Zwei Spiegel einander gegenüber:
für den Kurzsichtigen bedeutet es Verwirrung,
für den Weitsichtigen Unendlichkeit.
Arthur Schnitzler[1]
Zwischen zwei parallelen einander gegenüberliegenden Spiegeln findet ein unendlicher „Austausch“ von Spiegelbildern statt: Ein Gegenstand zwischen den Spiegeln wird von beiden Spiegeln gespiegelt aber auch der gespiegelte Gegenstand wird vom jeweils gegenüberliegenden Spiegel gespiegelt und ebenso der gespiegelte gespiegelte Gegenstand und so weiter ad infinitum. Man blickt gewissermaßen in die Unendlichkeit; diese verliert sich allerdings im Grün des Spiegelglases.
„Sie erstaunten auch wirklich beim Eintritte nicht wenig über die ungeheure Gesellschaft, denn Wände und Decke bestanden daselbst aus künstlich geschliffenen Spiegeln, die ihre Gestalten auf einmal ins Unendliche vervielfältigten“. Joseph von Eichendorff (1970, 239) beschreibt hier eine wohl jedem bekannte Situation. Man gerät zwischen zwei Spiegel und blickt in einen unendlich langen Tunnel, in dem die Gegenstände und Menschen undendlich oft gespiegelt werden und man sich selbst unendlich oft gegenübersteht (Abbildung oben). Dazu braucht man heute allerdings keinen Festsaal mehr, ein verspiegelter Fahrstuhl tut es auch (Abbildung Mitte).
Denn wenn das Licht das Spiegelglas durchläuft, bevor es an der metallischen Rückseite reflektiert wird, bleibt ein winziger Bruchteil im Glas stecken. Die Glasscheibe reflektiert das Licht dann abzüglich dieses absorbierten Anteils und erhält dadurch einen geringfügigen Grünschimmer, den man aber bei normalen Scheiben nicht sehen kann. Blickt man jedoch vor die Kante eine Scheibe, so erscheint alles in ein intensives Grün getaucht: Das Licht hat einen sehr großen Glasquerschnitt durchquert und beträchtliche Anteile der Komplementärfarbe von Grün verloren (Abbildung unten links).
Beim Unendlichkeitsspiegel, der aus normal dicken Scheiben besteht, bekommt man den Grünton des Glases trotzdem zu sehen, weil das Licht diese Scheiben immer wieder durchläuft. Dadurch summieren sich nach einer hinreichend großen Zahl von Reflexionen die kurzen Strecken durch das Glas zu einer beträchtlichen Dicke auf und führen schließlich zu der in Abbildung Mitte deutlich zu erkennenden Grüntönung des Lichts.
Wie stark der Einfluss der Absorptionen auf die Farbe des Lichts ist, wurde kürzlich eingehend untersucht (Lee et al. 2004). Die Abbildung unten rechts zeigt die spektrale Intensität des Lichts nach einer (rote Kurve) und nach 50 Reflexionen (grüne Kurve). Während nach einer Reflexion noch alle Wellenlängen fast gleich stark vertreten sind, findet man nach 50 Reflexionen ein deutlich eingeschränktes Spektrum mit einem Maximum bei einer Wellenlänge von 550 nm, die dem grünen Licht entspricht. Es sind also vor allem Lichtanteile im langwelligen und kurzwelligen Bereich absorbiert worden.
Der Reiz solcher Doppelspiegel beruht vor allem auf dem Kontrast zwischen dem Wissen um die Einfachheit der Konstruktion und der sinnlich erfahrenen Komplexität des Blicks: Lediglich die mangelnde Planparallelität der Spiegel und die zunehmende Dunkelheit verhindern, dass man das Unendliche tatsächlich zu Gesicht bekommt.


Die idealerweise unbegrenzte Zahl von Spiegelbildern, die nur durch die Absorptionen im realen Spiegelglas in die endlichen Schranken verwiesen wird, ist über das Phänomen selbst hinaus eine eindrucksvolle Visualisierung dessen, wie man zumindest prozessual das Unendliche im Endlichen denken kann. Es spielt daher in der Metaphorik der Philosophie und Poesie eine wichtige Rolle. So versucht zum Beispiel Friedrich Schlegel (1964, 351) die Problematik zwischen Ich und Welt metaphorisch durch den Doppelspiegel zu fassen: „Wo der Gedanke des Ichs nicht eins ist mit dem Begriffe der Welt, kann man sagen, daß dies reine Denken des Gedankens des Ichs nur zu einem ewigen Sichselbstabspiegeln, zu einer unendlichen Reihe von Spiegelbildern führt, die immer nur dasselbe und nichts Neues enthalten“. Und Harry Mulisch (2005, 44) versucht mit Hilfe dieser Metapher das zueinander reflexive Verhalten zweier Menschen zu erfassen: „Jeder fühlte sich dem andren unterlegen, jeder war Knecht und zugleich Herr, wodurch eine Art von Unendlichkeit entstand, wie zwischen zwei Spiegeln, die sich ineinander spiegelten“.
