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Physik im Alltag und Naturphänomene

Diese Kategorie enthält 1992 Beiträge

Die Sonne zieht ihre Strahlen zurück

Ich sitze auf dem Balkon und erlebe einen farbenprächtigen Sonnenuntergang. Ein ebenfalls von den gelb-orangenen Farben der Sonne getönter Kondensstreifen durchzieht die Mitte der Szenerie. Ich bemerke, dass die Orangefärbung allmählich zugunsten eines Himmelblaus verschwindet, wie es auch in den höheren Regionen zu beobachten ist. In diesem Moment hole ich den Fotoapparat und mache das vorliegende Foto.
Es zeigt sehr schön wie die Sonnenstrahlen der sinkenden Sonne immer steiler werden und den mir zugewandten Teil des Kondensstreifens immer weniger erfassen. Die Blaufärbung breitet sich infolgedessen immer weiter zum Horizont hin aus. Auf dem Foto sieht man nur noch den nach links abknicken horizontnahen Teil des Kondensstreifens in Orange. Auch die horinzontnahen Wolken werden noch eine Zeit lang von den orangenen Sonnenstrahlen erreicht. Aber anschließend wird der gesamte Himmel vom immer dunkler werdenden Blau überflutet.
Inzwischen wird es mir zu kalt und ich überlasse den Rest der Verdunklung sich selbst.

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Rätselfoto des Monats Juni 2023

Wir möchten wissen, warum beim Blick durch das Lochblech einige Bilder unscharf sind?

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Erklärung des Rätselfotos des Monats Mai 2023

Frage: Wo und wie kommt es zu diesen Kristallen?

Antwort: Ein kleines Loch in der mittleren der drei Scheiben eines Flugzeugfensters sorgt dafür, dass die Druckunterschiede zwischen Kabine und äußerer Scheibe stets ausgeglichen werden können. Der damit verbundene Luftaustausch erfüllt damit außerdem die Funktion, die Ansammlung von Feuchtigkeit zwischen den Scheiben und damit ein die Sicht behinderndes Beschlagen zu verhindern.
Aber Ausnahmen bestätigen die Regel. Ab und zu kommt es dann doch dazu, dass Scheiben beschlagen oder sogar Eiskristalle an der inneren Fläche der äußeren Scheibe entstehen, die meist auf die unmittelbare Umgebung des Lochs beschränkt bleiben. Auf dem Foto sieht man den nicht allzu häufig vorkommenden Fall, dass sich die Eisblumen über einen größeren Bereich ausbreiten. Die Kristalle können aber während ein und desselben Flugs auch wieder verschwinden. Da die Kristallbildung nicht an allen Scheiben gleichzeitig auftritt, müssen Besonderheiten in der Nähe des betroffenen Fensters ausschlaggebend sein.

Eine Schnecke mit Pappelflaum

Diese Nacktschnecke bewegte sich langsam auf ihrem Schleimpfad über die Straße. Es war windig und der Samenflaum der nahegelegenen Pappel erfüllte die Luft. Und da blieb es dann nicht aus, dass auch die Schnecke getroffen wurde. Durch die extreme Klebrigkeit der Schneckenhaut, blieben einige weiße Büschel haften, die der Schnecke offenbar nichts ausmachten. Jedenfalls rutschte sie auf ihrem Pfad weiter, als ob nichts gewesen wäre. Es waren nicht genug Samenflaume, um die nackte Schnecke zu einer weiß gekleideten Schnecke zu machen.

Rheum Rhabarberum

Ich kann mir denken, dass nur die Wenigsten darauf kommen, um welche Pflanze es sich hier handelt. Und wenn ich sage: „Rhabarber“, dann rechne ich mit Zustimmung, aber nur weil „Rhabarber“ nicht nur für eine Pflanze steht, sondern auch für „unsinniges Zeug“. Aber diese winzigen Herzchen – deren Größe man anhand der im Samenstand herumturnenden Ameisen abschätzen kann (ca. 6 – 8 mm) – haben mit Rhabarber sehr viel zu tun. Sie sind die Samen einer leibhaftigen Rhabarberblüte. Vielleicht erinnert sich der eine oder die andere an den kürzliche erschienenen Beitrag „Wenn der weiße Rhabarber wieder blüht“. Dieser Rhabarber ist nun verblüht und versprüht seine unzähligen ebenfalls naturschönen Samen. Der Rhabarber hat es also ganz schön in sich nicht nur im Hinblick auf sein Sauersein (von sauer gibt es offenbar kein passendes Nomen).

Pfingstrose kurz vor der Entfaltung

Pfingstrose

Verhaucht sein stärkstes Düften
Hat rings der bunte Flor,
Und leiser in den Lüften
Erschallt der Vögel Chor.

Des Frühlings reichstes Prangen
Fast ist es schon verblüht –
Die zeitig aufgegangen,
Die Rosen sind verblüht.

Doch leuchtend will entfalten
Päonie ihre Pracht,
Von hehren Pfingstgewalten
Im tiefsten angefacht.

Gleich einer späten Liebe,
Die lang in sich geruht,
Bricht sie mit mächtgem Triebe
Jetzt aus in Purpurglut.
*

Die Pfingstrose – hier im typischen Kugelstadium – ist ein Verpackungskünstler. Jedenfalls erlaubt sie, die Entfaltung schrittweise nachzuvollziehen, wenn sie in den nächsten Tagen ihr Purpur zum Glühen bringt. Der Entfaltungsvorgang wie er in Blüten und Blättern stattfindet ist m.E. eine Art Naturorigami, das mich immer wieder begeistert. Siehe frühere Beiträge, z.B. hier und hier und hier und hier und hier und hier.

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* Ferdinand von Saar (1833 – 1906). Saar gehört neben Marie von Ebner-Eschenbach zu den bedeutendsten realistischen Erzählern der österreichischen Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Seine Werke zeichnen sich durch humanistisches Ethos und Sozialkritik aus.

Iris mit Pareidolie

Als ich mich ein wenig in die Naturschönheit einer blauen Iris versenkte erblickte ich plötzlich ein Fabeltier, das mich ein wenig an einen blauen Pfau mit offenem Schnabel und geschlossenem Auge erinnert. Ich habe die Blume fotografiert und zeige hier den Ausschnitt, der mir ins Auge gestochen war. Schaut selbst, seht ihr nicht auch das blaue Tierchen?

Was heißt schon Unendlichkeit?

