Die Poesie der Wissenschaft liegt nicht offen zutage. Sie stammt aus tieferen Schichten. Ob die Literatur imstande ist, mit ihr auf gleicher Höhe umzugehen, ist eine offene Frage. Letzten Endes kann es der Welt gleichgültig sein, wo sich die Einbildungskraft der Spezies zeigt, solange sie nur lebendig bleibt. Was die Dichter angeht, so mögen diese Andeutungen zeigen, daß es ohne ihre Kunst nicht geht. Unsichtbar wie ein Isotop, das der Diagnose und der Zeitmessung dient, unauffällig, doch kaum verzichtbar wie ein Spurenelement, ist die Poesie auch dort am Werk, wo niemand sie vermutet.
Aus: Hans Magnus Enzenberger. Die Elexiere der Wissenschaft, Seitenblicke in Poesie und Prosa. Frankfurt 2002.
In Deinen Gedichten weht mich die stille Säulenordnung an, mir deucht eine weite Ebne; an dem fernen Horizont rundum heben sich leise wie Wellen auf beruhigtem Meer die Berglinien; senken und heben sich wie der Atem durch die Brust fliegt eines Beschauenden; alles ist stille Feier dieses heiligen Ebenmaßes, die Leidenschaften, wie Libationen von der reinen Priesterin den Göttern in die Flammen des Herdes gegossen, und leise lodern sie auf – wie stilles Gebet in Deiner Poesie, so ist Hingebung und Liebesglück ein sanfter Wiesenschmelz tauigter Knospen, die auf weitem Plan sich auftuen dem Sternenlicht und den glänzenden Lüften, und kaum, daß sie sich erheben an des Sprachbaus schlanker Säule, kaum daß die Rose ihren Purpur spiegelt im Marmorglanz heiliger Form, der sie sich anschmiegt; so – verschleiernd der Welt, Bedeutung und geheime Gewalt, die in der Tiefe Dir quellen – durchwandelt ein leiser schleierwehender Geist jene Gefilde, die im Bereich der Poesie Du Dir abgrenzest.
Das schreibt Achim von Arnim (1781 – 1831) in seinem Roman Die Günderode. Er verfasste auch zahlreiche naturwissenschaftliche Texte, unter anderem den Versuch einer Theorie der elektrischen Erscheinungen sowie Aufsätze in den Annalen der Physik.
Achim tat schon genug, er musste nicht noch wissenschaftlich arbeiten. 😀
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Die Entstehung von Neuem wird insbesondere in den Wissenschaften oft durch systemfremdes Denken gefördert. Insofern können und haben Poeten , vor allem Romantiker, zum Fortschritt insbesondere der Naturwissenschaften beigetragen. Insofern war es schon „wichtig“ das Poeten wie Arnim sich mit ihren Ideen einmischten.
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Ok, wenn er sich mit neuer Methodik einmischte, dann ist das ja was anderes.
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🙂
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„Die Entstehung von Neuem wird insbesondere in den Wissenschaften oft durch systemfremdes Denken gefördert.“ gefällt mir, drum nicke ich zustimmend. Beispiele kenne ich freilich wenige.
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Vielen Dank! Zum Glück gibt es keine vollkommen abgeschlossenen Systeme – sie wären tot. Michel Serres formuliert das sehr ausdruckstark: „Daß da stets ein Hase im Garten, eine Reblaus auf den Reben oder eine Schlange im Paradies ist, beweist, daß die Systeme offen sind.“
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Der „schleierwehende Geist“ ist in dem Foto ganz anschaulich, wenn es auch eher Wassertröpfchen sind. Faszinierend, Texte und Bild wieder als Pole, zwischen denen es knistert.
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Danke, liebe Ule. Du findest immer die passenden Worte, um das, was mir bei der Zusammenstellung durch den Kopf ging, auf den Punkt zu bringen. 🙂
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