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Alltag

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Pareidolie am Sandstrand

Das Foto zeigt einen Stein auf einem Sandstrand, der von auf- und ablaufendem Wasser umströmt wird. Da der Sand aus hellen und dunklen Anteilen besteht, die sich in ihrer Dichte unterscheiden, kommt es bei der Strömung zu Entmischungen der beiden Sandsorten. Auf diese Weise werden die beiden Wirbel des sandbeladenen strömenden Wassers hinter dem Hindernis visualisiert. Insgesamt wird ein fast symmetrisches Strömungsmuster um den Stein herum gezeichnet.
Als ich an dem Strand an diesem Muster vorbeikam drängte sich mir allerdings ein ganz anderes Bild auf: Ich sah und sehe auf dem Foto einen Hundekopf oder den Kopf eines ähnlichen Tiers. Vielleicht geht es ja der einen oder dem anderen auch so. Dabei zeigt sich ein merkwürdiges Phänomen. Die Struktur drängte sich mir umso stärker auf, je weiter ich mich entferte, bzw. je kleiner das Netzhautbild wurde. Dieser Eindruck wiederholte sich, als ich das Foto hier zunächst möglichst groß darstellen wollte und dabei den Eindruck gewann, dass sich die Pareidolie umso deutlicher aufdrängt, je kleiner die Darstellung ist (siehe kleines Bild).
Das erinnert mich an ein Kunstwerk auf dem Straßenpflaster vor dem Picasso-Museum in Münster, in dem das Konterfei des Künstlers nur aus gehöriger Entfernung bzw. Höhe zu erkennen ist. Dazu gibt es einen früheren Beitrag.

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Zickzackgrafik in der Lebenswelt

Man muss nur die passenden Ausschnitte wählen, um aus alltäglichen Gegenständen seine eigene Kunstausstellung zusammenzustellen

Die Macht der Bilder

Wenn man die Augen aufmacht, entdeckt man, dass die natürliche und wissenschaftlich-technische Welt keine Gelegenheit auslässt, sich schöner Ansichten zu bemächtigen, indem diese einfach abgebildet bzw. kopiert werden. In der Natur tun das Seen und Pfützen, in der Stadt sind es eher Glasflächen und wie im Falle des Fotos so ungewöhnliche Orte wie der Kotflügel (sic!) eines Autos. Ich bin immer wieder erstaunt, wo überall Bilder der Umgebung anzutreffen sind.
Muss man sich da noch über die Macht der Bilder wundern und darüber in wie starkem Maße sie unser Denken und Handeln beeinflussen und machmal sogar bestimmen?

Übrigens: Weiß jemand, in welcher Stadt dieser Kotflügel gesehen wurde?

Impressionen des Alltags

Manchmal lohnt es sich in der Hektik des Alltags kurz innezuhalten und sich vor Augen zu führen, durch welche optischen Eindrücke unsere Netzhäute so alles belichtet werden, ohne dass es uns bewusst wird. Dieser Anblick ist das Ergebnis einer solchen Fermate, die offenbar nötig war, um die Hektik des Einkaufens durchzuhalten.

Naturschöne Steinplatten

Dieses Naturgemälde entdeckte ich auf einem mit Natursteinplatten gepflasterten Platz einer Stadt. Fast jede Platte war ein Unikat und könnte wie dieses fotografisch aus dem Kontext befreit als künstlerische Grafik durchgehen. Als ich das Foto machte, musste ich zwei Zigarrettenkippen beseitigen, die ich als äußerst störend empfand. Während dieser Aktion war ich dem skeptischen Blick einiger Passanten ausgesetzt. Das konnte ich gut verstehen, war ihnen doch dieses schöne Bild nicht aufgefallen.

Alltagsgrafik mit Alltagstäuschung

Dieses verdunkelte Foto reduziert eine Gebäudefront auf das, was es neben vielem anderen auch ist – eine Fensterfront, so wie sie ein Architekt in einer frühen Annäherung an das Projekt gesehen haben mag. Es zeigt, wie in einer Art Rückwärtsgang frühe Planungsideen freigelegt werden können. Wenn man das Bild betrachtet kann man auch eine Art optischer Täuschung entdecken. Sie besteht zumindest für mich und einige Personen, die ich damit konfrontiert habe, darin, dass das Bild rechts oben keinen rechten Winkel zu haben scheint – jedenfalls wenn man es aus dem Augenwinkel heraus betrachtet. Sobald man diesem Eindruck aber durch genaues Hinsehen nachgeht, verschwindet das Unmögliche – zum Glück.

 

Originalfoto.

Erinnerung an den Tante-Emma-Laden

        Ich gehöre zu der Generation, die noch das Sterben der kleinen Einkaufsläden miterlebt hat. Als Kind habe ich öfter in einem solchen Kolonialwaren- oder Gemischtwarenhandlung einkaufen müssen. Mehl, Zucker und ein paar weitere Grundnahrungsmittel standen auf dem Zettel, den mir meine Mutter mitgab. Den Rest hatte man im eigenen Garten. Ich hasste das Einkaufen, weil sich die Erwachsenen immer vordrängelten und lange Gespräche („Klönschnack“) führten. Der einzige Trost – es gab oft einen Bonbon von Tante Emma. Ja, sie hieß zufällig wirklich so.
Auf den Fotos sind noch Reste eines solchen Ladens im ostfriesischen Pilsum zu erkennen. Die jetzigen Bewohner haben einige Insignien einer verlorenen Welt einfach vor Ort gelassen. Nicht jeder geht daran ohne Erinnerungen an frühe Jahre vorbei.
Dass die Tante-Emma-Läden heute wirklich aus der Zeit gefallen sind, sieht man auch daran, dass seit einigen Jahren „Emma“ wieder ein gebräuchlicher Name für Mädchen ist.

ScHerz

Wenn man nur darauf achtet sind wir von mehr Herzlichkeit umgeben als wir denken.

Und doch braucht das Herz eine Sprache,
Bringt der alte Instinkt die alten Namen zurück.

Samuel Taylor Coleridge (1772 – 1834)

 

Hiermit setze ich meine Herzserie fort, denn Herzen haben es mir schon immer angetan – siehe z.B. hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier.

Passt wie angegossen…

Als ich diese Szenerie vor Augen hatte, verstand ich sie als konkrete Visualisierung des „Passens“. Wenn man etwas passend macht, steckt eine Absicht dahinter und man wundert sich nicht, wenn das Ergebnis der Erwartung entspricht. Wenn aber zufällige Dinge aus völlig verschiedenen Bereichen zusammenpassen, ist es ein Phänomen. Jedenfalls empfand ich es so. Wie die Katze sich fühlte, kann ich nicht sagen.

Gegenseitige Beschirmung

Ob Pilze mit Schirm Vorbild für unserer Sonnen- und Regenschirme waren, ist nicht bekannt. Es ist allerdings erstaunlich, wie sehr sie manchen Pilzen ähneln. Dass die Pilze sich hier gegenseitig beschirmen, ist zwar ein typisch menschlicher Gedanke, aber kein schlechter.
Denn mit dem Schirm oder der manchmal auch eher an einen Hut erinnerenden Abdeckung werden die Sporen geschützt, die sich in den Lamellen oder Röhren an der Unterseite befinden. Erst wenn sie reif sind, werden sie frei gegeben und von Wind und Wasser in der Umwelt verteilt. Der Schopftintling setzt die Sporen auf eine sehr ungewöhnliche Weise frei – er verflüssigt sich gleich selbst.
Obwohl die Abdeckung mit einem Schirm oder Hut als typisch für Pilze angesehen wird, kommen viele Pilze auch ohne ihn aus.

Weitere Beiträge zu Pilzen findet man hier und hier und hier und hier und hier.

 

 

 

Nur ein Knopf?

Es war ein Stahlknopf irgendwo,
Der ohne Grund sein Knopfloch floh.
(Vulgär gesprochen: Es stand offen.)
Ihm saß ein Fräulein vis-à-vis.
Das lachte plötzlich: Hi hi hi.
Da fühlte sich der Knopf getroffen
Und drehte stumm
Sich um.

Solch‘ Peinlichkeiten sind halt nur
Die schlimmen Folgen der Kultur.*

 

Hinter manchem Knopf steckt oft ein kluger Kopf: Jedenfalls scheint das überlegene Smiley-Grinsen des Knopfes (Foto) zum Ausdruck zu bringen, dass ihn die kulturellen Bedenken völlig kalt lassen.


