Die gegen den Strand laufenden Wellen kommen schließlich zur Ruhe, kehren um und versickern teilweise im Sand. Dabei hinterlassen sie stets eine feine Linie aus mittransportierten Teilchen. Wenn die nächste Welle noch weiter ausläuft, rückt diese Linie noch ein Stück weiter landeinwärts. Wenn wegen der eintretenden Ebbe die folgenden Wellen es nicht mehr bis zur letzten Linie schaffen, bleibt diese dann unangetastet liegen. Das ist in diesem Foto der Fall.
Interessant sind die Strukturen, die sich im Laufe der Zeit ergeben, wenn sich mehrere solcher Grenzlinien überschneiden. Bei größerem Sandtransport können sich dann Muster ergeben, die sehr stark an das Panorama eines im Dunst liegenden Gebirges erinnern. Bei klarem Wasser mit nur wenigen transportierten Teilchen ergeben sich oft feine, filigrane Zeichnungen, die Aufschluss über die leichten Variationen der Wellenrichtungen geben und zu immer wieder neuen Mustern führen. Ich habe mich schon immer gefragt, ob dabei nicht auch mal ganz unwahrscheinliche Muster entstehen, z.B. gerade und senkrecht aufeinander stehende Linien. Die Antwort habe ich dabei meist mitgedacht: Theoretisch müssten solche Strukturen auch vorkommen. Aber wer hat die Zeit, so lange beobachtend zu warten?
Da hilft es nur, dass einem der Zufall entgegen kommt. Und das ist der Fall im hier gezeigten Foto. Zwar sind die Geraden nicht perfekt – das gibt es ohnehin nicht in der Natur – aber genau so etwas wie ich es hier zeigen kann, hatte ich mir vorgestellt.
In den Wüsten sorgt der Wind nicht nur für stets gefegte und somit gepflegte Dünen, sondern schafft darüber hinaus gerade Linien und einfache geometrische Strukturen. Man muss den Blick nur ein wenig schweifen lassen, um Abszissen, Ordinaten, spitze und stumpfe Winkel zu erkennen, die durch ihre schiere Größe beeindrucken. Die Sonne hilft durch Licht und Schatten für deutliche Kontraste und eine naturschöne Aufzeichnung.
Wenn man den Wind erlebt, der den Sand oft in komplexen Wirbeln über die Hänge der Dünen treibt, erscheint es schon erstaunlich, dass dabei derart geometrisch geordnete Strukturen herauskommen können.
Ich habe lange überlegt, was mich ästhetisch an diesem Ausschnitt aus einer Steinmauer so fasziniert. Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass es das irritierend anziehende Wechselspiel zwischen Präzision und Variation in Form und Farbe ist. Hier ist eine Fläche mit hoher geometrischer Präzision durch Elemente aufgeteilt worden, von denen keines wie das andere ist – jedenfalls nicht genau. Jedes Element hat eine andere Größe und eine ander Farbe, wenngleich sie sich teilweise sowohl in einigen Fällen in der Größe, der Form und der Farbe kaum unterscheiden.
Die meisten Leute kranken daran, daß sie nicht aussagen können, was sie sehen und was sie denken. Man behauptet, es sei nichts schwieriger als eine Spirale in Worten zu definieren: Man muß dazu, sagt man, in der Luft mit der literaturlosen Hand eine ansteigend geordnete, eingerollte Gebärde vollführen, dank welcher sich diese abstrakte Figur der Sprungfedern oder manchen Treppen den Augen darstellt. Doch sobald wir uns daran erinnern, daß reden erneuern heißt, können wir eine Spirale ohne Mühe definieren: es ist ein Kreis, der aufsteigt, ohne je imstand zu sein, sich zu schließen. Die meisten Leute, ich weiß es wohl, würden es nicht wagen, auf diese Weise zu definieren, weil sie annehmen, daß definieren das aussagen heißt, was die anderen hören möchten, und nicht das, was man sagen sollte, um zu definieren. Besser gesagt: eine Spirale ist ein virtueller Kreis, der sich aufsteigend entfaltet, ohne je zu seiner Verwirklichung zu gelangen. Aber nein, diese Definition ist ebenfalls noch abstrakt: Ich werde eine konkrete Formulierung suchen und alles wird klar sein: eine Spirale ist eine Kobra, die sich vertikal nicht einrollt.*
Fernando Pessoa. Das Buch der Unruhe. München 1987, S.: 292
In dem Maße, wie die Sonne immer tiefer sinkt, gewinnt das ansonsten wenig auffallende Schneefeld immer mehr an Profil. Wo bisher nur die von einer Schafherde abgeernteten Pflanzenreste in Form von toten Halmen zu sehen waren, sieht man sie nunmehr immer deutlicher aus kleinen gleichmäßig gerundeten Hügeln herausragen.