Was ist feierlicher als zwei Striche im Sand, zwei Parallelen? Schau an den fernsten Horizont, und es ist nichts an Unendlichkeit; schau auf das weiter Meer, es ist Weite, nun ja, und schau in die Milchstraße empor, es ist Raum, daß dir der Verstand verdampft, unausdenkbar, aber es ist nicht das Unendliche, das sie allein dir zeigen: zwei Striche im Sand, gelesen mit Geist. . . .*

Max Frisch spricht hier einen wesentlichen Aspekt der Anschauung an, nämlich die Schwierigkeit, sich Grenzbegriffen, wie dem der Unendlichkeit zu nähern. Es geht offenbar nur über gedankliche Prozesse, durch die man zumindest auf den Weg in die Unendlichkeit geführt wird. Mehr kann man offenbar bei wachem Bewusstsein kaum erlangen.

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*Max Frisch. Don Juan oder die Liebe zur Geometrie. In: Stücke. Frankfurt 1962, S. 259

Spirale 18 – ein spiralförmiges Kontinuum

Texte, Kunstwerke transformieren lediglich andere Texte und andere Kunstwerke in ein netzartiges und spiralförmiges Kontinuum über die Zeiten hinweg. Das gestaltgebende Gewebe, das allen gemein ist, ist das des Mediums und der verfügbaren Konventionen. Individueller dichterischer GENIUS oder historische Einzigartigkeit sind totemistische Begriffe, die weitgehend auf Illusion beruhen. *

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* Georg Steiner. Von realer Gegenwart. Hat unser Sprechen Inhalt? Wien 1990, S. 159

Pareidolie im Holz

Der Wald hat heute viele seiner Geheimnisse verloren. Hänsel und Gretel sind ebenso verschwunden wie Rotkäppchen und der Wolf. Bevor Bäume absterben werden sie abgeholzt. Wälder sind meist aufgeräumt. Man darf kaum noch vom vorgezeichneten Weg abweichen. In unserem Wald gibt es Hinweisschilder auf „Kein Weg“, eine doppelte Paradoxie. Denn einerseits muss nicht eigens auf etwas hingewiesen werden, was nicht ist. Andererseits ist ein Weg nicht einfach weg, wenn man es mit einem Hinweisschild behauptet.
Aber man kann sich behelfen. Wälder und Bäume haben bestimmte Geheimnisse behalten. Sie sind voll von Pareidolien, also Strukturen, die visuell meist ohne unser Dazutun mit anderen Bedeutungen belegt werden. Man muss lediglich eine Bereitschaft mitbringen, solche Umdeutungen gegen das eigene Denken zuzulassen. Ein Beispiel ist der im Foto abgelichtete Baumstumpf. Er bekommt plötzlich ein Gesicht und zwar eines, das in der Lage ist, den derzeitigen Zustand des Waldes nonverbal zum Ausdruck zu bringen.

Physikalischer Widerspruch?

Aus Erfahrung und in voller Übereinstimmung mit den Gesetzen der Physik strömt das Wasser in Vorwärtsrichtung aus einem waagerechten Rohr und bewegt sich dann unter dem Einfluss der Schwerkraft in etwa in Form einer Wurfparabel nach unten – wie auf dem Foto zu sehen ist.
Doch wie so oft liegt der Widerspruch bereits im System. So auch hier. Man erkennt einen zweiten kleinen Wasserstrom, der offenbar Einspruch gegen diese Richtung zu erheben scheint – wenn auch tröpfchenweise.
Ob es wirklich weise ist, genau in Gegenrichtung zu strömen, ist physikalisch schwer zu beurteilen, da der Begriff der Weisheit in der Physik nicht definiert ist. Merkwürdig ist es dennoch. Vielleicht wird die Eine oder der Andere an ein ganz ähnliches Phänomen erinnert: Beim Einschenken von Tee aus einer herkömmlichen Teekanne in eine Tasse, weicht die Flüssigkeit zuweilen auch in Gegenrichtung aus und verfehlt die Tasse – insbesondere dann, wenn man vorsichtig vorgeht und genau diesen Effekt zu vermeiden versucht.
Aber weder das eine (Foto), noch das andere (Tee auf Tischdecke) geschieht aus Boshaftigkeit oder um die Physik Lügen zu strafen. Vielmehr betrifft es den sogenannten Teekanneneffekt, bei dem Kräfte ins Spiel kommen, die nicht so leicht zu durchschauen sind.
Aber das ist noch nicht alles. Wenn man der Flüssigkeit genügend Raum zur Entfaltung lässt oder sogar bietet, kommt es zu weiteren naturschönen Phänomenen, die man andeutungsweise bereits beim obigen Brunnenstrahl beobachten kann – der Strahl beginnt sich zu drehen.

Lichterloher Wolkenrand

Wie ein Blitz zeigt sich hier der Rand einer Wolke und verrät, dass hinter ihr die Sonne scheint. Warten wir es also ab, bis sie sich in ihrer ganzen Pracht zeigt und genießen vorerst die eindrucksvollen Blautöne.

Wenn der weiße Rhabarber wieder blüht…

Dass der Rhabarber auch mal blühen könnte, ist mir in den Jahren, in denen er in unserem Garten wächst und uns mit den sauren Stangen versorgt, nicht wirklich aufgegangen. Erst als er es dann wirklich tat, wie in diesem Jahr, war ich über den gesamten Vorgang doch einigermaßen erstaunt. Die Pflanze bildete nämlich nicht nur Blätter, sondern einen steil aufwärts strebenden Trieb aus, der im Moment vermutlich seine größte Höhe von etwa 150 cm erreicht hat. Dabei habe ich ihn in Unwissenheit über den Vorgang auch wohl noch massiv gestört, weil ich die Blätter wie üblich abgeerntet hatte. Ich vermute, dass der Pflanze dadurch einiges an Energie entgangen sein muss, die sie für die Bildung der Blüte zusätzlich hätte verwerten  können. Ich frage mich, wie groß sie dann wohl geworden wäre.

Apropos Rhabarberblatt. Bei Arno Schmidt (1914 – 1979) liest man:
„Ä – Felix-Oswald,“ hob Frau Ruth auch gleich an: „Gib ma-ma ! Von den hartgekochten Eiern – „; wickelte auch eine Brotscheibe aus dem Rhabarberblatt, in welches man sie (mein Rat!) zum Frischblieben ländlich geschlagen hatte; uralte Sitte. Aber <Eier das sauberste Essen>?: „Ich hab schon ma 1gehabt, da war ein wirggel-lebendijer Ohrwurm drin! – Und wenn ich nicht irre, berichtet eine <Bremische Naturforschende Gesellschaft> noch ganz andere Sachen: Neenee!“.
Überhaupt schien die Luft voller  Fehlleistungen.*

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* Arno Schmidt. Kühe in Halbtrauer. In: Ausgewählte Werke 3. Berlin; 1990. S. 74

