem Ordner oben nicht weiter verfolgt, da die Museen wieder offen sind und die Bienen und anderes mich abzogen. Wie nicht anders zu erwarten.
Danke, für deine Ergänzungen! Alles läuft auf die Frage hinaus: Was ist real. Und allein die reichhaltigen Gedanken, die dadurch ausgelöst werden rechtfertigen es bereits von Kunst zu sprechen. Vielleicht sollte ich ein Schild neben dem Schild anbringen, auf dem dann steht: „Keine Kunst“.
Kunst ist eben manchmal unvermeidbar.
Etwas überspitzt formuliert könnte man sagen: Man kann nicht nicht künstlerisch tätig sein.
…ach wäre es doch Kunst 🙏
Ich würde sagen „unfreiwillige Kunst“, wenn es denn so etwas gibt. 😉
Ja, auch gut 🙏 bloss nicht ernstgemeinte Kleinkariertheit 😉
🙂
Ja, das kann man nun Provokation, Kunst, Irritation und was auch immer nennen. Letztlich müsste man den Erbauer fragen oder es auf die große Wiese der Ost/West Philosophie stellen.
Wenn ich mit dem Osten beginne, so ist „der Weg“, den man nennen kann, nicht der wahre Weg. Der bildet sich ja im Dao erst beim gehen. Insofern wäre der Hinweis „Kein Weg“ hier schon richtig angebracht. Besser müsste es dann vielleicht heißen: „Kein Weg für jedermann“. Nur ein Weg für den, der hier seines Weges geht, dessen Leben über diesen Weg gehen will.
Geht man über Westen so verstricken wir uns in Definitionsfragen: Was ist ein Weg? Habe ich überhaupt die Freiheit meine Wege zu wählen? Durfte hier irgendjemand einfach ein Schild aufstellen? Wo ist die Nr. der Behörde die die Aufstellung verfügt hat? Handelt es sich um ein schutzwürdiges Gebiet und wenn, wer hat es verfügt?
Sehr schön, reiche Gedankennahrung. Zu allem anderen sei hinzugefügt: Das Aufstellen des Schildes verändert das Objekt, auf das es sich bezieht. Es verändert nicht nur diee wahrgenommenee, sondern auch die objektiv vorhandene Realität, „Kein Weg“ dürfte von vielen Wanderern erst beäugt, dann anerkannt werden, so dass am Ende tatsächlich „kein Weg“ mehr erkennbar ist. er ist dann zugewachsen und wurde zur weg- und steglosen Natur. Dann kann man das Schild woanders aufbauen – und so jede Erinnerung daran; dass hir jemals ein weg war, auslöschen.
So gehts mit vielen Dingen. Seit zB Nietzsche sein berühmtes „kein Gott“-Schild aufstellte, hat sich so mancher dran gehalten, und so ist er irgendwie zugewachsen und in Vergessenheit geraten. Noch nicht ganz zwar, immer wieder kommt eine Debatte auf, ob da viellicht doch mal in Gott war (ees gibt ja auch diee Kirchen) … , aber kaum einer mag sich auf den zugewachsenen Pfad begeben, um am Ende im Brombeergestrüpp zu landen.
Auch weniger dramatische Beispiele finden sich in Fülle. Die Negation einer Existenz führt, wenn sie autoritativ auftritt, zur Existenzvernichtung, – genauso wie die dauerhafte Behauptung einer Existenz diese entstehen lässt -,,,,
Deine tiefschürfenden Worte kann man als Wege ansehen, auf die man angesichts dieser Negation eines Weges, der dennoch einer bleibt, als Wegalternativen ansehen kann. Wenn man jedoch diese Weg geht und dadurch weiter vertieft, bleibt man dabei vor diesem Schild stehen und weiß zum Schluss nicht mehr ein noch aus… 😉
So ist es. Das Paradox der Seinsbeweise.
