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Geschichte der Physik

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Die Physik im Dienst der Kunst – zum 500. Todestag Leonardo da Vincis

Schlichting, H. Joachim. Spektrum der Wissenschaft 5 (2019) S. 64 – 67

Er glich einem Menschen,
der in der Finsternis zu früh erwacht war,
während die anderen noch alle schliefen.
Sigmund Freud (1856–1939)

Leonardo da Vinci war überzeugt, die Praxis müsse stets auf guter Theorie beruhen. Seine eigenen Untersuchungen zu optischen Erscheinungen machten ihn zu einem Vorreiter der neuzeitlichen Physik.

Heute vor 500 Jahren ist Leonardo da Vinci in Frankreich gestorben. Er ist vor allem als Ausnahmekünstler in Erinnerung geblieben – einige seiner Gemälde gehören zu den berühmtesten der Welt. Weniger bekannt ist, dass er sich als Naturforscher optische Regeln für sein künstlerisches Schaffen erarbeitet hat. Die meisten davon sind noch heute gültig, 500 Jahre nach seinem Tod. Mit Hilfe seiner physikalischen Einsichten verlieh er beispielsweise der Mona Lisa über die bloße realistische Abbildung hinaus eine große Lebendigkeit.
So nutzte Leonardo auf einfühlsame Weise Lichteffekte auf dem Körper und dem Gewand. Er forderte, Schatten »sollen nie so beschaffen sein, dass durch ihre Dunkelheit die Farbe an dem Ort, wo sie entstehen, ganz verlorengeht«. Man dürfe keine scharfen Umrisse machen und keine weißen Lichter setzen, außer auf weiße Dinge. Darüber hinaus nutzte er einen Aspekt der Farbperspektive aus, der in dem typischen Blauschimmer ferner Objekte zum Ausdruck kommt: »Ein sichtbarer Gegenstand wird seine wirkliche Farbe in dem Maße weniger zeigen, in dem das zwischen ihn und das Auge eingeschobene Mittel an Dicke der Schicht zunimmt. Das Mittel zwischen dem Auge und dem gesehenen Gegenstand wandelt die Farbe dieses Gegenstandes zur seinigen um.« Er erkannte, dass Wechselwirkungen des weißen Sonnenlichts beim Durchgang durch eine größere Luftschicht eine Blautönung bewirken. Damit war er seiner Zeit weit voraus. Erst der britische Lord Rayleigh konnte Ende des 19. Jahrhunderts das Himmelsblau erklären. Doch bereits Leonardo hatte den richtigen Ansatz: Der Himmel wird deshalb hell und blau, weil »winzige und unsichtbare Atome es streuen«. Er täuschte sich nur darin, dass er Wasserteilchen in der Luft für die Ursache hielt und nicht die Luft selbst…. weiterlesen

Leonardo hat uns auch Rätsel hinterlassen, von denen er sicherlich die Lösung wusste. So sagt er beispielsweise »Man wird oftmals sehen, wie aus einem Menschen drei werden, und alle ihm folgen: und häufig verlässt sie gerade dieser eine, der ähnlichste«. Ob er damit den Doppelschatten eines Menschen gemeint hat, wie er im Foto zu sehen ist und das als Schattengeber fungierende Original hinzugenommen hat?

 

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Leonardo da Vinci (3) – Erklärung des Erdscheins

Leonardo da Vinci hat als einer der ersten zahlreiche Alltagsphänomene im Sinne der neuzeitlichen Physik nicht nur zutreffend, sondern didaktisch elegant beschrieben. Er stellt die Mondphasen so dar, dass man sich unmittelbar in die Situation hineinversetzen muss.

Der Mond hat kein Licht von sich aus,
und soviel die Sonne von ihm sieht,
soviel beleuchtet sie;
und von dieser Beleuchtung
sehen wir soviel,
wieviel davon uns sieht. 

Und wenn er denn schon dabei ist, beschreibt er auch noch gleich das Phänomen des Erdscheins, in dem die Erde als indirekt stahlender Körper hinzugenommen wird. Der Erdschein ist oft beim neuen Mond zu sehen:

Und seine Nacht*
empfängt so viel Helligkeit,
wie unsere Gewässer ihm spenden,
indem sie das Bild der Sonne widerspiegeln,
die sich in allen jenen (Gewässern) spiegelt,
welche die Sonne und den Mond sehen.

