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Gefühl

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Blaue Stunde

1 Ich trete in die dunkelblaue Stunde –
da ist der Flur, die Kette schließt sich zu
und nun im Raum ein Rot auf einem Munde
und eine Schale später Rosen – du!

Wir wissen beide, jene Worte,
die jeder oft zu anderen sprach und trug,
sind zwischen uns wie nichts und fehl am Orte:
Dies ist das Ganze und der letzte Zug.

Das Schweigende ist so weit vorgeschritten
und füllt den Raum und denkt sich selber zu
die Stunde – nichts gehofft und nichts gelitten –
mit ihrer Schale später Rosen – du.

2 Dein Haupt verfließt, ist weiß und will sich hüten,
indessen sammelt sich auf deinem Mund
die ganze Lust, der Purpur und die Blüten
aus deinem angeströmten Ahnengrund.

Du bist so weiß, man denkt, du wirst zerfallen
vor lauter Schnee, vor lauter Blütenlos,
todweiße Rosen Glied für Glied – Korallen
nur auf den Lippen, schwer und wundergroß.

Du bist so weich, du gibst von etwas Kunde,
von einem Glück aus Sinken und Gefahr
in einer blauen, dunkelblauen Stunde
und wenn sie ging, weiß keiner, ob sie war.

3 Ich frage dich, du bist doch eines andern,
was trägst du mir die späten Rosen zu?
Du sagst, die Träume gehn, die Stunden wandern,
was ist das alles: er und ich und du?

„Was sich erhebt, das will auch wieder enden,
was sich erlebt – wer weiß denn das genau,
die Kette schließt, man schweigt in diesen Wänden
und dort die Weite, hoch und dunkelblau.“*

Die Blaue Stunde ist keine Einbildung empfindsamer Menschen, sondern hat einen realen physikalischen Hintergrund, was nicht heißen soll, dass manche auch dann ihre Blaue Stunde erleben, wenn sie physikalisch gar nicht vorhanden ist.


* Gottfried Benn (1886 -1956)

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Komplementarität von Blau und Gelb in der Natur

Dieser Anblick bot sich mir gestern bei einem Spaziergang. Die Wirkung dieser komplementären natürlichen Farben im Kontext eines sonnigen Frühlingstages löste eine innere Spannung aus, der ich nicht sogleich auf den Grund kam. Was hat es mit Gelb und Blau auf sich?
Bei Wikipedia konnte ich nachlesen , dass beispielsweise Vincent van Gogh in seinem Bild Kornfeld mit Krähen seine dramatische, ausweglose Situation zum  Ausdruck bringt und Ernst Ludwig Kirchner in seinem Gemälde Frauen auf der Straße die Entfremdung und Oberflächlichkeit des mondänen Großstadtlebens anprangert. Steckt da etwas Verallgemeinerungsfähiges hinter?
Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb finde ich die Farbkombination in diesem Foto naturschön.

Wolke und Liebe

Hier sind zwar drei Wolken zu sehen. Sie gingen allerdings aus einer Wolke hervor. Das erinnerte mich an das Gedicht von Brecht, wo schließlich nicht mehr sondern weniger als eine Wolke zu sehen war.

An jenem Tag im blauen Mond September
Still unter einem jungen Pflaumenbaum
Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe
In meinem Arm wie einen holden Traum.
Und über uns im schönen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah
Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
Und als ich aufsah, war sie nimmer da.


Seit jenem Tag sind viele, viele Monde
Geschwommen still hinunter und vorbei
Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen
Und fragst du mich, was mit der Liebe sei?
So sag ich dir: Ich kann mich nicht erinnern.
Und doch, gewiß, ich weiß schon, was du meinst
Doch ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer
Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst.


Und auch den Kuss, ich hätt‘ ihn längst vergessen
Wenn nicht die Wolke da gewesen wär
Die weiß ich noch und werd ich immer wissen
Sie war sehr weiß und kam von oben her.
Die Pflaumenbäume blühn vielleicht noch immer
Und jene Frau hat jetzt vielleicht das siebte Kind
Doch jene Wolke blühte nur Minuten
Und als ich aufsah, schwand sie schon im Wind
*

Ich werde ab heute wieder einmal einige Tage in der netzfreien Zone an der Nordsee verbringen. Teilweise habe ich für die nächsten Tage aber bereits vorgesorgt. Auf mögliche Kommentare gehe ich dann nach meiner Rückkehr ein.


