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Deflektometrie

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Der chinesische Zauberspiegel


Schlichting, H. Joachim; Ucke, Christian. In: Physik in unserer Zeit 33/3, 138-140 (2002).

Ein Zauberer wünscht sich nur, daß seine
Täuschung einen Augenblick vorhält.
Er versucht erst gar nicht dir weiszumachen,
er täusche nicht.·
Gilbert Keith Chesterton

Ein auf den ersten Blick normal funktionierender Spiegel zeigt in der Projektion des reflektierten Lichts Ornamente, die auf der Rückseite reliefartig eingeprägt sind. Der Zauber besteht darin, dass der aus massiven Metall gefertigte Spiegel lichtdurchlässig zu sein scheint.

Man findet ihn hin und wieder in Geschäften für Geschenkartikel und im Versandhandel [1]. Er ist in einer Art Schmuckkästchen verpackt, wie es typisch ist für erlesene chinesische Produkte. Nimmt man ihn in die Hand, so hat man einen zwar etwas ungewöhnlich verzierten aber ansonsten ganz normal funktionierenden Spiegel, wenn man einmal davon absieht, dass die spiegelnde Fläche aus poliertem Metall besteht und ähnlich wie der Außenrückspiegel eines Autos leicht konvex gekrümmt ist. Die gespiegelten Gegenstände erscheinen daher etwas verkleinert.
Seinen Zauber entfaltet der Spiegel eher indirekt, und das muss man natürlich wissen. Wenn man das Licht einer hellen Lichtquelle, am besten das der Sonne, mit Hilfe des Zauberspiegels auf eine im Schatten liegende Wand projiziert, so findet man den durch die Reflexion des Lichtes hervorgerufenen hellen Lichtfleck von einer Struktur überlagert, in der zumindest schemenhaft das auf der Rückseite eingeprägte ringförmig angeordnete Relief aus zeichenhaften Ornamenten zu erkennen ist. Diese an ein Wasserzeichen erinnernden Muster legen den Gedanken nahe, dass der aus massivem Metall bestehende Spiegel die Verzierungen durchschimmern lässt. Obwohl dieser Gedanke im Widerspruch zur Transparenz massiver Metallobjekte steht, drängt er sich angesichts alternativer Erklärungen geradezu auf und macht das Zauberhafte dieses Spiegels aus.
Im alten China sprach man wegen dieser Eigenschaft vom „Licht durchdringenden Spiegel“. Dort tauchte er bereits vor mehr als 2000 Jahren zur Zeit der Han Dynastie (206 v.Chr – 24 n.Chr.) auf. Der in oben links abgebildete Spiegel ist eine Kopie eines im Shanghei Museum ausgestellten Originals. Er wurde aus Bronze gefertigt und mit einem Relief aus chinesischen Buchstaben oder anderen typischen Zeichen versehen, die in der Reflexion schemenhaft sichtbar werden.
Die Tatsache, dass es auch Zauberspiegel gibt, die eine ganz andere Struktur, z.B. einen Buddha, im hellen Reflex an der Wand erkennen lassen, als auf der Rückseite eingeprägt ist, widerlegen zwar die ohnehin zweifelhafte „Durchdringungshypothese“, tun der Zauberhaftigkeit des Spiegels jedoch keinen Abbruch.
Die Entzauberung des Spiegels beginnt in dem Moment, in dem man sich davon überzeugt, dass die spiegelnde Vorderseite doch nicht so perfekt ist, wie es das eigene Spiegelbild nahe legt. Dazu genügt ein einfaches Freihandexperiment. Man stellt sich mit dem Spiegel unter eine Leuchtstoffröhre, hält den Spiegel so, dass das Bild der Röhre gut zu erkennen ist. Anschließend lässt man das Bild der Leuchtstoffröhre quer über die spiegelnde Fläche laufen, indem man den Spiegel langsam neigt. Wenn man dabei den Blick auf die gerade Kante des Bildes der Leuchtstoffröhre richtet, erkennt man an bestimmten Stellen geringe Abweichungen von der Linearität, die genau an den Stellen des Spiegels auftreten, die die Strukturierung im Reflex an der Wand hervorrufen. Mit Hilfe eines rechteckigen Gitters, das man im Spiegel betrachtet, lassen sich die Abweichungen von der Linearität auch auf einmal feststellen.