Die Hügel sind dabei, in Abstimmung mit der sinkenden Sonne ihre Schatten deutlich zu verlängern. Blaue Schatten – denn wo das Sonnenlicht nicht hinkommt, dominiert das Himmelslicht. Diese Schatten nehmen immer mehr die Form von Kegelschnitten an. Aber auch die Halme verlängern sich mit feinen Schattenlinien. Und da sie in der überwiegenden Mehrzahl auch mit der Spitze im Schnee eintauchen und so mit der Schneeoberfläche als dritter Seite Dreiecke bilden, liefern sie auch einen eigenen Beitrag zur Geometrie auf dem Schneefeld.
Dass die Halme mit einem Schneeberg umgeben sind, verdanken sie dem Schneegestöber von vor zwei Tagen. Der Schnee verfing sich an den Halmen und rundete sich in der Folgezeit durch verschiedene Prozesse zu ziemlich gleichmäßig geformten Hügeln. Die Hügel, aus denen kein Halm hervorlugt, haben schlichtweg den Kürzeren gezogen und diesen vollkommen in sich eingeschlossen.
Weißt du was ein Dreieck ist? Unentrinnbar wie ein Schicksal; da hilft kein Rütteln und Zwängeln, kein Schwindeln, es gibt nur eine einzige Figur aus den drei Teilen, die dir gegeben sind. Hoffnung, das Scheinbare unabsehbarer Möglichkeiten, was unser Herz so oft verwirrt, zerfällt wie ein Wahn vor den drei Strichen. So und nicht anders! Sagt die Geometrie.*
Die Dreiecke auf dem Teich werden von zufallsbedingen floralen Auswüchsen überformt, die aus der Sicht der Geometrie so gar nicht zu den geraden Linien passen wollen. Offenbar waren diese unabsehbaren Möglichkeiten der Eisbildung nicht erwartet worden, als zu Beginn des Zufrierens die drei Teile über die Wasseroberfläche eilten und sich zu einer geometrischen Figur vereinigten – einem Dreieck.
*Max Frisch. Don Juan oder die Liebe zur Geometrie. In: Stücke. Frankfurt 1962, S. 259
Normalerweise sendet die Gurkenpflanze ihre Ranken aus, um durch kreisende Suchbewegungen Kletterhilfen in Form von festen Gegenständen zu finden. Manchmal sind die Gegenstände allerdings weniger fest als erwartet. Im vorliegenden Fall, so scheint es, begnügt sich die Ranke mit einer Luftnummer, indem sie sich zu einer schönen Spirale aufwickelt – so schön, dass ich nicht umhin kam, sie zu portraitieren.
Als Kinder falteten wir aus streifenförmigen Gräsern Fünfecke. Am eindrucksvollsten waren die aus den breiten Blättern der Wasserlilie. Unser Mathelehrer, dem wir unsere Faltungen zeigten, sprang jedoch nicht darauf an. In jüngster Zeit stieß ich auf ein Gedicht von Miguel de Unamuno (1864 – 1936) das genau dieses Fünfeck beschreibt.
Fünfeckstern
Gott, mit den fünf Fingern
beider Hände spielend,
band einen Streif aus Gras;
Fünfeckig war die Schlinge.
So trat des Fünfecks Stern
hervor, der sein Arme
den weißen frischen Flügeln
der Kichererbsenblüte gab*
Ich habe versucht, das Fünfeck in zwei Versionen an einem Wasserlilienblatt anzubringen, indem ich in das Blatt einen Knoten band und dann die gekrümmten Abschnitte mit den Fingern glatt presste.
