Hier wurde ein grünes Trinkglas mit einem brennenden Teelicht vor eine weiße Wand gestellt. Und siehe da, man sieht etwas, was gar nicht vorhanden sein kann – der rötlich erscheinende Bereich an der Wand. Ausgerechnet dort, wo das ungefilterte weiße Kerzenlicht auf die Wand trifft, tritt eine Farbe auf, die objektiv gar nicht vorhanden ist.
In der Tat erliegen wir hier einer veritablen optischen Täuschung. Davon kann man sich überzeugen, wenn man den vermeintlich roten Bereich durch eine Röhre betrachtet und damit den übrigen visuellen Kontext ausschaltet. Dann sieht man die Wand wie sie ist – weiß vom weißen Kerzenlicht.
Schuld an dieser Täuschung ist die chromatische Adaption, die anschaulich als die Tendenz unserer Augen bezeichnet werden kann, die überwiegende Farbe in einem Raum als weiß zu sehen. In einer neuen Lichtsituation – wie hier durch den höheren Grünanteil – wird die Empfindlichkeit der grünes Licht erfassenden Zapfen unserer Augen im Verhältnis zu den anderen Farbanteilen reduziert. Die von grünem Licht beleuchtete Wand wird daher als weniger grün angesehen als sie „in Wirklichkeit“ ist. Da aber auch die Grünanteile der – objektiv gesehen – weißen Wand vermindert werden, dominiert die Komplementärfarbe von Grün, so dass die Wand einen Rotschimmer aufweist.
Dass auch die Kamera dieser Täuschung unterliegt, wird oft mit Verweis auf die Objektivität der Fotografie angezweifelt. Doch die Kamera ist im Automatikmodus gerade so ausgelegt, dass durch einen sogenannten Weißabgleich dafür gesorgt wird, die Dinge auf dem Foto möglichst genau so aussehen zu lassen, wie man sie mit eigenen Augen sieht.
Wer dieses Freihandexperiment selbst ausprobieren möchte, muss nicht unbedingt eine grünes Glas nehmen. Gläser mit anderen Farben funktionieren genauso gut. Allerdings sieht man dann natürlich andere Komplementärfarben. Die Gläser müssen allerdings gut durchgefärbt sein, damit das Phänomen eindrucksvoll in Erscheinung tritt.
Ich gebe zu, dass das Foto nicht besonders originell ist, auch wenn die Kerze etwas schief auf dem Ständer steht. Außerdem brennt sie gerade nicht. Aber darauf kommt es mir auch gar nicht an. Jeder andere Gegenstand wäre für das, was ich zeigen möchte, genauso geeignet. Die Kerze nebst Halter wird durch zwei verschiedenfarbige Schatten auf der Raufasertapete abgebildet.
Der eine Schatten ist eher bläulich, der andere gelblich getönt. Die Ursache sind zwei verschiedene Lichtquellen, die mit etwa gleich großer Intensität aus etwas anderen Richtungen die Kerze beleuchten. Zum einen ist es die Zimmerbeleuchtung, eine Glühlampe mit etwas gelblichem Licht, und zum anderen der blaue Himmel, der den Raum durch ein Fenster beleuchtet. Beide Lichtarten überlagern sich mehr oder weniger gut zu einem weitgehend weiß erscheinenden Mischlicht.
Der bläuliche Schatten entsteht dadurch, dass die Kerze das gelbliche Licht der Glühlampe ausblendet und nur das blaue Himmellicht die Tapete ungestört beleuchten kann. Beim gelblichen Schatten ist es gerade umgekehrt. Das bläuliche Licht wird ausgeblendet und das Lampenlicht kann die Wirkung ihrer gelblichen Farbe voll entfalten.
Einige andere Dinge sind interessant. Die Schatten scheinen sich auf dem dunklen Tisch fortzusetzen, obwohl dieser mit einer grünlichen Marmorplatte an diesen Stellen eigentlich eine Mischfarbe aufweisen sollte. Er tut es nicht, weil es sich gar nicht um Schatten handelt, sondern um Spiegelungen auf der glatten Tischoberfläche.
Auf der weißen Wand sehen wir zum einen einen leicht gelblichen Bereich der von der Glühlampe herrührt, während der von Lampe und Fenster beleuchtete Bereich ein Weiß mit einem leichten Blaueinschlag zeigt. Da die Farben der beiden Schatten genau meiner Erinnerung entsprechen, vertraue ich darauf, dass auch die Wandfarben so gesehen wurden.
