Die Verbindung von Anschauung und Denken, von Wahrnehmen und Begreifen machen die Welt in der Metaphorik der Physik des 17. und 18. Jahrhunderts zu einem Buch mit Zeichen, die gelesen und verstanden werden können und wollen. Beim Lesen der Welt zeichnen sich die neuzeitlichen Physiker dadurch aus, dass sie es erstmalig verstehen, mit Hilfe der optischen Linse das wissenschaftliche Sehvermögen über die Möglichkeiten des bloßen Auges hinaus zu steigern. Mit der Linse gelingt es die Lesbarkeit der Welt auf vorher nicht zu erahnende Dimensionen auszuweiten (siehe ausführliche Darstellung). Weiterlesen
Die physikalische Metaphorik die Welt als lesbares Buch anzusehen, teilt mit dem Lesen das Problem, ein Oberflächenphänomen darzustellen. Daran ändert auch die Steigerung des Sehens mit der Linse in ihren unterschiedlichen Varianten nichts. Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799) sieht als einer der ersten Wissenschaftler die Gefahr, dass kritiklos von der äußeren Ansicht auf das innere Wesen geschlossen wird; das gilt für die unbelebte Natur ebenso wie für den Menschen selbst. Weiterlesen
Georg Christoph Lichtenberg ist einer der ersten, der die Tragweite der Entdeckung der Linse für die Naturwissenschaften und für die Menschheit ganz allgemein erkennt und ausdrucksstark beschreibt. Dabei bringt er aber auch die metaphorische Potenz der Linse als „tubis heuristicus“ gegen die Möglichkeiten der realen Linse in Stellung. Weiterlesen
In: H. Joachim Schlichting. Physik in unserer Zeit 48/2, (2017, S. 101
Manche Seifen haben nicht nur die Form einer Sammellinse, sie verhalten sich auch so, wenngleich ihre Form alles andere als optimal ist.
Als ich neulich unter der Dusche die neue Seife ausprobierte, war ich weniger durch deren Waschkraft und Duft beeindruckt als vielmehr durch einen Lichtfleck, der den Wamdschatten der Seife aufhellte. Weiterlesen
Wenn man ein Seher ist,
braucht man kein Beobachter zu sein
Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799)
Wer im Sinne von Lichtenberg zum Seher nicht taugt, sollte es dennoch wagen zu sehen, was es in einer transparenten Kugel zu beobachten gibt. Auch wenn man durch eine Glaskugel wie bei einer Fensterscheibe durch transparentes Glas blickt, scheint das, was man sieht, in der Kugel eingeschlossen zu sein. Möglicherweise hat dieser Effekt ursprüngliche Beobachter zu Sehern werden lassen. Im Unterschied zu dem, was ein Hellseher in seiner Kugel sieht, können wir durch den unmittelbaren Vergleich mit dem realen Gegenstand jedoch feststellen, dass wir es mit dem Bild eines hinter der Kugel befindlichen Originals zu tun haben. Zumindest glauben wir diese Ansicht unserer vielbeschworenen Aufklärung zu schulden. Weiterlesen
Nach einer längeren Autorensitzung saßen wir endlich beim wohlverdienten Abendessen. Jemand hatte ein neues Buch über den Regenbogen dabei und zitierte eine Stelle, die einem Kollegen suspekt erschien. Physiker sind von Natur aus skeptisch. Daher wollte er die Textstelle selbst lesen; dazu war ihm allerdings die Schrift zu klein. Jedenfalls gab er es vor. Physiker sind aber auch (manchmal) einfallsreich: Die Buchseite wurde direkt hinter ein Glas mit Wasser gehalten, wodurch die Schrift so stark vergrößert wurde, dass er sein Argument nicht mehr aufrecht erhalten konnte. Zwar war der Text nur in der Mitte (achsennahe Lichtstrahlen) unverzerrt zu lesen, aber auf Perfektion kam es in dieser Situation nicht an, auch wenn Physiker oft zur Perfektion neigen. Der Kollege las und musste sich geschlagen geben. Weiterlesen
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Frage eines Kindes: Warum hebt er nicht ab?
