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Lichtgeschwindigkeit

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Zum internationalen Tag des Lichts 2023

Um auf die Bedeutung des Lichts in allen Lebensbereichen aufmerksam zu machen, hat die UNESCO den 16. Mai zum Internationalen Tag des Lichts erklärt. Das möchte ich zum Anlass nehmen, auf den ganz alltäglichen Sonnenaufgang hinzuweisen, der weder sprachlich noch physikalisch das ist, was er zu sein vorgibt. Sprachlich geht hier nichts auf, was vorher zu war. Da entsteht nichts, was später wieder verschwindet. Sowohl im geozentrischen als auch im heliozentrischen Weltbild entsteht dieser Eindruck dadurch, dass sich die Erde und die Sonne relativ zueinander bewegen. Wir gehen neuzeitlich-kopernikanisch davon aus, dass die Erde sich um die Sonne dreht und nicht umgekehrt, weil ansonsten beispielsweise die Sterne – je weiter desto schneller – kollektiv um die Erde rotieren müssten und das für weit entfernte Sterne auch noch mit Überlichtgeschwindigkeit. Trotzdem bleibt es beim Sonnenauf- und -untergang.
Was schon eher Kopfzerbrechen bereiten könnte, ist die Tatsache, dass wir die Sonne beim Auf- und Untergang nie da sehen, wo sie „in Wirklichkeit“ oder „geometrisch“ ist. Denn infolge der Brechung des Lichts bei ihrem langen Weg durch die Atmosphäre wird das Sonnenbild optisch angehoben und zwar etwa um einen Winkel, der dem Sonnendurchmesser entspricht (etwa 0,5 Grad). Wenn die Sonne beim Untergang den Horizont berührt, ist sie also „in Wirklichkeit“ schon untergegangen.
Diesen Gedanken könnte man philosophisch oder wie auch immer weiter vertiefen in Richtung auf die Frage, ob man denn ganz genau genommen (mit vielen Stellen hinter dem Komma) überhaupt je etwas dort sieht, wo es ist. Denn Lichtbrechung – und sei sie sie noch so klein – ist immer vorhanden, wenn Licht von einem Medium ins andere übergeht oder sich zum Beispiel die Dichte der Luft ändert. Überlegungen, die in diese Richtung laufen, kommen daher kaum zu einem befriedigenden Ergebnis. Eine ähnlich Spitzfindigkeit ergibt sich, wenn man wegen der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit davon ausgehen würde, dass die Gegenstände stets einen Moment später und daher möglicherweise an der Stelle anderen Stelle gesehen werden. Bei der Sonne macht diese Differenz immerhin etwas 8 Minuten aus.
Also lassen wir es und erfreuen uns am Abbild der Sonne die hier (Foto) hinter dem Geäst von Bäumen untergeht. Das Sonnenlicht hat beim Durchgang durch die Atmosphäre und den zahlreichen Streuvorgängen mit der Luft und den darin enthaltenen Aerosolen so viel an Farben und Intensität eingebüßt, dass es nicht mehr weiß leuchtet, sondern hauptsächlich in gelben und roten Farbtönen (er)scheint. Man kann dann sogar  bedenkenlos in die Sonne hineinblicken und beobachten, wie schnell sie absinkt. Wenn das Sonnenbild den Horizont „berührt“, dauert es gerade einmal 2 Minuten, bis der letzte Rest ihres Rands verschwindet. Und wenn man Glück hat, viel Glück, dann kann man auch noch erleben, dass sie sich mit einem grünen Blitz verabschiedet.
Wenn man will kann man daraus weitere tiefschürfende Gedanken schöpfen, wie beispielsweise im folgenden Text ausgeführt:
„Worum geht es? Durch den kopernikanischen Schock wird uns demonstriert, daß wir die Welt nicht sehen, wie sie ist, sondern daß wir ihre „Wirklichkeit“ gegen den Eindruck der Sinne denkend vorstellen müssen, um zu „begreifen“, was mit ihr der Fall ist. Da liegt das Dilemma: wenn die Sonne aufgeht, geht nicht die Sonne auf. Was die Augen sehen und was der astrophysisch informierte Verstand vorstellt, kann nicht mehr miteinander zur Deckung kommen. Die Erde wälzt sich im leeren Raum um sich selbst nach vorn, wobei der irreführende Eindruck entsteht, wir sähen die Sonne aufgehen. Solange das Universum besteht, gab es noch keinen Sonnenaufgang, sondern nur sture Erdumdrehungen, und dieser Befund wird nicht tröstlicher dadurch, daß wir aufgrund radioastronomischer und anderer Messungen zu der Vorstellung gezwungen sind, daß es vor einem Zeitpunkt t(x) weder die Sonne noch die Erde noch Augen gegeben hat, um deren Konstellationen zu sehen. Dann wären nicht nur die Sonnenaufgänge, sondern auch die Voraussetzungen des Scheins von Sonnenaufgängen in einem kosmischen Noch-Nicht verschwunden. Der augenscheinliche Sonnenaufgang verliert sich in einer mehrfachen Nichtigkeit, sobald wir den ptolemäischen „Schein“ zugunsten kopernikanisch organisierter Vorstellungen von „Wirklichkeit“ aufgeben. Radikaler als jedes metaphysische Vorstellen von „Wesenswelten“ dementiert das moderne physikalische Vorstellen der Körperwelt den ‚Schein der Sinne‘.“

