

Vor einiger Zeit hatte ich das Glück, erstmalig das sogenannte Haareis in freier Natur zu entdecken. Und wie das Schicksal es will, entdeckte ich es einige Zeit später noch einmal. Die Jahrzehnte vorher muss ich wohl blind gewesen sein für diese subtile und feine Hervorbringung der Natur. Vor ein paar Tagen entdeckte ich nur gewissermaßen die Ergänzung zum Haareis, das sogenannte Kammeis. Allerdings hatte ich das auch schon früher beobachtet, daraus aber nicht den Schluss gezogen, dass es auch Haareis geben müsse ;). Diesmal zeigte sich mir das Kammeis in vielgliedrigen Zapfen, die gewissermaßen aus dem Boden hervorquollen, obwohl sie aus Eis bestehen (siehe Foto).
Dieser „Boden“ befindet sich auf einem wenig bewachsenen Hang eines Bergs. Er besteht aus Sand und verwitternden Steinen des felsigen Untergrunds und war nur an der Oberfläche gefroren.
Die Nadeln entstehen anschaulich gesprochen dadurch, dass in den Poren des Bodens gespeichertes Wasser gefrierend sich ausdehnt. Dabei bewegen sich die Spitzen der gefrorenen Wasserfäden nach außen und ziehen aufgrund ihres inneren Zusammenhalts (Kohäsion) weiteres Wasser aus dem Innern nach, das dann in den kälten Bereich gerät und ebenfalls gefriert usw.. Auf diese Weise können beachtliche Eisnadellängen erreicht werden. Das im Foto zu sehende Kammeis ist maximal etwa 7 cm lang. Obwohl Kammeis bis zu 30 cm lang werden kann, habe ich in unseren Breiten nie Zähne gesehen, die länger als 10 cm waren. Manchmal werden mit den wachsenden Zähnen an der Oberfläche zusammengefrorene Bodenbestandteile aus ihrer „Verankerung“ herausgerissen und einfach mit angehoben.
Obwohl die einzelnen Nadeln zunächst unabhängig voneinander aufstreben, bleiben sie oft mehr oder weniger fest miteinander verbunden. Diese innere Verbundenheit macht sich auch darin bemerkbar, dass sich die Bündel aufstrebender Nadeln krümmen, wenn einige Nadeln schneller wachsen als andere. Dann neigt sich das Bündel zur Seite der langsamer wachsenden Nadeln. Im Foto sieht man sogar hauptsächlich gekrümmte Exemplare von Kammeisbündeln, sodass die Ähnlichkeit mit den Zähnen eines Kamms nicht gerade überwältigend ist. Solche Krümmungen aufgrund unterschiedlich starker Ausdehnungen kennt man auch aus anderen Zusammenhängen.
Wesenlich für das Auftreten von Kammeis ist die Eigenschaft des Wassers sich im Unterschied zu den meisten anderen Stoffen beim Erstarren auszudehnen. Das ist der sogenannten Anomalie des Wassers zu verdanken. Eine weitreichende Konsequenz dieser Anomalie für das Leben auf der Erde ist die allerdings sehr vertraute Tatsache, dass Gewässer von oben her zufrieren.
„Eine weitreichende Konsequenz dieser Anomalie für das Leben auf der Erde ist die allerdings sehr vertraute Tatsache, dass Gewässer von oben her zufrieren.“
Oben hat es die Möglichkeit, sich auszudehnen. So schlicht wird es sein.
„Obwohl Kammeis bis zu 30 cm lang werden kann“
Da stellt man sich natürlich findige Geister vor, die die „Zufälle“ der Natur durch entspr. Vorrichtungen auf die Spitze treiben wollen.
Ich sah einmal in einem Museum ein sehr feines „Drahtgeflecht“ in einem Glaskubus, der den Innenraum des Kubus fein durchmaß, dabei verschieden geometisch anmutende Ebenen bot. Ich las dann, dass Spinnen diese geometrischen Netzschwaden hergestellt hatten, indem man den Kubus von Zeit zu Zeit drehte. (Tomás Saraceno).