Antwort: Keine dumme Frage, denn das Kind weiß, dass wenn es seinen Ballon loslässt, dieser sich unwiederbringlich in die Luft erhebt. Aber eine kleine, sehr grobe Überschlagsrechnung zeigt, dass die Befürchtung des Kindes völlig unberechtigt ist.
Man kann leicht abschätzen, ob die Bedenken des Kindes berechtigt sind. Ein Latexballon mit 30 cm Durchmesser hat ein Volumen von etwa 14 Liter. Ein Liter Luft wiegt 1,2 g. Ersetzt man die Luft durch Helium, das 0,18 g pro Liter wiegt, so ist der Ballon pro Liter ungefähr 1 g, also insgesamt 14 g leichter. Da die Latexhülle etwa 4 g wiegt, so ergibt sich eine Tragkraft von 10 g. Wenn man also 1/10 einer Tafel Schokolade (100 g) dranhängt, würde der Ballon in etwa schwerelos sein. Um genügend schnell aufsteigen zu können, darf man nur einige Gramm (vielleicht 3 Gramm) weniger dranhängen. Es bliebe eine Tragkraft von 7 g. Ein Mensch mit einer Masse von 70 kg würde erst aufsteigen, wenn er an einer Traube von 10000 Ballons hinge.
Das ist viel, wie man sich an der Größe der Traube klarmachen kann, die sich ergäbe, wenn man die kugelförmigen Latexballons kugelförmig zusammenbände, was natürlich nur näherungsweise gelänge, hier aber angenommen wird, um eine einfache Abschätzung machen zu können.
Das Volumen der großen Kugel wäre 10000 mal so groß wie das eines einzelnen Ballons, wenn man davon ausginge, dass die Kugeln ohne Zwischenraum aneinander lägen. Aber das ist nicht realisierbar. Man schafft es höchstens, die Kugeln bei kleinstmöglichen Zwischenräumen aneinanderzupacken. Das wäre – wenn ich mich nicht verrechnet habe – bei einer „unendlichen“ Kugelpackung des Raumes mit einem Füllgrad von 74% möglich. So käme man auf einen Kugeldurchmesser von 7,14 m; in Wirklichkeit wäre es also noch mehr.
Bei Folienballons – mit solchen haben wir es auf dem Foto zu tun – ist die Situation noch ungünstiger. Da der Ballon bei etwa gleichem Volumen ca. 10 g wiegt, würde der Rest kaum noch für eine Nutzlast reichen. Daher reicht ein relativ kleine Masse, um die Ballontraube am Abheben zu hindern. Man gibt meist noch etwas Masse hinzu, um auch gegen normale Windböen gewappnet zu sein.
In der Jugendherberge gab es nur jene an Zahnputzbecher erinnernden Wassergläser mit vertikalen Riffeln, die mir auf eine unerklärliche Weise nicht besonders geschmackvoll vorkamen. Als ich dann auf der Terrasse, die einen herrlichen Blick auf eine schöne Landschaft bot, in eben diesem Glas ein erfrischendes stilles Wasser zu mir nahm, war es als wollte dieses Glas mich eines anderen belehren. Weiterlesen
Im Regierungsviertel in Berlin sieht man zuweilen an sonnigen Tagen, die Kanten der gläsernen Elmente einiger Gebäude in brillanten Farben erstrahlen, deren Reflexe sich oft auch noch im leicht bewegten Wasser malerisch zu immer neuen Farbmustern zusammenfinden. Diese allenfalls als ästhetisch empfundene Phänomen (War es von den Architekten vorausgesehen oder sogar beabsichtigt?) erinnert mich einmal mehr an die Bedeutung der Brechung des Lichts im geschliffenen Glas: Weiterlesen
Bei einem Vorfrühlingsspaziergang durch den noch winterlich kahlen aber dafür sonnendurchfluteten Buchenwald im Hüggel erblicke ich eher zufällig die ersten Sauerkleeblätter, die sich durch die Schicht der im vorangegangenen Herbst abgefallenen Buchenblätter ans Licht vorgearbeitet haben. So zerbrechlich sie auch erscheinen mögen, sie haben immerhin die Kraft aufgebracht, die relativ dicke Schicht der verfaulenden Buchenblätter anzuheben und durch einen infolgedessen aufbrechenden Spalt hindurchzudringen. Weiterlesen
Schlichting, H. Joachim. Investigación y Ciencia 10 (2015) p. 84 – 85
Ponemos a prueba una vieja regla de la jardineria: ¿se queman las hojas de las plantas cuando se riega a plena luz de sol?