(Um den Erdschein im oberen Foto besser sehen zu können, zur Vergrößerung auf Bild klicken).
Auch aus heutiger Sicht sind viele physikalische Beschreibungen aus Leonardos Feder in „Glanz und Präzision, Kraft und Zartheit“ unübertroffen, wie der Physikdidaktiker Martin Wagenschein **(1896 – 1988) es einmal ausgedrückt hat. Dieses fast wie ein Gedicht wirkende Stück Prosa erscheint ihm „als ein kostbares Muster für die endgültige, präzise Fassung einer naturwissenschaftlichen Einsicht, die in der Wirklichkeit des Gegenstandes wie in der Wärme der Muttersprache bleiben darf“.
Leonardo beschreibt das aschgraue Licht als Ergebnis einer doppelten Reflexion von Sonnenlicht. Dieses erreicht den nicht direkt beleuchteten Teil des Mondes über den Umweg des beleuchteten Teils der Erde. Dieser hat gleichzeitig die Sonne und den Mond „im Blick“. Er wählt keinen menschlichen Beobachter, weil dieser wegen des mangelnden Kontrastes vom taghellen Teil der Erde das aschgraue Licht gar nicht sehen würde. Erst wenn er sich mit der Sonne in den Abend dreht und es dunkler wird, wird der Erdschein unter günstigen Bedingungen sichtbar. Heute weiß man, dass in erster Linie nicht die Gewässer den Erdschein bedingen, sondern u.a. Wolken und Schneefelder.


* gemeint ist der im Dunkeln liegende Bereich des Mondes, der von der Sonne nicht erreicht wird.
** Martin Wagenschein. Ursprüngliches Verstehen und exaktes Denken II. Stuttgart 1970, S. 66
Untere Skizze: Leonardos Skizze des Erdscheins aus: Da Vinci’s Codex Leicester (ca. 1510)

Leonardo da Vinci (1) – zwischen Kunst, Naturwissenschaften und Technik

Anlässlich des 500. Todesjahres von Leonardo da Vinci werde ich über das Jahr verteilt typische Phänomene zwischen Kunst, Physik und Alltag darstellen, an denen die besondere Rolle Leonardos an der Schwelle der neuzeitlichen Physik deutlich wird. Das wertvollste Vermächtnis Leonardos sind nicht die 21 Gemälde und auch nicht die etwa 100000 Zeichnungen und Skizzen, sondern die völlig neue Art und Weise wissenschaftlich zu arbeiten und zu denken, die u.a. der neuzeitlichen Physik ihren Weg ebnete.
Leonardo lebte von 1467 bis 1519. Er war damit älter als Kopernikus (1473 bis 1543) und hat noch vor diesem über das heliozentrische Weltbild nachgedacht. So war er beispielsweise der Meinung: „Die Sonne bewegt sich nicht“, womit er gleichzeitig behauptete, dass die Erde sich bewegt.
Sigmund Freud zufolge „glich (Leonardo) einem Menschen, der in der Finsternis zu früh erwacht war, während die anderen noch alle schliefen.
Er sah sich als Moral- und Naturphilosoph (wobei Naturphilosophie auch die Gegenstände umfasste, die wir heute der Physik zurechnen würden) und dokumentierte seine Ideen und Erkenntnisse durch Schrift (Prosa und Dichtung) und Bild (Gemälde, Grafiken und Skizzen).
Leonardo war Universalist, kein Spezialist, wie die heutigen Naturwissenschaftler. So konnte er beispielsweise
– ein Auge sezieren,
– es gleichzeitig malen,
– optische Ideen zum Sehen daran entwickeln,
– diese experimentell überprüfen und
– über sie in anspruchsvoller Prosa schwärmen.
Besonders beeindruckend sind Leonardos zahlreichen Beobachtungen und deren präzisen Beschreibungen von Alltags- und Naturphänomenen, die insbesondere physikalischen Laien einen Weg zum physikalischen Verständnis eröffnen, ohne auf mathematische Formeln zurückgreifen zu müssen.