Vielleicht wird sich der eine oder die andere die Frage stellen, warum man dem Lampenlicht das Gelb und dem durch das Fenster eindringende Tageslicht ihre gelbliche und bläuliche Farbe nicht auch ohne dieses Szenario ansieht. Ursache dafür sind unsere Augen, die durch physiologische Mechanismen dafür sorgen, dass die überwiegende Farbe jeweils als „weiß“ wahrgenommen wird. (Diesen Effekt habe ich bereits öfter im Blog beschrieben). Deshalb sieht man bei reinem Tageslicht normalerweise keine Spur von Blau und bei reinem Lampenlicht auch kein Gelb. Erst dann, wenn beide Farben gleichzeitig vorhanden sind, gelingt es nicht mehr sie zu trennen. Die Kamera empfindet diese physiologische Besonderheit technisch durch den sogenannten Weißabgleich nach. Das funktioniert aber auch nur, wenn die Situation eindeutig ist und eine Verschiebung des Spektrums in genau eine Richtung erforderlich macht.
H. Joachim Schlichting. Physik in unserer Zeit 53/5 (2022), S. 256
Durch eine Art physiologischen Weißabgleich tendiert die visuelle Wahrnehmung dazu, die Farbe des Lichts überwiegend als weiß anzusehen. Das funktioniert aber nicht immer.
Unsere Augen täuschen uns mehrfach, durchaus als Hilfestellung. So erkennen wir Gegenstände in ihrer „wahren“ Größe unabhängig davon, wie weit sie entfernt sind. Eine weitere Täuschung ist die sogenannte chromatische Adaption: Unser visuelles System tendiert dazu, die dominante Farbe der Beleuchtung in einer bestimmten Situation als weiß wahrzunehmen. Das hat zum Beispiel die praktische Konsequenz, dass wir eine im Schatten liegende „weiße“ Wand eines Gebäudes auch als weiß wahrnehmen, obwohl sie das blaue Licht des Himmels reflektiert. Dies sorgt dann für den enttäuschenden „Blaustich“ auf Urlaubsfotos von weißgekalkten Häusern im Süden.
Heutige Digitalkameras tragen in Standardsituationen derartigen Farbadaptionen des Auges Rechnung, durch einen entsprechenden Weißabgleich. Unter dem Blätterdach von Bäumen aufgenommenen Fotos ist dann das grüne Umgebungslicht ebenso wenig anzusehen wie das blaue Himmellicht von beschatteten weißen Wänden.
Gelegentlich versagt aber ein derartiger physiologischer oder technischer Weißabgleich. Sind mehrere Beleuchtungsfarben gleichzeitig und in vergleichbarem Ausmaß im Spiel, können sie das Täuschungsmanöver der chromatischen Adaption aushebeln. Auf natürliche Weise zeigt dies der Besuch eines alten Aussichtsturmes, der mitten in einem Laubwald steht (siehe Foto). Beim Abstieg von seiner Aussichtsplattform konnte man gleichzeitig Licht sehen, das durch drei verschiedene Öffnungen auf die graue Wand und die Stufen der Wendeltreppe traf. Durch das höchste Fenster fiel blaues Himmellicht, das mittlere lag im grünen Licht des Blätterdachs, das untere ließ das weitgehend weiße Mischlicht der freien Umgebung ins Innere des Treppenhauses hinein. So konnte man alle drei Farben auf einmal in den Blick nehmen. Die Augen hatten keine Chance, grün und blau gleichzeitig als weiß erscheinen zu lassen. Sie wurden hier ausgetrickst, indem sie daran gehindert wurden, uns wie so oft auszutricksen.
Dieses Phänomen lässt sich leicht in einem Freihandexperiment nachvollziehen. Auch Künstler, wie etwa James Turrell (*1943), nutzen den physiologischen Effekt in ihren Lichtinstallationen aus.
Als die Sonne aufging, schlenderte ich gemächlich über ein hügeliges goldgelbes Gefilde, dessen Unebenheiten lange himmelblaue Schatten über den goldenen Boden hinstreckten. Der Himmel war so dunkelblau wie Lydias Augen, woran ich unversehens dadurch erinnert wurde; in weiter Ferne zogen sich blaue Berge hin.*
Den Dichtern gönnt man (vielleicht mit Ausnahme von Arno Schmidt) gern einige dichterische Freiheiten bei der Beschreibung naturwissenschaftlicher Phänomene. Dieser Eindruck könnte vielleicht auch in diesem Zitat von Gottfried Keller bei dem einen oder der anderen entstehen. Aber ein solcher Eindruck wäre falsch. Im Gegenteil, ich bin erstaunt wie einfühlsam und zugleich präzise Naturbeschreibungen auch an anderen Stellen in seinen Werken sind.
