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Natürliche Bälle am Meeresstrand

Manche Menschen fühlen sich gestört durch die mehr oder weniger große Ansammlungen von vermeintlichem, stinkenen „Unrat“ an manchen Stränden des Mittelmeeres, von dem in den beiden Fotos Details gezeigt werden. Dabei handelt es sich um natürlicherweise entstandene, angeschwemmte Überreste von Meerespflanzen. Sie bestehen aus braunen, faserigen kurzen Ästchen, an denen oft noch Reste von länglichen Blättern haften, deren ehemaliges frisches Grün meist nur noch erahnt werden kann.
Es handelt sich um abgestorbene Bestandteile des Neptungrases (posidonia oceanica), das in flachen Bereichen auf dem Meeresgrund wächst. Das Gras ist mit einem Erdspross (Rhizom) im Boden verankert. Es wird zuweilen durch unterschiedliche Einwirkungen herausgerissen und landet irgendwann am Strand, wo es sich an bestimmten Stellen ansammelt.
Als ich diese Ansammlungen zum ersten Mal sah, dachte ich sie wären von beflissenen Reinigungskräften des Strands zusammengetragen worden, um danach abtransportiert zu werden. Das haufenweise Auftreten dieser erst auf den zweiten Blick gefälligen Pflanzenreste ist jedoch einem Selbstorganisationvorgang zu verdanken. Nehmen wir an, einige dieser faserigen Erdsprosse (untere Abbildung) haben sich zufällig ineinander verhakt. Für die anbrandenden Wellen ist es dann schon etwas schwieriger sie vor sich herzutreiben als einzelne Exemplare. Die Wahrscheinlichkeit, dass solche Einzelexemplare durch die unermüdlichen Wellenaktivitäten irgendwann einmal zu einer solchen Ansammlung  gelangen, sich dort verhaken und hängenbleiben, wird mit jedem Sproß größer. Denn die Voraussetzungen für eine Verhakung werden umso günstiger, je reichhaltiger die Ankopplungsmöglichkeiten werden. Und diese wachsen mit der Größe der Ansammlung. Fazit: Je größer der Haufen desto schneller das Wachstum. Oder wie schon in der Bibel zu lesen ist: „Wer da hat, dem wird gegeben“ (Matthäus 13:12).
In der Nähe der massenhaften Ansammlung der Erdsprosse, findet man häufig auffällig perfekt geformter Filzkugeln, deren Herkunft nicht unbedingt sofort mit den Sprossen in Verbindung gebracht wird. Trotz der farblichen Ähnlichkeit erinnert die Kugelform mehr an etwas Hergestelltes als an etwas Gewordenes. Und diese Differenz war für mich offenbar so groß, dass meine Hypothesen zunächst in weiter entfernten (im Nachhinein sehr abwegigen) Gefilden festen Grund suchten, als in den ganz in der Nähe befindlichen Seegrashaufen.
Hat man aber erst einmal begriffen, dass hier ein Zusammenhang besteht, kann es ohne fremde Hilfe gelingen, der Entstehung der Filzkugeln auf den Grund zu kommen. Denn ganz ähnlich wie das selbstorganisierte Wachstum durch Verhakungen an Land zu haufenweisen Ansammlungen von Erdsprossen führt, entstehen auf dem Meeresgrund, also dort wo das Neptungras wächst, auf ähnliche Weise diese merkwürdigen Filzbälle (linkes Foto).
Lange bevor die Erdsprosse das Land erreichen, können sie schon unter Wasser zum Spielball der Wellenbewegung werden. Nachdem sie auf diese Weise in einzelne Bestandteile zerfasert werden, kommen sie durch das rhythmische Hin- und Her der Wellen auf dem Boden immer wieder miteinander in Berührung. Dadurch wächst die Wahrscheinlichkeit sich ineinander zu verhaken. Nach einem ähnlichen Prinzip wie beim Wachstum der Haufen kompletter Sprosse am Meeressaum gilt auch hier: Je mehr Teile bereits ineinander verhakt sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass weitere Teile eingefangen werden. Wegen der durch den Auftrieb verminderten Gewichtskraft der so entstehenden Filzaggregate, bleiben auch größere Exemplare unter Wasser kaum an einer Stelle liegen. Sie werden durch den anhaltenden Wellengang über den Meeresboden geschoben und nach einer gewissen Abrundung gerollt. Herausragenden Fasern werden dabei zunehmend abgewetzt oder ins Innere der entstehenden Kugel gedrückt, die dadurch weiter verfestigt wird. Der Einfang weiterer Pflanzenfasern wird dadurch schließlich immer unwahrscheinlicher. Außerdem nehmen die runden Gebilde aufgewirbelten Sand auf, wodurch sie immer fester und dichter werden. Es findet eine regelrechte Verfilzung statt und die in alle Richtungen gerollten Bälle nehmen eine immer perfektere Kugelform an.
Dass das Rollen von zunächst unförmigen Gegenständen zwangsläufig zu Kugeln führt, kennt man beispielsweise von der Herstellung von Knetgummikugeln: Ein Stück Knete wird zwischen den rotierenden Handflächen unter sanftem Druck gewalzt. Aber auch die kugelförmigen Perlen von Schmuckarmbändern entstehen aus ursprünglich unförmigen Bruchstücken in rotierenden Behältern gleichsam von selbst.
Aus dem abgestorbenen Neptungras kann nach neueren Erkenntnissen Dämmstoff gewonnen werden, das nicht nur eine hohe Wärmedämmung bewirkt, sondern auch ohne weitere Zusätze die gesetzlich vorgeschriebenen Bedingungen des Brandschutzes erfüllt. Ausschlaggebend dafür ist die silikathaltige Faserstruktur der Pflanze. Hinzu kommt, dass das Material frei ist von gesundheitlich bedenklichen Emissionen und Inhaltsstoffen.
Es sollte aber auch darauf hingewiesen werden, dass das Neptungrass ökologisch gesehen für das Mittelmeer überlebenswichtig ist. Es fungiert als eine Art Unterwasserwald, in dem das Wasser gefiltert und geklärt wird, und es bietet zahlreichen Tieren einen schützenden Lebensraum. Als Sauerstoffproduzent kann es u.A. auch als Kinderstube für Fische angesehen werden. Umso Besorgnis erregender ist es, dass das Neptungras bedroht ist. In den letzten 50 Jahren ist es in seinem Bestand aus mehreren Gründen (u.a. Klimaerwärmung) um 34% zurückgegangen. In manchen Regionen des Mittelmeeres werden daher bereits Schutzmaßnahmen ergriffen.
Den Touristen, die das Seegras oft als Verunreinigung ansehen, sei gesagt, dass das Seegras den Strand sogar schützt, indem es den Wellengang schwächt.  Sie sollten daher mehr die ästhetischen Aspekte z.B. in Gestalt der schönen runden Filzbälle in den Blick nehmen.

