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Knoten

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Der rasende Knoten

Valett-Knoten: In der Mitte der Schraubenfeder, die in sich verdreht und an den Enden verschweißt ist, erkennt man ein dreieckiges Loch. Durch dieses kann ein Stab geführt werden.

H. Joachim Schlichting. Spektrum der Wissenschaft 7 (2022), S. 60 – 61

Du selbst entwirre dies, nicht ich:
Ein zu verschlungener Knoten ist‘s für mich

William Shakespeare (1564–1616)

Aus einer Schraubenfeder lässt sich ein einfacher Knoten schnüren. Diesen kann man entlang eines Stabs rollen lassen, was eine faszinierende dreidimensionale Drehbewegung hervorbringt.

Der Hauptzweck von Knoten besteht darin, etwas zu fixieren. Damit sichern sie paradoxerweise in vielen Bereichen des Lebens unsere Fortbewegung, ob beim Schnüren von Schuhen (»Spektrum« Juli 2017, S. 70), beim Segeln oder beim Bergsteigen. Selbst unsere Kleidung würde ohne sie auseinanderfallen. Nicht nur praktisch, auch theoretisch sind Knoten bedeutsam und bilden sogar ein eigenes Forschungsgebiet innerhalb der Mathematik. Während wir im Alltag eher Knoten mit offenen Enden verwenden, hat man es bei ihren mathematischen Gegenstücken mit in sich geschlossenen Schnüren zu tun.

So entsteht der einfache Überhandknoten dadurch, dass die beiden Enden eines Seils umeinander gewunden und dann festgezogen werden. Das kann jedes Kind. Solche Knoten werden erst dadurch mathematisch, dass man die freien Enden gedanklich miteinander verschmilzt (siehe »Überhandknoten«).

Knoten sind dreidimensional, auch wenn es normalerweise kaum ins Auge fällt. Denn die Schwerkraft lässt die meist schlaffen Fäden zu platten Gebilden zusammensinken. Der niederländische Grafiker M. C. Escher (1898–1972) hat sich damit beispielsweise in seinem Druck »Knoten« (1965) auseinandergesetzt und einfache Verschlingungen durch prägnante Schattierungen und Strukturierungen wieder erhaben erscheinen lassen. Andere Künstler haben Knoten gleich mit festen Materialien wie Metall und Stein als dreidimensionale Objekte gestaltet; im öffentlichen Raum finden sich viele ästhetisch ansprechende Umsetzungen. Notgedrungen geht bei den starren Werken die Funktion und Beweglichkeit üblicher Kordeln verloren. Doch das muss nicht immer so sein.

Angeregt durch den Escher-Knoten hat der deutsche Künstler Jochen Valett (1922–2014) nach eigenem Bekunden versucht, den eingefrorenen Versionen simpler Knoten nicht nur ihre naturgemäße Flexibilität zurückzugeben, sondern sie sogar zum Laufen zu bringen. Das ist ihm in Form seines »rasenden Knotens« auf eindrucksvolle Weise gelungen.

Dazu verwendete er anstelle eines Seils eine relativ weiche Schraubenfeder aus Stahldraht, verknotete sie und verschweißte die beiden Enden miteinander. Die Feder gibt dem Knoten einerseits ein Volumen, das in gewissen Grenzen dehnbar ist und stellt andererseits sicher, dass er nicht in sich zusammenfällt (siehe »Valett-Knoten«).

Das Besondere am rasenden Knoten besteht darin, dass man ihn an einem Stab hinab rotieren lassen kann. Dazu wird er mit seinem zentralen Loch stramm, also ein wenig gedehnt, über einen passenden runden Querschnitt geschoben. Damit der Knoten nicht einfach gerade herunterrutscht, muss die Dehnung eine genügend große Haftreibungskraft hervorrufen. Sie kompensiert das Gewicht der Stahlfeder. Gibt man dieser nun einen kleinen Schubs, so bewegt sie sich spiralförmig drehend am Stab hinab.

Das wird durch die Form der Öffnung möglich, die durch die drei innen liegenden Abschnitte gebildet wird. Die Tangenten in den Berührungspunkten der Knotenstränge sind schräg ausgerichtet und wirken wie eine Art Schraubengewinde.

Momentaufnahme: Der Knoten rotiert an einem Holzstab (links) und an einem Ring hinab (rechts).

Im Unterschied zu einer Mutter auf einer Gewindestange hat man es hier jedoch mit keiner Gleit- sondern einer echten Rollbewegung zu tun. Das heißt, wie bei Laufrädern eines Fahrzeugs legt der Punkt, mit dem die Rolle jeweils den Untergrund berührt, mit jeder Umdrehung eine Wegstrecke zurück, die der Länge des Umfangs entspricht. Ein normales Rad befindet sich stets nur an einer Stelle auf der Unterlage. Der verwundene Knoten hingegen berührt den Stab an drei verschiedenen Orten. Er rollt also gewissermaßen auf drei Fahrspuren gleichzeitig hinab.

Aus der Rollbewegung des Knotens ergibt sich zwangsläufig, dass er kein starres Gebilde sein kann. Er behält zwar seine äußere Gestalt und scheint während der Rotation als Ganzes in sich zu ruhen. In Wirklichkeit schlängelt sich allerdings das Band des Knotens sozusagen durch seine eigene Form hindurch. Markiert man auf dem abrollenden Knoten einen Punkt, so kann man verfolgen, wie sich dieser zyklisch umher windet.