*Joachim Ringelnatz (1883 – 1934)

Verblüffende Alltagsphysik – Überraschende Antworten auf 33 allgegenwärtige Rätsel

Schlichting, H. Joachim. Spektrum der Wissenschaft Spezial 1.19 (2019), 82 Seiten

Vertrautes aus physikalischer Sicht

Es schien, als seien die umkränzten Lichtkreuze über Nacht in die Welt gesetzt worden. Nachdem ich diese merkwürdigen Objekte an Häuserwänden und Straßen (siehe S. 30) zum ersten Mal entdeckt hatte, sah ich sie von diesem Tag an überall. Freilich müssen die seltsamen Figuren schon vorher immer wieder auf meine Netzhäute gelangt sein, doch ich hatte sie bis dahin nicht bewusst wahrgenommen. Das ist typisch für viele Phänomene im Alltag und in der Natur. Man muss regelrecht lernen, sie zu sehen – und das gelingt am besten, indem man durch möglichst viele Beispiele dazu angeregt wird. Weiterlesen

Die Zeit der heiteren Stunden

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Können durch Tun – Freihandversuche zwischen Alltag und Physikunterricht

Weinglas-DoppelabbildungFreihandversuche sind nicht nur kostengünstiger Ersatz für klassische Schulversuche, sondern bieten die Möglichkeit eines eigenständigen, handlungsorientierten Zugangs zur physikalischen Beschaffenheit der Alltagswelt. Schwerpunktmäßig anhand von optischen Phänomenen soll mit Bezug auf Phänobjekte des phaeno gezeigt werden, dass man mit vertrauten Gegenständen zu unvertrauten Einsichten kommen kann, zu denen man durch bloßes Nachdenken wohl kaum gelangt wäre.
Der Schwerpunkt liegt auf optischen Phänomenen.

Vortrag gehalten im Science Center Phaeno in Wolfsburg am 9.10. und am 10.10.2015 um 15:30 Uhr

Für das Können gibt es einen Beweis,
das Tun

Marie von Ebner-Eschenbach

Rechtes Bild: Man blickt durch ein wassergefülltes Weinglas auf ein Wohnhaus und erhält eine aufrecht und eine auf dem Kopf stehende Abbildung.

Naturgesetze in der Kaffeetasse. Physikalische Überraschungen im Alltag

spez_pmt_3_2014_ISchlichting, H. Joachim. Spektrum der Wissenschaft Spezial 3 (2014), 82 Seiten

Ob die Geschehnisse in einer Kaffeetasse, die Tropfen am beschlagenen Fenster oder die Mondphasen: Die vielfältigen Phänomene des Alltags erscheinen uns so vertraut, dass wir den darin wirkenden Gesetzen der Physik keine Beachtung schenken. Wer sie aber doch verstehen will, wie es der Physikdidaktiker H. Joachim Schlichting in diesem Sonderheft tut, gewinnt einen völlig neuen und überraschenden Blick auf die Realität.
(28. August 2014)  Weitere Informationen finden Sie hier. Weiterlesen

Der Cappuccino- Effekt

Clip_139Schlichting, H. Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 44/6 (2013), S. 54-55

Du lebst in einem klingenden Weltall,
wo alles Rhythmus, Klang, Takt und Akkord ist:
… die großen natürlichen Geräusche, der künstliche Lärm
umgeben dich wie ein zitterndes und verwickeltes Tongewebe,
das du unaufhörlich zu lesen und zu unterscheiden versuchst.
Georges Duhamel (1884 – 1966)

 

Luftbläschen in einer schwingenden Flüssigkeitssäule verändern die Höhe der entstehenden Töne viel stärker, als man erwarten würde.

Diesen Effekt kennen wir alle: Kommt der Milchschaum auf dem servierten Cappuccino als kleines Kunstwerk daher, trinkt auch das Auge mit. Hingegen weiß kaum jemand, dass beim Kaffeetrinken sogar dem Ohr einiges geboten wird. Was zuerst auffällt, ist der leise Kling-Klang, den der Löffel erzeugt, wenn er beim Umrühren gegen die Tassenwand stößt. Doch das ist nichts gegen den Cappuccino-Effekt. So altbekannt das Phänomen ist, so überraschend wirkt es auf denjenigen, der es gerade erst entdeckt. Er muss nur zufällig auf die Idee gekommen sein, den Löffel, mit dem er kurz zuvor den Milchschaum in den Cappuccino gerührt hat, mehrere Male leicht gegen die Tasse zu schlagen. Dann steigt bei jedem Schlag unüberhörbar der Ton an, als klettere er eine Tonleiter hinauf.
Das ist nicht nur bei Kaffee der Fall. Vom „hot chocolate effect“ sprach etwa Frank Crawford, der 1982 die erste physikalische Abhandlung darüber verfasste. Auch in vielen weiteren Fällen entdeckte der 2003 verstorbene Emeritus der University of California, Berkeley, die merkwürdige Tonhöhenzunahme, etwa nachdem er Pulverkaffee oder Kakao in heißes Wasser gerührt oder heißes Wasser aus dem Hahn auf bestimmte Weise in ein Glas gefüllt hatte. Mit Brausetabletten funktioniert der Effekt ebenfalls. Selbst Bier und andere kohlensäurehaltige Getränke lassen die Töne steigen – am eindrucksvollsten dann, wenn man Sand oder Salz hineinstreut. Auf diese Idee muss man allerdings erst einmal kommen.
Der offensichtliche Teil des Geschehens erschließt sich praktisch von selbst: Der Cappuccino-Effekt hat mit den aus dem Getränk entweichenden Luft- oder allgemeiner Gasblasen zu tun. Rührt man Schaumbläschen unter den Kaffee und nutzt dann den Löffel, um von außen gegen das Trinkgefäß zu schlagen, nimmt die Tonhöhe so lange zu, wie die Blasen wieder aus dem Getränk aufsteigen. Weil Cappuccino relativ stabilen Schaum bildet, lässt sich der Effekt sogar viele Male wiederholen. Denn der wesentliche Teil des Schaums sammelt sich bald wieder an der Oberfläche. Als wäre der Kaffee wie eine Spieluhr erneut aufgezogen worden, beginnt das Spiel nach jedem Umrühren von vorn.
Doch was genau wird hier gespielt? Einer der weniger offensichtlichen Aspekte des Geschehens liegt in der Entstehung des Klangs. Wenn man das Gefäß von der Seite anschlägt, sind die mechanisch- akustischen Verhältnisse ziemlich kompliziert. Denn nicht nur die Füllhöhe des Getränks, sondern auch durch die Form und das Material des Trinkgefäßes bestimmte komplexe Biegeschwingungen tragen zum entstehenden Klang bei.
Erleichtern wir uns also die Argumentation, indem wir einen Spezialfall prüfen: ein volles möglichst zylindrisches Glas, gegen das wir von unten schlagen. Dann bestimmt vor allem die schwingende Flüssigkeitssäule das Klanggeschehen. Da die Schallgeschwindigkeit in Wasser (1500 Meter pro Sekunde) diejenige in Luft (340 Meter pro Sekunde) um mehr als das Vierfache übertrifft und sich die Tonhöhe als Frequenz f = Schallgeschwindigkeit v / Wellenlänge λ berechnet, klingt ein mit Wasser gefülltes Glas mehr als viermal so hoch wie ein „leeres“, also luftgefülltes.
Die Formel verrät auch, dass ein niedrigeres, aber ebenso volles Glas noch höhere Töne erklingen lässt. Als Grundschwingung der Flüssigkeitssäule ergibt sich aus der Berechnung eine stehende Welle mit einem Schwingungsknoten am geschlossenen unteren Ende und einem Schwingungsbauch am offenen oberen Ende des Glases; die Wellenlänge der Grundschwingung beträgt also gerade das Vierfache der Säulenlänge (nebenstehende Abbildung). Sinkt die Höhe des Glasrands, sinkt auch die Wellenlänge λ, dafür steigt die Frequenz f.
Derart vorbereitet, können wir nun unser eigenes Experiment angehen. Greifen wir zum Kaffelöffel oder zu den Brausetabletten und erzeugen eine Melange aus viel Wasser und wenig Luft. Dann klopfen wir mit dem Löffel an das Glas. Was ist zu erwarten? Weil dem Wasser Luft zugefügt wurde, ist davon auszugehen, dass die Tonhöhe niedriger ist. Denn in der Luft ist die Schallgeschwindigkeit ja kleiner als in Wasser. Wegen der geringen Luftmenge sollte die Frequenzerniedrigung allerdings klein sein.
Dann aber stellen wir völlig überrascht fest, dass beim Klopfen die Tonhöhe gleich um mehrere Oktaven steigt, bis das Wasser wieder luftfrei ist! Die Frequenzerniedrigung durch Einrühren der Luft muss also erheblich gewesen sein. Woran liegt das? Wie wir gleich sehen werden, ist die Schallgeschwindigkeit in Luft für diesen Effekt fast völlig ohne Belang – das Geheimnis liegt im Wasser. Dazu muss man folgendes wissen: Ganz allgemein gilt, dass die Schallgeschwindigkeit aus zwei voneinander unabhängigen Gründen sinkt: zum einen sinkt sie mit steigender Dichte des Mediums, zum anderen aber auch mit dessen steigender Kompressibilität, also seiner „Zusammendrückbarkeit“. Dass es nicht allein auf die Dichte ankommen kann, haben wir schon daran gesehen, dass die Schallgeschwindigkeit in Wasser höher ist als die in Luft. Entscheidend ist die Kompressibilität des Mediums. Im Wasser pflanzt sich Schall also deshalb sehr schnell fort, weil die hohe Dichte des Mediums durch seine extrem geringe Kompressibilität (man sagt: Wasser ist inkompressibel) weit mehr als ausgeglichen wird. Umgekehrt verringern die Luftbläschen in unserem Experiment zwar die Dichte der Wassersäule ein wenig. Gleichzeitig erhöhen sie aber enorm ihre Kompressibilität, und senken dadurch die Schallgeschwindigkeit und mit ihr die Frequenz entsprechend stark.
Frank Crawford hat übrigens auch mit einem inversen Cappuccino-Effekt experimentiert. Er drehte den Heißwasserhahn an und wartete bis zu genau dem Moment, in dem nicht mehr kaltes, sondern warmes Wasser daraus zu fliesen begann. Durch die Erwärmung des Wassers ist die Löslichkeit der Luft gesunken und sobald das Wasser nicht mehr unter dem erhöhten Druck der Wasserleitung steht, scheidet die überschüssige Luft in Form von Bläschen aus. In dieser Situation  befüllte Crawford sein Glas und brachte es zum Klingen. Dabei musste er sich allerdings beeilen, denn die sinkende Tonhöhe ist nur während einer kurzen Zeitspanne zu hören: Die Bläschenbildung dauert genau so lange, bis sich ein neues Druckgleichgewicht eingestellt hat. Kommt sie zum Erliegen, erklingt wieder der ganz normale Cappuccino-Effekt.