Der Ich-Erzähler wandelt über goldgelbes Gefilde – vermutlich Sand. Unser visuelles System ist so organisiert ist, dass es dazu tendiert, in einer gegebenen Umgebung die überwiegende Farbe als Weiß wahrzunehmen (Chromatische Adaptation). Das hat in der beschriebenen Situation nicht dazu geführt, das Gelb für Weiß anzusehen, aber vielleicht doch, dass ein etwas ausgeblichenes in Richtung Weiß gehendes Gelb gesehen wird. Das bleibt nicht ohne Wirkung auf die Einschätzung der anderen Farben. Ihr Ton rückt ein wenig in Richtung Komplementärfarbe von Gelb und das ist Blau (chromatische Verschiebung).
In den Schattengebieten wird der wahrgenommene Blauanteil nicht nur infolge der chromatischen Verschiebung angehoben, sondern auch weil hier zusätzlich der blaue Himmel eine indirekte blaue Beleuchtung beisteuert. Allerdings wäre bei genauerer Betrachtung auch noch zu berücksichtigen in welchem Maße der gelbe Untergrund zumindest einen Teil des Blaus absorbiert (Komplementärfarbe).
Das gilt auch in den Schattengebieten, in die kein weißes Sonnenlicht gelangt, sondern nur das Licht des Himmels. Geklärt werden kann aus den Angaben des Dichters allerdings nicht, inwieweit die teilweise Komplementarität von blauem Licht und gelbem Untergrund eine Rolle spielt.
Zusätzlich kommen zum einen Lydias blaue Augen ins Spiel. Wusste oder ahnte Gottfried Keller, dass das Blau der Augen physikalisch eine ähnliche Ursache wie das Himmelblau hat? Zum anderen fehlen auch die blauen Berge nicht, die letztlich auch einen Effekt des Himmelsblaus darstellen.
* Gottfried Keller. Die Leute von Seldwyla. Werke 4. Zürich 1971, S. 65
Die Spiegelwelt täuscht eine Dreidimensionalität vor, die immerhin für einige (sensible?) Leute so real wirkt, dass sie genau darauf achten, wie sie ihre Schritte setzen und einen Teil ihrer Unbefangenheit verlieren. Dabei wirkt die Überlagerung der realen mit der virtuellen Räumen beim Blick auf den unmittelbar vor einem liegenden Fußboden weniger irritierend, als es auf diesem Foto.
Aber eigentlich hatte ich das Foto gemacht, um auf einen anderen interessanten Effekt hinzuweisen – den Blauschimmer des durch die Oberlichter hereinfallenden Tageslichts. Da unser visuelles System dazu tendiert, in einer einheitlich beleuchteten Umgebung wie dieser mit weißem Licht ausgeleuchteten Passage als überwiegende Farbe weiß zu sehen, erscheint das Tageslicht so, wie es wirklich ist – bläulich. Das Foto zeigt also keinen falschen Weißabgleich, sondern kommt den realen Verhältnissen ziemlich nahe.
Vor kurzem nutzten wir das Sonnenwetter, um eine längere Wanderung im Wiehengebirge zu unternehmen. Dabei überquerten wir eine hellgraue Betonstraße, die über und über mit Sonnentalern übersät war. Nun sind Sonnentaler keine Seltenheit, wenn man an einem sonnigen Tag im Wald unterwegs ist. In diesem Fall war aber auffällig, dass die Straße in einem leichten Grünschimmer strahlte. Auch dafür gibt es eine plausible Erklärung. Sie ist grün, weil sie von grünem Licht beleuchtet wird. Das grüne Licht entsteht dadurch, dass das weiße Sonnenlicht durch das Blätterdach der Bäume gefiltert wird. Die trifft allerdings nicht nur für die Straße, sondern auch für die Waldwege zu.
Warum fällt das Grün hier besonders auf? Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen ist die hellgraue Betonstraße deshalb hellgrau, weil sie so gut wie alle Farben des weißen Sonnenlicht diffus reflektiert. Das erkennt man an den weißen Sonnentalern, die das ungefilterte Sonnenlicht reflektieren, das durch die Lücken im Blätterdach der Bäume hindurchgeht. Die übrigen Bereiche werden indessen durch das von den Blättern reflektierte bzw. durchgelassene grüne Licht beleuchtet, was nach der Wechelwirkung mit dem Sonnenlicht übrig bleibt.
In den übrigen Bereichen des Waldbodens, der u. A. auch das grüne Licht absorbiert, sieht man die Mischfarbe, die vom Boden ausgestrahlt wird – die typische Farbe des Waldbodens.