Der Antrieb des Ganzen ist die Gewichtskraft des Knotens. Bei einem geraden Stab endet das Herabschrauben am Boden. Eine andauernde Bewegung erreicht man, indem man als Führung stattdessen einen großen Ring passender Dicke verwendet. Dieser wird dann so schnell in Gegenrichtung zum abrollenden Knoten gedreht wie letzterer an Höhe verliert (siehe »Momentaufnahme«).

Mit der Höhe des Knotens am gebogenen Ring ändert sich auch seine Achsenrichtung. Dementsprechend kommt jeweils nur eine mehr oder weniger große Komponente der Schwerkraft zur Geltung. Von deren voller Wirkung profitiert der Knoten lediglich dann, wenn seine Drehachse senkrecht ausgerichtet ist, er also in waagerechter Lage rotiert. Hier erreicht er die größte Drehgeschwindigkeit. Um ihn in der Position zu halten, muss der Ring entsprechend rasch in die entgegengesetzte Richtung gedreht werden. Ansonsten sinkt der Knoten in eine tiefere Stellung. Weil sich seine Achse dabei allmählich schräg stellt, nehmen dann die Antriebskraft und damit die Geschwindigkeit des Knotens ab. Es stellt sich eine neue Höhe am Ring ein, bei der die Kräfte wieder gleich groß sind. Wegen dieser Rückkopplung hält sich das ganze Kunstwerk in einem fesselnden dynamischen Gleichgewicht.

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Topologie eines Knotens

Dieses kleine Kunstwerk hat mich jahrelang begleitet und gerade in letzter Zeit immer auffordernder angeschaut. Und jetzt weiß ich warum: Der Knoten ist geplatzt. Denn ich habe erkannt, dass es sich bei dem grazilen Gebilde um die Form eines ganz alltäglichen Gegenstands handelt – um die versteifte Form eines einfachen Knotens, dessen beiden Enden verknüpft wurden. Knüpft man nämlich einen Knoten aus flexiblen, aber steifen Material, so entsteht topologisch gesehen dasselbe Gebilde.
Vermutlich wurde ich durch ein kürzlich wiedergesehenes Bild Eschers sensibilisiert, das einen solchen Knoten in etwas anderer Form zeigt.
Das Besondere an meinem Knoten ist, dass er aus einem Steinblock herausgearbeitet wurde, ohne das je die verknüpfende Bewegung ausgeübt wurde, die üblicherweise zum vertrauten Knoten führt. Als Kind muss man sie mühselig erlernen (ich erinnere mich noch daran) und später macht man ihn „im Schlaf“. Vielleicht ist uns durch diese Routine, die faszinierende Struktur abhanden gekommen, die gewissermaßen die Seele dieses Gebildes ausmacht.

Ach ja: Die Geradenabschnitte in meinem Steinknoten sind der Standfestigkeit geschuldet.

Ein aufrechter Knoten

Dieses Kunstwerk, das ich fast völlig abgeschnitten von der größeren Öffentlichkeit in einem ostfriesischen Garten entdeckte, ist rein topologisch gesehen ein Knoten, so wie er beispielsweise von Maurits Cornelis Escher in mehreren 2D-Versionen geschaffen wurde. Knüpft man nämlich einen einfachen Knoten in ein normales Band und vereinigt die beiden losen Enden miteinander, so kommt man zu einem solchen Gebilde. Natürlich sieht es dann nicht so gut aus, weil es völlig schlaff und unaufgerichtet daherkommt, aber es zeigt uns im Vergleich zum Kunstwerk auf dem Foto, dass die Grundidee oft ganz einfach und alltäglich ist. Sicherlich war dies dem Künstler bewusst.

Zur Physik des Schuheschnürens -Kombinatorik und Physik von Knoten und Schleifen

H. Joachim Schlichting. Physik in unserer Zeit 2 (2019), S. 78 – 81

Beim Schnüren von Schuhen kommt es zu einem physikalisch interessanten Zusammenspiel eines Flaschenzugs als Zugkraftverstärker und topologisch optimierten Reibungskräften, durch welche die jeweilige Schnürung mit wenigen Handgriffen durch Knoten fixiert und auch wieder geöffnet werden kann. Allerdings führt auch das Gehen selbst zum Öffnen der Knoten.

Knoten spielen in verschiedenen Bereich der aktuellen Physik eine zunehmend wichtige Rolle. Dabei wird oft auf Anschauungen zurückgegriffen, die im makroskopischen Bereich gewonnen werden, etwa beim Schnüren der Schuhe. Die dabei erlernten und rein intuitiv angewandten Techniken sind selbst ein interessanter Gegenstand der Physik und lohnen etwas genauer betrachtet zu werden. Sowohl dem Schnüren der Schuhe, dem Binden der Schleifen und dem notorischen Versagen der Schleife beim Laufen liegt ein subtiles Zusammenspiel zwischen topologischen, dynamischen und materialtechnischen Aspekten zugrunde… (bei Interesse vollständigen Text beim Autor anfordern).

PDF: Zur Physik des Schuheschnürens

 

Wenn Schnürsenkel versagen

Schlichting, H. Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 7 (2017), S. 70 – 71

Das Sein ist eine aus lauter Knoten
bestehende Linie

Friedrich Hebbel (1813–1863)

Egal, wie fest man die Schleife bindet, irgendwann öffnet sich beim Laufen jeder Knoten. Das geschieht meist innerhalb weniger Schritte, wenn sich unscheinbar kleine Effekte plötzlich katastrophal aufschaukeln. Weiterlesen

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