Schlichting, H. Joachim. In: Essener Unikate 11/1999, S. 9-21.
Wir müssen glauben, daß alles in der Welt eine Ursache habe, so wie die Spinne ihr Netz spinnt, um Fliegen zu fangen. Sie tut dieses, ehe sie weiß, daß es Fliegen in der Welt gibt“. Wie kommt es zu einem solchen Glauben? Darauf gibt es offenbar keine eindeutige Antwort…
PDF: Die Strukturen der Unordnung – Chaosphysik zwischen Zufall und Notwendigkeit
Schlichting, H. Joachim. In: Physik in der Schule 36/9, 304 (1998).
Der Weg der neuzeitlichen Physik ist mit Effekten gepflastert: der Doppler-, der Compton-, der Barkhausen- , der Mößbauer-, der Faraday- Effekt und neuerdings der Schmetterlingseffekt. Dieser unterscheidet sich von jenen nicht nur dadurch, daß er keinem großen Physiker, sondern einem kleinen empfindlichen Tier zugeordnet wird. Außerdem entzieht er sich der physikalischen Bestimmung und steht für das, was wir trotz der Kleinheit nicht zu beherrschen vermögen. Damit ist er nicht nur auf die Naturwissenschaften beschränkt. Man kann sogar umgekehrt feststellen, daß der Schmetterlingseffekt in der einen oder anderen Variante lange bevor er im Rahmen der Nichtlinearen Physik wissenschaftlich salonfähig wurde, in den verschiedensten Bereichen, der Philosophie, der Literatur usw. diskutiert wurde.
PDF: Der flatterhafte Falter der Chaosphysik – Anmerkungen zum Schmetterlingseffekt
Schlichting, H. Joachim. In: Physik in der Schule 35/4, 158 (1997).
Die deterministische Denkweise wird von Anfang an kritisiert. Das Dilemma zwischen vollständiger Determiniertheit allen Geschehens und der Willensfreiheit führt bereits zur Zeit der alten Griechen zu einer Auseinandersetzung zwischen Epikureern und Stoikern. Erstere versuchen das Problem durch die Einführung eines akausalen Impulses zu lösen: „Wenn wir zwischen zwei Dingen zu wählen haben, die absolut gleich und gleichwertig sind, und keine Ursache vorliegt, die uns zu einem von beiden hinzieht, weil sie sich in nichts unterscheiden, dann entscheidet die impulsive Regung der Seele selber und löst das Dilemma“
Schlichting, H. Joachim. In: Physik in der Schule 35/1, 40 (1997) und 35/2, 80 (1997).
Den Vorstellungen der klassischen Physik liegt die Überzeugung zugrunde, daß die Zukunft durch die Gegenwart festgelegt sei und man daher durch eine sorgfältig Analyse der Gegenwart die Zukunft vorhersagen könnte. Obwohl darin in der Regel nicht mehr als eine theoretische Möglichkeit gesehen wurde, muß in der unbegrenzten Vorhersagbarkeit ein wesentliches Merkmal des neuzeitlichen naturwissenschaftlichen Weltbildes gesehen werden.
Schlichting, H. Joachim. In: Physik in der Schule 34/12, 453 (1996).
Eine der wesentlichen Aspekte deterministischen Denkens ist der Wunsch, das Geschehen der Welt vorherzusagen. Vorhersage als Zukunftsdeutung hat heute einen unseriösen Beigeschmack. Der aufgeklärte Mensch glaubt offiziell nicht an die großen Prophezeiungen. Dennoch stehen Astrologie und Wahrsagerei auch heute noch oder wieder hoch im Kurs. Die davon ausgehenden suggestiven Wirkungen führen nicht selten zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen.
Schlichting, H. Joachim. In: Physik in der Schule 34/11, 414 (1996).
„Daß die Erde um die Sonne läuft und daß wenn man eine Schreibfeder kippt diese Spitze mir ins Auge fliegt, ist alles ein Gesetz“(Georg Christoph Lichtenberg). In einer kausal organisierten Welt läuft alles nach Gesetzen ab, die das Größte mit dem Kleinsten, das Erhabenste mit dem Banalsten
verbinden. . Gesetze müssen von irgend jemand erlassen worden sein, und ihre Einhaltung muß überwacht werden. Das gilt nach der Vorstellung der Vorsokratiker sowohl für das Verhalten der Menschen wie auch der übrigen Welt. „Die Sonne wird ihre Maße nicht überschreiten, wenn aber doch, dann werden Erinnyen, der Dike Helferinnen, sie zu fassen wissen“ (Dike ist die ‚Unerbittliche‘ die „Richterin derer, die das göttliche Gesetz nicht erfüllen“).