Schwitzende Schmeißfliegen

Schmeißfliegen werden manchmal mit einen Tropfen angetroffen, der ihnen aus dem Mund heraushängt. Darin zeigt sich eine besondere Art des Schwitzens. Dabei wird zwar dasselbe physikalische Prinzip ausgenutzt, wie beim Schwitzen des Menschen, allerdings unterscheidet sich der Mechanismus der Körperkühlung. Während bestimmte Teile der Körperoberfläche des Menschen unwillkürlich mit winzigen Schweißtröpfchen überzogen werden, lassen die Fliegen einen im Vergleich zu ihrem Körper sehr großen Speicheltropfen aus dem Mund hängen. Dieser verdunstet ähnlich wie der Schweiß auf der menschlichen Haut. Die für die Verdunstung nötige Energie wird der Umgebung und das heißt vor allem dem Tropfen selbst entzogen. Der auf diese Weise abgekühlte etwas verkleinerte Tropfen wird anschließend erneut aufgenommen. Indem anschließend in der Fliege ein Temperaturausgleich zwischen dem vorderen Teil des Fliegenkörpers und dem Tropfen stattfindet, kühlt sich die Fliege ab, während sich der Tropfen wieder auf die Körpertemperatur der Fliege erwärmt.
Diese Methode funktioniert allerdings nur, wenn die Luftfeuchte genügend gering ist. Denn nur dann kann entsprechend viel Wasser verdunstet werden.
Entscheidend für das Schwitzen ganz allgemein ist die Besonderheit von Wasser eine große spezifische Verdampfungswärme zu besitzen. Das heißt, anders als bei vielen anderen Stoffen ist verhältnismäßig viel Energie nötig, um eine gegebene Wasserportion zu verdampfen.
Ein Schweißmechanismus wie beim Menschen ist bei den Insekten nicht möglich, weil das Chitinaußenskelett der Tierchen, die Wärme schlecht leitet.

Quelle

Roter Asphalt

Wir blicken in eine Wasserpfütze, in der ein Baum spiegelnd reflektiert wird. Die Sonne steht noch tief, ihr roter Schimmer auf dem Asphalt leu(ch)tet einen neuen Tag ein.
Soweit zur Morgenstimmung.
Der schwarze Asphalt absorbiert im Idealfall so gut wie alles auftreffende Licht, gleich welcher Farbe es ist. Dass man ihn hier dennoch im Morgenrot schimmern sieht, ist auf die Benetzung durch Wasser zurückzuführen. Das Wasser auf den passend orientierten Steinchen im Asphalt reflektiert das Sonnenlicht spiegelnd in die Augen des morgendlichen Spaziergängers. Die Wasserfläche in der Pfütze reflektiert zwar auch das auftreffende rote Sonnenlicht, aber nicht in unsere Augen. Diese müssen mit dem aus einer anderen Richtung kommenden Himmellicht vorlieb nehmen. Und das alles, weil der Reflexionswinkel des Lichts gleich dem Einfallswinkel ist.

Zum internationalen Tag des Lichts 2023

Um auf die Bedeutung des Lichts in allen Lebensbereichen aufmerksam zu machen, hat die UNESCO den 16. Mai zum Internationalen Tag des Lichts erklärt. Das möchte ich zum Anlass nehmen, auf den ganz alltäglichen Sonnenaufgang hinzuweisen, der weder sprachlich noch physikalisch das ist, was er zu sein vorgibt. Sprachlich geht hier nichts auf, was vorher zu war. Da entsteht nichts, was später wieder verschwindet. Sowohl im geozentrischen als auch im heliozentrischen Weltbild entsteht dieser Eindruck dadurch, dass sich die Erde und die Sonne relativ zueinander bewegen. Wir gehen neuzeitlich-kopernikanisch davon aus, dass die Erde sich um die Sonne dreht und nicht umgekehrt, weil ansonsten beispielsweise die Sterne – je weiter desto schneller – kollektiv um die Erde rotieren müssten und das für weit entfernte Sterne auch noch mit Überlichtgeschwindigkeit. Trotzdem bleibt es beim Sonnenauf- und -untergang.
Was schon eher Kopfzerbrechen bereiten könnte, ist die Tatsache, dass wir die Sonne beim Auf- und Untergang nie da sehen, wo sie „in Wirklichkeit“ oder „geometrisch“ ist. Denn infolge der Brechung des Lichts bei ihrem langen Weg durch die Atmosphäre wird das Sonnenbild optisch angehoben und zwar etwa um einen Winkel, der dem Sonnendurchmesser entspricht (etwa 0,5 Grad). Wenn die Sonne beim Untergang den Horizont berührt, ist sie also „in Wirklichkeit“ schon untergegangen.
Diesen Gedanken könnte man philosophisch oder wie auch immer weiter vertiefen in Richtung auf die Frage, ob man denn ganz genau genommen (mit vielen Stellen hinter dem Komma) überhaupt je etwas dort sieht, wo es ist. Denn Lichtbrechung – und sei sie sie noch so klein – ist immer vorhanden, wenn Licht von einem Medium ins andere übergeht oder sich zum Beispiel die Dichte der Luft ändert. Überlegungen, die in diese Richtung laufen, kommen daher kaum zu einem befriedigenden Ergebnis. Eine ähnlich Spitzfindigkeit ergibt sich, wenn man wegen der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit davon ausgehen würde, dass die Gegenstände stets einen Moment später und daher möglicherweise an der Stelle anderen Stelle gesehen werden. Bei der Sonne macht diese Differenz immerhin etwas 8 Minuten aus.
Also lassen wir es und erfreuen uns am Abbild der Sonne die hier (Foto) hinter dem Geäst von Bäumen untergeht. Das Sonnenlicht hat beim Durchgang durch die Atmosphäre und den zahlreichen Streuvorgängen mit der Luft und den darin enthaltenen Aerosolen so viel an Farben und Intensität eingebüßt, dass es nicht mehr weiß leuchtet, sondern hauptsächlich in gelben und roten Farbtönen (er)scheint. Man kann dann sogar  bedenkenlos in die Sonne hineinblicken und beobachten, wie schnell sie absinkt. Wenn das Sonnenbild den Horizont „berührt“, dauert es gerade einmal 2 Minuten, bis der letzte Rest ihres Rands verschwindet. Und wenn man Glück hat, viel Glück, dann kann man auch noch erleben, dass sie sich mit einem grünen Blitz verabschiedet.
Wenn man will kann man daraus weitere tiefschürfende Gedanken schöpfen, wie beispielsweise im folgenden Text ausgeführt:
„Worum geht es? Durch den kopernikanischen Schock wird uns demonstriert, daß wir die Welt nicht sehen, wie sie ist, sondern daß wir ihre „Wirklichkeit“ gegen den Eindruck der Sinne denkend vorstellen müssen, um zu „begreifen“, was mit ihr der Fall ist. Da liegt das Dilemma: wenn die Sonne aufgeht, geht nicht die Sonne auf. Was die Augen sehen und was der astrophysisch informierte Verstand vorstellt, kann nicht mehr miteinander zur Deckung kommen. Die Erde wälzt sich im leeren Raum um sich selbst nach vorn, wobei der irreführende Eindruck entsteht, wir sähen die Sonne aufgehen. Solange das Universum besteht, gab es noch keinen Sonnenaufgang, sondern nur sture Erdumdrehungen, und dieser Befund wird nicht tröstlicher dadurch, daß wir aufgrund radioastronomischer und anderer Messungen zu der Vorstellung gezwungen sind, daß es vor einem Zeitpunkt t(x) weder die Sonne noch die Erde noch Augen gegeben hat, um deren Konstellationen zu sehen. Dann wären nicht nur die Sonnenaufgänge, sondern auch die Voraussetzungen des Scheins von Sonnenaufgängen in einem kosmischen Noch-Nicht verschwunden. Der augenscheinliche Sonnenaufgang verliert sich in einer mehrfachen Nichtigkeit, sobald wir den ptolemäischen „Schein“ zugunsten kopernikanisch organisierter Vorstellungen von „Wirklichkeit“ aufgeben. Radikaler als jedes metaphysische Vorstellen von „Wesenswelten“ dementiert das moderne physikalische Vorstellen der Körperwelt den ‚Schein der Sinne‘.“