Natürlich lässt sich das Fünfeck auch aus einem Papierstreifen herstellen. Dazu empfiehlt es sich, von der langen Seite eines DIN A4 – Blattes einen Streifen von ca. 2 cm Breite abzuschneiden und damit vorsichtig einen Knoten zu binden. Vorsichtiges Straffziehen bei gleizeitigem Zusammenpressen führt dann mit ein wenig Geschicklichkeit zu diesem originellen Fünfeck.
* das Gedicht wurde von Alfred Schreiber übersetzt und in einer Sammlung weiterer „mathematisch angehauchter Gedichte“ publiziert: Alfred Schreiber (Hrsg.) Lob des Fünfecks. Wiesbaden 2012
Die Symmetrie wird in diesem Foto ganz offensichtlich in mehrfacher Weise gestört. Dennoch bildet sie so etwas wie einen invarianten Hintergrund, vor dem die Abweichungen von Symmetrie überhaupt erst als solche wahrgenommen werden. Hervorheben möchte ich die Sandrippel, die in ihrer Ähnlichkeit durch zufallsbedingte Abweichungen von einem Muster zeigen, das als solches gar nicht explizit gemacht werden kann. Die Farben des Meeres und des Himmels weichen links und rechts von der Spitze der Düne geringfügig voneinander ab. Schuld ist ein mäßiger Sandsturm, der rechts über die fast lineare Dünenkante fegt und der Atmophäre ein wenig Sandbraun beimischt.
Von Pierre Curie (1859 – 1906), Nobelpreisträger für Physik (1903), stammt der Ausspruch: „C’est la dissymétrie qui crée le phénomene“ (Es ist die Asymmetrie, die das Phänomen erschafft (Übers. HJS)). Ich würde hinzufügen: Die Asymmetrie bzw. der Bruch der Symmetrie bringt auch das Schöne hervor.
Gelungene Burschen, diese Art Punkte! Der alte Brenneke, mein Mathematiklehrer, pflegte freilich zu sagen: Wer sich keinen Punkt denken kann, der ist einfach zu faul dazu! Ich hab`s oft versucht seitdem. Aber just dann, wenn ich denke, ich hätt ihn, just dann hab ich gar nichts. Und überhaupt, meine Freunde! Geht`s uns nicht so mit allen Dingen, denen wir gründlich zu Leibe rücken, daß sie grad dann, wenn wir sie mit dem zärtlichsten Scharfsinn erfassen möchten, sich heimtückisch zurückziehn in den Schlupfwinkel der Unbegreiflichkeit, um spurlos zu verschwinden, wie der bezauberte Hase, den der Jäger nie treffen kann? Ihr nickt; ich auch.* Weiterlesen
Indem ich über die Dünen dem Meer zustrebe, sehe ich schon von weitem etwas in der Sonne blendend hell aufleuchten. Bei näherer Betrachtung weicht die positive Überraschung der Enttäuschung, nun auch schon hier in der zumindest äußerlich sauberen, jeden Tag vom Wind gefegten Dünenlandschaft Plastikmüll vorzufinden. Weiterlesen
So sieht der Blick gemalt aus, den ich einige Tage* vor Augen haben werde, wenn ich nicht gerade am Strand bin, um mich u.a. an den unterirdischen Vorgängen von Ebbe und Flut zu erfreuen, die sich äußerst subtil akustisch wie visuell für diejenigen offenbaren, die nicht nur mit verstöpselten Ohren am Ufer entlang joggen. Weiterlesen
Dünen beindrucken meist durch ihre organischen Formen. Neben der figuralen Ästhetik trägt dazu wohl auch unterschwellig der Gegensatz zu den anorganischen Sandkörnern bei, aus denen die Sandgestalten hervorgehen. Wenn dann wie im vorliegenden Fall auch noch das streng Geometrische in Form von geraden Linien, Dreiecken u.ä. ins Spiel kommt, wird ein weiterer scheinbarer Gegensatz zur Wirkung gebracht. Weiterlesen
In der Wüste oder wüstenartigen Sandlandschaften ist man oft von der organischen, nicht selten an geometrische Formen erinnernden Gestaltung der Dünen fasziniert. Wohnt der Natur eine dem menschliche Kunstempfinden entsprechende Tendenz inne, die selbst im rein Anorganischen, im trockenen Sand, der in seiner Schlichtheit und weitgehender Abwesenheit von Wechselwirkungskräften zwischen seinen Teilchen kaum zu unterbieten ist, zu ästhetisch ansprechenden Mustern führt? Weiterlesen
Im Gilf Kebir habe ich einmal die Zeit gesehen. Sie war ein Rispengras, das sich an seiner Ähre herabbog. Morgens kam der Wind von der aufgehenden Sonne und abends von dort, wo sie unterging. In ihm zeichnete das Gras einen vollkommenen Kreis in den Sand, wie eine Uhr, die keine Stunden kennt.