Literatur
Joseph von Eichendorff. Werke. Bd. 2, München 1970, S. 239.
R. L. Lee et al. Am. J. Phys. 2004, 72 (1), 53.
Friedrich Schlegel. Werke. Kritische Ausgabe. München 1964.
Harry Mulisch. Die Entdeckung des Himmels. Reinbek 2005, S. 44.
Um den Schluss erstmal aufzugreifen: ich schwinge mit Mulisch, dessen Name dem von Muliar verwandt ist: Solche zweigesichtigen Gesichter ist ein altes Thema.
Ich hatte als Schüler mal einen Lehrer zeichnerisch portraitiert. Dieser Lehrer war eitel, sah sich selbst als sehr vielseitigen Menschen. Ich zeichnete ihn mit einer vorgehaltenen Maske mit Haltestil , die ihn exakt wiedergab. Auf dem Boden lagen zig weitere Masken , alle mit dem gleichen Gesicht.
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Hat er denn das mitbekommen, oder war es eine einseitige Aktion deinerseits?
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Das war für ein jährliches Schülerrmagazin, somit hat das jeder gesehen.
Ich habe dieses Heft verloren, nur einige Fotos davon später durch jemand erhalten.
Den Biologielehrer zeichnete ich als schnaufende Lok, die sich einen fast senkrechten Berg hochquält.
Nach der Schule hatte ich das Zeichnen jahrzehntelang nicht mehr ausgeübt. Wie eine Selbstkasteiung.
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Ob er wohl daraus etwas über sich gelernt hat? Ich vermute kaum…
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Sicher nicht. Das hatte etwas Pfauenhaftes. Ein Pfau legt ja auch nicht seine Federn ab.
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Solche Typen gab und gibt es leider wohl überall.
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klasse, ein toller beitrag, „unendlich“ spannend, vielschichtig. danke!
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Vielen Dank! So sehr man sich auch bemüht den extremen Situationen, wie hier der Unendlichkeit beizukommen, hat die Natur offenbar immer ein Mittelchen, dies zu verhindern, hier: indem das Licht verschwindet.
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Das ist ja höchst interessant!👁️
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Das freut mich natürlich. 🙂
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Physikalisch wie literarisch ist dieser Beitrag ein köstlicher Genuss, Joachim. Wenn ich mir den nächsten Haarschnitt verpasse, werde ich sicher noch mal daran denken. Und den geliebten Mulischroman bald noch einmal lesen.
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Ein Problem wird dabei sein, dass der eigene Kopf meist im Wege ist… 😉
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Ist gymnastisch lösbar.
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😉
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Ein rundum spannender Artikel.
Zum einen gemahnte mich die unendliche Vervielfältigung an einen Versuch von mir vor etwa 20 Jahren, mit 2 Lumix-Fotoapparaten ein Foto etliche Male hin und herzufotografieren, mit der Absicht, etwas Interessantes nach 10 Durchläufen zu gewinnen. Da die Abbildungsverluste dabei erheblich sind, war der Versuch letztlich etwas sinnlos.
Das Witzige an dem mittleren Starfoto ist (ja auch immer), daß sich zwei Abbilder von einer Person wiederholen. „Einmal schaut er so, dann wieder so“. Wie eine Umschreibung unserer manchmal so zu sehenden Eindimensionalität, äh Zweidimensionalität.
Das Nachobenwölben „des Gefolges“ entsteht wohl dadurch, daß die beiden Gläser nicht absolut senkrecht stehen. Sonst wäre noch eher Schluß mit der Vervielfältigung.
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Selbst wenn man optisch optimale Verhältnisse hätte würde schließlich wegen der nicht zuerreichenden Parallelität des Raums ein horizontales oder vertikales Abweichen unvermeidlich sein. Andererseit hat das auch den Vorteil, dass die vorangegangenen Spiegelbilder nicht im Wege sind, man blickt (in diesem Fall) quasi ein wenig von oben auf die Straße in die Unendlichkeit. Ich vermute, dass ein Teil des Reizes dem Gefühl zuzuschreiben ist, dass wir uns gewissermaßen auf dem Weg in die Unendlichkeit befinden. Wir wissen wie man hinkommt, wenn wir nur die Fähigkeit von Alice hinter den Spiegeln hätten.
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Ja, ein immer wieder faszinierendes Phänomen. Dein Outfit im Spiegelbild verleitet mich zu der Aussage: „Spiderman nimmt ein Selfie auf.“ Vielleicht ist er ja zurückgekommen aus der scheinbaren Unendlichkeit der Zeit.
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Bei diesen Phänomenen ist man aber ja gerade darauf bedacht, möglichst außerhalb des Bildes zu bleiben, was aber so gut wie unmöglich ist.
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