Literatur:

Crawford, F. S.: The Hot Chocolate Effect. In: American Journal of Physics 50, S. 398 – 404, 1982.

PDF: Der Cappucino-Effekt

Wenn der Pool ins Schwimmen gerät. Physikalische Alltagsphänomene

Schlichting, H. Joachim. Darmstadt: Primus Verlag 2012

„Hans Joachim Schlichting ist etwas selten Schönes gelungen. Alltagsgegebenheiten aus dem Dickicht des gewohnt alltäglichen Blicks herauszuholen, eindrucksvoll aufs Bild zu bannen und dann auch noch mit physikalischen Augen zu sehen oder gar erst zu erkennen ist schon schwierig genug. Solche Phänomene dann auch noch mit einfachen Worten zu beschreiben und zu erklären gelingt derart selten, dass dieses Buch sich deutlich aus der populärwissenschaftlichen Literatur über Phänomene in Physik und Natur heraushebt. Hier trafen das außergewöhnliche Talent eines passionierten Amateurfotografen mit dem in vielen Jahren angesammelten Wissen eines Fachmanns der Physikdidaktik zusammen. Weiterlesen

Spiel, Physik und Spaß – Physik zum Mitdenken und Nachmachen

Ucke, Christian; Schlichting, H. Joachim. In: Weinheim: Wiley-VCH 2011, ISBN-10: 3527409505
ISBN-13: 978-3527409501

Produktbeschreibung: Auf den ersten Blick überrascht die inhaltliche, methodische und phänomenologische Verschiedenheit der Themen in diesem anregenden Mitmach-Buch, denn die Auswahl reicht von Spielzeugen im klassischen Verständnis über Designobjekte bis zu interessanten Gegenständen und Phänomenen des Alltags. Aber auch die Zugänge zu den Themen sind unterschiedlich! Mal stehen exploratorische und experimentelle Aspekte im Vordergrund, mal theoretische Grundlagen. Immer geht es aber um die Freude am Spiel, denn „Spiel, Physik und Spaß“ will zum Nachdenken und Mitmachen anregen. Für jedes Alter findet sich etwas: Einiges spricht schon Kinder im Vorschulalter an, anderes ist für Schüler, Studenten oder Lehrer von Interesse, wieder anderes werden ältere Leser als Spielzeug aus ihrer Jugendzeit erkennen. Weiterlesen

Optische Täuschungen im Alltag

Schlichting, H. Joachim. In: Praxis der Naturwissenschaften -PhiS 61/6 (2012), S. 5 – 14Clip_131.

Optische Täuschungen treten im Alltag der natürlichen und wissenschaftlich-technischen Welt häufiger in Erscheinung als uns normalerweise bewusst ist. Das wird an verschiedenen Beispielen dargestellt und diskutiert. Dabei wird gezeigt, dass Täuschungen nicht nur Defizite unserer Wahrnehmung darstellen, sondern oft eine konstruktive Rolle spielen. Auf jeden Fall sind Täuschungen lustig, faszinierend und fordern die physikalische Intuition heraus. Sie können daher eine Bereicherung für den Physikunterricht sein.

PDF: kann beim Autor angefordert werden (Schlichting@uni-muenster.de)

Flugzeuge mit Farbrändern

Schlichting, H. Joachim. In: Physik in unserer Zeit 43/4 (2012), S. 202

Auf Bildern von Google Earth finden sich manchmal Flugzeuge mit einem Farbsaum. Selbst Wolken zeigen auf Satellitenaufnahmen mitunter dieses Phänomen. Ursache ist die Aufnahmetechnik.

PDF: Flugzeuge mit Farbrändern

Zur physikalischen Dimension des Alltäglichen

Tropfen_am_Fenster_IMG_6525Schlichting, H. Joachim. In: Schule NRW 07/12, S. 338-342

Im Rahmen des Bildungsauftrags allgemeinbildender Schulen soll Physik als Unterrichtsfach Hilfen bereitstellen, um die natürliche und wissenschaftlich-technische Welt zu verstehen. Die Umsetzung dieser Aufgabe verlangt, dass in einem solchen Unterricht Physik auf eben diese Welt bezogen wird und nicht in ihrem fachwissenschaftlichen Gehäuse gefangen bleibt. Die Ausbildungspraxis an
Hoch schule und Schule sieht in vielen Fällen anders aus und trägt vermutlich nicht unwesentlich dazu bei, dass Physik seit Jahrzehnten zu den unbeliebtesten Schulfächern gehört. Auch der Lehrplan in Nordrhein-Westfalen für die Sekundarstufe I fordert, den Alltag der Lernenden
zum Gegenstand des Physikunterrichts zu machen.

PDF: Zur_Physikalischen_Dimension_des_Alltäglichen

Von wegen 3D

Schlichting, H. Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 43/7 (2012), S. 54-55

Ein verdunkeltes Auge genügt, damit unser visuelles System zweidimensionale Bilder als räumlich wahrnimmt. Das macht sich bei bewegten Bildern als 3D-Effekt bemerkbar.

Unsere Sinne hintergehen
fortwährend den Verstand.
Michel de Montaigne (1533 – 1592)

http://www.spektrum.de/alias/schlichting/von-wegen-3-d/1152347

Eine schöne Visualisierung des 3D-Effekts (auch Pulfrich-Effekt genannt) gelingt zum Beispiel durch einen Film eines Kettenkarussells, das durch eine Brille mit einem abgedunkelten Glas betrachtet wird.

Hart wie ein Brett

Schlichting, H. Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 43/6 (2012), S. 48-49

Verpackt man körnige Lebensmittel unter Luftabschluss, leisten sie erbitterten Widerstand gegen jegliche Verformung.

Schließlich ist das Einzige, was wir uns dem
unbegrenzten Raum zum Trotz ausdenken können,
die Kunst der Konzentration, der Sammlung,
der Einnahme einer möglichst geringen Oberfläche.
Andrzej Stasiuk (*1960)

http://www.spektrum.de/alias/schlichting/hart-wie-ein-brett/1149969

Schau nicht so genau hin

Schlichting, H. Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 43/5 (2012), S. 50 -51

Manche Dinge lassen sich nur aus der Ferne gesehen ausfinden,
und auch das Verkleinerungsglas kann auf Entdeckungen leiten.
Das Detail versteckt die großen Züge des Ganzen.
Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799)

Grob verpixete Gesichter sind kaum zu erkennen – es sei denn, man vernichtet noch mehr Information.

Schon manch einer, der im westfälischen Münster am Picasso-Museum vorbeispazierte, betrachtete dort verblüfft den Boden. Das triste, graue Pflaster wird von Steinen in zwei unterschiedlichen Farben abgelöst, die seltsam ungeordnet verlegt zu sein scheinen (oben links). Selbst auf den zweiten Blick löst sich das Rätsel nicht ohne Weiteres. Erst wenn man den Platz von einem der oberen Stockwerke des Museumsgebäudes aus betrachtet, erkennt man – Picasso selbst (oben rechts).

Steigt man aber wieder herab und stellt sich erneut vor die Pflasterung, hat man allerdings kaum etwas dazugelernt: Wieder ist das Bild vor lauter Steinen kaum zu erkennen. Was sich aus der Distanz mühelos zu einem klar gezeichneten Gesicht fügt, zerfällt bei geringem Abstand offenbar unvermeidlich in eine lose Ansammlung von Flächen.

Diese Erkenntnis steht in krassem Gegensatz zu einer schon vom österreichischen Physiker Ernst Mach 1896 aufgestellten These, dass der Mensch einen Gegenstand unabhängig davon, wie groß dieser ist, visuell identifizieren kann. Bei unterschiedlichem Abstand zu einem Objekt ändert sich zwar die Größe seines Abbilds auf der Netzhaut des Auges, trotzdem erkennen wir stets denselben Gegenstand. Der gesunde Menschenverstand hält es ebenfalls mit Mach: Wieso soll ein Gesicht anders erscheinen, wenn man es aus einem Meter oder eben aus zehn Meter Entfernung betrachtet?