A la luz del sol, las gotas esféricas depositadas en cuyo centro puede observarse una mancha de luz brillante. La fotografia muestra un pétalo de pnsamiento poco después de caer la lluvia.
Schlichting, H. Joachim. In: Praxis der Naturwissenschaften -Physik in der Schule 64/6 (2015), S. 9 – 12
„dieser tote sperling“, flüstert einer,
„wird noch durch einen leeren himmel fliegen.“
Jan Wagner (*1971)
Der Beginn der neuzeitlichen Physik wird oft mit Galileo Galilei in Verbindung gebracht, weil er es wagt, die Welt zu beschreiben, wie wir sie nicht erfahren. Diese neue Sehweise brachte ihm Verständigungsschwierigkeiten mit seinen Kollegen insbesondere den Kirchenvertretern ein, die in mancher Hinsicht an die Lernschwierigkeiten unserer Schülerinnen und Schüler erinnern. An diesem historischen Beispiel können diese oft unterschätzten Probleme aus der Distanz betrachtet und möglicherweise mit Gewinn für das Physiklehren und -lernen diskutiert werden.
Abbildung aus: Brüche, Ernst (Hrsg.) (1964): Sonne stehe still. Mosbach: Physik Verlag
Sonderdruck kann beim Autor angefordert werden (schlichting@uni-muenster.de)
Erklärung des Rätselfotos vom Vormonat: Halo und Kondensstreifen
Zu sehen ist eine schlichte Zerstreuunglinse (bikonkav geschliffenes Glas). Sie steht im flach einfallenden Licht der Sonne, das sie zwar durchlässt (abgesehen von geringen Absorptionsverlusten im Glas), aber über einen größeren Querschnitt verteilt. Dieser Lichtkegel trifft auf den Untergrund eines Blatts weißen Papiers, von dem er entsprechend angeschnitten wird. Von dieser Kegelschnittfläche wird es in alle Richtungen, also auch ins Auge des Betrachters bzw. des Kameraobjektivs diffus reflektiert. Dem entsprechend wird das Sonnenlicht, das außerhalb des von der Linse ausgeschnittenen Lichtzylinders auf den Untergrund auftrifft, vom Streulicht überlagert und entsprechend verstärkt. Da aber das zusätzliche Licht irgendwo herkommt, muss es irgendwo fehlen. Es fehlt im Bereich des ausgeschnittenen Lichtzylinders, was sich in einem entsprechend dunkleren Bereich von der Form einer Ellipse auf dem Untergrund bemerkbar macht. Die Umverteilung des Lichts ist eine spezielle Form der Energieerhaltung.
In der Argumentation bin ich näherungsweise von parallelen Sonnenlichtstrahlen ausgegangen.