Raoul Schrott (*1964). Die Wüste Lop Nor. Frankfurt 2003
Auch wenn unsere Uhr nicht ganz komplett ist und die Zeit nicht durch die Sonne, sondern durch die Windrichtung bestimmt wird, so haben wir es doch mit einer geometrischen Form zu tun, die dem Sand das zeitliche Wirken des Windes einprägt – beides – wie die Zeit – keine haltbaren und reproduzierbaren Dinge. Eindrucksvoll ist trotzdem die geometrische Gestalt, die man in der Wüste so wohl kaum erwartet hätte. Sie hat den Spuren des Tieres eines voraus. Während diese beim nächsten Wind verschwinden, wird die „Sanduhr“ unablässlich aufgezogen. Solange der vertrocknete Grashalm seine Aufgabe als Zirkel zu erfüllen vermag, wird er windbewegt mit der Gestaltung und Erhaltung des Kreises befasst sein.
Selbst wenn man nur den geometrischen Aspekt einer Landesgrenze betrachtet, so findet man in ihrer Gestalt die durch geologische, politische und andere Vorgänge bestimmte meist wechselvolle Geschichte einbeschrieben. Die „unendliche Geschichte“ einer Landesgrenze steht daher vielleicht nicht zufällig am Beginn einer Forschungsrichtung, die sich im weiteren und engeren Sinne mit Grenzfragen befaßt. Weiterlesen
Der Satz des Pythagoras ist wohl allen Menschen bekannt, die durch unser Schulsystem gegangen sind. Ich kann mich noch deutlich erinnern, dass mich daran besonders die Hypotenuse beeindruckte. Nicht etwa, weil mich ihr mathematischer Gehalt faszinierte, sondern eher ihr geheimnisvoll anmutender Klang: Hy-po-te-nu-se. Weiterlesen
… es waren Myriaden im Erstarren zu ebenmäßiger Vielfalt kristallisch zusammengeschossener Wasserteilchen (. . . ) und unter den Myriaden von Zaubersternchen war nicht eines dem anderen gleich; eine endlose Erfindungslust in der Abwandlung und allerfeinsten Ausgestaltung eines und immer desselben Grundschemas, des gleichseitig-gleichwinkligen Sechsecks herrschte da, aber in sich selbst war jedes der kalten Erzeugnisse von unbedingtem Ebenmaß und eisiger Regelmäßigkeit.
Thomas Mann (1875 – 1955), aus: Der Zauberberg
An solchen in den Sand oder den Schlick des Wattenmeeres gezeichneten Kreisen beeindruckt, dass offenbar so etwas Künstliches wie ein Kreis, der normalerweise mit dem Zirkel, einem technischen Instrument, gezogen wird, auch zum Artikulationsrepertoire der Natur gehört. Weiterlesen
Wenn man beim Wandern in der Natur plötzlich auf rostbraune regelmäßige Figuren stößt, weiß man sofort, dass es sich um menschliche Hervorbringungen handelt, die in einem irritierenden Verhältnis zur Umgebung stehen. Einerseits scheinen sie so gar nicht zu der naturwüchsigen Umgebung zu passen, wo trotz großer Ähnlichkeiten keine Gleichheiten im strengen Sinne angetroffen werden. Andererseits weiß man, dass der menschliche Zugang zur und Zugriff auf die Natur von Idealgestalten geprägt ist, die es ihm erlauben den vielgestalteten natürlichen Formenreichtum zu bändigen und unter physikalische Gesetze zu bringen. Weiterlesen