Das Porträt (unten, Bild a ) setzt sich aus 14 mal 20 quadratischen Pixeln mit unterschiedlichen Grauwerten zusammen. Erkennen Sie das Gesicht? Aus der Nähe ist das fast nicht möglich. Erst wenn Sie das »versteckte« Gesicht aus einigen Metern Entfernung betrachten, tritt es zu Tage. Wider Erwarten hängt der Effekt nicht einmal davon ab, wie gut Sie die abgebildete Person kennen. Denn auch das Porträt eines Ihnen vertrauten Menschen wird Ihnen völlig fremd werden, wenn Sie es mit einer Bildsoftware auf wenige Pixel herunterskalieren. Ein vergleichbares Verfahren namens »block masking« oder Blockmaskierung war erstmals 1973 von Leon D. Harmon und Béla Julesz ersonnen worden. Die Wissenschaftler der Bell Labs in New Jersey gingen davon aus, dass einem Betrachter schon wenige charakteristische Stellen eines Gesichts genügen, damit er es erkennen kann. Über ein Porträt legten sie ein quadratisches Gitternetz und ermittelten für jedes Quadrat dessen mittlere Helligkeit. Als Nächstes identifizierten sie die Graustufe, die dieser Helligkeit entsprach, und füllten das Quadrat gleichmäßig damit. So ersetzten sie das Bild nach und nach durch wenige Quadrate unterschiedlicher Grauwerte. Berühmt wurde das nach dieser Methode »verpixelte« Porträt von Abraham Lincoln, wie es auf den amerikanischen Fünf-Dollar-Scheinen abgebildet ist.

Während der Arbeit wurde den beiden klar, dass ein Betrachter ihrer Pixelbilder dem Erkennen nachhelfen konnte – nicht, indem er genauer hinsah, sondern im Gegensatz, indem er schielte, blinzelte, defokussierte oder den Kopf schnell hin- und herbewegte. Oder er wandte den Trick an, der schon Picasso zum Vorschein brachte, vergrößerte also den Abstand zum Bild. Wie kommt es, dass die Formen eines Gesichts in der Unschärfe plötzlich deutlich hervortreten, während sie sich einem noch so scharfen Blick entziehen?

Pixeln, bis das Bild »kippt«

 Harmon und Julesz zufolge nimmt – vereinfacht dargestellt – das visuelle System des Menschen unterschiedliche Strukturelemente über verschiedene Informationskanäle wahr. Grobe und feine Strukturen eines Bilds erreichen uns demzufolge durch je einen eigenen Kanal. Was bedeutet dies für Gesichter? Es entspricht dem physiologischen Befund ebenso wie der Erfahrung, dass wir bekannte Gesichter bereits aus großer Entfernung an ihrer Grobstruktur erkennen, selbst wenn wir noch keine Details unterscheiden können. Umgekehrt bedeutet dies: Wenn wir ein Porträtbild in grobe Pixel umwandeln und dadurch die Details auslöschen, dürfte sich an seiner bloßen Erkennbarkeit nichts ändern.

Bis zu einer gewissen Pixelgröße ist das tatsächlich der Fall. Jenseits dieser Grenze kippt das Bild aber, und das Gesicht zerfällt in eine Ansammlung grauer Blöcke. Der Wechsel kommt dadurch zu Stande, dass die Wahrnehmung zunehmend durch die scharfen Kanten zwischen den Blöcken dominiert wird. Denn der Kanal für Details registriert nun nicht mehr die Einzelheiten des ursprünglichen Bilds, die ja herausgemittelt wurden, sondern vor allem die für das Gesicht völlig uncharakteristischen Kanten. Ab einer gewissen Pixelgröße springen sie so sehr ins Auge, dass sie all das unkenntlich machen, was uns über den Kanal für Grobstrukturen erreicht. Erst wenn man die scharfen Kanten mit einer Software wieder herausfiltert b , tritt eine ähnliche Wirkung wie beim unscharfen Betrachten ein: Die Kanten verschwinden, und das vergröbert dargestellte Gesicht wird wieder erkennbar. Kaum zu glauben, dass Bild b durch weitere Vernichtung von Information aus a hervorgegangen ist.

Verglichen mit den Fotos oben weist der »versteckte Picasso« übrigens Besonderheiten auf. Die Zahl der Graustufen ist auf ein Minimum, nämlich auf zwei, reduziert. Das erschwert das Erkennen, ebenso wie die perspektivische Verzerrung, die erst von einem höheren Stockwerk aus weit gehend aufgehoben wird. Andererseits sind die einzelnen Blöcke nicht so groß, die Verpixelung ist also weniger grob.

Eingesetzt wird das Phänomen vor allem in der Kunst. Schon die prächtigen Mosaiken der Antike kann man als Blockmaskierung auffassen. Aus der Nähe betrachtet lösen sie sich ebenfalls in farbige Fragmente auf. Aus der Entfernung, aus der ohnehin die meist großen Kunstwerke erst überblickt werden können, verschmelzen die Fliesen zu einem »Gemälde«. In neuerer Zeit waren es die Pointillisten, welche die Wirkung der Unschärfe in ihren Werken einkalkulierten. Dessen Hauptvertreter Georges Seurat trug punktförmige Farbtupfer mit möglichst reinen Farben penibel rasterartig auf. So nebeneinandergesetzt überzogen sich die Farben mit einem komplementärfarbigem Schimmer der Nachbarfarbe. Der Farbeindruck ergab sich erst beim Sehvorgang des Betrachters: Die Farbe mischte sich sozusagen optisch, nicht auf der Palette oder auf der Leinwand. »Schau doch genauer hin!«, sagen wir gelegentlich zu Menschen, die eine entscheidende Information übersehen haben. Überraschenderweise können Details aber auch stören. Dann ist mit diesem Rat niemandem geholfen, und es muss vielmehr heißen: »Schau nicht so genau hin, dann wirst du es schon erkennen!

Originalpublikation

Licht im Schatten

Schlichting, H.Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 43/4 (2012), S.44-45

Aber vor allem ist er sichtbar,
indem er undurchsichtig ist.
Hans Blumenberg (1920 – 1996)

Der Strahlenkranz eines Axicons scheint den Schatten der eigenen Hand ungehindert durchdringen zu können.