Das Grün auf der Straße fällt allerdings erst dann auf, wenn man nicht nur auf die Straße blickt, sondern auch noch Randbereiche des Waldbodens in den Blick nimmt. Denn heftet man den Blick nur auf die Straße, erscheint sie eher im ursprünglichen Grau. Warum das so ist? Das Auge und auch die der visuellen Wahrnehmung nachempfundene Sensorik der Kamera tendieren dazu die vorherrschende Farbe als weiß wahrzunehmen bzw. darzustellen (chromatische Adaptation). Wenn man jedoch gleichzeitig auch andere nicht grüne Bereiche wahrnimmt, funktioniert dieser Mechanismus nicht mehr und man sieht auch die Straße weitgehend in der tatsächlichen Farbe. Das Phänomen ist vielfach zu beobachten, wenn man denn darauf achtet.
Über ähnliche Phänomene wurde früher hier und hier und hier berichtet.
Zunächst die Feststellung, dass ich meiner Erinnerung nach die Farben so gesehen habe, wie sie in diesem unbearbeiteten Bild erscheinen. Ich würde also sagen, wenn der Weißabgleich das Ziel verfolgt, die Sinneseindrücke des Auges möglichst getreu wiederzugeben, dann ist es hier gelungen.
Jemand anders, der das Gebäude ebenfalls gesehen hatte, glaubte sich jedoch zu erinnern, dass es makellos weiß gewesen sei und das Foto die Farben nicht korrekt wiedergebe. Weiterlesen
Wenn man in die Museumsräume des Zentrums für internationale Lichtkunst über einen Treppengang eintritt, wird man bereits von einem ersten Lichtphänomen eingenommen, das als solches gar nicht als Kunstwerk ausgewiesen ist (siehe oberes Foto). Gewöhnt man sich nämlich einige Minuten an das von blauen Leuchtstoffröhren beleuchtete Gewölbe und blickt dann zurück auf die weißgetünchten Wände des Eingangs, die noch vom Tageslicht beleuchtet werden, so erstrahlen diese in einem rötlichen Schimmer, in der Komplementärfarbe des Blaus. Man sieht also eine Farbe, die objektiv gar nicht vorhanden ist und einen rein wahrnehmungsphysiologischen Effekt darstellt, auf den ich in diesem Blog bereits in einigen anderen Kontexten eingegangen bin (z.B. hier und hier und hier). Es handelt sich um einen Effekt der chromatischen Adaptation oft auch mit einer etwas anderen Schwerpunktsetzung als Simultankontrast bezeichnet. Weiterlesen
Wer sich für Lichtphänomene interessiert, der sollte es nicht versäumen, das Zentrum für internationale Lichtkunst in Unna zu besuchen. Es lohnt sich. Es lohnt sich sogar extra hinzufahren, wie wir es getan haben. Ich fand die Lichtinstallationen so eindrucksvoll, dass ich von einigen mit eigenen Fotos in den nächsten Tagen berichten werde.
Man durfte nämlich in diesem Museum fotografieren; das machte es von vornherein im Unterschied zu anderen ähnlichen Kunstmuseen äußerst sympathisch. Die weitgehend im ursprünglichen Zustand belassenen Räumlichkeiten einer alten Brauerei, in der das Museum untergebracht ist, stellten zudem einen durchweg passenden Kontext für die verschiedenen Lichtgestalten dar und schufen eine einzigartige Atmosphäre, die man so wohl kaum wiederfindet. Weiterlesen
Eine weiße Wand zeichnet sich dadurch aus, dass sie unabhängig von der Wellenlänge das auftreffende Licht nahezu unverändert wieder ausstrahlt. An einem strahlenden Sonnentag ist der Schatten auf einer solchen Wand blau. Weiterlesen
Im Rahmen einer Wanderung auf dem Wittekindsweg bestiegen wir den Aussichtsturm am Nonnenstein um den Ausblick über die farbenprächtige Welt zu genießen. Dominierend sind zur Zeit das Grün der Wälder und das Himmelsblau. Die Farben entstehen dadurch, dass das weiße Sonnenlicht entweder durch Streuung an den Luftmolekülen (genauer: an deren Dichteschwankungen) den Himmel blau erscheinen lässt oder dass die Pflanzen das weiße Licht absorbieren und nur grünes Licht wieder von sich geben. Weiterlesen
Erklärung des Rätselfotos vom Vormonat: Kunstwerke durch Kontaktarmut
Schlichting, H. Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 42/11 (2011), S. 44 – 45
Weil unser visuelles System uns gerne weiße Wände vorgaukelt, kommen gelegentlich unerwartete Farben zum Vorschein.
Dass man alles grünlich sieht, wenn man lange durch ein rotes Glas
gesehen,und umgekehrt, rötlich, wenn man lange durch ein grünes gesehen hat, ist ein merkwürdiger Umstand.
Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799)
http://www.spektrum.de/alias/schlichting/eingebildete-farben/1121022