Die Dreifaltigkeit einer Adventskerze zeigt sich, wenn man sie hinter einem mit Wasser gefüllten Weinglas aufstellt (Es darf auch Champagner sein, wenn der Anlass es hergibt.). Dann gesellen sich zum zentralen Abbild der Kerze noch zwei seitliche Satelliten hinzu, die zwar etwas schlank geraten, aber ihre kerzenhafte Herkunft nicht verleugnen können. Die Herstellung dieses Phänobjekts ist leicht, allerdings muss man schon den passenden Blickpunkt einnehmen, weil sonst ziemlich verunglückte Gestalten resultieren können. Das Phänomen profitiert ganz wesentlich vom Inhalt des Glases. Ein leeres Glas bzw. ein luftgefülltes Glas führt zwar zu anderen interessanten Bildern aber nicht zur dreifaltigen Kerze.
Was die Erklärung des Phänomens betrifft, so kann ich auf einen früheren Beitrag verweisen, in dem die Kerze durch eine ausgewachsene Person und das Glas durch einen überdimensionalen Zylinder ersetzt wurde.
Schlichting, H. Joachim. Spektrum der Wissenschaft 8 (2014) S. 48 – 49
Eine alte Gärtnerregel auf dem Prüfstand: »Verbrennen» die Blätter von Pflanzen wirklich, wenn man sie bei prallem Sonnenschein gießt?
»… Wenn in den Tropfen frisch erquickter Blätter
Die neue Sonne tausendfach sich spiegelt …»
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)
PDF: Sonnenbrand im Grünen (kann beim Autor angefordert werden (schlichting@uni-muenster.de)
Viele Städte und Gemeinden haben Webcams eingerichtet, die Fotos oder Videos eines typischen Anblicks liefern, den man sich über das Internet in Echtzeit anschauen kann. Manchmal kommen dabei Bilder heraus, die auf den ersten Blick nicht so recht zu deuten sind. Die obere Abbildung ist ein Foto einer Webcam auf der Nordseeinsel Borkum. Wer den Anblick vom Tage her kennt, weiß, dass sich im dunklen Hintergrund das Meer verbirgt und im Vordergrund vier Straßenlampen für Licht sorgen. Nichts Aufregendes eigentlich, wenn die Lampen nicht mit kunstvollen Lichtschirmen ornamentiert wären und das auch noch in zwei verschiedenen Farben.
Wer sich die Aufnahmen von Zeit zu Zeit anschaut weiß, dass hier kaum künstlerische Absichten im Spiel sein können und dem Phänomen eine natürliche Ursache zugrunde liegt. Weiterlesen
Foto: H. Joachim Schlichting
Dieses Foto wurde vor einigen Jahren in Paris durch eine Schaufensterscheibe hindurch gemacht, daher die – in diesem Fall – störenden Spiegelungen. Es zeigt einen „tailleur d’ivoire“, also einen Elfenbeinschnitzer bei der Arbeit. Er benutzt eine Schusterkugel in Kombination mit einer modernen Lampe.
Eine Schusterkugel ist eine mit Wasser gefüllte möglichst kugelförmige Flasche, die als Sammellinse das Licht in einem Brennpunkt sammelt. Weiterlesen
“Jack pointed suddenly. „His specs – use them as burning glasses!“ (…) „Stand out of the light.“ (…) Ralph moved the lenses back and forth, this way and that, till a glossy white image of the declinig sun lay on a piece of rotten wood. Almost at once a trickle of smoke rose up and made him cough. (…)
„My specs!“ howled Piggy. „Give me my specs!“ (…) Ralph brought his face within a couple of feet of Piggy’s. Can you see me?“ “ A bit.“ (aus: Golding, William: Lord of the Flies)
Klingt gut, kann aber so niemals passiert sein.
1. Die „declining sun“ wird kaum in der Lage sein (langer Weg des Lichts durch die Atmosphäre, man kann oft ungeschützt hineinschauen, also: geringe Intensität), die Entzündungstemperatur von Weiterlesen
Schlichting, H. Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 41/11 (2010), S. 42-43
Ein benetztes Sieb trübt kurz den Durchblick – wer sich beeilt, kann trotzdem allerhand entdecken.