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Sloterdijk, Peter: Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung. Frankfurt a M 1987.

Aufrecht durch doppelten Kopfstand

Physikalisch gesehen, ist die Glaskugel eine Sammellinse, die – außerhalb der doppelten Brennweite – den betrachteten Gegenstand – hier eine Landschaft – kopfstehend und verkleinert auf der Netzhaut unserer Augen bzw. dem Chip der Kamera abbildet. Aufgrund der extremen Dicke dieser Linse kommt es zur kugelförmigen „Abirrung“ (sphärische Aberration) des Bildes vom Gegenstand.
Die vorliegende Glaskugel ist auch in anderer Hinsicht kein perfektes Abbildungsmittel. Und das nicht, weil sie zu wenig, sondern zu viel abbildet. Denn sie enthält einige kugelförmige Lufteinschlüsse, sozusagen Luftkugeln, von der jede, ob groß oder klein, ebenfalls die ins Visier genommene Landschaft abbildet: Diese erscheint in den Luftkugeln sogar aufrecht stehend. Eine Luftnummer? Vielleicht, denn eine bloße Vervielfachung von Information führt oft, also nicht nur in diesem Fall, zu einer Verminderung der Durchsicht im tatsächlichen wie im übertragenen Sinn.

Weiter für „Experten“: Bleibt zu klären, wieso die Bilder in den Luftkugeln im Glas keinen Kopfstand machen. Um die Standhaftigkeit der Luftkugelabbildungen zu verstehen, muss man sich klarmachen, dass die Orientierung einer Abbildung nicht nur von der Form des abbildenden Mediums (Glas oder Luft) abhängt, sondern auch von der Umgebung. Wenn man an eine transparente Kugellinse denkt, unterstellt man meist stillschweigend, dass es sich um ein Material mit einem größeren Brechungsindex als den der Umgebung handelt. Bei den – zugegeben nicht gerade gängigen – Luftkugeln ist es gerade umgekehrt. Sie haben einen kleineren Brechungsindex als das umgebende Glas. Daher verhalten sie sich auch umgekehrt und kehren den abgebildeten Gegenstand nicht auf den Kopf. Sie wirken vielmehr wie eine inverse Sammellinse, bzw. eine Zerstreuungslinse, die ein entferntes Objekt richtig herum abbildet.
Mit Hilfe des Lichtstrahlmodells (siehe Grafik) kann man sich von dieser Aussage überzeugen. Die Luftlinse führt zu einem verkleinerten, aufrechtstehenden Bild. F und F‘ bezeichnen den Brennpunkt hinter und vor der Linse.

Gelber Hibiskus

Der Hibiskus stammt ursprünglich aus den Tropen und ist heute auch in den gemäßigten Klimazonen anzutreffen, wo ich ihn nicht nur in seinen roten, sondern auch seinen ebenso schönen gelben Blüten in freier Natur antraf.
Als Topfpflanze kennen wir dieses Malvengewächs inzwischen auch in den eigenen vier Wänden. Er fasziniert nicht nur durch seine auffallend leuchtenden Farben seiner großen Blüten. Erstaunlich ist auch sein Verhalten, seine Blüten nachts zu schließen und tagsüber wieder zu öffnen. Damit kommt er dem menschlichen Verhalten ziemlich nahe. Diese schließen nachts die Augen und viele von ihnen öffnen sie tagsüber auch wieder. Allerdings ist die Motivation für diesen Wechsel eine andere. Durch das Schließen soll die Blüte vor der nächtlichen Kälte geschützt werden (siehe auch den früheren Beitrag).

Wozu ist dieser Spiegel gut?

Beim Eintritt ins Bad eines Hotelzimmers, erblickte ich vor dem eigentlichen Spiegel einen kleinen runden Spiegel, der mir ein verkleinertes kopfstehendes Bild lieferte. Bevor ich versuchte herauszufinden, wozu der Spiegel gut sein könnte, fotografierte ich die Szenerie.
Ich musste keine großartigen Untersuchungen anstellen. Als ich mich den Spiegeln näherte klärte sich das Problem.

Worin besteht die Klärung?

