Wenn man ein solches Gebäude mit gekrümmten Fassaden erblickt, wird man vielleicht an moderne Architektur à la Hundertwasser erinnert… Aber nein, nicht wirklich. Denn die Linien sind doch wohl etwas zu umstürzlerisch. Außerdem erscheinen sie genau in den Kreuzungen der Sprossen des Fensters, durch das man blickt zusammengezogen zu werden. Man wird ziemlich schnell das Fenster im Verdacht haben. Richtig, es handelt sich um eine Doppeltverglasung und die führt in den meisten Fällen dazu, dass die Scheiben infolge unterschiedlichen Luftdrucks innerhalb und außerhalb der Scheiben deformiert werden. Diese Deformationen führen meist zu kissenförmigen Verzerrungen der Gegenstände, die man im Blick hat.
Aber wie wäre es, wenn wir gar keinen Hinweis auf das Fenster hätten? Würden wir dann die Realität anders wahrnehmen. Würden wir etwa davon ausgehen, dass gesehene Gegenstände je nach Blickwinkel ihre äußere Form ändern? Welche Wirklichkeitsauffassung resultierte daraus? Ich will den Gedanken nicht weiterspinnen, obwohl er geeignet ist, einige stillschweigende Voraussetzungen der Wahrnehmung zu unterminieren. Und da wir nun mal nicht ständig durch Fenster blicken, sind diese Fragen außerdem sehr hypothetisch. Sind sie das wirklich? Sind nicht auch unsere Augen eine Art Fenster? Jedenfalls blicken wir durch den Glaskörper, die Linse, die Hornhaut und nehmen alles auch noch auf dem Kopf stehend wahr. Ist das wirklich vertrauenswürdig? Nun, wir haben nichts Besseres und kommen in der Regel bestens damit zurecht – von Augenfehlern einmal abgesehen. Jedenfalls macht unser Gehirn aus den Seheindrücken die schöne, stabile, in Senkrechten und Waagerechten normierbare Welt. Aber ist nicht gerade darin das Problem zu sehen? Sind wir noch Herr im eigenen Hause?
wiedermal hoch interessant. Wenn ich solche Spiegelungen sehe frage ich mich immer „warum kriegen die die Fenster nicht plan hin?“ aber daran das die Luft zwischen den Scheiben der Doppelverglasung aufgrund von Temperatur und Luftruck immer mal wieder „arbeitet“ hab ich nicht gedacht. Ich dachte immer „wieso bauen die in so ein neues Gebäude krumme Fensterschreiben?“. Wir sind uns gar nicht bewusst wie beweglich Glas eigentlich ist.
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Eigentlich sind die heutigen Scheiben sehr viel präziser als die aus früheren Zeiten der Einfachverglasung. Aber gegen die Ausbeulungen durch die Luftdruckschwankungen sind sie machtlos. Es stimmt, die Elastizität des Glases ist uns meistens nicht bewusst, weil wir Glas eher mit Zerbrechen und Zersplittern in Verbindung bringen.
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Ich finde es interessant, dass das menschliche Gehirn Kontraste und Ordnung in Form von vertikalen und horizontalen Linien mag. Zu sehen bei Babies, die auf Personen in Streifenpullovern abfahren oder perfekt eingeräumte Bücherregale lieben.
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Vielleicht liegt das ja an der durch die Erdanziehungskraft Vertikalistät (zum Mittelpunkt der Erde hin) und der dadurch bedingten „Stabilität“ horizontaler Ebenen. Das Meer, der Tisch, der Fußboden sind in der Regel horizontal. Abweichungen davon führen zur Verunsicherung… Aber das ist nur so ein Gedanke.
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Klingt für mich einleuchtend!
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🙂
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„Sind wir noch Herr im eigenen Hause?“
Das „Noch“ ist witzig – waren wir es denn je?
Dieser Schlusssatz erinnert mich an ein Buch von Martin Hubert „Sind wir noch frei?“ Entscheidet also eine Instanz für uns?