Die alte biologische Verwandtschaft
zwischen dem Erkenntnistrieb und dem Spieltrieb …
Hans Blumenberg (1920 – 1996)
Doch jetzt höre, wie leicht und wie rasch sich die Bilder entwickeln
Und wie beständig ihr Strom von den Dingen her fließt und sich ablöst …
Durs Grünbein (* 1962)
Haben Sie schon einmal durch ein gerade aus dem Tee gehobenes, noch feuchtes Teesieb auf ein hell beleuchtetes Motiv geschaut? Nein? Das sollten Sie unbedingt nachholen. Dann erblicken Sie nicht nur das Motiv selbst – gewissermaßen hinter Gittern –, sondern außerdem ein faszinierendes Mosaik: etliche winzige Bilder in den Gittermaschen, die jeweils einen Ausschnitt des Ganzen zeigen und zudem noch einige rätselhafte Eigenschaften aufweisen. Dieser Anblick ist zwar nur von kurzer Dauer, denn die Bildchen, oder besser: ihre wässrigen »Leinwände«, zerplatzen ziemlich schnell und geben den nahezu unverstellten Blick auf das Originalmotiv wieder frei. Einen Moment lang sehen Sie aber beides gleichzeitig (links unten): das Motiv als Ganzes und einige Ausschnitte, und können einen direkten Vergleich anstellen.
Doch der Reihe nach. Wie kommt es überhaupt zu den Maschenbildern, und warum verschwinden sie ohne Vorwarnung, zudem scheinbar nach Belieben? Beim Eintauchen des Siebs in den Tee (Leitungswasser tut es natürlich auch) füllen sich seine Zwischenräume zunächst mit Wasser. Einiges davon bleibt, während man das Sieb wieder herausnimmt, in den Maschen haften. Dass es nicht einfach abtropft, ist der Adhäsion zwischen Wasser und Metalldraht zu verdanken, also den an der Grenzschicht zwischen ihnen wirkenden Kräften. Dabei spielt eine Rolle, dass die Natur zu Zuständen möglichst niedriger Energie neigt. In diesem Fall minimiert sie die so genannte Grenzflächenenergie (was nichts anderes bedeutet, als dass möglichst viel Grenzflächenenergie an die Umgebung abgegeben wird), und die ist zwischen Wasser und Draht ganz offenbar geringer als zwischen Wasser und Luft.
Jetzt könnte man allerdings fragen, warum sich das Wasser nicht gleich zu Tropfen zusammenzieht, die doch schließlich eine noch kleinere Grenzfläche besitzen und folglich einen noch energieärmeren Zustand nach sich ziehen würden. Genau dies geschieht auch – allerdings nicht sofort, sondern nach und nach. Denn die Drähte zerren an den zwischen ihnen gespannten kleinen Wasserhäutchen etwa gleich stark in alle Richtungen. Zunächst besteht also schlicht kein hinreichender Anlass dafür, dass sich das Wasser an einer bestimmten Stelle zu Tropfen zusammenzieht.
Erst wenn auf Grund der Schwerkraft genug Wasser abgelaufen ist und die Häutchen sehr dünn geworden sind, kommt das »etwa« zur Geltung: Dann zerstören selbst kleinste zufällige Störungen das fragile Gleichgewicht zwischen den Kräften, weshalb die Membranen platzen und dann tatsächlich als winzige Tröpfchen enden.
Da übrigens die Grenzflächenenergie zwischen Wasser und Luft vergleichsweise groß ist, wird beim Platzen ziemlich viel davon freigesetzt; die winzigen Spritzer spürt man bisweilen sogar auf der Haut. Zwischen Seifenwasser und Luft wäre die Energie kleiner, so dass sich der Übergang in einen energieärmeren Zustand weniger aufdrängen würde – entsprechend langlebiger sind Seifenblasen.
Haben wir etwas übersehen?
