Es ist gar kein übler Monat, dieser Februar, man muß ihn nur zu nehmen wissen! – Da ist erstlich die ungeheuere Merkwürdigkeit der fehlenden Tage. Wie habe ich mir einst, vor langen Jahren, den Kopf über ihr Verbleiben zerbrochen! Jeder andere Monat paßte aufs Haar mit Einunddreißig auf den Knöchel der Hand, mit Dreißig, in das Grübchen, und nur dieser eine Februar – ’s war zu merkwürdig! – Das ist ein Stück aus der formellen Seite der Vorzüge dieses Monats, jetzt wollen wir aber auch die inhaltvolle in Betrachtung ziehen. Was ist an diesem Regen auszusetzen? Tut er nicht sein möglichstes, die Pflicht eines braven Regens zu erfüllen? Macht er nicht naß, was das Zeug halten will und mehr? Der alte Marquart in seinem Keller ist freilich übel dran, seine Barrikaden und Dämme, die er brummend errichtet, werden weggeschwemmt, seine Treppe verwandelt sich in einen Niagarafall. Alles, was Loch heißt, nimmt der Regen von Gottes Gnaden in Besitz. Immer ist er da; seine Ausdauer grenzt fast an Hartnäckigkeit! Man sollte meinen, nachts würde er sich doch wohl etwas Ruhe gönnen. Bewahre! Da pladdert und plätschert er erst recht. Da wäscht er Nachtschwärmer von außen, nachdem sie sich von innen gewaschen haben; da wäscht er Doktoren und Hebammen auf ihren Berufswegen; da wäscht er Kutscher und Pferde, Herren und Damen – maskiert und unmaskiert; da wäscht er Katzen auf den Dächern und Ratten in den Rinnsteinen; da wäscht er Nachtwächter und Schildwachen selbst in ihrem Schilderhaus. Alles, was er erreichen kann, wäscht er! Kurz: »Bei Tag und Nacht allgemeiner Scheuertag, und Hausmütterchen Natur so unliebenswürdig, wie nur eine Hausfrau um drei Uhr nachmittags an einem Sonnabend sein kann.« Das ist das Bulletin des Februars, den man einst mensis purgatorius nannte.*
Ich habe Wilhelm Raabe (1831 – 1910) für mich wiederentdeckt und erneut schätzen gelernt. Obwohl er ein Vielschreiber war, sind seine Werke (jedenfalls aus meiner Sicht) nicht langweilig. Er ist ein poetischer Realist. Die Poesie fehlt an vielen modernen realistischen Romanen. Mich fasziniert auch immer wieder wie er mit einfachen Mitteln Dinge beschreibt, die wir heute in der Bereich der Naturwissenschaften einordnen würden.
* Wilhelm Raabe. Die Chronik der Sperlingsgasse. Raabe-AW Bd. 1, S. 255
Wünsche einen zauberhaften Monat Februar!
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Vielen Dank, dir auch! Die fehlenden Tage werden wir schon verknusen.
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Alles, was Loch heißt, nimmt der Regen von Gottes Gnaden in Besitz…
Das ist Physik, Joachim, und es setzt uns in Erstaunen, wie gründlich das passiert. Da gibt es kein Vertun.
😀
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Danke, Gerhard, das hast du schön gesagt. 🙂
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Schönes Bild, feines Zitat … auch der Februar hat seine Berechtigung im Jahreszeitenzyklus, so wie alle anderen Monate, lieber Joachim.
Herzliche Morgengrüße
vom Lu
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Vielen Dank, lieber Lu! Ich mag den Februar, weil er stets überraschend sein kann. Entweder präsentiert er noch einmal den Winter wie im letzten Jahr (jedenfalls bei uns) oder die feinen Andeutungen des Frühlings in Form von Frühblütlern wie Schneeglöckchen und Winterling stimmen uns auf das Kommende ein.
Liebe Grüße,
Joachim
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Das klingt schön, fein gesagt 🙂
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🙂
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Auf, auf in den Februar denn; die ersten beiden Schneeglöckchen konnten wir im Garten schon begrüßen.
Das schöne Regenzitat konnte ich heute bei strahlender Sonne schon wieder genießen, in den vergangenen Tagen wäre mir der Text sicher zu nass gewesen – oder gerade passend?
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Wenn man das aktuelle Aprillwetter zugrunde legt, sind wir unserer Zeit voraus. Aber ich traue dem Frieden noch nicht. Lieber hätte ich Schnee wie im vorigen Jahr als die nervige Trübe der letzten Wochen.
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Ich hatte meinen ersten Raabe in einem Proseminar vor zig-Jahren. Gefiel mir damals nicht, aber das waren andere Zeiten. Heute hört er sich doch ganz passabel an!
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Ich habe ihn auch erst später kennengelernt. Vor und während des Studiums war in in französische Literatur vernarrt – Gide, Giroudoux, Camus, Sartre…
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…und dazu das schöne Foto mit betropftem Schneeglöckchen. Es muss nicht immer die Schneemütze sein.
Dazu fällt mir Rückert ein, dessen Verse ich heute zufällig fand (wenn es bei ihm auch Tau, nicht Regen ist):
Schön ist der Tropfen Tau am Halm
und nicht zu klein
der großen Sonne selbst
ein Spiegelbild zu sein.
F. Rückert † 31.1.1866 also vor ziemlich genau 156 Jahren hat er sich auch schon dieser kleinen Naturschönheiten erfreut.
…grüßt Syntaxia
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Vielen Dank! Auch für die schönen Rückert-Verse. Vermutlich waren die Menschen zur Zeit Rückerts aufgeschlossener für die vermeintlich kleinen Dinge als wir es heute sind.
Gruß, Joachim.
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