Jedenfalls ist unser Sehen konsistent. Wir können durch es handeln, in 99 % der Fälle richtig. Wenn mal was schiefgeht, gibt es Erklärungen dafür. Wir werden nicht etwas sehen, was keinen Sinn macht. Unser Gehirn schützt uns davor. Wenn es tatsächlich etwas gäbe, das absurd wäre, etwa einen fliegenden, bunt schillernden Geist, dann würden wir ihn nicht wahrnehmen – oder bestenfalls, wie in einem Scifi-Film angedeutet, eine kleine Sehstörung/Schwindel erleben, einen Ruck der Bilder, der dem Eingeweihten signalisieren würde, daß da etwas war, womit der Rechner in uns nicht klar kam.
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Nein, wir waren es in der Tat nie. Durch das „Noch“ wollte ich andeuten, dass wir uns diese Frage nie gestellt haben und dann irgendwann die Einsicht kommt: Ich bin nicht mehr Herr im eigenen Hause, unterstellend, dass ich es bisher war, weil mir bisher nichts Ungewöhnliches aufgefallen ist.
Unser Gehirn oder wie auch immer man das Vermögen lokalisieren möchte, bewahrt uns schon vor einigen Zumutungen. Vieles wird einfach ignoriert, ein Verfahren, das im mitmenschlichen Bereich zu allerlei Irritationen führen könnte…
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Ich bin einmal auf die Strasse gestürzt, als ich im Halbdunkel glaubte, mir würde sich etwas aus einem Busch entgegen bewegen. Dabei waren nur meine Augen wässerig gewesen…
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Wenn die nassen Augen öfter und zwar in ähnlicher Weise auftreten würden, fände das Gehirn bestimmt irgendwann einen Mechanismus, die Beeinträchtigung „herauszurechnen“.
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Ja, das war an diesem Abend eine singuläre Beeinträchtigung. Ich verstand das Ganze erst später am Abend.
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In diesem Zusammenhang habe ich nach einer Augen-OP das Problem mit dem entsprechenden Auge Geraden etwas gekrümmt zu sehen. Das stört aber nur, wenn es auf die Wahrnehmung der Geraden ankommt. Meistens ist mir das Ganze gar nicht bewusst… Irgendwie ein toller Mechanismus, der eine Menge Frust erspart.
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Das finde ich auch!
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🙂
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Solche Bilder, ob fotografiert oder real gesehen, sind beständiger Anlass die eigene Wahrnehmung zu bezweifeln. Ein gutes Mittel gegen allzu große Selbstgewissheit.
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Das finde ich auch. Vorher muss man aber noch lernen, solche Bilder überhaupt zu sehen, weil unsere Wahrnehmung viel zu oft nomalisierend und beschönigend eingreift. Ich frage mich oft, warum ich den Eindruck habe, bestimmte Dinge wie zum ersten Mal zu sehen, obwohl ich sicher sein kann, dass meine Netzhäute schon früher und ofter davon belichtet worden sind… Ein Mittel gegen Selbstgewissheit ist es allemal…
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Deutlich wird, was du beschreibst, zum Beispiel beim perspektivischen Zeichnen: wenn wir ganz streng versuchen zu zeichnen, was wir SEHEN, unterscheiden sich die Ergebnisse sehr von den Zeichnungen, bei denen wir uns daran orientiert haben, was wir WISSEN. Dabei ist es oft eine Hilfe, nicht das Motiv zu zeichnen, sondern den negativen Raum drumherum (über den hat unser Gehirn keine Vorinformationen 🙂).
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Stimmt! Ich erinnere mich an einen Zeichenkurs an dem ich vor Jahrzehnten teilgenommen habe. Da musste man bestimmte bekannte Dinge überkopf abzeichnen. Dann stimmte am Anfang oft nicht die Größenrelationen so gut, aber die Zeichnung wirkte wesentlich realistischer…
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Solche Erfahrungen sind verblüffend.
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🙂
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