
An jenem Tag im blauen Mond September
Still unter einem jungen Pflaumenbaum
Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe
In meinem Arm wie einen holden Traum.
Und über uns im schönen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah
Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
Und als ich aufsah, war sie nimmer da.
Seit jenem Tag sind viele, viele Monde
Geschwommen still hinunter und vorbei
Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen
Und fragst du mich, was mit der Liebe sei?
So sag ich dir: Ich kann mich nicht erinnern.
Und doch, gewiß, ich weiß schon, was du meinst
Doch ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer
Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst.
Und auch den Kuss, ich hätt‘ ihn längst vergessen
Wenn nicht die Wolke da gewesen wär
Die weiß ich noch und werd ich immer wissen
Sie war sehr weiß und kam von oben her.
Die Pflaumenbäume blühn vielleicht noch immer
Und jene Frau hat jetzt vielleicht das siebte Kind
Doch jene Wolke blühte nur Minuten
Und als ich aufsah, schwand sie schon im Wind *
Ich werde ab heute wieder einmal einige Tage in der netzfreien Zone an der Nordsee verbringen. Teilweise habe ich für die nächsten Tage aber bereits vorgesorgt. Auf mögliche Kommentare gehe ich dann nach meiner Rückkehr ein.
* Bertolt Brecht (1898 – 1956), aus: Erinnerung an die Marie A.
Von prägenden Erlebnissen bleiben oft Neben-Erlebnisse hängen. Aufhänger sozusagen .
Starke Erlebnisse : Man weiss oft nur noch, dass sie “ eben stark“ waren.
Man kann offenbar nicht mit Vorsatz „stark“ erleben. Solche Momente werden geschenkt.
Tief berührt zu werden, ist das Salz unseres Lebens.
Alles andere gleitet durch.
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Dem stimme ich in allen Punkten zu. Oft sind diese Aufhänger – objektiv betrachtet – unbedeutend, kurz und zufällig – aber sie sind und bleiben gewissermaßen die Gewähr dafür, dass das starke Erlebnis wirklich war.
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Tja…alles flüchtig… aber sehr schön, Gedicht und Text. Liebe Grüße Marie
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Man erlebt es immer wieder, dass unscheinbare Nebensachen durch bedeutende Vorkommnisse gewissermaßen aufgeladen werden. Liebe Grüße Joachim.
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Schön, dass Du Dich mit Brecht und dem Thema Liebe verabschiedest. Ich wünsche Dir schöne Tage, Liebe Grüße!
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Vielen Dank für deine Wünsche! Ja, was wären wir ohne Liebe?! Liebe Grüße, Joachim.
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Eine genossene Liebe im Nachhinein auf eine flüchtige Wolke zu reduzieren, ist wohl ein typischer Brecht. Mich erinnerte das Gedicht spontan an Lou Reeds „Perfect day“, dessen zentrale Zeile lautet „Oh it‘s such a perfect day, I‘m glad I spent it with you“. Die Umkehr des romantischen Ideals: die Liebe erwächst nicht aus der Begegnung mit dem einmalig-unverwechselbaren geliebten Wesen, sondern die Frau hat einfach das Glück, zufällig dabei zu gewesen zu sein, als den Mann der perfekte Tag ereilte. Brecht konterkariert aber nicht einfach nur das romantische Ideal, und outet sich damit Frauen gegenüber als fast zynischer Genußmensch, sondern entlarvt dadurch natürlich die realen auf das Geschlechterleben bezogenen Machtverhältnisse. Der Mann schwebt in den Wolken, während die Frau zur Gebärmaschine herabsinkt.
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Du magst mit deiner Interpretation recht haben. Und wenn man das, was von Brechts Persönlichkeit mit einbezieht, spricht auch einiges dafür. Aber Gedichte sind ja nicht immer so eindeutig und lassen oft auch andere Interpretationen zu, z.B. die, die in den anderen Kommentaren zur Sprache gekommen sind.
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Das eigene Erleben scheint Brecht, wie in vielen Gedichten auch hier, wichtiger gewesen zu sein als die beteiligte Frau. Obwohl dieses Gedicht sehr stimmungsvoll und wohlgefügt ist, erschien mir die nostalgisch erinnerte Szenerie doch immer recht inszeniert.
Ich wünsche dir schöne Zeit an der September-Nordsee, Joachim.
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Es ist wohl sehr schwierig, das nahezu Unsagbare ohne inszeniert zu wirken in Worte zu fassen. Vielen Dank für deine Wünsche… gleich geht es los.
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Schön! Immer wieder. https://gerdakazakou.com/2019/06/05/merkwuerdigkeiten-von-unterwegs-1-3-verstehen-durch-framing-rahmung-kontextualisierung/ oder https://gerdakazakou.files.wordpress.com/2016/01/wolke-sw.jpg
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Stimmt! Vielen Dank für deine originellen Hinweise.
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