Dieses radiale Gebilde verbindet – obwohl äußerlich ganz starr – zwei Bewegungen eine konzentrierende nach innen und eine expandierende nach außen. Sie verbindet abstrakt betrachtet die beide Extreme der Null und der Unendlichkeit. Dennoch handelt es sich um ein individuelles Gebilde, das kein zweites Mal auf der Welt anzutreffen ist. Aus ihm müssen diese Bewegungen überhaupt erst abstrahiert werden. Oder mit Georg Christoph Lichtenberg zu sprechen: Die Natur schafft keine genera und species, sie schafft individua und unsere Kurzsichtigkeit muß sich Ähnlichkeiten aufsuchen um vieles auf einmal behalten zu können. Diese Begriffe werden immer unrichtiger je größer die Geschlechter sind, die wir uns machen.*
* Georg Christoph Lichtenberg. Schriften und Briefe I. München 1968, S.13 (A 17)
…Bilder sind das einzige, wodurch das Unfassbare zu uns spricht, nur durch Bilder schlüpft es in uns hinein.
Nur wer die Dinge im Bilde besitzt, dem gehören sie zu.*
* Erhard Kästner. Zeltbuch von Tumilat. Frankfurt 1983, S. 84
Die Welt-Ausrechnung, Allmacht der Neuzeit, vor der auch Diktatoren sich beugen und Alle, die sich sonst hassen, verbrüdern, will alle Dinge entsiegeln. Im Freiraum der Kunst, wenngleich er folgenlos wurde: sie versiegeln sich wieder. Je mehr wissenschaftlicher Aufschluß, desto verschlossener erweisen die Dinge sich. Sie trotzen. Weiterlesen
Alles Abstrakte wird durch Anwendung dem Menschenverstand genähert,
und so gelangt der Menschenverstand
durch Handeln und Beobachten zur Abstraktion.
Johann Wolfgang von Goethe Weiterlesen
FORM UND STOFF
Herr K. betrachtete ein Gemälde, das einigen Gegenständen eine sehr eigenwillige Form verlieh. Er sagte: Einigen Künstlern geht es, wenn sie die Welt betrachten, wie vielen Philosophen. Bei der Bemühung um die Form geht der Stoff verloren. Ich arbeitete einmal bei einem Gärtner. Er händigte mir eine Gartenschere aus und hieß mich einen Lorbeerbaum beschneiden. Der Baum stand in einem Topf und wurde zu Festlichkeiten ausgeliehen. Dazu mußte er die Form einer Kugel haben. Ich begann sogleich mit dem Abschneiden der wilden Triebe, aber wie sehr ich mich auch mühte, die Kugelform zu erreichen, es wollte mir lange nicht gelingen. Einmal hatte ich auf der einen, einmal auf der anderen Seite zu viel weggestutzt. Als es endlich eine Kugel geworden war, war die Kugel sehr klein. Der Gärtner sagte enttäuscht: Gut, das ist die Kugel, aber wo ist der Lorbeer? Weiterlesen
Als zum erstmaligen Nachweis von Neutrinos in zwei Reservoiren von 1000 t Wasser tief unter der Oberfläche auf entgegengesetzten Enden der Erde 19 Lichtblitze mit Hilfe empfindlicher Detektoren registriert wurden, erhielt man Kunde davon, wie es im Innern eines Sterns in der großen Magellanschen Wolke vor 170000 Jahren zuging, als dieser als Supernova explodierte just im rechten Augenblick, um die Menschheit im Jahre 1987 theoretisch und instrumentell vorbereitet vorzufinden, das Ereignis zu sehen, zu beobachten und zu verstehen und als Selbstbestätigung für eine philosophische, technologische und kulturelle Entwicklung anzusehen.
Diese Entwicklung begann spätestens vor 2500 Jahren ihren Ausgangspunkt nahm, als Thales von Milet (624-547 v. Chr), die Sterne beobachtend in die Mistkuhle fiel, um von seiner thrakischen Magd dafür ausgelacht zu werden, dass er den Blick in die Ferne schweifen ließ und das Naheliegende nicht sah. Die Situation ist heute noch ganz ähnlich. Die in sicherer Entfernung stattfinden Vorgänge hat man besser im Griff als die in der beengten Nähe auf dem übervölkerten Planeten tobenden Probleme und Konflikte. Insofern ist die Thrakische Magd nicht vergessen. Weiterlesen
In der zeitgenössischen Physik ebenso wie in Kunst und Literatur lässt sich nicht mehr alles auflösen in anschauliche Zusammenhänge. Es zeigt sich, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht nur tiefer und fundamentaler, sondern in gleichem Maße labyrinthischer und rätselhafter werden. Es scheint als würden Wissenschaftler immer mehr zum Rätsellöser („puzzle solver“) wobei jede Lösung neue Rätsel aufgibt.
„Die Welt-Ausrechnung, Allmacht der Neuzeit, vor der auch Diktatoren sich beugen und Alle, die sich sonst hassen, verbrüdern, will alle Dinge entsiegeln. Im Freiraum der Kunst, wenngleich er folgenlos wurde: sie versiegeln sich wieder. Je mehr wissenschaftlicher Aufschluß, desto verschlossener erweisen die Dinge sich. Sie trotzen. Sie sehen den einzigen Fluchtweg, wenn sie überhaupt einen sehen: Umziehen ins Rätsel. Das Labyrinth, ihre Wohnung. So geht durch die Künste unserer Tage ein Zug, wir kennen ihn Alle. Jeder Vers sagt es, jedes Bild spricht davon: Die Dinge verrätseln sich. Das Unaufgeklärte, das Schwerverständliche ist ihre Zuflucht.
In der Neuzeit, in der totalen Welt-Ausrechnung, so will ihnen vorkommen: Es ist nur noch das Rätsel, das Rat gibt.“
Erhart Kästner: Aufstand der Dinge. Frankfurt: Insel 1975
Schlichting, H. Joachim. In: Physik in der Schule 36/9, 316 (1998).
Der Spiegel gehört zu den mächtigsten Metaphern der Menschheit. Sie erlaubt in besonderer Weise, sich über Dinge zu verständigen, über die man ebensowenig sprechen wie schweigen kann…
Schlichting, H. Joachim. In: Physik in der Schule 32/1 (1994).
Eine Ursache für Lernschwierigkeiten von Schülerinnen und Schülern auf dem Wege zur Physik (Martin Wagenschein) besteht dann, daß sie lernen müssen, die Welt begrifflich zu erfassen. Zwar ist auch das lebensweltliche Denken von Begriffen durchsetzt. Der Unterschied besteht darin, daß lebensweltliche Begriffe mit anschaulichen, individuellen und erlebnishaften und teilweise animistischen Eindrücken verknüpft sind. Der Physik gelingt es hingegen in besonderer Weise, durch Gleichsetzen des Nichtgleichen …, die anschaulichen Metaphern zu einem Schema zu verflüchtigen und dadurch zu erreichen, was niemals unter anschaulichen ersten Eindrücken gelingen möchte: eine pyramidale Ordnung (Friedrich Nietzsche).