Foto: Statue vor den Uffizien in Florenz

Kleists Plädoyer für die Naturbeobachtung

regenbogen_mit_supernumeries-kopieMan erzählt von Newton, es sei ihm, als er einst unter einer Allee von Fruchtbäumen spazieren ging, ein Apfel von einem Zweige vor die Füße gefallen. Wir beide würden bei dieser gleichgültigen und unbedeutenden Erscheinung nicht viel Interessantes gedacht haben. Er aber knüpfte an die Vorstellung der Kraft, welche den Apfel zur Erde trieb, eine Menge von folgenden Vorstellungen, bis er durch eine Reihe von Schlüssen zu dem Gesetze kam, nach welchem die Weltkörper sich schwebend in dem unendlichen Raume erhalten. Weiterlesen

Glas bricht Licht – ein Urphänomen

Brillierende-GlaskantenrvIm Regierungsviertel in Berlin sieht man zuweilen an sonnigen Tagen, die Kanten der gläsernen Elmente einiger Gebäude in brillanten Farben erstrahlen, deren Reflexe sich oft auch noch im leicht bewegten Wasser malerisch zu immer neuen Farbmustern zusammenfinden. Diese allenfalls als ästhetisch empfundene Phänomen (War es von den Architekten vorausgesehen oder sogar beabsichtigt?) erinnert mich einmal mehr an die Bedeutung der Brechung des Lichts im geschliffenen Glas: Weiterlesen

Das Experiment mit der Luftpumpe – eine Bildbeschreibung

Das Experiment mit der LuftpumpeSchlichting, H. Joachim. In: Praxis der Naturwissenschaften -Physik in der Schule 64/6 (2015), S. 17 – 19

Was ein Mensch sieht, hängt sowohl davon ab, worauf er blickt,
wie davon, worauf zu sehen ihn seine visuell-begriffliche Erfahrung gelehrt hat.

Thomas S. Kuhn (1922 – 1996)

Am Beispiel der Visualisierung der für die neuzeitliche Physik bedeutungsvollen Vakuumtechnik einschließlich ihrer Rezeption durch den Menschen werden wesentliche Probleme der naturwissenschaftlichen Sehweise und einiger Konsequenzen für das Leben der Menschen im Rahmen einer Bildbeschreibung dargestellt und diskutiert. Damit sollen u.a. Anregungen für eine mögliche Einbeziehung von Bildbeschreibungen in den Physikunterricht gegeben werden.

Abbbildung: Joseph Wright of Derby (1734 -1794) malte im Jahre 1768 das Bild mit dem Originaltitel: An Experiment on a Bird in the Air Pump (National Gallery London). Aus: The York Project (2002): 10.000 Meisterwerke der Malerei. DVD-ROM.

Sonderdruck kann beim Autor angefordert werden (schlichting@uni-muenster.de)

 

Himmel abgeschafft – Zur Sehweise der neuzeitlichen Physik

Himmel abgeschafft 1Schlichting, H. Joachim. In: Praxis der Naturwissenschaften -Physik in der Schule 64/6 (2015), S. 9 – 12

dieser tote sperling“, flüstert einer,
„wird noch durch einen leeren himmel fliegen.“

Jan Wagner (*1971)

Der Beginn der neuzeitlichen Physik wird oft mit Galileo Galilei in Verbindung gebracht, weil er es wagt, die Welt zu beschreiben, wie wir sie nicht erfahren. Diese neue Sehweise brachte ihm Verständigungsschwierigkeiten mit seinen Kollegen insbesondere den Kirchenvertretern ein, die in mancher Hinsicht an die Lernschwierigkeiten unserer Schülerinnen und Schüler erinnern. An diesem historischen Beispiel können diese oft unterschätzten Probleme aus der Distanz betrachtet und möglicherweise mit Gewinn für das Physiklehren und -lernen diskutiert werden.

Abbildung aus: Brüche, Ernst (Hrsg.) (1964): Sonne stehe still. Mosbach: Physik Verlag

Sonderdruck kann beim Autor angefordert werden (schlichting@uni-muenster.de)

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