Undurchsichtige Gegenstände lassen kein Licht hindurch – daran gibt es eigentlich nichts zu rütteln. Auch der Schatten eines solchen Gegenstands ist sozusagen undurchsichtig, denn durch ihn wird ebenfalls nicht einfach Licht treten. Allerdings sollten wir uns dessen nicht allzu sicher sein, wie ein Blick auf das Foto (rechts) lehrt. Hier scheint der Schatten einer Hand eben doch strahlendes Licht hindurchzulassen. Die etwas beunruhigende Frage lautet: Wie kommt es dort hin?
Bringen wir ein wenig Durchsicht in die Angelegenheit. Das Foto entstand, als wir das Beugungsverhalten einer Musik-CD untersuchten. Ihre metallische Beschichtung hatten wir zuvor entfernt . Dann benutzten wir die feinen Spurrillen als Reflexionsgitter, mit dem wir das aus einem Fenster in den Raum fallende Sonnenlicht an eine weiße Wand projizierten. Doch bei der Suche nach einem geeigneten Reflexionswinkel (siehe Skizze) drehte der Experimentator die CD-Scheibe versehentlich ein Stück zu weit. Und das Licht fiel durch die CD hindurch. Die Scheibe war also unversehens zu einem Transmissionsgitter geworden. Das durch sie hindurchgehende Licht wurde gebeugt und auf der Wand zu farbiger Interferenz gebracht. Allerdings landete das Licht eben auch dort, wo man es nicht erwartete – nämlich mitten im Schatten der Hand.
Äußern wir eine erste Vermutung. Die blauen Lichtspeichen des Strahlenkranzes weisen etwa in Richtung der Fingerzwischenräume. Das Licht könnte also von jenen Teilen der CD stammen, die nicht von Fingern abgedeckt sind, und von dort zur Mitte hin gelenkt werden. Diese Hypothese können wir leicht überprüfen. Ein solches System müsste ja eine Brennweite besitzen, also einen Abstand zwischen CD und Wand, bei dem der Brennpunkt genau auf der Wand liegt und das Zentrum des Strahlenkranzes darum besonders scharf erscheint.
Variieren wir also den Abstand zwischen CD und Projektionswand. Auf einen Brennpunkt stoßen wir dabei aber erstaunlicherweise nicht, sondern vielmehr auf etwas, das eher einer vertikal zur CD orientierten Brennlinie ähnelt. Denn wir können den Abstand zur Wand um bis zu 15 Zentimeter verändern, ohne dass sich die Schärfe des Bildes verändert. Eine solche Tiefenschärfe wäre bei Abbildungen mit Linsen nicht zu erreichen.
Wem die Abbildung der Sonne zu langweilig ist, kann auf dieselbe einfache Weise auch andere strukturiertere Objekte abbilden. Am besten gelingt dies mit einem selbstleuchtenden Objekt, z. B. einer Lichterkette. Auch hier erweist sich die CD als abbildendes System, denn die Lichterkette wird ebenfalls über einen weiten Tiefenbereich hinweg scharf an der Wand abgebildet.
Und noch etwas fällt auf. Dass die CD teilweise verdeckt ist, verschlechtert die Abbildung nicht etwa, sondern lässt sie sogar hervortreten. Denn könnte Licht direkt durch das Loch in der Mitte der CD gelangen, würde es das Bild schlicht überstrahlen. Beim Experimentieren empfiehlt es sich daher, das rillenfreie „inaktive“ Zentrum der CD kreisförmig abzudecken.
Auf diese Weise kann man übrigens doch noch einen Brennpunkt finden. Deckt man nämlich, von innen beginnend mehr und mehr Spurrillen der CD ab, so verkürzt sich die Brennlinie entsprechend. Dies kann man so lange weitertreiben, bis nur noch wenige Rillen zur Abbildung beitragen. Dann ist die Brennlinie zum Brennpunkt geschrumpft.
Doch wie kommt nun der Strahlenkranz zustande? Ursache ist die Beugung des Lichts an den spiralförmig verlaufenden mikroskopisch feinen pits (Vertiefungen) und lands (Flächen). Diese bilden näherungsweise ein System aus Ringen mit nahezu identischen Abständen. Aus Symmetriegründen wird das Licht zum einen zur optischen Achse hin (untere Abbildung, durchgezogene Linien) und zum anderen von der optischen Achse weggebeugt (gestrichelte Linien). Mit einigem Recht lässt sich daher sagen, dass die CD das Licht sowohl fokussiert als auch defokussiert. Zu dem von uns untersuchten Phänomen trägt allerdings nur das Licht bei, dessen Weg mit durchgezogenen Linien markiert ist. Überdies haben wir nur Licht der 1. Beugungsordnung dargestellt; allein dieses liefert Beiträge zur Brennlinie. Die Brennlinien höherer Ordnung sind zu lichtschwach, um ohne Weiteres erkannt zu werden.
In dem weißen Licht, mit dem wir hier arbeiten, sind alle Spektralfarben gemischt. Zur Brennlinie trägt jedoch jede Farbe einzeln bei. In der Grafik ist der besseren Anschauung halber darum rotes Licht – also elektromagnetische Wellen am langwelligen Ende des sichtbaren Spektrums – als rote Linie dargestellt. Rotes Licht wird unter dem größten Winkel gebeugt und kennzeichnet den Beginn der Brennlinie. Blauviolettes Licht wird dagegen unter dem kleinsten Winkel gebeugt und kennzeichnet das Ende der Brennlinie.
Dies erklärt auch folgende Beobachtung: Hält man die Scheibe zunächst dicht vor die Wand, sieht man dort, wo sich Brennlinie und Wand schneiden, einen roten Punkt. Vergrößert man den Abstand, wechselt dessen Farbe über orange nach weiß, grün und schließlich blau (untere Abbildung). Dabei tritt Weiß erst dann auf, wenn auch noch das blau-violette Licht aus den innersten Rillen hinzutritt.
Die Brennlinie erstreckt sich nicht isoliert im Raum, sondern ist umgeben von farbigem Licht viel geringerer Intensität. Denn nachdem das gebeugte Licht 1. Ordnung sich auf der optischen Achse gekreuzt hat, läuft es wieder auseinander und erreicht ebenfalls die Wand.
Nun müssen wir nur noch den Eindruck zerstreuen, dass wir hier ein neues Phänomen entdeckt hätten. Vielmehr haben wir es mit einem sogenannten Axicon zu tun, das wohl erstmals von John H. McLeod im Jahr 1954 im Journal of the Optical Society of America beschrieben wurde. Nach McLeods Definition ist ein Axicon ein optisches Element, das einen Punkt in ein Liniensegment längs der optischen Achse verwandelt. Genau das ist hier zu beobachten: Der weiße Fleck (Querschnitt durch die Brennlinie auf der Wand) beziehungsweise das komplexe Lichtmuster sind Abbilder der jeweiligen Lichtquelle, werden aber über einen auffallend großen Bereich hinweg scharf abgebildet. Dem Vorteil der enormen Tiefenschärfe steht allerdings entgegen, dass die Qualität der Abbildung geringer ist als bei konventionellen, linsenbasierten Methoden.
Lässt sich ein Axicon vielleicht auch mit Hilfe von Lichtbrechung anstelle von Lichtbeugung erzeugen? Das geht tatsächlich. Auf die Farbaufspaltung des Lichts muss man dabei allerdings verzichten. Man bringe Schmirgelpapier mit Hilfe einer Bohrmaschine zum Rotieren und ritze Rillen in eine alte Glasscheibe. Das Resultat ist zwar nicht besonders gleichmäßig (mittlere Abbildung), erfüllt seinen Zweck aber gut: Lässt man nämlich Sonnenlicht durch das Glas fallen und hält dahinter einen Finger in den Strahlengang, wird auch hier der Schatten des Fingers durch das Licht des Axicons aufgehellt.
Heute haben Axicon-„Linsen“ längst Anwendung in Forschung und Technik gefunden. Vor allem konisch geformte Exemplare kommen dabei zum Einsatz. Sie bilden eine Punktlichtquelle in eine Linienlichtquelle längs der optischen Achse ab oder transformieren Laserstrahlen in Lichtringe.

Literatur:
McLeod, J.: The Axicon: A New Type of Optical Element. In: Journal of the Optical Society of America, 44/8, S. 592-597, 1954.

Dies ist die Einreichversion einen Beitrags in Spektrum der Wissenschaft.
PDF: http://www.spektrum.de/alias/schlichting/licht-im-schatten/1145656

Lange Winter lange Zapfen

Lange WinterSchlichting, H. Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 43/3 (2012), S.52-53

An meiner Dachkante hängt
Eiszapfen neben Zapfen,
starr,
die fangen zu schmelzen an,
Tropfen auf Tropfen blitzt,
jeder dem andern unvergleichlich,
mir ins Herz.
Richard Dehmel (1863 – 1920)

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Farbenfrohe Eisschollen

Eisscholle-im-polarisiertenSchlichting, H. Joachim. In: Physik in unserer Zeit 43/1 (2012), S. 45

In bunten Farben schillernde Eisschollen verdeutlichen, dass Eis doppelbrechend ist. Darüber hinaus zeugt es von der teilweisen Polarisation des Himmelslichts.

PDF: Farbenfrohe Eisschollen

Temperierende Atemluft

Temperierte_AtemluftSchlichting, H. Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 43/1 (2012), S. 52 – 53

Durch Darüberblasen lassen sich Dinge sowohl erwärmen als auch abkühlen. Wie das?

Was? … du bläsest aus einem Munde warm und kalt?
Geh, mit dir mag ich nichts zu tun haben!
Aesop (um 600 v. Chr.)

http://www.spektrum.de/alias/dachzeile/temperierende-atemluft/1130110

Was das Feuer am Leben hält

Schlichting, H. Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 42/12 (2011), S. 44 – 45

Damit eine Kerzenflamme ruhig brennen kann, müssen zahlreiche komplexe Vorgänge perfekt aufeinander abgestimmt sein.

In der Flamme sind alle Naturkräfte tätig.
Novalis (1772 – 1801)

Die gute alte Kerze hat alle Neuerungen der Beleuchtungstechnik überstanden. Gerade auch in der Adventsund Weihnachtszeit, wenn die Tage kürzer werden, setzt sie Zeichen der Hoffnung, der Freude und des Lebens. Was aber denkt sich der Physiker bei ihrem Anblick? Ihn beeindruckt über all das hinaus der Kontrast zwischen der Einfachheit der ruhig vor sich hin brennenden Flamme und dem, was unsichtbar bleibt: dem komplexen Zusammenspiel physikalischer, chemischer und technologischer Vorgänge, die das Phänomen erst möglich machen.
Die Kerzenflamme, so beständig sie erscheint, ist Ergebnis eines äußerst bewegten Mikrogeschehens: In jedem Moment verlassen Teilchen verglühend den klar umgrenzten Bereich der Flamme und werden durch neu erglühende Teilchen ersetzt. Rein energetisch betrachtet ist die Flamme der sichtbare Teil einer „dissipativen Struktur“ (Ilya Prigogine), eines von Energie und Materie durchströmten Systems fernab vom thermodynamischen Gleichgewicht. Aufrechterhalten wird die Flamme durch die Dissipation von Energie: Sie nimmt hochwertige chemische Energie und Materie in Form von Kerzenwachs und Sauerstoff auf und gibt im Gegenzug Wärme und Gase an die Umgebung ab. Energie- und Materieströme bleiben dabei im zeitlichen Mittel konstant. Warum klappt das so gut? Oder etwas technischer gefragt: Wie kommt es zu dieser eindrucksvollen Selbstorganisation gut aufeinander abgestimmter Vorgänge?
In der Regel wird eine Kerze mit Hilfe einer anderen Flamme entzündet. Das im Docht enthaltene erstarrte Wachs beginnt dabei zu schmelzen und zu verdampfen. Schließlich erreicht es eine so hohe Temperatur, dass es mit dem Sauerstoff der Luft reagiert und verbrennt, wobei Wasserdampf und Kohlenstoffdioxid entstehen. Außerdem wird Energie frei, die als Bewegung, Wärme und Licht der Flamme in Erscheinung tritt. Danach geht alles wie von selbst. Dank der von der Flamme ausgehenden Wärmestrahlung sorgt »das System« eigenständig für Nachschub an Brennstoff. Von der Hitze flüssig gehalten steigt das Wachs durch die Kapillaren des Dochts nach oben. Gleichzeitig schmilzt die Flamme einen schüsselförmigen Brennstofftank in das obere Ende der festen Kerzensubstanz und füllt ihn mit Vorrat. Auch der Tank erneuert sich ständig, wenngleich man ihm das nicht ansieht: Das feste Wachs, aus dem seine Wand besteht, schmilzt in genau dem Maß, in dem der Docht flüssiges Wachs ins Reaktionszentrum der Flamme transportiert. Erst dort, am oberen Ende des Dochts, verdampft und verbrennt das Wachs schließlich. Denn das flüssige Wachs im Docht liefert die zur Verdampfung nötige Wärme, wodurch seine eigene Temperatur unterhalb des Siedepunkts gehalten wird.