Schlichting, H. Joachim. In: Physik in der Schule 34/10, 372-373 (1996).
Sofern man den Determinismus akzeptiert, leugnet man die Willensfreiheit. Diese Problem war schon den alten Griechen bewußt: „Wenn unsere Triebe vom Fatum bestimmt sind und dieses sie zuweilen hindert und zuweilen nicht, so ist es klar, daß alles vom Fatum abhängt, einschließlich dessen, was anscheinend in unserer Hand steht…Wenn nämlich, wie sie behaupten, jedesmal, wenn dieselben Umstände vorwalten, alles genau in der gleichen Weise verlaufen muß und nicht einmal so und einmal anders, weil es von Ewigkeit an schon so bestimmt war, dann muß der innere Trieb des Lebewesens notwendig und unbedingt in der gleichen Weise reagieren, wenn dieselben Umstände vorliegen. Wo aber bleibt unsere Willensfreiheit, wenn der Trieb mit Notwendigkeit reagiert? „…
Schlichting, H. Joachim. In: Physik in der Schule 34/6, 238 (1996).
„Der Determinismus ist die einzige Weise, sich die Welt vorzustellen. Und der Indeterminismus die einzige Weise, in ihr zu existieren“. In dieser Aussage Paul Valérys spiegelt sich das Grundproblem der wissenschaftlichen, philosophischen und literarischen Erfassung der Welt. Seit Menschen über das Sein und Werden nachdenken, verfangen sie sich in die Fallstricke des Determinismus: Soll dieses Nachdenken einen Sinn haben, muß es folgerichtig, kausal, determiniert sein, „am Faden von Grund und Folge“ (Wilhelm Dilthey) ablaufen…
Schlichting, H. Joachim. In: Praxis der Naturwissenschaften – Physik 42/1, 35 (1993).
„Wir müssen glauben, daß alles in der Welt eine Ursache habe, so wie die Spinne ihr Netz spinnt, um Fliegen zu fangen. Sie tut dieses, ehe sie weiß, daß es Fliegen in der Welt gibt“ [1, S.181]. Wie kommt es zu einem solchen Glauben? Darauf gibt es offenbar keine eindeutige Antwort. Im Anschluß an David Hume geht man davon aus, daß das Denken in Ursache- Wirkungs- Kategorien, das sogenannte kausale Denken, auf Erfahrung beruht: In dem Maße, wie der Mensch aufgrund wiederkehrender Ereignisse, eine zeitliche Abfolge in den Tatsachen der Welt erfährt und sich daran gewöhnt, gewinnt er die Überzeugung, daß zeitlich spätere Ereignisse von zeitlich früheren Ereignissen verursacht bzw. hervorgerufen werden. Indem diese Sehweise auf alle Vorgänge verallgemeinert wird, gewinnt die Welt eine kausale Struktur. „Wäre da der geringste Verdacht, daß der Lauf der Natur sich ändern könnte und daß die Vergangenheit nicht Regel für die Zukunft wäre, so würde alle Erfahrung nutzlos und könnte zu keinerlei Folgerungen oder Schlüssen führen“. Demgegenüber wird nach Imanuel Kant die durchgängige kausale Verknüpfung der Erscheinungen als denknotwendig angesehen. Die Welt erscheint „a priori“ kausal organisiert: „Alle Veränderungengeschehen nach dem Gesetze der Verknüpfung der Ursache und Wirkung“, und: „Alles, was geschieht, setzt voraus, worauf es nach einer Regel folgt“ …
Backhaus, Udo; Schlichting, H. Joachim: Der mathematische und naturwissenschaftliche Unterricht 45/1,3 (1992).
Deterministische dynamische System können sich chaotisch verhalten. Aber das hindert sie nicht daran, nach hinreichend langer Zeit dem Ausgangspunkt wieder beliebig nahe zu kommen. Eine solche Poincarésche Wiederkehr wird an einer einfachen Abbildung veranschaulicht.