* Bertolt Brecht (1898 – 1956), aus: Erinnerung an die Marie A.

Das Licht im Wasser

Kurz nach der Ankunft in der fremden Stadt erlebe ich die hereinbrechende Dunkelheit als passenden Abschluss der hinter mir liegenden langen Reise. Der Himmel ist mit einem dunklen Wolkenband zugezogen. Die ersten Lichter der Straßenbeleuchtung und der Autos blinken wie kleine Nadelstiche auf. Dann plötzlich flammt der bis dahin kaum noch zu erkennende Fluss über die gesamte überschaubare Länge leuchtend hell auf, so als würde er innerlich zu glühen beginnen.
Erst durch einen Blick nach oben komme ich in die Wirklichkeit zurück. Die Wolkenwand ist an einer Stelle aufgebrochen und die tief stehende Sonne zeigt sich noch einmal auf diese spektakuläre Weise. Diese Szene hat sich tief in meine Erinnerung eingeschrieben.
Das Foto ist nur der sichtbare Ausdruck des Geschehens, das sich aus der physikalischen Perspektive folgendermaßen darstellt: Wenn Licht auf eine Wasserfläche trifft, dringt ein Teil in das Wasser hinein. Ein anderer Teil wird gemäß Einfallswinkel gleich Reflexionswinkel vom Wasser reflektiert und zwar mit einer umso größeren Intensität, je flacher das Licht auf die Wasserfläche auftrifft. Wäre der Fluss spiegelglatt (sic!) würde man die Sonne an einer bestimmten Stelle im Wasser spiegelnd reflektiert sehen, nämlich dort wo der Reflexionswinkel gerade mit meiner Beobachtungsposition übereinstimmt. Da die Oberfläche des Wassers aber eine gewisse Welligkeit aufweist, wird das Licht den unterschiedlichen Wellenneigungen entsprechend in verschiedene Richtungen reflektiert. Das kennen wir beispielsweise von der Lichtbahn auf dem Wasser des Meeres, den die tiefstehende Sonne zum Beobachter hin auf dem Wasser entstehen lässt. Genau das ist auch hier der Fall. Die Lichtbahn (auch Schwert der Sonne genannt) ist offenbar breiter als der Fluss, sodass so gut wie keine dunklen Bereiche übrig bleiben und der Fluss in der überschaubaren Länge im Licht erstrahlt.

Stütze in schwerer Zeit

Diese Berührung berührt. Was sagt mehr über den Zustand der Wälder aus als ein Bild das menschliche Gefühle auslöst, die hier eigentlich gar nicht hingehören.

Unheimlicher Sonnenuntergang

Auf den ersten Blick sah es so aus, als wütete hinter dem auf einem Berg gelegenen Wald ein Feuer, das drohte auf die übrige Welt überzugreifen. Aber es war nur eine etwas aufwändigere Illumination des Sonnenuntergangs: Für eine kurze Zeit wurde am Ende eines wolkenverhangenen Regentags der Wolkenvorhang beiseite geschoben bzw. ausgedünnt, damit man einen Blick auf die Bühne der Natur werfen konnte, die hier einen alltägliches Spiel in großer Schönheit zelebrierte.

Bildwelt und Bildwirkungen

Bilder und Geschichten können den Menschen helfen, jenseits aller Begrifflichkeit in der Dichte ihrer Befindlichkeiten und Gefühle eine Ordnung zu finden, die ihnen Orientierung und Halt im Leben geben kann.
Verbale Erklärungen sind dabei oft ungeeignet, weil Gefühlsmäßiges und Atmosphärisches kaum ohne entscheidende Gehaltseinbußen auf Begriffe gebracht oder in Worte gefasst werden können. Auch wenn Worte fehlen, muss es möglich sein, die Menschen jenseits aller Intellektualität anzusprechen und zu berühren.

Wer sich für das hier zur Illustration genutzte Phänomen physikalisch verstehen möchte, kann sich hier informieren.

