Zugegeben, das Foto ist unscharf. Aber das ist bewusst geschehen. Denn anderenfalls hätte ich kaum einen Eindruck davon vermitteln können, wie das Gras vor ein paar Tagen in der Morgensonne in allen Spektralfarben funkelte. Es sind die Tautröpfchen, die – normalerweise übersehen oder in Form nasser Füße ein Ärgernis darstellen – hier deutlich und ästhetisch ansprechend auf sich aufmerksam machen. Sie reflektieren das Sonnenlicht ins Auge des Betrachters.
Wenn man die Sonne im Rücken hat und sich vor den tropfnassen Blättern bewegt, beobachtet man, dass das Funkeln in einem Aufflammen und Verlöschen einzelner Lichtblitze besteht, die synchron der Bewegung folgen. Beeindruckend ist insbesondere, dass neben weißen auch farbige Lichtblitze zu sehen sind. Wenn man einen Lichtpunkt fixiert und die Blickrichtung leicht variiert, kann man erreichen, dass dabei ein ganzes Spektrum von Farben durchlaufen wird. Durch die Beobachtungskonstellation wird klar, dass das Sonnenlicht ähnlich wie beim Regenbogen 1. Ordnung in die Wassertropfen eindringt und nach zweimaliger Brechung und einmaliger Reflexion ins Auge des Beobachters gelangt.
Da das weiße Licht aus allen Spektralfarben besteht, werden die Lichtstrahlen je nach Farbe unterschiedlich stark gebrochen und auf diese Weise wie von einem Prisma in Farben aufgespalten.
Doch wenn das Phänomen im Automatikmodus fotografiert wird, ist man meistens über das Ergebnis enttäuscht. Die Lichtblitze sind zu klein, um eine eine nennenwerte Spur auf dem Chip zu hinterlassen. Da hilft es dann in vielen Fällen nur noch, bewusst unscharf zu fotografieren, um so die winzigen Lichtblitze auf eine größere Fläche zu verschmieren und ihnen dadurch eine größere Sichtbarkeit zu verschaffen. Unsere Augen schaffen es beim Umherblicken u. A. mit Hilfe der angepassten Pupillenöffnung sich stets auf die betrachteten Details einzustellen. Bei den hellen Lichtpunkten, stellt sich eine winzige Pupillenöffnung ein; beim vergleichsweise dunklen Gras ist sie hingegen wesentlich größer.
Wir haben es hier also mit dem merkwürdigen Sachverhalt zu tun, dass eine bewusste fotografische Qualitätsverminderung Ansichten hervorbringt die anders nicht zu haben sind.
Man kann aber auch die Defokussierung so groß machen, dass die Zerstreuungskreise mehrere Farben gleichzeitig aufweisen. Auf diese Weise lassen sich mit der Unschärfefotografie auch künstlerische und ästhetische Aspekte realisieren. Diese auch physikalisch interessante Thematik wird vor allem unter dem aus dem Japanischen kommenden Begriff „Bokeh“ (von jap. 暈け = unscharf, verschwommen) diskutiert.
H. Joachim Schlichting. Physik in unserer Zeit 53/6 (2022), S. 289
Normalerweise treten so viele Schatten eines Gegenstands auf, wie Lichtquellen vorhanden sind, die diesen aus unterschiedlichen Richtungen beleuchten. Diese physikalische Gewissheit könnte im folgenden Beispiel arg in Zweifel gezogen werden – allerdings nur auf den ersten Blick.
Obwohl in der Abbildung nur die Sonne von schräg oben fast streifend auf die Hauswand und die etwas vorstehende Fensterbank scheint, beobachtet man an dessen Gitterstäben zwei in entgegengesetzte Richtung fallende Schatten.
Der erste Schatten ist plausibel. Seine Länge zeigt deutlich, dass die Sonnenstrahlrichtung nur geringfügig von der Ausrichtung der Hauswand abweicht. Das Zustandekommen der Schatten der Gitterstäbe erschließt sich erst auf den zweiten Blick: Das nahezu parallel zur Hauswand strahlende Sonnenlicht führt dazu, dass ein schmaler Streifen der rechten weißen Fensterleibung vom Sonnenlicht getroffen wird. Dieser erhellte Streifen reflektiert das Sonnenlicht und wird dadurch zu einer nahezu linienhaften Lichtquelle. Diese beleuchtet auch die gegenüberliegenden Seiten der Leibung und hellt diese deutlich auf.