Die Deutlichkeit, mit der die Unebenheiten der spiegelnden Oberfläche indirekt sichtbar gemacht werden können, erscheint auf den ersten Blick verwunderlich, sind sie doch direkt oder dem eigenen Spiegelbild auch durch noch so genaues Hinsehen nicht festzustellen. Eine kleine Abschätzung zeigt, dass die Unebenheiten von der Größenordnung der Wellenlänge des Lichtes sind. Diese Winzigkeit erklärt auch, dass die dadurch hervorgerufene Ablenkung der Lichtstrahlen erst in größerer Entfernung zu einer erkennbaren Änderung der Lichtintensität führen.
Wie kommt es zu diesen Unebenheiten? Um diese Frage beantworten zu können, muss man sich die Herstellung des Zauberspiegels vor Augen führen. Eine Beschreibung, wie dies geschieht liefert u.a. William Bragg, der sich dabei auf Ayrton bezieht, der in hoher Stellungen im japanischen Erziehungswesen tätig war und die japanische Version des Zauberspiegels im Jahre 1878 im Hörsaal der Royal Institution, in dem die Weihnachtsvorlesungen stattfanden bekannt gemacht hatte. Demnach wird der Spiegel aus Bronze hergestellt, die in geschmolzenem Zustand in eine Form gegossen wird, die mit dem reliefartigen Ornament versehen ist. Der erstarrte Rohling wird anschließend auf einer hölzernen Unterlage mit einer Art Hobel bearbeitet, um die Oberfläche zu glätten (siehe Bild 5). Durch das starke Aufdrücken gibt der Spiegel an den Stellen etwas nach, an denen sich die Vertiefungen des rückwärtigen Reliefs befinden. Dadurch trägt der Hobel an diesen Stellen weniger ab als an den auf der Unterlage aufliegenden erhabenen Stellen des Reliefs. Folglich kommt es zu entsprechenden winzigen Aufwölbungen die sobald die durch den Druck bedingte Durchbiegung nachlässt.
Wenn Licht auf diese durch Vertiefungen und Erhöhungen leicht gewellte Oberfläche fällt, wirken die Vertiefungen wie kleine Hohlspiegel, die das Licht ihrem Krümmungsradius entsprechend fokussieren, während die Erhöhungen zu einer Defokussierung führen (untere Abbildung). Infolgedessen ist im reflektierten Licht eine leichte Modulierung in der Helligkeit festzustellen, die in ihrer Struktur den Vertiefungen und Erhöhungen und damit der sie verursachenden Form des Reliefs entsprechen (Abbildung oben rechts).
Ob dieses mühselige Verfahren bei der Herstellung der heute zu kaufenden Zauberspiegel immer noch angewandt wird, ist wegen des großen Aufwandes wohl zu bezweifeln. Dass alternative Techniken möglich sind, wird schon dadurch nahegelegt, dass es auch Zauberspiegel gibt, die nicht „durchscheinend“ sind und ganz andere Figuren in der Projektion sichtbar machen. Letztlich kommt es nur auf eine äußerst feine Strukturierung der Oberfläche an.
