Schlichting, H. Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 3 (2015), S.56 – 57
Der grüne Strahl! Und schon ist er verschwunden.
Wer ihn erblickt, steht an des Meeres Rand,
von dem uns klingen, ahndevolle Kunden.
Gerhart Hauptmann (1862 – 1946)
Für den Bruchteil einer Sekunde sendet das letzte Segment der untergehenden Sonne grünes Licht aus – wenn die atmosphärischen Bedingungen stimmen!
Bald verschwand die Sonne zur Hälfte hinter der Horizontlinie. Schließlich schwebte nur noch ein schmaler oberer Abschnitt der Scheibe über dem Meer. ›Das grüne Leuchten! Das grüne Leuchten!‹, riefen die Brüder … wie aus einem Munde, denn ihre Blicke hatten eine Viertelsekunde lang diesen unvergleichlichen reinen Jadeton erhascht …«wenn die atmosphärischen Bedingungen stimmen!*
In seinem Liebesroman »Der grüne Strahl«, aus dem diese Zeilen stammen, verschaffte Jules Verne (1828 – 1905) einem bis dahin weithin unbekannten Naturphänomen erstmals einige Geltung. Doch selbst heute kennen es nur wenige. Der grüne Blitz, wie es auch manchmal genannt wird, tritt selten auf und ist schwierig zu beobachten. Eine Variante des Phänomens ist indessen leichter zugänglich: In meinem Wohnzimmer zeigen sich an manchen Sonnentagen Lichteffekte an der Wand, die mit dem Original verwandt erscheinen. Hervorgebracht werden sie durch ein im Fenster hängendes kleines Mobile in Form eines einzelnen Glasplättchens, das sich zu seinen Rändern hin keilförmig verjüngt. Dort, wo es dünner wird, bricht es das Sonnenlicht wie ein Prisma und spaltet es in seine Spektralfarben auf (kleines Foto rechts). Steigt nun die Sonne, sinkt ihr Bild von der hellen Tapete herab und trifft auf einen dunklen Tisch, auf dem nacheinander die Farben des Spektrums verschwinden, erst Rot und Gelb, dann Grün und ganz zum Schluss Blau.
Doch können wir diesen »Untergang« des Sonnenbilds wirklich als Modell für den grünen Strahl ansehen? Zum einen hängt im Himmel kein gläsernes Mobile, zum anderen suchen wir nach einem grünen und nicht nach einem blauen Abschiedsgruß der Sonne. Der erste Einwurf ist schnell widerlegt, denn natürlich bricht auch Luft das Licht. Die Atmosphäre, die vom luftleeren Weltraum zur Erdoberfläche hin immer dichter wird, wirkt wie ein Prisma mit kontinuierlich zunehmendem Brechungsindex. Sinkt die Sonne um ein bestimmtes Maß, verlängert sich der Weg, den ihr Licht durch die Atmosphäre nimmt, überproportional; entsprechend stärker wird es gebrochen. Und je ausgeprägter die Brechung, desto stärker wird das Licht aufgespalten und desto größer sind unsere Chancen, im weißlich gelben Sonnenspektrum einzelne Farben zu entdecken.
Allerdings gibt es auch einen gegenläufigen Effekt. Zu dem Zeitpunkt, da die Sonne für unsere Augen den Horizont zu berühren beginnt, ist sie geometrisch betrachtet gerade untergegangen (siehe Grafik unten). Die Brechung ihres Lichts ist jetzt so stark, dass Strahlen von »tiefer« gelegenen Regionen der Sonnenoberfläche viel stärker umgelenkt werden als die von höheren und sie darum elliptisch verformt und vertikal gestaucht erscheint. So wird die Aufspaltung ihres Lichts zum Teil wieder zunichtegemacht.
Angenommen aber, wir können das letzte verschwindende Sonnensegment tatsächlich in einer der Spektralfarben sehen. Weshalb berichten Beobachter des Phänomens dann ausgerechnet von grünem Licht? Auch hier ist die Antwort einfach: Der blaue Strahl existiert ebenfalls, wird aber praktisch nie beobachtet. Denn blaues Licht wird beim Durchgang durch die Atmosphäre so stark gestreut, dass es sich gewissermaßen verliert. Dieser Effekt erklärt darüber hinaus, warum der Himmel blau ist (siehe »Sonnenaufgang in einem Opal«, SdW 8/2010, S. 32).
Warum aber hat dann selbst den grünen Strahl, der viel weniger gestreut wird als sein blaues Pendant, kaum jemand je zu Gesicht bekommen? Selbst das ist nicht verwunderlich. Der Brechungsindex von Luft ist recht klein; sie schafft es daher – anders als ein gläsernes Mobile – nicht besonders gut, das Licht in unterscheidbare Farbsegmente aufzuspalten. Direkt am Horizont beträgt der durch Luft hervorgerufene Aufspaltungswinkel nur etwa 1/3 Bogenminute, das ist etwa 1/90 des Sonnendurchmessers. Das Auflösungsvermögen unseres Auges erreicht aber höchstens 1 Bogenminute. Eigentlich müssten wir auch für das grüne Segment der Sonne schlicht blind sein.
