Telegraphenleitung
Vielfach Drähte zum Bedarfe
Hoch auf schlanker Stangen Gipfel,
Recht wie eine Äolsharfe
Für der Staatskunst Schnaderhüpfel.*
Als ich diesen von „Telegraphenmasten“** gesäumten Weg entlang ging, fühlte ich mich fast in alte Zeiten zurückversetzt. Doch irgendetwas fehlte – der raunende, irgendwie außerirdisch klingende Gesang der Drähte, der früher bei stärkerem Wind direkt und bei mäßigerem Wind dadurch zu vernehmen war, dass man das Ohr an einen der Masten hielt.
Die Ursache für die feine Melodie lag in den Drähten, die durch den Wind zum Schwingen angeregt wurden und als eine Art Äolsharfe wirkten.
Obwohl es bei der Aufnahme dieses Fotos ordentlich wehte, blieb der Äolsklang aus. Die Ursache für das Schweigen liegt in der Dicke der Drähte. Im Unterschied zu früher sind diese – wenn man sie denn überhaupt noch antrifft – in der heutigen Zeit mit einer dicken Isolierschicht umgeben. Das erkennt man auch daran, dass die glockenartigen Isolatoren an den Masten entbehrlich geworden sind.
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* Dieses Gedicht aus dem Jahre 1856 von Franz Grillparzer (1791 – 1872) zeigt, dass bereits damals der äolische Gesang (hier als eine Art Spottgesang – Schnaderhüpfel (bayr. bezeichnet), der gewissermaßen von Staats wegen mit Leitungen durch die Lande geführt wurde, nicht unbemerkt blieb. Ab den 1950er Jahren ging es dann allerdings abwärts mit dieser Staatskunst. Der Motorenlärm der Autos auf den Straßen übernahm die akustische Führerschaft. Schade eigentlich, denn wie das Foto zeigt, gibt es zuweilen noch fast autofreie Straßen, die von Telegrafenleitungen gesäumt sind.
** In den meisten Fällen handelt(e) es sich gar nicht um Leitungen des Telefonnetzes, sondern um Leitungen, in denen elektrische Energie in die Haushalte geliefert wurde.
Es ist wahr, die Drähte sangen, und heute singen sie nicht mehr. Mir war es nicht aufgefallen, bis jetzt.
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Merkwürdigerweise gehört auch die Akustik zur Erinnerung an alte Zeiten. Wenn man ein wenig darüber nachdenkt, gibt es doch einiges, das sang-und klanglos verlorengeht. Man merkt es meist erst viel später.
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Da muss man also in fremde Lande fahren, um noch dieses Singen vernehmen zu können ?!
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Da die Technologien und Materialien sich seit einigen Jahrzehnten global in gleicher Weise ändern, wird man diese verlorene Welt auch in anderen Ländern nicht mehr wiederfinden. Diese Erfahrung habe ich bei Wanderungen in einsamen Gegenden von Ländern gemacht, die noch über oberirdischen Telefon- und Stromverbindungen verfügen.
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In Heiligenhafen an der Ostsee erlebte ich diesen Äolsharfengesang der Strommasten in meiner Kindheit bei Sturm oft.
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Auch ich bin in einer windreichen Gegend (Nordsee) aufgewachsen und erinnere mich gern an diesen fast völlig verlorengegangenen Ha(r)fengesang…
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