In Farben funkelndes Gras in der Morgensonne

Zugegeben, das Foto ist unscharf. Aber das ist bewusst geschehen. Denn anderenfalls hätte ich kaum einen Eindruck davon vermitteln können, wie das Gras vor ein paar Tagen in der Morgensonne in allen Spektralfarben funkelte. Es sind die Tautröpfchen, die – normalerweise übersehen oder in Form nasser Füße ein Ärgernis darstellen – hier deutlich und ästhetisch ansprechend auf sich aufmerksam machen. Sie reflektieren das Sonnenlicht ins Auge des Betrachters.
Wenn man die Sonne im Rücken hat und sich vor den tropfnassen Blättern bewegt, beobachtet man, dass das Funkeln in einem Aufflammen und Verlöschen einzelner Lichtblitze besteht, die synchron der Bewegung folgen. Beeindruckend ist insbesondere, dass neben weißen auch farbige Lichtblitze zu sehen sind. Wenn man einen Lichtpunkt fixiert und die Blickrichtung leicht variiert, kann man erreichen, dass dabei ein ganzes Spektrum von Farben durchlaufen wird. Durch die Beobachtungskonstellation wird klar, dass das Sonnenlicht ähnlich wie beim Regenbogen 1. Ordnung in die Wassertropfen eindringt und nach zweimaliger Brechung und einmaliger Reflexion ins Auge des Beobachters gelangt.
Da das weiße Licht aus allen Spektralfarben besteht, werden die Lichtstrahlen je nach Farbe unterschiedlich stark gebrochen und auf diese Weise wie von einem Prisma in Farben aufgespalten.
Doch wenn das Phänomen im Automatikmodus fotografiert wird, ist man meistens über das Ergebnis enttäuscht. Die Lichtblitze sind zu klein, um eine eine nennenwerte Spur auf dem Chip zu hinterlassen. Da hilft es dann in vielen Fällen nur noch, bewusst unscharf zu fotografieren, um so die winzigen Lichtblitze auf eine größere Fläche zu verschmieren und ihnen dadurch eine größere Sichtbarkeit zu verschaffen. Unsere Augen schaffen es beim Umherblicken u. A. mit Hilfe der angepassten Pupillenöffnung sich stets auf die betrachteten Details einzustellen. Bei den hellen Lichtpunkten, stellt sich eine winzige Pupillenöffnung ein; beim vergleichsweise dunklen Gras ist sie hingegen wesentlich größer.
Wir haben es hier also mit dem merkwürdigen Sachverhalt zu tun, dass eine bewusste fotografische Qualitätsverminderung Ansichten hervorbringt die anders nicht zu haben sind.
Man kann aber auch die Defokussierung so groß machen, dass die Zerstreuungskreise mehrere Farben gleichzeitig aufweisen. Auf diese Weise lassen sich mit der Unschärfefotografie auch künstlerische und ästhetische Aspekte realisieren. Diese auch physikalisch interessante Thematik wird vor allem unter dem aus dem Japanischen kommenden Begriff „Bokeh“ (von jap. 暈け = unscharf, verschwommen) diskutiert.

Regenbogen im Spinnennetz

Wer sich das Foto des ungeordneten Spinnennetzes genauer anschaut wird vielleich einige Farben entdecken auf einem nach rechts gebogenen Streifen entdecken. Das ist kein Fake sondern Fakt – der Teil eines Regenbogens. Zwar erkennt man nur die außen liegenden rötlich und gelblich erscheinenden und die rechts innen auftretenden bläulichen Tröpfchen, aber dafür geht es hier nicht so hektisch zu wie beim „richtigen“ Regenbogen, in dem immer neue der fallenden Tropfen aufblitzen. Die in Regenbogenfarben leuchtenden Tropfen sind hier im Spinnennetz fixiert. Und dennoch, da in diesem Fall die Morgensonne ihre Bahn über den Himmel beginnt, geraten auch hier stets neue Tropfen in ihren Lichtkegel und werfen das farblich zerlegte Licht in unsere Augen – aber wesentlich langsamer als bei den fallenden Regentropfen.
Diese zusätzlich Bewegung der Sonne ist zwar auch beim „richtigen“ Regenbogen vorhanden, aber angesichts der Fallgeschwindigkeit vernachlässigbar.

Der Moment, in dem die Sonne die Erde streift

Ich liebe den kurzen Zeitraum am Morgen, wenn die Sonne gerade über den Horizont blinzelt und eine Lichttangente über das flache Land legt. Heute hatte ich Gelegenheit, diesen Moment in einer kaum zu überbietenden Feinheit zu erleben. Als ich eine Schnecke ähnlich gemächlich über den Weg rutschen sah, wie die Sonne aufstieg, flammte plötzlich der flache orangefarbene Schneckenkörper im hellen Sonnenlicht auf. Wie man an den angestrahlten Tannennadeln und Steinchen auf dem Weg erkennt, wurde hier das ästhetisch Prinzip des Ton in Ton in hervorragender Weise erfüllt.
Die Tage im Mai sind für mich in dieser Hinsicht besonders passend, weil wir – die Sonne und ich – etwas zur gleichen Zeit aufstehen.

Entwicklung eines Farns

Hier entwickelt – oder sollte man lieber sagen – entrollt sich ein pflanzliches Blatt, das später zu einem großen Farnblatt wird, das seine Fläche zur Sonne hin ausrichtet. Schaut man sich den pflanzlichen Ring genauer an, so entdeckt man im Innern bereits andeutungsweise die Verzweigungen einzelner Farnblätter, die zu diesem selbstähnlich sind. Selbstähnliche Strukturen sind solche, bei denen Ausschnitte wie das Ganze aussehen.

Mit einem vielzitierten Spruch von Wilhelm Busch, kann man nur sagen: So blickt man klar, wie selten nur, Ins innre Walten der Natur.

Mondkorona – wie ein Lächeln in der Nacht

Und siehe, durch den blanken Himmel zog noch ein einsames, weißes Wölkchen. Es kam zögernd vorwärts, und es war, als würde es vom Monde angezogen. Es segelte gerade unter ihm vorbei, und siehe, sofort glitten dünne rosige, grüne und lila Farbentöne darüberhin, und es war wie ein zusammengezogener Regenbogen, der am Mond vorbeizog. Aber es glitt weiter, verlor die süßen Töne plötzlich wieder, wurde weiß und schob sich zögernd fort, allein durch die Nacht. Wie ein Lächeln der Nacht war es gewesen. *

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* Felix Timmermans. Palieter. Leipzig: Insel Verlag 1931, S. 138

Lichtblitze im Wasser

Der Blick ist auf den Wasserspiegel eines ruhig fließenden Bachs gerichtet. Auffällig sind zwei fast kreisrunde Schatten auf dem Boden des Gewässers, die von einem hellen Brennlinie (Kaustik) umgeben sind. Auslöser für dieses Phänomen sind zwei Grashalme, die mit ihrer Spitze leicht in das Wasser eintauchen ohne benetzt zu werden. Denn sie hassen das Wasser – sind hydrophob, sodass sich um sie herum eine winzige schüsselartige Vertiefung im Wasser ergibt. Diese Vertiefung ist von einem konvexen Rand umgeben, an dem das Licht wie von einer ringförmigen konvexen Linse gebrochen und auf dem Boden fokussiert wird. Auf diese Weise entsteht der zu beobachtende helle Ring (Kaustik). Das so aus der ursprünglichen Ausbreitungsrichtung abgelenkte Licht fehlt in der Mitte und führt dazu, dass hier ein Schatten entsteht. Ein Teil des in die konvexe Vertiefung fallenden Lichts wird reflektiert und macht sich in Form eines hellen Lichtblitzes an der Spitze des Grashalms bemerkbar.
Es sind weitere interessante Phänomen zu beobachten, die ich aber heute übergehen möchte.