Indiskreter Schatten

Als ich den eigenen Schatten auf dem Rücken der nichtsahnenden/nichtsfühlenden Person gewahrte, der in einer Überlagerung userer beider Gehrhythmen ondulierte (Stichwort: gekoppelte Schwingung), beschlich mich ein merkwürdiges Gefühl.
Zum einen war die Situation sehr unwahrscheinlich: Die Sonne stand so tief*, dass sie fast waagerecht einfiel, und zwar zufällig in einer Straße, die genau in ihrer Strahlrichtung verlief. Zum anderen traf sie auf zwei in einem passenden Abstand hintereinander gehende Personen, sodass der Schatten der hinteren auf den Rücken der vorderen fallen konne. (Offenbar ohne einen Impuls zu übertragen).
Obwohl ein Schatten ja nur ein Loch im leichten Licht ist, das in diesem Fall von meiner Silhouette ausgeschnitten wird, empfand ich, der Person hinterrücks auf die Pelle gerückt zu sein und verlangsamte unwillkürlich meinen Schritt, wodurch die Situation aber nicht wirklich besser wurde.
Die Probleme Peter Schlemihls erscheinen mir fortan in einem anderen Licht.

 

 


*Man sieht den bevorstehenden Sonnenuntergang auch an dem leicht rötlichen Ton, den die weißen Kleidungsstücke annehmen.

Zur Kunst der Handhabung

All perception of truth is
the perception of an analogy;
we reason from our hands to our head.

Henry David Thoreau (1817 -1862)

Als ich spaßeshalber mit der Hand feststellen wollte, wie sich das leicht übergefrorene Moos anfühlte, spürte ich wie die Hand zunächst auf harte, kalte Eispartikel stieß, die aber unversehens ihren Widerstand aufgaben, indem sie sich verflüssigten. Das Moss wurde weich, die Hand sank ein und das Gefühl entsprach wieder dem vertrauten Moosgefühl – wenn auch stark unterkühlt.
Doch das war nicht alles. Als ich die Hand wieder entfernte, hinterließ sie eine visuelle Spur, die mir deutlich vor Augen führte, dass meine Berührung den berührten Gegenstand verändert hatte.
In diesem kleinen Spiel liegt eine große Wahrheit: Um den wahren Zustand eines Systems zu ermitteln, muss man behutsam vorgehen. Denn die nicht zu vermeidende Rückwirkung ist oft unerwünscht.
Dies gilt zumindest für die physikalische Praxis. Denn die Sensoren/Messgeräte sollen möglichst keinen Einfluss auf das System ausüben und es dadurch verändern. In anderen Bereichen mag es genau umgekehrt sein.

Hoffnung oder die Liebe zur Geometrie

Weißt du was ein Dreieck ist? Unentrinnbar wie ein Schicksal; da hilft kein Rütteln und Zwängeln, kein Schwindeln, es gibt nur eine einzige Figur aus den drei Teilen, die dir gegeben sind. Hoffnung, das Scheinbare unabsehbarer Möglichkeiten, was unser Herz so oft verwirrt, zerfällt wie ein Wahn vor den drei Strichen. So und nicht anders! Sagt die Geometrie.*

Die Dreiecke auf dem Teich werden von zufallsbedingen floralen Auswüchsen überformt, die aus der Sicht der Geometrie so gar nicht zu den geraden Linien passen wollen. Offenbar waren diese unabsehbaren Möglichkeiten der Eisbildung nicht erwartet worden, als zu Beginn des Zufrierens die drei Teile über die Wasseroberfläche eilten und sich zu einer geometrischen Figur vereinigten – einem Dreieck.


*Max Frisch. Don Juan oder die Liebe zur Geometrie. In: Stücke. Frankfurt 1962, S. 259

Zeit der Blasen…

Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich in die Blase eingestiegen bin/einsteigen musste. Aber jetzt merke ich, dass ich drin bin. Es fängt an hohl zu klingen, sich fremdartig anzufühlen, antiseptisch zu schmecken und…
Aber zumindest sieht man, was draußen passiert und gesprochen wird.
Hier ein paar wichtige Gesprächsfetzen:
Ferkel und Pu „begannen sich freundschaftlich über dies und jenes zu unterhalten, und Ferkel sagte: „Falls du verstehst, was ich meine, Pu“, und Pu sagte: „Genau das finde ich auch, Ferkel“, und Ferkel sagte: „Aber andererseits, Pu, müssen wir auch daran denken“, und Pu sagte:“Sehr richtig, Ferkel, es war mir nur kurz entfallen.„*

 

 


* A.A. Milne. Pu der Bär. Hamburg 1987, S. 62

Das Foto wurde nicht manipuliert. Das muss man in Zeiten der Digitalfotografie manchmal schon hinzufügen.

