In der schon früher beschriebenen Dünenlandschaft gibt es immer wieder etwas Neues zu sehen. Der Sand besteht dort aus hellen und dunklen Körnern, wobei die dunkleren eine größere Dichte haben. Sie werden von Wind, Regen, Gravitation und in Küstennähe auch immer wieder vom anstürmenden Wasser gemischt und aber auch entmischt, wobei sich je nach den wechselnden Bedingungen stets neue Rippelmuster entwickeln. Wie Sandrippel entstehen, wurde in früheren Beiträgen beschrieben (z.B. hier).
Das aktuelle Foto zeigt, wie eine vorher vom Wind glattgeschliffene ältere Musterung (dunkle Streifen) von neuen barchanartigen Rippeln überdeckt wird.
Die Natur ließ mir nur wenig Zeit eine Augenblicksaufnahme dieser ästhetisch anmutenden Umstrukturierung zu machen und in dieser Form für die Nachwelt zu sichern 😉
Als Kind hatte ich Schwierigkeit zur Kenntnis zu nehmen, dass „Unfall“ mit „n“ und nicht mit „m“ wie „Umfall“ geschrieben wird, denn das Wort hatte ich in einem ganz konkreten Fall kennengelernt. Als unser Nachbar nach dem wöchentlichen, weinseligen Kartenspiel wie gewohnt mit der Schwerkraft hadernd nach Hause torkelte. Sein verbundener Kopf, den er dann einige Tage mit sich herumtrug, wurde mir – die wahren Umstände verschweigend – als Folge eines Unfalls dargestellt, wobei ich dem konkreten Ereignis entsprechend Umfall verstand.
Diese Reste eines der Dicke der Mauern nach zu urteilen imposanten Gebäudes gibt nicht nur einen Einblick in die Bauweise der Zeit vor dem 2. Weltkrieg, es ist auch ein modernes Vanitas-Symbol. Wie bei antiken Ruinen fallen auch hier insbesondere die bogenförmigen Fensterstürze auf, die durch ihre Stabilität Zeiten überdauern. Heinrich von Kleist hat einmal mit großer Anschaulichkeit die Stabilität darauf zurückgeführt, dass alles Steine gleichzeitig fallen und sich daher gegenseitig festkeilen und am Fall hindern.
Das Gebäude, das bereits stark von der Natur bedrängt wird (endlich mal die umgekehrte Richtung), entdeckte ich am Stadtrand von Danzig. Seine Geschichte konnte ich nicht in Erfahrung bringen.
Eben ruft Tine mich, um mir etwas Merkwürdiges zu zeigen. Sie steht am offnen Fenster und liest ihre Rolle durch – die der Clara in Maria Magdalena, die morgen ist – da fliegt eine Schwalbe vorbei, entleert sich ihres Überflusses und so, daß es mitten ins Zimmer fliegt!*
Ganz so schlimm wie in dieser Tagebuchnotiz von Friedrich Hebbel (1813 – 1863) war es bei uns nicht. Das Fenster war verschlossen und der Schiss war nur auf der Scheibe gelandet – allerdings trotz erheblichen Dachüberstands (siehe Foto). Weiterlesen
Einfache und anschauliche Vorstellungen zu physikalischen Vorgängen findet man oft außerhalb der Physik, z.B. bei dem Dichter Heinrich von Kleist. In diesem Fall kann man sogar davon ausgehen, dass er mit den physikalischen Errungenschaften seiner Zeit vertraut war.
Bögen und Gewölbe faszinieren auch den Laien dadurch, dass sie sich auf eine nicht sofort zu durchschauende Weise den Gesetzen der Schwerkraft zu entziehen scheinen. Und man ist immer wieder erstaunt, dass unter den Überresten antiker Gebäude oft Bögen und Gewölbe vorzufinden sind, die man naiverweise als am ehesten als sturzgefärdet ansieht.
Auch in der aktuellen Physik der granularen Materie spielt die Gewölbebildung durch Kontaktnetzwerke, die die Kräfte der Partikel zu den Seiten ableiten eine wichtige Rolle.
Vor diesem Hintergrund gewinnen die folgenden Worte von von Kleist eine aktuelle Bedeutung: Weiterlesen
Was du nicht erschaffst, du
bist es nicht. Dein Sein nur Gleichung
für Tätigsein: Wie will denn,
wer nicht Treppen zimmert,
über sich hinausgelangen?
Wie will heim zu sich selber finden,
der ohne Weggenossen?
Günter Kunert (*1929)
Auch Gedanken
fallen manchmal unreif vom Baum.
Ludwig Wittgenstein (1889 – 1951)
Isaac Newtons (1642 – 1726) Einfall einer Vereinigung von freiem Fall und kreisenden Planeten wird interessanterweise als Ergebnis einer „empirischen“ Begebenheit inszeniert. Dabei sollte für ihn wie schon für Adam der Apfelbaum zum Baum der Erkenntnis werden: Einer in verschiedenen Versionen tradierten Anekdote zufolge, fällt Newton ausgerechnet durch einen fallenden Apfel der Fall der Planeten auf. In ihrem Fall um die Sonne sieht er einen Sonderfall des freien Falls.