Reflexionen über Reflexionen am Strand

Der Himmel war klar, die Luft kalt und wenig bewegt. Auf dem glatten Sand, über den Sperber ging, hatte das sich zurückziehende Meer eine hauchdünne Wasserschicht hinterlassen, auf der sich das Himmelsblau und die wenigen darauf vorüberziehenden Wolken spiegelten, und wie schon einmal war Sperber, als hätte ihn jemand auf den Kopf gestellt und als liefe er zwischen weißen Wolken hindurch über den Himmel. Wie durchsichtig der Boden unter seinen Füßen war! Während Sperber so ging, öffnete sich unter ihm eine grenzenlose Weite, und er sah geradewegs in die Unendlichkeit hinein.*

Wer reflektierend über den reflektierenden Strand in dem Bereich spaziert, der weder eindeutig dem Meer noch dem Land zugerechnet werden kann, erlebt den Himmel nicht nur über, sondern auch unter sich. Mit leicht geneigtem Kopf blickt sie oder er in weiten gespiegelten Raum, ohne befürchten zu müssen abzustürzen. Wenn sich irgendwo das Gefühl der unendlichen Weite einstellt, dann hier auf der dünnen Wasserhaut, die mit jedem Atemzug des Meeres in Form von auslaufenden Wellen immer wieder erneuert wird.

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Anne Weber. Tal der Herrlichkeiten. Frankfurt 2012, S. 214

Befreiende Luftströme im Sand

PARADOXE SITUATION Ein Becher ohne Boden lässt sich nur schwer in den Sand drücken. Gegen alle Intuition fällt es wesentlich leichter, das geschlossene Gefäß zu versenken. Dabei beobachtet man Luft, die an den Seiten herausgeblasen wird und kleine Hügelchen erzeugt.

H. Joachim Schlichting Spektrum der Wissenschaften 05 (2023) S. 70-71

Das Sandkorn ist gewiß das nicht
wofür ich es ansehe

Georg Christoph Lichtenberg

Zur Aufbewahrung von Tee benutze ich eine alte ostfriesische Teedose. Im oberen Bereich verjüngt sie sich, damit die Blätter problemlos in den Messbecher geschüttet werden können, der zugleich als Deckel dient. Beim Nachfüllen muss ich einen Trichter benutzen, und das funktioniert nicht immer ohne Probleme. Oft stockt der Fluss der Teeblätter. Die intuitive Idee, ihn durch Druck zu verstärken, bringt hier nichts. Ich erreiche dadurch eher, dass sich alles nur noch mehr verdichtet und ich die Prozedur von vorn beginnen muss.
Dieses Verhalten betrifft nicht nur Teeblätter, sondern alle Granulate wie Sand, Salz, Müsli oder Erbsen. Die Ursache sind so genannte Kraftbrücken. Den größten Teil des ausgeübten Drucks nehmen granulare Netzwerke auf, quer durch das Material verlaufende Verdichtungen. An ihnen wird die Kraft von einer Wand zur anderen abgeleitet. Das baut so etwas wie eine Barriere für nachfließende Materie auf. Dann rutschen die Teilchen nicht mehr in dem Maß nach, wie sie unten herausrieseln, sondern sie stützen sich gegenseitig und an den Wänden ab. Das kann in bestimmten Situationen, wie etwa Getreidesilos, zum Bruch der Behälter führen.

FIXIERTES GEFÄSS Ein offenes und mit Sand gefülltes Behältnis lässt sich an einem Stab hochheben, wenn dieser fest genug hineingedrückt wurde.

Seit Menschengedenken dient der Effekt der Konstruktion von freitragenden Brücken und Bögen in Gebäuden. Solche Gewölbe werden allerdings gezielt hergestellt, während sie in Granulaten durch Zufall an nicht vorherbestimmbaren Stellen entstehen und sich weitgehend der Kontrolle entziehen.
Beim Tee ist die sanfte Tour erfolgversprechender als Druck. Leichtes Klopfen oder Schütteln senkrecht zur Fließrichtung an der entsprechenden Stelle am Trichter löst die Blockade in den meisten Fällen auf.

In der Physik der granularen Materie werden solche Phänomene auch Jamming genannt. Eine eindrucksvolle Demonstration bietet ein Stab, den man mit großer Kraft in ein schmales Röhrchen presst, das mit Sand oder einem anderen Granulat gefüllt ist. Er sitzt schließlich so fest, dass man mit ihm das Behältnis samt Inhalt hochheben kann, sofern deren Gewicht nicht zu groß ist. Leichtes Schütteln setzt die Schwerkraft wieder in ihre alten Rechte – das Gefäß fällt. Auch das Geschicklichkeitsspiel Scheibenmikado macht von dem erstaunlichen kollektiven Verhalten Gebrauch. Hier muss man aus einer Fläche mit einer starken Feder zusammengedrückten Scheibchen einzelne entfernen, ohne dass sich die Nachbarn bewegen.


Noch bevor die Kraftbrücken im Rahmen der Physik der granularen Materie näher erforscht wurden, habe ich sie unwissentlich beim Spiel mit meinem Sohn im Sandkasten kennengelernt. Der Versuch, ein Installationsrohr in den trockenen Sand zu drücken, gelang mir nur mit äußerster Anstrengung. Klopfen und Rütteln halfen wenig. Zu meinem Erstaunen beobachtete ich bei anderer Gelegenheit, wie mein Sohn ein Trinkglas von vergleichbarem Durchmesser ohne große Mühe auf dieselbe Weise im Sand versenkte. Lag das vielleicht daran, dass Glas auf Grund seiner Materialeigenschaften leichter durch den Sand gleitet als ein PVC-Rohr? Doch als ich letzteres durch einen passenden Deckel fest verschloss, ließ es sich leichter in den Sand schieben.

SCHEIBENMIKADO In dem Geschicklichkeitsspiel stehen die Scheiben im rechten Teil unter Federdruck. Die dadurch entstehenden Kraftbrücken schirmen stets einige Steine ab. Diese gilt es zu entnehmen, ohne dass sich der Schieber bewegt.