🙂
Erinnerungen „auslöschen“ ist m.E. durch unsere eigenartige Merktechnik schwierig bis unmöglich. Wir speichern zumindest bedeutende Erinnerungen nicht nur „technisch, sondern ebenso mit all ihren Attributen an Gerüchen, Tönen, Gefühlen und Stimmungen bis hin zu erhebenden leiblichen Erfahrungen. Wenn der so zugestellte Weg also ein „Traditionsweg“ war, der zu einem geliebten Ort führte oder ähnlichem, dann wird die Erinnerung „ewig“ bleiben. Wenn ich dann noch ein „konservativer Mensch“ bin, dann reizt es mich, das Schild zu umgehen oder auszureissen um mir den Zugang zu verschaffen. Selbst wenn es weg ist werde ich sehnsüchtig in Erinnerungen schwelgen. Oft wird der Weg dann schöner als er mal war. Der Mensch lebt eben auch „in Gewohnheit“. Wie oft hört man Sätze die mit „früher war…“ anfangen.
Insofern plädiere ich für „Erinnerungen können verblassen“ und den Eindruck erwecken, sie seien gelöscht.
Noch eine Anmerkung zu Nietzsche: eine sehr gelungen Formulierung: das mit „kein Gott“ Schild ☺))
Nur vor Nietzsche hatten schon Theologen das Schild aufgestellt „Gott ist im Unendlichen unsichtbar“. Das wurde denn doch zuviel für die kleinen Gläubigen. So versuchten sie -mit Erfolg- die Schöpfung selber in die Hand zu nehmen und vergaßen IHN darüber. So schreibt Nietzsche auf dem Schild den Satz „Gott ist tot und wir haben ihn umgebracht“.
Dass Dinge, Erlebnisse u. Ä. in der Erinnerung oft schöner erscheinen als sie in Wirklichkeit, sieht man z.B. daran, dass wenn man diesen dann „wirklich“ einmal wieder begegnet, sich oft große Enttäuschung einstellt. Z. B. bei wieder gesehenen Filmen, oder wieder besuchten Orten, an denen etwas Eindrucksvolles erlebt wurde.
PS:
Ich lese nach meinem Kommentar zu Ihren Anmerkungen soeben ein Interview mit Jean-Luc Nancy: „Freunde sind Geister“ auf http://www.philomag.de
Sofort springt mich diese Aussage an:
Frage:
Kürzlich haben Sie die Herausgabe eines Werkes in Gedenken an Bernard Stiegler koordiniert. Warum ist es so wichtig und so schwierig, über den verstorbenen Freund zu sprechen?
Antwort:
Es gibt da eine unüberschreitbare Schwierigkeit. Der Freund ist nicht mehr da, das ist alles. Aber dieses „alles“ ist auch eine großartige Präsenz. Ich höre seine Stimme, spüre seine Gegenwart. Es gibt Unauslöschliches. Der abwesende Andere betont seine Gegenwärtigkeit: Hier ist sein Lachen, hier ist seine Melancholie. Ich lebe heute umgeben von toten und gegenwärtigen Freunden. Ich höre ihren Tonfall und wie sie mir sagen: ……
So ist es. Ich fühle mich auch umgeben von verstorbenen Verwandten und Freunde und überlege manchmal, was sie zu der einen oder anderen Aussage gesagt hätten. Sie sind irgendwie abwesend bei mir. Ich kann die Aussagen also gut nachvollziehen.
Ich bitte um Pardon für die Tippfehler, schuld ist die Tabulatur meines Computers.
Ja, ja, immer die anderen. Zum Glück ist dein Computer so intelligent oder unsere Sprache so redundant, dass ich ohne Probleme zumindest syntaktisch alles verstanden habe und mir erst nachträglich nochmal anschauen musste, ob ich möglicherweise etwas Falsches gelesen habe und dadurch auf falsche Wege gelangt bin. 🙂
Eine sehr gelungene Deutung, Joachim.
Das Schild hat bei mir in der Tat einiges ausgelöst. Ich bleibe auch jetzt immer noch vor dem Schild stehen, wenn ich mal wieder den Waldweg gehe…