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Es brauchte schon einen Newton,
um zu bemerken, daß auch der Mond fällt,
wo doch jeder genau sieht, daß er nicht fällt.
Paul Valéry (1871 – 1945)
Obwohl Galileo Galilei durch die Dauerhaftigkeit und Gleichförmigkeit der Planetenbahnen am Himmel zu seinen weitreichenden Einfällen inspiriert worden sein könnte, war erst Isaac Newton in der Lage, auf der Grundlage des freien Falls, wie ihn Galilei konzipiert hatte, die Bewegungen der Planeten selbst als einen Sonderfall des freien Falls zu sehen. Weiterlesen
Ich kann es einfach nicht ertragen, wenn die Dinge nicht so laufen, wie ich es mir vorgestellt habe.
Es ist, wie wenn man eine Treppe hintergeht und sich in der Zahl der Stufen irrt. Man denkt, es kommt noch eine Stufe, und auch die Beinmuskeln sind darauf eingestellt. Und dann ist man schon unten angelangt. Der Fuß landen mit einem Bums auf demselben Fleck, ein gewaltsames Aufstampfen, das die ganze Muskelspannung augenblicklich völlig lächerlich und überflüssig macht. Genauso fühlt man sich dann auch. So etwas macht mich rasend. (Connie Palmen (*1955). Die Gesetze. Zürich: Diogenes 1993).
Schlimmer ist es, wenn man denkt, es kommt keine Stufe mehr. Dann erfordert die physikalische Notwendigkeit, einen doppelt so großen Schritt zu tun, auf den man nicht eingestellt ist und daher mechanisch gesehen daneben liegt. Das kann unter Umständen dazu führen, dass man dann auch als ganze Person daneben liegt, nämlich auf dem Boden der harten Fakten.
Meist harmloser ist es, wenn man beim Treppaufgehen noch eine Stufe erwartet und dann eine Art Luftnummer veranstaltet, die für einen selbst überraschend, für einen Außenstehenden witzig erscheint.
Metaphorisch gesehen kommen solche Fehltritte auch auf der Karriereleiter vor. Ich überlasse dem Leser, sich die Entsprechungen der verschiedenen Fauxpas‘ auszumalen oder sich auch nur an entsprechende persönliche Vorkommnisse zu erinnern.
Die Gefahr in eine solche Situation unfreiwilliger Akrobatik zu geraten, wird durch täuschende Lichtverhältnisse (siehe Foto) gefördert. Durch Schatten kann es leicht zu einer Fehleinschätzung der Stufenanzahl kommen: Der Schatten einer Stufe ist eben nur ein Schatten.
Treppensteigen kann also eine Kunst sein.
Vermutlich haben diese Häuslebauer sogar mit einem Lot gearbeitet. Aber da sich ein Lot immer in Richtung der größten Gravitation, der stärksten Anziehungskraft zuwendet, muss in der Nähe irgendeine Gravitationsanomalie herrschen. Schön angemalt haben sie ihr schiefes Bauwerk trotzdem.
Die Aufnahme entstand in Santa Cruz de la Palma.
Von der Trägheit der Materie,
dieser dem Tanze entgegenstrebensten
aller Eigenschaften, wissen sie nichts:
weil die Kraft, die sie in die Lüfte erhebt,
größer ist, als jene, die sie an die Erde fesselt.
Heinrich von Kleist (1777 – 1811). Über das Marionettentheater.
Immer wenn mir das Reich des Menschlichen zur Schwere verurteilt erscheint, denke ich, ich sollte wie Perseus wegfliegen in einen anderen Raum. Ich spreche nicht von einer Flucht in den Traum oder ins Irrationale. Ich meine, ich muß meinen Ansatz ändern, die Welt mit anderen Augen sehen, mit einer anderen Logik, anderen Methoden der Erkenntnis und der Verifikation. Die Bilder der Leichtigkeit, nach denen ich suche, dürfen nicht wie Träume verblassen vor der Realität der Gegenwart und der Zukunft…
Italo Calvino (1923 – 1985) Weiterlesen
„Doch einmal brachte das meilenweit gereiste Familienhaupt vom Markt ein solch Naturgeheimnis mit von der Borsdorfer Art. Mit hochgeröteter Wange, mit schwarzem Butzen schalkhaft lächelnd und edlem Rund sanft geschmeidig nach beiden Polen sich dehnend, wie der große Euler, Neuton und Kopernikus das Weltenall beschreibt. – Warum soll nicht der Apfel nachahmen in seinem Rund, was jedem Geschöpf die Aufgabe ist des Werdens? – So zahlte das weltabgeschlossene Kindesherz mit der Sehnsucht verzehrendem Feuer in der Beschauung des Apfels den Tribut dem Geistesideal der Natur. – Dies brachte den kleinen Erdenwaller bald zu seiner Reise Ziel. Das innere Ideal steigerte seiner Begeisterung Flut; nirgend in der Wüste fand er, wo sie könne an sanftem Ufer sich ebnen: sie brauste hin in die Ewigkeit mit doppeltem Pulsschlag“ (Achim von Arnim (1781 – 1831): Dies Buch gehört dem König).