Der Docht neigt sich zur größten Hitze
Probleme gäbe es erst, wenn der Docht zu lang würde. Dann wäre das Gleichgewicht zwischen Brennstoff- und Sauerstoffzufuhr gestört, und die Kerze begänne zu rußen. Doch auch in dieser Hinsicht organisiert sich die Flamme selbst. Weil die brennende Kerze kürzer wird und der heiße Saum der Flamme sich mit ihr nach unten bewegt, schiebt sich der Docht kontinuierlich in die Hitzeregion hinein. Dort verkohlt und verdampft seine Spitze, was seine Länge konstant hält. Zudem kippt der biegsame Docht, je länger er wird, zur Seite weg und damit genau in den bestens mit Sauerstoff versorgten Bereich der Flammenoberfläche. Hier ist die Flamme rund 1400 Grad Celsius heiß, und hier beginnt der Docht auch zu glühen.Kerze_Funktion
Selbst die elegante, stromlinienförmig nach oben gezogene Gestalt der Flamme ist keine bloße Laune der Natur. In ihr wird ein Konvektionsvorgang sichtbar, der für die Funktion des Systems wesentlich ist. Die Temperatur der heißen Flamme sorgt für eine im Vergleich zur Umgebungsluft geringe Dichte der Verbrennungsgase. Der entstehende Auftrieb lässt diese zügig aufsteigen, was Platz schafft für die von unten nachströmende sauerstoffreiche Frischluft. Dieser Vorgang ist für den Fortgang der Verbrennung ebenso wichtig wie der Wachsdampf selbst. Die heißen Gase steigen in einem schmalen Schlauch auf. Das spürt man schon mit bloßen Fingern, es geht aber auch gefahrloser. Stellt man die brennende Kerze ins helle Sonnenlicht, bildet dieses den Schlauch an der dahinterliegenden Wand ab (oben). Denn beim Übergang zwischen kalter Umgebungsluft und heißen Verbrennungsgasen ändert sich schlagartig der Brechungsindex. Ein Teil des Lichts, welches durch das Innere des Schlauchs fällt, wird nach außen abgelenkt und überlagert sich mit dem nicht abgelenkten Licht zu einem schmalen, hellen Band.
Da die Konvektion in der Schwerelosigkeit nicht funktioniert, kämen Raumfahrer nie in den Genuss einer normalen Kerzenflamme. Was aber sähen sie stattdessen? Fixieren Sie einfach eine brennende Kerze in einem durchsichtigen Gefäß und werfen Sie dieses einem (guten) Fänger zu. Während des Flugs sehen Sie, wie die Flamme zu einer winzigen, blau leuchtenden Lichtkugel zusammenschrumpft. Weil unter diesen Bedingungen die Konvektion wegfällt, wird die Flamme nämlich nur über die vergleichsweise langsam ablaufende Diffusion mit Sauerstoff versorgt.
Die Hartnäckigkeit, mit der eine Kerzenflamme allen Störungen zum Trotz stets wieder dieselbe Größe einnimmt, beruht auf nichtlinearen Rückkopplungsvorgängen. Wächst die Flamme, muss ein entsprechend größeres Volumen mit Sauerstoff und Wachs versorgt werden. Da das Volumen mit der dritten Potenz der Flammengröße zunimmt, gilt dies auch für das Volumen der zu- und abgeführten Gase. Der Nachschub an Gasen erfolgt aber zwangsläufig durch die äußere Grenzschicht der Flamme, die ihrerseits nur mit dem Quadrat der Flammengröße variiert. Berücksichtigen wir nun noch, dass die Geschwindigkeit, mit der die Gase nachströmen, nicht beliebig groß werden kann, ist dem Flammenwachstum zwangsläufig eine Grenze gesetzt. Dies gilt auch umgekehrt. Verkleinert eine vorübergehende Störung die Flamme, sind auf einmal mehr Verbrennungsgase vorhanden, als benötigt werden. So kann das Gebilde wieder wachsen, bis erneut ein stationäres Gleichgewicht erreicht ist.
Doch warum leuchtet die Flamme überhaupt? Bei der Reaktion von Wachsdampf und Sauerstoff wird auf kleinstem Raum so viel Energie frei, dass die meisten Gasatome in Elektronen und Atomrümpfe – kurz: in ein Plasma – zerlegt werden. Die Natur strebt aber nach Zuständen minimaler Energie. Die Teilchen versuchen also, wieder Gasatome zu bilden, und entledigen sich ihrer überschüssigen Energie durch Aussenden von Lichtteilchen.
Weit wichtiger für die Kerze als Lichtquelle ist aber ein anderer Effekt. Im Inneren der Flamme klappt es mit dem Sauerstoffnachschub nicht mehr so gut. Wie die Farben zeigen (Foto linke Seite), nimmt die Temperatur darum allmählich ab, bis sie in unmittelbarer Dochtnähe noch lediglich 600 bis 800 Grad Celsius beträgt. Das verdampfende Wachs verbrennt dort nur unvollständig. Der nicht verbrannte Kohlenstoff lagert sich zu Rußteilchen zusammen, die mit den Abgasen nach oben steigen und in dem weiß erscheinenden Bereich der Flamme bei etwa 1200 Grad Celsius zu glühen beginnen. Vor allem diesem Glühen ist es zu verdanken, dass die Kerze so hell leuchtet! Eine chemische Unvollkommenheit – schlechte Verbrennung – trägt also wesentlich zu ihrer technologischen Vollkommenheit bei. Es sind übrigens auch genau diese Rußteilchen, die Licht absorbieren und daher der Flamme selbst zu einem Schatten verhelfen.
Ist Ihnen aufgefallen, dass die Stoffwechselvorgänge der Kerze denen von Pflanzen und Tieren überraschend ähneln? In beiden Fällen sind es die Aufnahme von Sauerstoff und Nährstoffen sowie die Abgabe von Wasser, Kohlenstoffdioxid und anderen Substanzen, welche für den Fortbestand der Systeme sorgen. Das haben schon die Dichter erkannt: »Der Baum ist nichts anderes als eine blühende Flamme«, formulierte etwa Novalis. Manchem diente die Metapher sogar als Bild für das Leben schlechthin: »Das, was sich in der Schöpfung Leben nennt«, schrieb Johann Gottfried Herder, »ist in allen Formen und allen Wesen ein und derselbe Geist, eine einzige Flamme.«

http://www.spektrum.de/alias/schlichting/was-das-feuer-am-leben-haelt/1124690

Antibubbles – Experimentelle Zugänge

Suhr, Wilfried; Schlichting, H. Joachim. In: PhyDid B – Didaktik der Physik – Beiträge zur DPG-Frühjahrstagung 2011 (ISSN 2191-379 X)

So als hätte man bei einer gewöhnlichen Seifenblase die Materialien Luft und Wasser vertauscht, bestehen Antibubbles aus einer Wasserkugel, die durch eine dünne Luftschicht vom umgebenden Wasser getrennt ist. Diese fragilen, schillernden ”Perlen”, die jeder mit etwas Übung herstellen kann, werfen eine Reihe physikalischer Fragen auf, von denen sich einige mit schulischen Mitteln beantworten lassen. Weil die Totalreflexion den Einblick in das Innere der Antibubbles einschränkt, bleibt ihre genaue Beschaffenheit im Verborgenen. Dennoch verschaffen mechanische und optische Methoden gewissermaßen einen Blick durchs Schlüsselloch, der Aufschlüsse über ihren Aufbau und ihre Dynamik liefert.

PDF: Antibubbles

Spiegelwelt mit Fehlern

Dopelspiegel_IMG_3492rvSchlichting, H. Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 42/9 (2011), S.40-41

Manche vermeintlichen Rätsel lassen sich erst lösen, wenn wir stillschweigend Vorausgesetztes auf den Prüfstand stellen.