Das widerspricht der Intuition, weil dann Luft eingesperrt ist und bei der Aktion komprimiert wird. Man könnte leicht vermuten, dadurch käme es zu einer zusätzlichen Gegenkraft, so wie es der Fall ist, wenn man ein umgestülptes Glas in ein Wasserbecken drückt. Stattdessen erleichtert die Luft das Ganze irgendwie.
Die Sache geriet in Vergessenheit, bis ich vor einiger Zeit auf eine Fachpublikation stieß. In dieser berichtete eine Gruppe von Physikern der Universität Paris VII über Messungen, die man als quantitative Fortführung unserer Spielereien im Sandkasten betrachten kann.
Das Team hat derartige Sandexperimente in reproduzierbarer Weise präpariert und sie sowohl in lockeren als auch in verfestigten Schichten durchgeführt. Auf ihren Zylinder übertrugen die Wissenschaftler eine Kraft, indem sie ihn mit einem Behälter belasteten. Dessen Gewichtskraft vergrößerten sie in kontrollierter Weise. Als Maß für die Leichtigkeit des Eindringens des Zylinders ermittelten sie die jeweils erreichte Tiefe.
Die Forscher bestätigten unsere erstaunliche Beobachtung, dass ein geschlossenes Rohr wesentlich einfacher versenkt werden kann als ein offenes. Der Versuch lässt sich mit zwei Plastikbechern reproduzieren, wenn man bei einem der beiden den Boden entfernt. Presst man den intakten Becher in den Sand, gerät das abnehmende Luftvolumen unter erhöhten Druck. Dieser wird schließlich so groß, dass die Luft an der inneren Seite des Zylinders unter den versenkten Rand strömt und an der Außenseite ins Freie gelangt. Das wirbelt den Sand im Grenzbereich auf und verflüssigt ihn regelrecht, indem es fixierende Kraftbrücken unterbricht und verhindert, dass sich neue bilden.
Der Luftstrom beim Druck auf den Zylinder erfüllt in etwa die Funktion meines leichten Klopfens beim Lösen von stockenden Teeblättern. Der luftgefüllte Leerraum zwischen den eigentlichen Teilchen eines Granulats ist also nicht bloß eine nebensächliche Gegebenheit. Vielmehr kann er eine aktive Rolle bei der Bewegung und den Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Bestandteilen spielen.

Quelle

Clément, R. et al.: Penetration and blown air effect in granular media. Physical Review Letters 106, 2011

Es gibt nicht nur eine blaue Blume

Vielleicht wird um die Suche nach der Blauen Blume (spätestens seit Eichendorff) zu viel Gedöns gemacht. Vielleicht hat so manch einer sie in der Hand gehabt und es nicht bemerkt. Ich denke, dass man bei der Suche etwas beherzter zur Sache gehen und wo nötig selbst Hand anlegen sollte. Es ist zwar dann nicht DIE blaue Blume aber immerhin Eine erreichbare blaue Blume.

Rätselfoto des Monats Mai 2023

Wo und wie kommt es zu diesen Kristallen?

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Erklärung des Rätselfotos des Monats April 2023

Frage: Blickt man auf die Sonne oder den Mond?

Antwort: Wenn man nicht auf den Kontext achtet, könnte es sowohl der Mond als auch die Sonne sein. Vom Mond sind die Strukturen nicht zu erkennen, und die Sonne ist bei diesigem Wetter oft so gedimmt, dass sie wie der Mond aussieht. Aber es gibt Hinweise auf die Antwort. Im Vordergrund erscheinen die Blätter eines Baumes in einem roten Licht. Insbesondere die Blätter, deren Seite uns zugewandt ist, reflektieren rotes Sonnenlicht. Die Sonne liegt also hinter uns. Wir blicken daher auf den Mond, der ebenfalls im Licht der Sonne liegt.

Pareidolie am Sandstrand

Das Foto zeigt einen Stein auf einem Sandstrand, der von auf- und ablaufendem Wasser umströmt wird. Da der Sand aus hellen und dunklen Anteilen besteht, die sich in ihrer Dichte unterscheiden, kommt es bei der Strömung zu Entmischungen der beiden Sandsorten. Auf diese Weise werden die beiden Wirbel des sandbeladenen strömenden Wassers hinter dem Hindernis visualisiert. Insgesamt wird ein fast symmetrisches Strömungsmuster um den Stein herum gezeichnet.
Als ich an dem Strand an diesem Muster vorbeikam drängte sich mir allerdings ein ganz anderes Bild auf: Ich sah und sehe auf dem Foto einen Hundekopf oder den Kopf eines ähnlichen Tiers. Vielleicht geht es ja der einen oder dem anderen auch so. Dabei zeigt sich ein merkwürdiges Phänomen. Die Struktur drängte sich mir umso stärker auf, je weiter ich mich entferte, bzw. je kleiner das Netzhautbild wurde. Dieser Eindruck wiederholte sich, als ich das Foto hier zunächst möglichst groß darstellen wollte und dabei den Eindruck gewann, dass sich die Pareidolie umso deutlicher aufdrängt, je kleiner die Darstellung ist (siehe kleines Bild).
Das erinnert mich an ein Kunstwerk auf dem Straßenpflaster vor dem Picasso-Museum in Münster, in dem das Konterfei des Künstlers nur aus gehöriger Entfernung bzw. Höhe zu erkennen ist. Dazu gibt es einen früheren Beitrag.

Komplexe Strukturen

Komplexität ist eine scheinbare Unordnung, bei der man Gründe hat, eine verborgene Ordnung zu vermuten; oder auch, Komplexität ist eine Ordnung, deren Code man nicht kennt.* (Übers. HJS)

Dennoch kann man sich angesichts dieses vielschichtigen Gebildes des Eindrucks nicht erwehren, dass man es mit einer wie auch immer zu benennenden Ordnung zu tun hat, die ihre Berechtigung nicht aus einer abstrakten Gesetzmäßigkeit bezieht, sondern letztlich aus einem tief empfundenen Gefühl für die Schönheit der Struktur.


* Henri Atlan. Entre le cristal et la fumee. Paris 1979, p.78 (Im Original: „la complexité est un désordre apparent ou l’on a des raisons de supposer un ordre caché; ou encore, la complexité est un ordre dont on ne connait pas le code.“

Spiegeldefekt

So manches Mal, wenn ich in einen Spiegel schaue – und sei es nur das Fenster eines beleuchteten Raums, habe ich den Eindruck, dass aus dem Spiegel meine Mutter zurückschaut. Für mich ein eher positiver Aspekt, wenngleich er mit naturwissenschaftlichen Mitteln nicht zu erklären ist.

Ja, ja ich weiß: „Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, …,von denen sich eure Schulweisheit nichts träumen läßt.“*

Es scheint nicht nur mir so zu gehen. In dem Roman „Die Autorenwitwe“ von  Judith Kuckart stolperte ich über die folgende Stelle:
Olga geht zum Spiegel, sieht hinein, und der Spiegel schaut mit dem Auge ihrer Mutter zurück. Die muß ihr aber auch überall auflauern!**

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* William Shakespeare. Die Tragödie von Hamlet, Prinz von Dänemark.