„ziehen aufgrund ihres inneren Zusammenhalts (Kohäsion) weiteres Wasser aus dem Innern nach“
Der Satz gefiel mir gleich 🙂
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Du sprichst mehrere Dinge an. Die Bedeutung der Anomalie des Wassers ist für die Evolution der Erde wie wir sie kennen von entscheidender Bedeutung. Beispielsweise ist die Frostsprengung ein wesentlicher Bestandteil bei der Umwandlung von Gestein in Erde (Verwitterung). Aber auch – wie gesagt – dass Gewässer von oben zufrieren und Leben am Grunde des Gewässers zulassen und und und… Man gewinnt fast den Eindruck, als sei das Wasser in seinen Eigenschaften extra so „gemacht“ worden, dass Leben auf der Erde möglich wurde. Manche sagen sogar, Wasser sei DAS Lebenselement.
Vielleicht dient das Haareis ja auch dazu, den festen Boden aufzulockern… Jedenfalls ist er das, nachdem der Frost vorbei war.
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Ich freue mich ja immer, wenn ein Physiker sich aus seinem Weltbilld hinauslehnt und leise anfragt, ob eine geniale Einrichtung unserer Erde „extra“ (also absichtlich) so gemacht wurde. Wo eine Absicht, dort uch ein absichthabender Geist.. 😉
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Das ist richtig und ich freue mich, dass ich in diesem Blog so reden darf.
Die Tatsache, dass das Leben und damit unsere Welt physikalisch gesehen äußerst unwahrscheinlich ist, treibt auch die Physiker um. Vielleicht haben viele unter ihnen vergessen, was Blaise Pascal einmal so ausgedrückt hat: „Comment se pourrait-il qu’une partie connut le tout?“
Viele kluge Leute haben dieses „anthropische Prinzip“ erkannt. Hier noch Paul Valéry (den ich ebenfalls sehr schätze): „Welt zu denken unter Absehung vom Menschen, ist Unsinn“.
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Leben hat man ja sogar in Steinen entdeckt , es scheint keine Sphäre zu geben , in der es seinen Fuss nicht rein setzte. Wasser jedenfalls vervielfachte die Möglichkeiten des Lebens immens.
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Ist nicht die ganze Erde ein Lebewesen? Eigentlich müsste man den gesamten Kosmos hinzurechnen, denn die Lebewesen sind Sternenstaub und dazu waren Supernovae nötig (13,4 Milliarden Jahre).
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So gesehen ja natürlich 🙂
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Dennoch wundert man sich immer wieder, wenn Leben im engeren Sinne in unvertrauten Kontexten anzutreffen ist…
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ein sehr anregender Dialog, danke. Pascals Frage: „Wie ist es möglich, dass ein Teil das Ganze kennt?“ – wie ist das gemeint? Hält er es für möglich oder für unmöglich? Oder bewundert er gerade dies: dass der Mensch in seinem Geiste das Ganze abbilden kann? (ob er es „kennt“, ist freilich nicht ausgemacht, und auch nicht, ob es sich überhaupt um das Ganze handelt).
Valerys Satz hingegen findet meine volle Zustimmung, wenngleich er natürlich tautologisch ist. Da der Mensch es ist, der denkt, kann er Welt nicht ohne diesen denken. 😉
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und noch. ja, die Erde ist ein lebendiges Wesen. Sie hat sogar einen Namen: Gaia. 🙂
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Lovelocks Hypothese Gaia-Hypothese ist in der Tat faszinieren, auch wenn seine spätere Ausarbeitung mir zu sehr esotherisch wurden.
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So wie ich Pascal kenne, sowohl als Physiker wie als Literat, glaube ich, dass er daran zweifelte, dass die Menschen das Ganze zu erfassen vermögen. Das ist auch meine Ansicht und macht die Bemühungen der Menschen – wenn es aufs Ganze geht – zirkulär. Und damit ist man auch schon bei Valérys Tautologie. Die Frage ist, ob wir Menschen überhaupt anders als tautologisch sein können, wenn es um Probleme geht, in der der Mensch als solcher einbezogen ist. Außerdem hätte ich gegen eine schöne Tautologie nichts einzuwenden 😉
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