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DER APFEL FÄLLT NICHT WEIT VOM BAUM. Das ist die Wahrheit, doch nur bedingt. Es gilt für ruhiges Wetter. Deshalb lassen sich die Äpfel lieber erst fallen, wenn ein Sturm kommt. Danach liegen sie so weit vom Baum weg, daß man gar nicht mehr sehen kann, von welchem sie gefallen sind. Nun ist das Weltbild der Äpfel so beschaffen, daß sie nicht genau wissen, wie sich der Sturm macht. Geht unter dem Baum einer vorbei-… halten sie ihn für den Sturmmacher und lockern schon mal die Befestigung am Zweig.
Die Äpfel haben auch eine Theorie, wie es kommt, daß sie bei ausbleibendem Unwetter so nahe am Baum fallen. Es ist die Einwirkung der Baummasse auf die Apfelmasse, die das bewirkt. Die Äpfel nennen das ihre Gravitationstheorie.
Auf dieser beruht es, daß Newton ausgerechnet durch den Apfelfall mit dem Einfall für die „Principia“ indoktriniert werden konnte.
Hans Blumenberg (1920 – 1996)
Schlichting, H. Joachim: In: Spektrum der Wissenschaft 45/1 (2014), S. 54 – 55
Laien erklären den Flutberg auf der mondwärts gewandten Erdseite oft mit der Anziehungskraft des Monds. Doch das kann nicht stimmen, denn auf der Rückseite der Erde gibt es einen zweiten Berg. Was ist also die wahre Ursache?
Das ungesattelte Meer,
zweimal täglich vom Mond geritten
Jeanette Winterson (geb. 1959)
Foto: Wattwagen kehren bei Ebbe von der Insel Neuwerk nach Cuxhaven-Sahlenburg zurück
Lange bevor Galilei seine Kugeln die schiefe Ebene hinabrollen ließ und damit der neuzeitlichen Physik einen entscheidenden Impuls gab, haben Mensch und Tier vor allem negative Erfahrungen mit abschüssigen Bahnen gemacht. Solange im geschlossenen Universum eines schrägen Zimmers im Science Center (Phaeno in Wolfsburg) letztlich die Wände die Besucher vor dem Abrutschen bewahren, kann man damit seinen Spaß haben. Im kosmischen Maßstabe wurden jedoch infolge der kopernikanischen Wende diese Wände weggeräumt, und die Menschheit einem offenen Universum ausgesetzt, das die Menschen in Schrecken zu versetzten vermöchte. Jedenfalls geht es selbst Blaise Pascal so, einem der Protagonisten der neuzeitlichen Physik, wenn er sagt: „Le silence éternel de ces espaces infinis m’effraie“. (Die ewige Stille dieser unendlichen Weiten macht mir Angst). Weiterlesen
Schlichting, H. Joachim. In: Sumfleth, Elke (Hrsg.): Chemiedidaktik im Wandel – Gedanken zu einem neuen Chemieunterricht. Münster: Lit- Verlag 1999, S. 255-277.
Es gehört für die Newtone, in dem Sturz eines Apfels
die Ordnung des Weltsystems zu finden
Johann Gottfried Herder
Der freie Fall ist ein besonderer Fall des Lehrens und Lernens und damit des Verstehens von Physik schlechthin. Obwohl und weil er von „fertigen“ Physikern als einfach angesehen wird, bereitet er Laien große Schwierigkeiten, die weniger in den fachwissenschaftlichen Anforderungen begründet sind, als vielmehr in den stillschweigenden Voraussetzungen, die bei der Konzeptualisierung des freien Falls zugrundegelegt werden müssen. Der Fall wird nicht einfacher dadurch, daß wir im Alltag mit zahlreichen Fällen zu tun haben, denn der freie Fall ist kaum dabei, eher ist das Gegenteil der Fall. Weiterlesen
Schlichting, H. Joachim; Farwig, Paul. In: phys. did. 4, 197 (1977).
Die Gezeiten sind zu jenen, der unmittelbaren Erfahrungswelt der Schüler entstammenden Naturphänomenen zu zählen, die im Unterricht unserer Schulen nach Wagenschein zu Unrecht entweder überhaupt nicht oder nur unzureichend behandelt werden. Um dieses Defizit beseitigen. zu helfen, wurden die Gezeiten in der vorliegenden Arbeit als elementare Anwendung der Newton’schen Gravitationstheorie dargestellt. Den schulstufenspezifischen Ansprüchen entsprechend wurde zunächst eine qualitative bzw. halbquantitative Erklärung der wesentlichen Grundgedanken von Ebbe und Flut skizziert, um dann darauf aufbauend quantitativ vertieft zu werden.