Von einem erfolgreichen Herstellungsverfahren, das auch mit einfachen Mitteln möglich ist, wird in [4] berichtet. Dort wird ein Messing oder Kupferblech zunächst geschmirgelt und poliert bis es eine spiegelnde Oberfläche erhält. Dann wird mit Salpetersäure auf die spiegelnde Oberfläche eine Zeichnung hineingeätzt und anschließend so lange poliert, bis die Zeichnung mit bloßem Auge nicht mehr wahrzunehmen ist. In dieser Arbeit wird auch noch ein weiteres Verfahren beschrieben, das ohne Säure auskommt. Die so hergestellten Zauberspiegel zeigen dasselbe Phänomen, die unsichtbare Zeichnung in der Projektion des Reflexes wie von Zauberhand hervortreten zu lassen.
Zum Schluss sei darauf hingewiesen, dass der Zauberspiegel bereits im 19. Jahrhundert Gegenstand der Forschung gewesen ist. Davon zeugen mehrere Arbeiten [5]. Neuere Forschungsergebnisse werden von Herbert Maryon in den Archives of the Chinese Art Society of America (1963) publiziert. Dort wird u.a. auch auf die Methode des Stanzens hingewiesen, durch die lokale Verhärtungen im Metall hervorgerufen werden, die auf das anschließende Schleifen und Polieren anders reagieren als das übrige Material. Und kürzlich zeigte Cyril Stanley Smith vom M.I.T auf Mikrophotographien von Zauberspiegeln in die Oberfläche gestanzte Vertiefungen. Auch in einer fachdidaktischen Zeitschrift wurde vor einigen Jahren der Zauberspiegel vorgestellt [6].
Der Zauberspiegel macht zum einen deutlich, dass die menschliche Unfähigkeit, kleinste Unebenheiten wahrzunehmen, durch indirekte Methoden, in denen der menschliche Blick weit ausgeprägter ist, sichtbar gemacht werden können. Die „Übersetzung“ des Problems in eine Unterscheidung von Helligkeitsunterschieden ist eine Möglichkeit, die Störungen einer Geraden eine andere. Zum anderen fordern uns zauberhaft erscheinende Sachverhalte heraus, sie durch eine wissenschaftliche Erklärung zu entzaubern. Die Entzauberung erweist sich oft als Zauber, den Wissenschaft auf Menschen ausüben kann.
Die Größenordnung der Unebenheit
Zur Abschätzung der Größenordnung der Unebenheit gehen wir von einer sphärischen Vertiefung der ebenen Spiegelfläche mit einem Durchmesser d = 2 mm aus. Diese Vertiefung soll das parallele Strahlenbündel in einer Entfernung von f = 0,5 m sammeln. Der Krümmungsradius der sphärischen Vertiefung beträgt demnach R = 2f = 1 m. Dann ergibt sich nach für die Tiefe h der Unebenheit:
Es ist klar, dass ein solcher Defekt nicht zu sehen ist, wenn die ganze Oberfläche des Spiegels und die Vertiefung selbst poliert wurden. Bei der Reflexion eines parallelen Lichtbündels zeigt sich jedoch der Defekt im Abbild der Lichtquelle auf dem Schirm. Eine entsprechende Argumentation gilt natürlich, wenn der Defekt keine Vertiefung, sondern eine Erhöhung darstellt.

Literatur
[1] http://www.grand-illusions.com/shop.htm, sowie http://www.cgocable.net/~ywu/mirror.htmywu@cgocable.net Zugriff am 12.11.2001. Hier findet man auch eine kurze Beschreibungen
[2] Zong-yi Sheng et al.: A study of transparent ancient bronze mirror of western Han dynasty. Acta Metall. Sinica 12/1 (1976), 13.
[3] Bragg, William: Die Welt des Lichtes. Braunschweig: Vieweg 1935, S. 28
[4] Sysoyev, B.P.: Ucebnaja Gizika.Jan.- Febr. 1997, Nr. 1, S. 27
[5] Parnell, J.: The Japanese Magic Mirror. Knowledge July 1, 1887 (dort weitere Literaturhinweise)
[6] Swinson, Derek B.: Chinese „Magic“ Mirrors. The Physics Teacher 30, May 1992, p 295; dort findet man weitere Literaturangaben.

 
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