** Judith Kuckart. Die Autorenwitwe – Erzählungen. Köln 2003, S. 35.

Zählbarer Aufstieg motiviert

Die Freitreppe war nicht hoch. Ich hatte ihre Stufen tausendmal gezählt, sowohl beim Hinaufgehen als auch beim Hinuntergehen, aber die Zahl habe ich nicht mehr im Gedächtnis. Ich habe nie gewußt, ob man eins mit dem Fuß auf dem Bürgersteig sagen sollte und zwei mit dem folgenden Fuß auf der ersten Stufe und so weiter, oder ob der Bürgersteig nicht mitzählte. Auf der obersten Stufe angekommen, stand ich vor demselben Dilemma. Umgekehrt, ich meine von oben nach unten,war das gleiche, das Wort ist nicht zu stark. Ich wußte weder, wo ich anfangen, noch wo ich aufhören sollte, sagen wir die Dinge wie sie sind. Ich bekam also drei ganz verschiedene Zahlen heraus, ohne je zu wissen, welche die richtige war. Und wenn ich sage, daß ich die Zahl nicht mehr im Gedächtnis habe, meine ich, daß ich keine der drei Zahlen mehr im Gedächtnis habe.*

Was lehrt und das? Unterdrücke jeden Versuch – und sei er noch so lustbetont – beim Treppensteigen die Stufen zu zählen. (Merkwürdigerweise ist der Wunsch beim Treppenheruntergehen die Stufen zu zählen weitaus weniger ausgeprägt – bei mir zumindest. Auch ein Problem, das noch nicht gelöst ist.)
Bei mir war das Zählbedürfnis besonders bei Treppen in Türmen und anderen hohen Gebäuden sehr ausgeprägt. Mit zunehmendem Alter nimmt das Problem proportional zur Anzahl der Stufen ab, auch wenn ich die Anzahl ohne Zählen ja noch gar nicht genau kenne. Merkwürdig.

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* Samuel Becket. Erzählungen und Texte um Nichts. Frankfurt 1969, S. 7

Reflexionen am frühen Morgen

An einem morgendlichen Spaziergang taucht plötzlich wie an einem hell erleuchteten Baum gepinnt, mein Schattenbild auf. Auch wenn es nur ein Schatten ist, das Gefühl, dass er etwas mit mir zu tun hat, lässt sich einfach nicht vermeiden.
Schaut man genauer hin, so zeigt sich, dass die durch die Zwischenräume zwischen den Bäumen hervorgebrachten Lichtspalten nicht nur Teile anderer Bäume erhellen, sondern auch den Boden. Dadurch entsteht zuweilen der irritierende Eindruck als würden die Bäume teilweise ihre Grenzen überschreiten.
Die gelbliche Farbe des Lichts zeigt, dass die Sonne noch sehr tief steht und ihr Licht einen so langen Weg durch die Atmosphäre zurücklegt, dass infolge der sogenannten Rayleigh-Streuung die kurzen Wellenlängen (vor allem die Blautöne) zum großen Teil durch Streuung zu den Seiten verloren gegangen sind. „Verloren“ ist nicht ganz korrekt, denn das vorwiegend herausgestreute kurzwellige Licht sorgt als Himmelblau bzw. Tageslicht tagsüber für die typische indirekte Beleuchtung, ohne die wir ansonsten nur etwas im direkten Licht der Sonne sehen würden. Das wären dann optisch gesehen ähnliche Verhältnisse wie auf dem Mond, der keine Licht streuende Atmosphäre besitzt.

Trockenrisse und Landgewinnung

Obwohl Trockenrisse heute mehr als Symbol für ausgetrocknete Gewässer und durch Trockenheit verlorenes Ackerland wahrgenommen werden, ist ihnen aufgrund von naturschönen Mustern oft ein ästhetischer Reiz nicht abzusprechen. Im vorliegenden Fall handelt es sich sogar um ein Beispiel, bei dem Land gewonnen wird. Das Foto ist am Wattenmeer in Ostfriesland aufgenommen worden. Es zeigt nicht nur, dass schlammartiger Boden ausgetrocket wird, sich daher zusammenzieht und in einzelne Erdschollen zerreißt. Darüberhinaus erkennt man, dass sich die Schollen nach oben krümmen, weil sie dort schneller austrocknen als unten und dadurch auf der Oberseite stärker schrumpfen als an der weniger trockenen Unterseite.
Im vorliegenden Fall rollen sich sogar mehrere dünne Schichten auf. Sie verweisen auf eine Periodizität während ihrer Entstehung, bei der in mehreren Überschwemmungen Sedimente abgelagert wurden.
Weitere Beiträge zu Trockenrissen findet man hier und hier und hier und hier und hier.

Die Geometrie ist ein fauler Witz

Bei meinem jüngsten Parisaufenthalt, besuchte ich einmal mehr das Pantheon. Nicht nur wegen des Foucaultschen Pendels, sondern auch in seiner Funktion als nationale Ruhmeshalle Frankreichs, in deren unteren Räumen sich die Grabstätte berühmter französischer Persönlichkeiten befindet. Auffällig postiert ist der Philosoph und Schriftsteller Voltaire (1694 – 1778), der eigentlich François-Marie Arouet hieß. In seinem umfangreichen Oeuvre kritisiert er die Missstände der Feudalherrschaft und die katholische Kirche. Er gilt als Vordenker der Aufklärung und hat seine Texte mit großem Einfühlungsvermögen in die Gedankenwelt seiner Zeitgenossen zum Ausdruck gebracht. Dabei bediente er sich eines zugleich allgemeinverständlichen und präzisen Stils, in dem er oft mit beißendem Witz und Ironie auch heutige Leser noch anzusprechen vermag. Man denke nur an seiner Novelle Candide oder der Optimismus.
Ich will nur eine kurze Passage aus seiner philosophischen Erzählung Jeannot und Colin erwähnen, die ich mir früher bei der Lektüre angestrichen hatte. Hier dekonstruiert er in ironischer Absicht eine der ältesten und ehrwürdigsten Disziplinen der Mathematik – die Geometrie:

Aber von allen Wissenschaften die absurdeste, die am besten geeignet ist, jede Art von Genie zu unterdrücken, ist meines Erachtens die Geometrie. Diese lächerliche Wissenschaft beschäftigt sich mit Flächen, Linien und Punkten, die in der Natur gar nicht vorhanden sind. Man läßt hunderttausend gekrümmte Linien zwischen einem Kreis und einer geraden Linie, die ihn berührt, hindurchlaufen, obwohl in Wirklichkeit nicht ein Strohhalm dazwischen Platz fände. Die Geometrie ist in Wahrheit nur ein fauler Witz.*

Dieser Text ist nicht für die Ohren von Schulkindern bestimmt 😉

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* Voltaire. Jeannot und Colin. In: Wie die Welt es treibt. Krefeld 1948, S. 87

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