»Eine komische Stadt, senkrecht zu ihrer Spiegelung. Es gibt Stunden, in denen das Wasser sich beruhigt und plötzlich der Schein sich bildet. Das harte, trockene Venedig steigt aus einer platten Spiegelung, eine auf einen Spiegel gestellte Stadt …
Die Architektur ist nicht wahnsinnig, sie hat alle Sinne beisammen, ihre Vernunft ist die Schwerkraft, ihre Einsicht die G erade, die man zieht, die G erade, der kürzeste Weg von einem Punkt zum andern. Ihre L eichtheit ist die besiegte Schwerkraft. Die Mauer steht, weil sie vernünftig ist. B eschränktes, beschränktes Denken, Reize geometrischer Denkweise.«
Jean-Paul Sartre (1905 – 1980)

Jean-Paul Sartre sah die Architektur im Spiegel und entdeckte darin Vernunft, Einsicht und Geometrie. Eines Tages erinnerte ich mich der Sätze des Philosophen, als ich auf dem Bahnhofsvorplatz einer norddeutschen Stadt die Wartezeit auf einen verspäteten Zug überbrückte. Dort wurde mein Blick nämlich von der Spiegelwelt in einem Wasserbecken gefangen (oberes Foto). Ein nicht ungewöhnliches Bild: Ein hell erleuchtetes Gebäude wird im ruhigen Wasser wie in einem auf dem Boden liegenden Spiegel reflektiert. Aber etwas stimmte nicht. Ist die Architektur, zumindest die gespiegelte, doch wahnsinnig geworden?

Spiegel sollten eigentlich naturgetreue Abbilder von Gegenständen liefern. In Spiegelbildern bleiben Längen und Winkel erhalten, nur die Seiten der Objekte sind miteinander vertauscht. Doch der Sonnenreflex in der zweiten Fensterreihe des Gebäudes strahlt in der Spiegelwelt des Wassers aus einem anderen Stockwerk heraus, nämlich dem nächst höheren! (Mit „höher“ wollen wir auch in der Spiegelwelt das beschreiben, was näher an Spiegeldach und Spiegelhimmel liegt.)

Schon für sich genommen ist dieses Phänomen recht erstaunlich. Der Mathematiker Lewis Carroll, Autor von „Alice im Wunderland“, hätte seine Freude daran gehabt. Und für Alices Katze wäre es möglicherweise ein Hinweis gewesen, dass in der Spiegelwelt doch einiges anders ist: „Wie gefiele dir das, Mieze“, fragt Alice leicht drohend ihre kleine schwarze Katze, „wenn du in dem Haus hinterm Spiegel wohnen müsstest? Ob sie dir dort auch deine Milch zu trinken gäben? Aber vielleicht schmeckt Spiegelmilch nicht besonders gut …“

Die naheliegende Frage lautet: Muss der Sonnenreflex, den wir im realen Fenster sehen, tatsächlich auch aus dessen Spiegelbild strahlen? Überprüfen wir diese stillschweigende Voraussetzung – eine geradezu hartnäckige Intuition, wie sich im Gespräch mit Mitmenschen leicht feststellen lässt –, indem wir uns mit Sartre von den „Reizen geometrischer Denkweise“ verführen lassen. In Abbildung 2 ist die Situation skizziert. Sonnenstrahlen treffen parallel auf die Fenster und werden spiegelnd reflektiert. Das Licht der im oberen Fenster reflektierten Sonne fällt dabei gemäß dem Gesetz „Einfallswinkel gleich Reflexionswinkel“ ins Auge des Beobachters. Das im darunter liegenden Fenster reflektierte Licht fällt hingegen zunächst auf die Wasseroberfläche und wird erst von dort ins Auge reflektiert. Wie bei jeder Spiegelung kann das Auge von dieser Umlenkung des Lichts nichts „wissen“. Das zweimal reflektierte Sonnenlicht scheint daher von einem Ort zu stammen, der auf der geradlinigen Verlängerung des eintreffenden Lichtstrahls liegt.

Entgegen unserer Intuition muss es zwangsläufig so aussehen, als käme der gespiegelte Reflex aus dem „falschen“ Fenster. Aber – anders als es Bild 1 zeigt – nicht aus einem höheren, sondern aus einem niedrigeren Fenster der Spiegelwelt. Eine gewisse Beruhigung angesichts dieser scheinbaren Differenz zwischen Realität und physikalischer Beschreibung erfährt man, wenn man auch diese Situation tatsächlich beobachtet (Bild 3)!

Statt die Verwirrung weiter wachsen zu lassen, ziehen wir erneut die Geometrie zu Rate. Welche Wege müssten denn Lichtstrahlen einschlagen, damit die in Blld 1 beobachtete Situation zustande kommt? Offenbar müssten die von den Fenstern reflektierten Lichtstrahlen einander überkreuzen, denn nur so kann es zu einer „Vertauschung“ der Reflexe kommen (Skizze 4). Andererseits wissen wir bereits aus der Schule: Lichtstrahlen, die aus derselben Richtung kommen und an senkrechten Spiegelflächen reflektiert werden, werden einander nie überschneiden.

Nach Lage der Dinge bleibt uns nun nichts anderes, als unsere stillschweigenden Voraussetzungen abermals zu überprüfen. Wenn wir nicht gleich die Gesetze der Lichtausbreitung in Zweifel ziehen wollen, ist es am einfachsten anzunehmen, dass die Fenster möglicherweise doch nicht senkrecht orientiert sind. Und siehe da, plötzlich ist es nicht mehr schwierig, sich die Situation vorzustellen: Das spiegelnde Fenster in Foto 1 steht offenbar „auf kipp“, ist also gegen die Senkrechte ins Innere des Gebäudes geneigt (siehe Grafik 4).

Wer noch zweifelt, kann das Ergebnis sogar überprüfen. Betrachten wir Foto 1 im Licht der gesammelten Erkenntnisse erneut, erkennen wir am oberen Ende des ansonsten überbelichteten Fensters einen rudimentären Schattenstreifen. Genau dieser Schattenstreifen tritt auch bei anderen Fenstern in der oberen Reihe auf: bei jenen nämlich, die auch einen seitlichen Schatten aufweisen, der sich wiederum unmittelbar mit ihrer Kippstellung erklären lässt. Man sieht: die Lösung des Problem erfordert nicht die Kenntnis der physikalischen Gesetze, sondern auch das kreative Vermögen, stillschweigende Voraussetzungen zu erkennen und zu überwinden.

Was wir hier mit einfachen geometrischen Mitteln an einer Fensterfront erprobt haben, ist grob gesehen dem ähnlich, was auch Oberflächenphysiker tun. Sie bestrahlen eine unbekannte Oberfläche mit Licht oder Teilchen einer bekannten Quelle. Die Modifikation der Strahlung in Form der registrierten Reflexe gibt ihnen dann Aufschluss über die mikroskopische Beschaffenheit der Oberfläche. Anders als im vorliegenden Fall haben sie jedoch nicht die Möglichkeit, sich von der Korrektheit ihrer Schlussfolgerungen durch einen direkten Anblick zu überzeugen.

Die ästhetischen Reize, die in einer durch Spiegelung verdoppelten und variierten Welt liegen, erfasst das physikalische Denken zwar nicht. Und Assoziationen wie sie Sartre angesichts der Spiegelungen im Wasser anstellt, liegen ihm ebenfalls fern. Aber gerade durch diese Beschränkung, die sich die Physik im Übrigen selbst auferlegt hat, lässt es uns zu Ergebnissen gelangen, die anders nicht zu haben sind. Und das ist mindestens ebenso faszinierend. Zumal unser Erkenntnisgewinn über die konkreten Beispiele hinausgeht.

Auch wenn es vor wenigen Minuten noch kaum möglich erschien, sollte es im Lichte der vorangegangenen Ausführungen dem aufmerksamen Leser gelingen, das in der Aufnahme rechts (Bild 5) dargestellte „Rätsel“ zu lösen.

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http://www.spektrum.de/alias/schlichting/spiegelwelt-mit-fehlern/1116468

Spaziergang am Meer

Schlichting, H. Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 42/8 (2011), S. 54-55

Fußspur_StrandrvWeil sich Wasser gern um Sandkörner legt, läuft man am Strand zuweilen wie auf einem befestigten Weg.

Ich meine nicht den Wüstensand,
Den Tummelplatz des wilden Hirschen;
Die Körner mein’ ich, die am Strand
Des Meeres unter mir erknirschen.
Ferdinand Freiligrath (1810 – 1876) Weiterlesen

Der schwingende Weihrauchkessel

Schlichting, H. Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 42/7 (2011), S. 58-59

Wird ein pendelnder Körper periodisch angehoben und abgesenkt, gewinnt er Energie. Warum?

http://www.spektrum.de/alias/schlichting/der-schwingende-weihrauchkessel/1072103

Wenn Shampoo Sprünge macht

Kaye_IMG_2489Schlichting, H. Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 42/6 (2011), S. 48-49

Sobald bestimmte zähe Substanzen Scherkräften unterliegen beginnen sie plötzlich, sich zu verflüssigen.