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Sloterdijk, Peter: Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung. Frankfurt a M 1987.

Kann man die Lichtausbreitung sehen?

Wir sitzen auf einer Brücke über dem Arno in Florenz. Die Zeit verstreicht wie im Fluge, wie leider so oft, wenn die Umstände besonders schön sind. In dieser Einschätzung sind wir uns alle einig, auch wenn sie der gleichmäßig ablaufenden „physikalischen“ Zeit, wie sie unsere Uhren anzeigen widerspricht. Als es zu dämmern beginnt, leuchten plötzlich die Laternen entlang des Ufers auf. Wir sind uns einig, dass sie nicht auf einmal angehen, sondern nacheinander mit der nächsten Lampe beginnend bis zum entfernten Ende hin. Die Lichtreflexionen im Wasser tun es ihnen gleich.
Dieses Phänomen hatte ich schon vorher in meiner Heimatstadt erlebt und mir nichts weiter dabei gedacht. Aber als wir jetzt in dieser Runde darüber sprechen, erscheint es doch etwas mysteriös. Wie sollten denn die Lampen geschaltet sein, um dieses Nacheinander zu realisieren? Welchen Sinn könnte es haben. Und warum verläuft die Sequenz immer vom Beobachter weg?
Kurzum, was tut sich hier? Als erstes wurde der Gedanke geäußert, dass das Licht von den entfernteren Lampen mehr Zeit benötige zu unseren Augen zu kommen, als der von den näheren. Aber sofort wird klar, dass die Lichtgeschwindigkeit so groß und unsere Wahrnehmung so grob sind, dass der Gedanke nun wirklich abwegig ist. Auch die Idee, dass der Schaltimpuls vielleicht eine gewisse Zeit benötigt, um von einer Lampe zur nächsten zu gelangen, erweist sich als wenig hilfreich.
Ähnlich wie bei unserer Einschätzung der „Geschwindigkeit“ des Zeitverlaufs zeigt sich, dass die Physik hier nicht weiterhilft. Vielmehr hat man es mit einem wahrnehmungsphysiologischen Phänomen zu tun. Man könnte auch von einer optischen Täuschung sprechen: Ursache dafür ist die Tatsache, dass unser visuelles System auf einen schwachen Lichtreiz bis zu einer Zehntel Sekunde später reagiert als auf einen starken: Wenn zwei entfernte Lichtsignale zur selben Zeit ausgelöst werden, sehen wir das schwächere Signal zeitlich verzögert.
Dieser visual delay* kommt auch in diesem Phänomen zum Tragen. Obwohl die Lampen weitgehend identisch sind und zur gleichen Zeit aufleuchten, ist ihre scheinbare Helligkeit aufgrund der unterschiedlichen Entfernung entsprechend verschieden. Die Intensität des Lichts nimmt mit dem Quadrat der Entfernung ab. Daher wird das Lichtsignal deutlich später wahrgenommen, je weiter die entsprechende Lampe entfernt ist.
Ich vermute, dass das Aufleuchten der hellen orangefarbenen Warnlampen an Autobahnbaustellen nicht wie es scheint, immer vom Beobachter weg läuft, sondern die Lampen einfach nur rhythmisch an und ausgehen.