Das Meer

Grüß‘ mir das Meer,
Silberne Wellen
Rauschen und schwellen,
Schön ist das Meer!

Grüß‘ mir das Meer,
Golden es schäumt‘,
Ob es auch träumet?
Tief ist das Meer.

Grüß‘ mir das Meer,
Glücklich es scheinet
Ströme es weinet,
Groß ist das Meer*


*Friederike Kempner (1836-1901)

Never ending stories I – die Endlosschleife

Im Kunstmuseum Wolfsburg ist zurzeit eine beeindruckende Ausstellung unter dem Namen “Never ending Stories” zu besichtigen und vor allem zu erleben, die sich mit dem Loop in Kunst, Film, Architektur, Musik, Literatur und Kulturgeschichte befasst. Dort steht man dann zum Beispiel vor einer Kamera, die ein Tonband filmt wie es dabei ist die Geräusche der Kamera aufzunehmen, die das Tonband filmt.
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Vollkommen und herzlos

Ring_formt_HerzUm die Vollkommenheit zu erreichen, wäre eine außermenschliche Kühle notwendig, und dann gäbe es kein Menschenherz, mit welchem man die eigene Vollkommenheit lieben könnte.

Fernando Pessoa (1888 – 1935). Das Buch der Unruhe. Frankfurt 1987.

Doch manchmal treten Herzen zu Tage, wo man sie nicht erwartet, z.B. hier und hier und hier und hier. Der auf die dreidimensional strukturierte Fläche des aufgeschlagenen Buches fallende elliptische Schatten des kreisförmigen Ringes lässt eine typische Herzform entstehen. Da sieht man mal, dass Bücher auf ganz unterschiedliche Weise zu Herzen gehen können.

Im Frühling

Frühling-2016Hier lieg‘ ich auf dem Frühlingshügel:
Die Wolke wird mein Flügel,
Ein Vogel fliegt mir voraus.
Ach, sag‘ mir, alleinzige Liebe,
Wo  d u  bleibst, dass ich bei dir bliebe!
Doch du und die Lüfte, ihr habt kein Haus. Weiterlesen

Im Jahr des Lichts (29) – Sonnenaufgang als Erlebnis

La-Palma

Den 4. Advent lassen wir im Licht der Sonne erstrahlen und erinnern daran, dass es in dieser Zeit nicht überall kalt und ungemütlich ist. Auf der Südhalbkugel der Erde ist jetzt Sommer. Das Erlebnis des Sonnenaufgangs soll uns dabei mit den Worten von Jean-Jacques Rousseau (1712 -1778) nahegebracht werden. Weiterlesen

Was sagen die Sonnenblumen?

SonnenblumenWieder die Blendung durch das absolute Gelb. Wieder der Eindruck, dass sie (die Sonnenblumen) sie ansehen und zu ihr sprechen, alle Köpfe der Blumen auf Mathilde gerichtet sind, die sich nicht mehr rühren kann.
„Eh, was hast du?“, sagt Bénédicte?
„Ist dir nicht schwindelig?“, fragt Mathilde.
„Nein, warum?“
Warum? Sie ist schon erstaunlich, diese Bénédicte, sie spürt nichts und hört nichts. Die Sonnenblumen wie diese da, es ist unmöglich sie zu malen, so schön sind sie, es ist unmöglich sie zu verstehen, so sehr sie auch mit einer aus Millionen von strahlenden Mündern bestehenden Stimme schreien, hat sie sowas schon gesehen?
(…) Mathilde findet es traurig, dass Bénédicte unempfindlich für die Sonnenblumen ist. Das ist beunruhigend.
Noelle Châtelet: La Petite aux tournesols. Paris 1999

Der September, die Wolke, die Liebe, das Erinnern

IMG_7054Erinnerung an Marie A
Der September, die Wolke und die Liebe
An jenem Tag im blauen Mond September
Still unter einem jungen Pflaumenbaum
Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe
In meinem Arm wie einen holden Traum.
Und über uns im schönen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah
Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
Und als ich aufsah, war sie nimmer da. Weiterlesen

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