… etwas, das trotz aller Flüssigkeit
in der Substanz eine Solidität in
der Form erreicht.
Italo Calvino (1923 – 1985)

Shampoo ist zum Haare waschen da – denkt man zumindest. Doch kaum betrachtet man die Substanz mit ein wenig Neugier, beschert sie uns ein eindrucksvolles Phänomen, das sogar schon die physikalische Forschung auf den Plan gerufen hat.
Ich selbst stieß zufällig darauf. Eines Tages drückte ich wieder einmal die zähflüssige Masse aus der Shampooflasche und ließ sie in einem dünnen Flüssigkeitsfaden auf meinen Handteller fließen. Plötzlich schoss der Strahl in weitem Bogen von der Hand weg, obwohl es schien, dass er sich bereits mit dem entstandenen kleinen Flüssigkeitshaufen vereinigt hatte (Foto oben).
Zuvor hatte ich Shampoo für eine träge und zähe Substanz gehalten – ein solch agiles Verhalten hätte ich ihr nie zugetraut. Und doch lässt sich das Phänomen mit vielen Shampoos und flüssigen Seifen reproduzieren. Sorgen wir zuerst dafür, dass wir es in Ruhe beobachten können. Wir nehmen eine große Schale mit ebenem Boden und fixieren den Shampoospender etwa 20 Zentimeter darüber. Zu Beginn lässt das Haarwaschmittel ähnlich wie andere zähe Flüssigkeiten, Honig etwa oder Sirup, einen kleinen Flüssigkeits-„Berg“ entstehen.
Trifft der Strahl nicht genau die Spitze des Bergs, sondern seine Flanken, kommt es vor, dass der Shampoostrahl einen mehr oder weniger großen Sprung zur Seite macht und sich dabei sogar zu enormen Höhen aufzusteilen vermag. Offenbar bildet sich durch die Wucht des auftreffenden Strahls zunächst eine kleine Mulde in der vergleichsweise „festen“ Substanz des ruhenden Shampoos. Mit dem fallenden Shampoo geht indessen Seltsames vor sich: Es lässt sich von den Muldenwänden umlenken und schießt als Flüssigkeitsjet scheinbar mühelos wieder in die Höhe. Dieser weist umso steiler nach oben, je tiefer die Mulde ist. Das Ergebnis erinnert an die unerwarteten Wasserfontänen beim Geschirrspülen, wenn ein fester Strahl aus dem Wasserhahn zufällig auf einen flachen Löffel oder auch in eine tiefe Kelle trifft.
Das Phänomen des Shampoojets ist indessen nur von kurzer Dauer. Denn der viskose Haufen und damit die Rampe, von welcher der Jet abhebt, laufen binnen weniger Sekunden auseinander. Doch kaum ist der Jet unterbrochen, lässt das von oben nachfließende Shampoo einen neuen Haufen anwachsen, der wiederum als Abschussrampe fungieren kann und so weiter.
Ein genauer Blick zeigt, dass der Shampoostrahl beim Gang durch die Mulde dicker wird (Abbildung Mitte). Weil er keine Substanz verloren hat, kann das nur bedeuten, dass er an GeschwKaye_effektrvindigkeit eingebüßt hat: Offenbar gibt er einen Teil seiner Bewegungsenergie als Reibungsenergie an die Muldenwand ab. Diese so genannte Energiedissipation ist auch der Grund dafür, dass Jets erst ab einer minimalen Fallhöhe auftreten. Ist die Höhe indessen geringer, wird die Bewegungsenergie vollständig dissipiert – für den Jet bleibt dann nichts übrig.
Aus diesem Sachverhalt könnte man umgekehrt schließen, dass die Shampoojets umso höher werden, aus je größerer Höhe die Flüssigkeit fällt. Doch stimmt das? Weil mit der Fallhöhe die Bewegungsenergie des Strahls zunimmt, vertieft er die Mulde entsprechend. Damit wächst aber auch die dissipierte Energie, denn schließlich verlängert sich die Strecke, entlang welcher der Strahl in Kontakt mit der Muldenwand tritt.
Die Dissipation nimmt dabei offensichtlich schneller zu als die Bewegungsenergie. Schließlich gehört es zu den Grundprinzipien unserer physikalischen Welt, dass bremsende Kräfte immer mit höherer Potenz als beschleunigende Kräfte wachsen – sonst würden die Dinge stets weiter beschleunigt und kämen nie zur Ruhe. Aus diesem Grund kann auch der Jet eine (von den jeweiligen Umständen abhängige) maximale Höhe nicht überschreiten.
Über kurz oder lang, so zeigen die Beobachtungen ebenfalls, kommt der immer steiler aus der Mulde herausschießende Jet dem fallenden Flüssigkeitsstrahl ins Gehege. Das kann man aber verhindern. Neigt man die flache Unterlage und damit die Oberfläche des – wegen seiner großen Viskosität nur langsam hinabrutschenden – Shampoos ein wenig, verkleinert sich der Abschusswinkel gegenüber der Horizontalen. Weil der Jet nun mehr zur Seite als in die Höhe schießt und auch flacher wieder auf der Flüssigkeit auftrifft, entsteht eine entsprechend flachere Mulde, so dass die Energie zu einem weiteren Start ausreicht. Im günstigsten Fall entstehen sogar ganze Kaskaden von Jetbögen schnell abnehmender Höhe.
Beim Auftreffen auf einem ebenen Boden bestimmt der Zufall die Flugrichtung der Jets. Bei geneigter Schale ist die Symmetrie jedoch gebrochen. Die entstehende Mulde ist nun asymmetrisch und besitzt auf ihrer „talwärts“ gerichteten Seite geringere Höhe. Auf dieser Seite ist daher auch die Kontaktstrecke zwischen Flüssigkeitsstrahl und Wand minimal und damit die dissipierte Energie. Genau dies strebt die Natur an: die Rate zu minimieren, mit der Energie dissipiert wird. Und genau darum bewegen sich die Jets nun vorzugsweise talwärts.
Diese wie ein schönes Spiel erscheinenden Vorgänge sind auch Gegenstand ernsthafter physikalischer Forschung. Der britische Physiker Arthur Kaye war 1963 der erste, der das nun nach ihm als Kayeeffekt benannte Phänomen beschrieb. 2006 klärte dann ein Team um Michel Versluis von der niederländischen University of Twente die physikalischen Zusammenhänge genau auf.
Ursache des Kayeeffekts ist eine merkwürdige Eigenschaft des Shampoos: Anders als im Fall Newtonscher Flüssigkeiten, welche konstante Viskosität besitzen, ändert sich die Viskosität nicht-Newtonscher Flüssigkeiten, sobald sie geschert werden, also eine seitliche Kraftwirkung erfahren. Im Fall des Shampoos wird die Viskosität durch die Scherung verringert. Die Flanken des Flüssigkeitsbergs verflüssigen den senkrecht fallenden Shampoostrahl also gewissermaßen, indem sie ihn seitlich beschleunigen. Der Haufen und damit die Muldenwandung behalten hingegen ihre „Härte“, sprich Viskosität und können den flüssigen Strahl darum wirkungsvoll ablenken.
Dieses scherverdünnende Verhalten wird vielen Flüssigkeiten des Alltags wie auch der wissenschaftlich-technischen Welt bei ihrer synthetischen Herstellung in die Wiege gelegt. Die Flüssigkeiten sollen hohe Viskosität besitzen, solange man sie in Ruhe lässt, aber bei Scherung niedrige Viskosität annehmen. So soll Shampoo nicht von der Hand laufen, bevor man es in die Haare transportiert hat – sich aber dort leicht verteilen lassen. Farben sollen zunächst auf dem Pinsel haften –   sich dann aber leicht auf der Wand verstreichen lassen (und trotzdem nicht gleich wieder herunterlaufen). Ähnliches gilt für Zahnpasta: Auf der Bürste soll sie fest sein, auf den Zähnen dann eher sirupartig (siehe Foto unten).
Kaye_effekt_schiefrvNatürlich kann man all dies schlicht mit Blick auf die Nützlichkeit des Phänomens betrachten. Oder aber man sieht es in einem umfassenderen Kontext wie der Strömungsforscher Theodor Schwenk (1910 – 1986), der „das Flüssige“ erlebt „als das Universelle, das noch nicht festgelegte Element, das aber fähig ist, sich von außen bestimmen zu lassen, als das Unbestimmte, aber Bestimmbare, als das ’sensible Chaos'“.

Literatur
Kaye, A.: A bouncing liquid stream. Nature, Bd. 197, S. 1001 – 1002, 1963.
Versluis, M. et al.: Leaping shampoo and the stable Kaye effect. Journal of Statistical Mechanics, S. 07007, 20. Juli 2006.
Videos: (1) https://www.youtube.com/watch?v=eKryTuRNdqA
(2) https://www.youtube.com/watch?v=Ifnx3XaySwk

http://www.spektrum.de/alias/schlichting/wenn-shampoo-spruenge-macht/1069970

Verwirrende Beugung

Schlichting, H. Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 42/5 (2011), S. 54-55

Dank altbekannter Interferenzeffekte lassen sich mit einer simplen CD rätselhafte Lichtmuster erzeugen.

Den schönsten Farbenschmuck erzielt die Natur durch Interferenzfarben…;
man denke an die Flügel der Schmetterlinge, das Gefieder derKolibris, an Opal oder Perlmutter.
Welche Aussichten würden sich der Malerei eröffnen, wenn es gelänge, eine handliche InterferenzfarbenTechnik auszubilden!
Arnold Sommerfeld (1868 – 1951)

http://www.spektrum.de/alias/schlichting/verwirrende-beugung/1067487

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