Die beiden in diesem Licht liegenden Gitterstäbe blenden einen ihrer Ausdehnung und Orientierung entsprechenden Lichtstreifen daraus aus, was sich in entsprechenden Schattenlinien bemerkbar macht. Denkt man sich die beiden Schattenabschnitte auf der oberen Seite der Fensterleibung durch Linien verlängert, so treffen sie sich in der Lichtquelle, also auf dem beleuchteten schmalen Streifen der Fensterleibung (rote Linien auf der Abbildung). Dass der Effekt so deutlich ausfällt, ist auch der großen Intensität des Sonnenlichts zu verdanken. Denn wie es in Goethes „Götz von Berlichingen“ bereits heißt: „Wo viel Licht ist, ist starker Schatten.“
Warum ordnet sich der lockere Split allein infolge der Benutzung der Straße wellenförmig an?
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Frage: Warum ist die Spiegelung im Schatten besser?
Antwort: Das schräg von links einfallende Sonnenlicht wird im hinteren Teil der Wasseroberfläche sowohl spiegelnd als auch an den braunen Schwebstoffen im Wasser diffus reflektiert bzw. gestreut. Aus unserer Position bzw. der des Fotografen sehen wir aber nur die diffuse Reflexion, durch die das Sonnenlicht in alle Richtungen gestreut wird – also auch in unsere Augen. Und obwohl die Intensität des gespiegelten Lichts auf der Wasseroberfläche wesentlich größer ist, bekommen wir davon nichts mit, weil nach dem Reflexionsgesetz: Einfallswinkel = Reflexionswinkel das Licht nach schräg rechts reflektiert wird. Wenn man dort stünde und auf das Wasser in Richtung Sonne blickte, würde einem das gespiegelte Licht blendend in die Augen fallen.
Der (bezüglich des Sonnenlichts) beschattete Bereich im Vordergrund wird lediglich vom Streulicht des Himmels und anderer Objekte wie etwa der Bäume und der Häuser im Hintergrund beleuchtet. Dabei wird es im Wasser ebenfalls spiegelnd und diffus reflektiert. Diesmal kommt das Licht jedoch aus Richtungen, aus denen es spiegelnd in unsere Augen gelangt. Das auch in diesem Fall an den Streuteilchen im Wasser diffus reflektierte Licht ist jedoch von so geringer Intensität, dass es kaum störend in Erscheinung tritt.
Schaut man sich die Szenerie genauer an, so erkennt man, dass ein Teil des in der Sonne liegenden rechten Brückenbogens hell genug ist, um die diffuse Reflexion des Sonnenlichts wenigstens teilweise zu überstrahlen.
… manchmal auch dort, wo man ihn nicht erwartet.
Ein aufmerksamer Beobachter von (physikalischen) Alltagsphänomen, Rainer Wirz, hat mal wieder ein auf den ersten Blick rätselhaftes Foto geschickt, auf dem ein Phänomen zu beobachtete ist (siehe Foto), das er folgendermaßen beschreibt: „Beim sommerlichen Frühstück um 08.00h blickte ich vom Balkon aus auf das Toilettenfenster an der Nordseite unseres Hauses und wunderte mich plötzlich über die beiden entgegengesetzt fallenden Schatten – einerseits des kleinen Überhangs der Fensterbank im Streiflicht und andererseits der beiden Gitterstäbe vor dem Fenster. Als aktive Lichtquelle war nur die pralle Morgensonne aus dem Osten vorhanden, die den dazu passenden Schatten des kleinen Fensterbanküberhangs auf die Hauswand zeichnete.“
Der nahezu streifende Einfall des Sonnenlichts zeigt, dass die der Strahlungsrichtung gegenüberliegende Seite der Fensterleibung in einem schmalen Streifen vom Sonnenlicht getroffen wird. Dieser erhellte Streifen der weißen Wand wirkt wie eine nahezu linienhafte Lichtquelle. Sie beleuchtet u.A. die gegenüberliegende Seite der Leibung, wie man an der deutlichen Aufhellung erkennen kann. Die beiden in diesem Licht liegenden Gitterstäbe blenden einen ihrer Ausdehnung und Orientierung entsprechenden Lichtstreifen daraus aus, was sich in entsprechenden Schattenlinien auf der dahinter liegenden Seite der Leibung bemerkbar macht. Dass der Effekt so deutlich ausfällt, ist auch der großen Intensität des Sonnenlichts zu verdanken, die dem schmalen beleuchteten Streifen zu einer beachtlichen Lichtintensität verhilft. Denn wie es in Goethes Götz von Berlichingen bereits heißt: „Wo viel Licht ist, ist starker Schatten.“ (Götz von Berlichingen. Erster Akt – Jagsthausen. Götzens Burg/Götz).
Dies ist übrigens ein weiteres Beispiel dafür, dass Goethes dichterische Metaphorik stark geprägt wird von seinen naturwissenschaftlichen Forschungen insbesondere im Bereich der Farbenlehre.