* J. A. Wilson, S. M. Anstis, The American J. of Psychology 1969, 82, 350.

Erklär‘ mir, warum der Nachthimmel dunkel ist

Warum ist der Nachthimmel dunkel? (Zur Vergrößerung auf Bild klicken!) Das ist für viele Menschen eine dumme Frage, weil sie tautologisch anmutet. Ist nicht die tiefe Nacht fast ein Synonym für Dunkelheit? Sinnvoll wird die Frage erst aus physikalischer Sicht. Denn sie ist physikalisch voraussetzungsvoll. Die Schriftstellerin Ulrike Draesner hat sich in ihrem Roman Vorliebe mit dieser Frage auseinandergesetzt und ich möchte sie sprechen lassen:
„Erklär‘ mir, warum der Nachthimmel dunkel ist“. Harriet drehte sich zu ihm und schnaubte. Alter Intellektualist! Das wusste der doch. 300 Jahre lang hatte ihr Fach sich die Zähne an der scheinbar harmlosen, ja naiven Frage ausgebissen!
Schon Kepler. Grau, hohlwangig, asketisch, Zirkel in der Hand, Heliozentriker, Magnetiker, revolutionäre Berechnungen zur interdependenten Dynamik der Planetenbewegung  und am Ende diese Frage: warum ist es nachts dunkel? 200 Jahre später der joviale Olbers aus Bremen, fliehender Haaransatz, Treffen mit Napoleon in Paris, Formulierung des Paradoxes 1823: warum ist der Nachthimmel dunkel, wenn das Universum unendlich ist? Ein unendlicher Kosmos enthielte notwendig eine unendliche Menge von Sternen. An jedem Fleckchen des Nachthimmels müsste ein Himmelskörper stehen. Schwimmen müsste die Menschheit im Sternenlicht.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass weitgehend unbeachtet von der Scientific Community wohl ein Schriftsteller die erste, im Prinzip zutreffende Antwort auf die Frage gegeben hat: Ausgerechnet ein Dichter hatte Olbers‘ Paradox enträtselt; das war vergessen und stand doch für alle, lesbar in Eureka. Ein Hobbyastronom! Früher hatte Harriet sich darüber geärgert: die Auflösung war typisch für ihr Fach, nie ließ sich etwas direkt fassen, immer ging es um Folgen von Folgen von Folgen. Heute gefiel es ihr: da kam einer daher, dachte messerscharf und kriminalistisch und implizierte bereits 1848 die endliche Geschwindigkeit von Licht. Nahm den Urknall vorweg, nahm Einstein vorweg. Olbers‘ Paradox: Der Nachthimmel war nicht sternenhell, nicht große silberne schlafraubende Glocke, weil der Kosmos einen Anfang gehabt hatte. Unendlich mochte er sein im Raum, in der Zeit war er es nicht. Das endlich-schnelle Sternenlicht aus den berüchtigten unbegriffenen Tiefen des Alls hatte nicht genug Zeit gehabt, die Erde zu erreichen.
Ein Jahr später war der Dichter unter nie geklärten Umständen gestorben. Erst im Herbst mit Ashley am Wannsee hatte Harriet alles nachgelesen, um es auf die lnstitutswebsite zu stellen. Unendlichkeit, hatte Edgar Allan Poe geschrieben, sei Seelen-Träumerei. Ein ungedanklicher Gedanke über Gedanken.
Das Schlafzimmerfenster teilte die Wölbung über der Stadt in 16 dunkelorangefarbene, exakt gleich große Rechtecke. Harriet zog den Vorhang nur zur Hälfte zu. Einen ungedanklich Gedanken zu denken, schien ihr alle Mühe wert.
Peter lag auf der Seite, sie presste die kalten Füße gegen ihn leise stöhnte er auf im Schlaf.
Langsam kroch seine Wärme über Federn und Laken auf sie zu. Auch das war Physik. Ein Stück klarer, ganz und gar irdischer Physik.

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