H. Joachim Schlichting. Physik in unserer Zeit 53/5 (2022), S. 256
Durch eine Art physiologischen Weißabgleich tendiert die visuelle Wahrnehmung dazu, die Farbe des Lichts überwiegend als weiß anzusehen. Das funktioniert aber nicht immer.
Unsere Augen täuschen uns mehrfach, durchaus als Hilfestellung. So erkennen wir Gegenstände in ihrer „wahren“ Größe unabhängig davon, wie weit sie entfernt sind. Eine weitere Täuschung ist die sogenannte chromatische Adaption: Unser visuelles System tendiert dazu, die dominante Farbe der Beleuchtung in einer bestimmten Situation als weiß wahrzunehmen. Das hat zum Beispiel die praktische Konsequenz, dass wir eine im Schatten liegende „weiße“ Wand eines Gebäudes auch als weiß wahrnehmen, obwohl sie das blaue Licht des Himmels reflektiert. Dies sorgt dann für den enttäuschenden „Blaustich“ auf Urlaubsfotos von weißgekalkten Häusern im Süden.
Heutige Digitalkameras tragen in Standardsituationen derartigen Farbadaptionen des Auges Rechnung, durch einen entsprechenden Weißabgleich. Unter dem Blätterdach von Bäumen aufgenommenen Fotos ist dann das grüne Umgebungslicht ebenso wenig anzusehen wie das blaue Himmellicht von beschatteten weißen Wänden.
Gelegentlich versagt aber ein derartiger physiologischer oder technischer Weißabgleich. Sind mehrere Beleuchtungsfarben gleichzeitig und in vergleichbarem Ausmaß im Spiel, können sie das Täuschungsmanöver der chromatischen Adaption aushebeln. Auf natürliche Weise zeigt dies der Besuch eines alten Aussichtsturmes, der mitten in einem Laubwald steht (siehe Foto). Beim Abstieg von seiner Aussichtsplattform konnte man gleichzeitig Licht sehen, das durch drei verschiedene Öffnungen auf die graue Wand und die Stufen der Wendeltreppe traf. Durch das höchste Fenster fiel blaues Himmellicht, das mittlere lag im grünen Licht des Blätterdachs, das untere ließ das weitgehend weiße Mischlicht der freien Umgebung ins Innere des Treppenhauses hinein. So konnte man alle drei Farben auf einmal in den Blick nehmen. Die Augen hatten keine Chance, grün und blau gleichzeitig als weiß erscheinen zu lassen. Sie wurden hier ausgetrickst, indem sie daran gehindert wurden, uns wie so oft auszutricksen.
Dieses Phänomen lässt sich leicht in einem Freihandexperiment nachvollziehen. Auch Künstler, wie etwa James Turrell (*1943), nutzen den physiologischen Effekt in ihren Lichtinstallationen aus.
Das ist ja ein wunderbarer Bildeindruck!
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…der uns normalerweise vorenthalten wird, wenn beispielsweise das grüne Licht gefehlt hätte. Vielen Dank für die Einschätzung.
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☺️
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Das ist ja ein Foto für das Fotografenlehrbuch, Joachim! Klasse, diese drei Situationen in einem Bild vereint zu sehen.
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Das war wieder einmal Zufall. Es fiel uns nämlich auf, dass man die Farben nur dann sieht, wenn man die drei Lichtquellen gleichzeitig in den Blick nimmt.
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Was wäre das Leben ohne den Zufall?
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Stimmt auch wieder.
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Das ist wirklich verblüffend.
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Eigentlich ist ja das Verblüffende, dass durch die chromatische Adaption ich etwas als weiß ansehe, was es gar nicht ist. Hier wird die Natr ja gleichsam „gezwungen“, die korrekten Farben zu zeigen.
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Nun, wie man es nimmt. Denn was heißt schon „korrekte Farben“? Du nennst die chromatische Adaption ein Täuschungsmanöver, doch ist sie wie das Farbensehen „als solches“ eine Funktion des menschlichen Auges bzw des Gehirns. Erst durch das Fotografieren entsteht die Gleichzeitigkeit von drei Farbeindrücken, für das menschliche Auge gibt es sie nicht. So habe ich dich verstanden.
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Ich hätte mich klarer ausdrücken müssen. Ich meinte mit „korrekte Farben“ die Wellenlängen (daher die „). Obwohl eine weiße Wand bei blauem Himmel im Schatten weiß aussieht, reflektiert sie vor allem die Wellenlängen des blauen Himmellichts.
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Fotografie und Sinneseindruck stimmen gut überein, wenn man alle drei Farben aufeinmal in den Blick nimmt. Erst wenn man sich auf eine der Farben konzentriert, wird sie weiß…
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Aha, danke, Joachim!
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🙂
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Man schaut halt gewöhnlich nicht genau hin! Ein universelles Problem geradezu!
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Das stimmt. Man muss natürlich den Zufall ergreifen.
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Beeindruckendes Bild incl. einer tollen Erklärung, Liebe Grüße!
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Danke, Jürgen. Ich freue mich immer, wenn man Situationen, die man experimentell herstellen kann, dann ganz unangestrengt in der Natur vorfindet. Liebe Grüße, Joachim.
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Endlich habe ich bemerkt, dass WP dich von meiner Abo-Liste hinterlistig gestrichen hat. Was ich alles versäumt habe!
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Naja, war alles nichts Weltbewegendes…
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Das sagst du so, ich lerne bei deinen Beiträgen immer eine Menge !
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🙂
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WAS IST DAS???
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Eine Tröstung, nichts verpasst zu haben.
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Schlauer bin ich jetzt nicht.
Wenn ich mal verzweifelt bin, werte ich meine Sachen total ab. Das ist bei Licht besehen ungerecht
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Tröste dich vielleicht damit, dass es Phänomene gibt, die auch von normalsichtigen Menschen nicht gesehen werden können.
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Diesen Abgang habe ich schon mal bei Dir gesehen – nicht?!
Das Grün ist selbst für mich als Rotgrünschwachen überdeutlich.
Die Prägnanz von Farben, so scheint mir gerade, ist mir nicht völlig zugänglich.
Meine Frau erkennt vorzüglich jedewede Farbbeimischungen, etwas was mir übermenschlich vorkommt.
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Du hast recht. Ich teste manchmal die kleinen Phänomene im Blog und schaue, ob ich nicht Anregungen für die Publikation bekomme, die ich dann berücksichtigen kann. Das Tolle an dem Phänomen ist, dass die Farben verschwinden, wenn ich nur auf eine einzelne blicke.
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