Das Sonnenlicht kommt »doppelt«im Auge an
Es muss also ein weiterer Effekt hinzukommen. Grüne Strahlen, die von Beobachtern auf Meereshöhe entdeckt werden, verdanken sich in vielen Fällen so genannten unteren Luftspiegelungen, wie sie über warmen Gewässern auftreten. Ihr Einfluss ist für jeden sichtbar: Wir können ihn an den vielfältigen, aber natürlich nur scheinbaren Deformationen der Sonnenscheibe bei ihrem Untergang ablesen. Spiegelungen dieser Art kommen zu Stande, wenn das von einem Objekt ausgehende Licht nicht nur direkt zum Betrachter gelangt, sondern gleichzeitig auch auf dem Umweg über die Reflexion an einer warmen Luftschicht. Die normalerweise nach unten verlaufenden Lichtstrahlen dringen in diese Schicht nicht ein, sondern werden von ihr zurückgeworfen; einige davon in unser Auge.
Allerdings verortet unser Wahrnehmungssystem das Objekt, von dem das Licht kommt, in geradliniger Verlängerung der Richtung, aus der die Strahlen eintreffen. Zusätzlich zum »echten« Gegenstand sehen wir also auch noch ein Spiegelbild, das wegen der unregelmäßigen Temperaturschichtungen in der Luft meist verzerrt erscheint und sich sogar mit dem Original überlagern kann. Trifft also das Licht der untergehenden Sonne auf die warmen Luftschichten über dem Wasser, erscheinen die verzerrten Sonnensegmente im Idealfall vertikal so stark aufgespreizt, dass sie einen ausreichend großen Teil unseres Sehwinkels ausfüllen und wir sie wahrnehmen können.
So stellt sich der sagenumwobene grüne Strahl als atmosphärisches Phänomen heraus, das sich Effekten der Dispersion, also der Wellenlängenabhängigkeit des Lichts, und der Spiegelung verdankt und das letztlich jeder selbst beobachten kann. Vom Meeresstrand ist das ebenso möglich wie von den Bergen oder vom Flugzeug aus. Man sollte an einem Tag mit ruhigem Wetter ungehindert zum Horizont blicken können – ein Fernglas ist hilfreich – und sich darauf einstellen, dass der Strahl oft nur den Bruchteil einer Sekunde lang zu sehen ist. Erscheint die Sonne, während sie sich dem Horizont nähert, dann tatsächlich immer stärker verzerrt, steht der große Moment – vielleicht – schon kurz bevor.
*Jules Verne. Das grüne Leuchten Frankfurt: Fischer 1992.
PDF: Der grüne Blitz
In der Hitze flimmerte die Luft über dem graublauen Asphalt, in genügend großer Entfernung wurde das Band zu einem Spiegel, die Materie verflüssigte sich zu einem See, in dem sich …(Jan und sein Fahrrad) spiegelten. Er schob dieses Feld, wo Urbild und Abbild auseinanderflossen, vor sich her, und ihm war, als sei die schimmernde Fläche mit der Mitte seines Körpers verbunden.(Bornholm, Nicolaus: America oder Der Frühling der Dinge. Frankfurt 1980).
Von der Verflüssigung bleiben die Kristallklassen verschont. Ihre Anzahl im dreidimensionalen Kristallgitter ist und bleibt 32. Mehr gibt es nicht. Diese magische Zahl hast du heute erreicht. Wenn das kein Grund zum Feiern ist!
Mandorf; Nordmeier, Volkhard; Schlichting, H. Joachim. In: H. Behrend (Hrsg.): Zur Didaktik der Physik und Chemie. Alsbach: Leuchtturm 1994, S. 359.
Bei der physikalischen Betrachtung der Lichtausbreitung geht man davon aus, daß sich Licht in geradlinig verlaufenden Strahlen fortpflanzt und das Auge das Objekt, von dem die Lichtstrahlen kommen, in rückwärtiger geradliniger Verlängerung der Richtung erwartet, die das Licht beim Eintritt in das Auge besitzt.
Ändert sich die Richtung des Lichtes beispielsweise dadurch, daß es auf dem Weg zum Auge Medien verschiedener Brechungsindizes durchquert, kommt es infolgedessen zu jenen paradox erscheinenden Situationen, die man z.B. von „zerbrochenen“ Löffel M Wasserglas oder den verkürzten Beinen im Schwimmbad kennt.