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Der angekettete Ring oder: Strukturbildende Verhakung

Das Kunststück ist einfach: Eine in sich geschlossene Kette wird mit der einen etwas gespreizten Hand so gehalten, dass die beiden Halbketten locker dicht nebeneinander herunterhängen. Mit der anderen Hand wird von unten ein Ring über die Kette geschoben. Indem die beiden Teile der Kette den Ring berühren, lässt man den Ring fallen und das Unerwartete tritt ein: Der Ring fällt nicht zu Boden, sondern wird von der Kette gefesselt und bleibt am unteren Ende hängen. Man muss den Knoten in der Kette lösen, um den Ring wieder frei zu bekommen. Die mit etwas Übung leicht durchzuführende Aktion steht in keinem Verhältnis zur Unglaublichkeit des Ergebnisses. Wie die nebenstehenden Bilder einer Slow-motion Fotoserie* zeigen, ist hier jedoch keineswegs Zauberei im Spiel sondern knallharte Physik. Weiterlesen

Staubflusen und Wollmäuse – Wesen komplexer Verhakungen (hangups)

Staubflusen treten nicht sofort in Erscheinung, sondern erst, wenn sie eine von der Wahrnehmungs- und Schmutztoleranz der jeweiligen Bewohner abhängige kritische Größe überschritten haben. Sie werden meist als störend bis abstoßend empfunden, obwohl sie selbst durch gegenseitige Anhänglichkeit entstehen und dabei zuerst die physikalische und dann die psychologische Sichtbarkeitsschwelle überschreiten. Weiterlesen

Blätter sind auch nur Menschen

Kein Mensch gleicht dem anderen. Das könnte man mutatis mutandis auch für abgeworfene Blätter sagen. Wie die Menschen lieben auch sie die Gesellschaft und tun sich zu größeren Ansammlungen zusammen. Anders als der Mensch, der dazu meist einen fahrbaren Untersatz benötigt, nutzen sie den Wind. Natürlich gibt es immer einige einsame Wölfe, die sich abseits der großen Masse halten. Weiterlesen

Filzbälle am Meeresstrand

SeeballAn manchen Stränden des Mittelmeeres findet man ganze Bänke von pflanzlichen Überresten. Sie bestehen aus braunen, faserigen kurzen Ästchen, an denen oft noch Reste von länglichen Blättern haften, deren ehemaliges frisches Grün meist nur noch erahnt werden kann.
Es handelt sich um abgestorbene Bestandteile des Neptungrases (posidonia oceanica), das in flachen Bereichen auf dem Meeresgrund wächst. Weiterlesen

Über die konstruktive Rolle der Reibung

Schlichting, H. Joachim; Rodewald, Bernd. In: In: Scharmann et al. (Hrsg.), Vorträge der Frühjahrstagung der DPG, Gießen 1983, S. 44

Obwohl die klassische Mechanik sich auf Vorgänge (wie Bewegungen, Kraftwirkungen usw.) bezieht, die eine unmittelbare Bedeutung für elementare lebensweltliche Erfahrungen haben, erweist die sich als Quelle von Lernschwierigkeiten für die Schüler. Einer der wesentlichen Gründe dürfte darin zu sehen sein, daß von den Schülern letztlich verlangt wird, „die Welt so zu beschreiben, wie wir sie nicht erfahren“ (Carl Friedrich von Weizäcker). Im Unterschied zu dem, was sie unmittelbar beobachten und erleben, nämlich, daß schwere Gegenstände schneller als leichte fallen, zur Aufrechterhaltung einer gleichförmigen Bewegung eine Kraft nötig ist usw., werden der klassischen Mechanik dem widersprechende Erfahrungen zugrunde gelegt. Nachgewiesen wird die Richtigkeit jener – physikalisch genannten – Erfahrungen i. a. mit Geräten wie Luftkissenbahn, evakuierten Glasröhren usw., die häufig eigens zu diesem Demonstrationszweck hergestellt wurden.

PDF: Konstruktive Rolle der Reibung

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