Die entscheidende Frage ist aber, wie es zu den Bildchen kommt. Wasser bricht das Licht ebenso wie Glas, wenn auch nicht ganz so stark. Daher wirken die Wassermembranen wie optische Linsen, erzeugen also ein Abbild der hinter ihnen gelegenen Gegenstände. Wer bei Linsen gleich an eine Lupe denkt, geht jedoch fehl. Denn ein Blick durch eine solche Sammellinse, die in der Mitte dicker ist als am Rand, offenbart im Fall entfernterer Gegenstände: Ihre Abbilder erscheinen seitenverkehrt und stehen obendrein auf dem Kopf. Erst wenn man den Objekten so nah auf den Leib rückt, dass der Abstand zu ihnen unter die Lupenbrennweite sinkt, sieht man sie originalgetreu und eben auch lupentypisch vergrößert. Aber im vorliegenden Fall ist das Motiv weit entfernt. Ein prüfender Blick auf die Gittermaschen des Teesiebs bestätigt denn auch die Vermutung: Die eingespannten Membranen sind an den Drähten dicker als in der Mitte und stellen daher keine Sammel-, sondern vielmehr Zerstreuungslinsen dar. Diese bilden selbst entfernte Gegenstände originalgetreu, wenn auch wesentlich verkleinert ab.
Der aufmerksame Beobachter wird mittlerweile auch das dunkle Gitternetz bemerkt haben, das die kleinen Maschenbilder zu überziehen scheint. Ein bisschen mutet das an, als würden die Maschenbilder ihrerseits durch ein Drahtnetz hindurch betrachtet, was aber nicht der Fall ist (und übrigens auch nicht sein kann, wie eine kurze Überlegung ergibt). Um dem merkwürdigen Phänomen auf die Spur zu kommen, werfen wir einen Blick auf das Motiv selbst. Das Licht fällt frontal ein, wie die weit gehend gleichmäßige Ausleuchtung zeigt; es muss also schon auf seinem Weg zum Motiv durch das Sieb gegangen sein! Dass man den Schatten, den es auf das Gesicht wirft, kaum wahrnimmt, liegt an der unscharfen Abbildung des Motivs; schließlich wurde beim Fotografieren auf das Drahtnetz fokussiert. Mit diesem Wissen (und der nachbearbeiteten Ausschnittvergrößerung auf dem kleinen Bild links) gelingt es, den Gitterschatten nicht nur scharf auf den Wasserlinsen, sondern schemenhaft auch auf dem Gesicht zu erkennen.
Viel Zeit haben Sie für all diese Beobachtungen in keinem Fall. Ganz besonders schnell ist zudem der Augenblick vergangen, in dem noch fast alle Drahtmaschen des frisch aus dem Tee gehobenen Siebs mit einem Flüssigkeitsfilm überzogen sind. Das Motiv selbst lässt sich dann zwar kaum erkennen. Aber auch die vielen Bilder der Miniaturlinsen zeichnen das Original umrisshaft nach und setzen es aus Miniaturen seiner selbst zusammen (Bild unten rechts). So findet sich das Große im Kleinen wieder – wie auch die Gesetze der Physik in der kürzesten Teepause Aufscheinen.
http://www.spektrum.de/alias/schlichting/hinter-gittern/1044863
Schlichting, H. Joachim: Physik in unser Zeit 3 (2008), S. 152
Auch feucht-regnerische Tage können Ihren Reiz haben. Zum Beispiel dann, wenn sie auf Fensterscheiben Wassertropfen entstehen lassen, die die Umwelt abbilden – was man freilich erst bei genauem Hinsehen entdeckt.
Schlichting, H. Joachim. In: Physik und Didaktik in Schule und Hochschule 2/2, 81-89 (2003).
Die Linse ermöglicht den mikroskopischen und teleskopischen Blick in „Welten“, die dem „unbe-waffneten“ Blick prinzipiell verschlossen sind. Die nach ihrer Entdeckung einsetzenden naturwis-senschaftlichen Bemühungen, die Mikro- und der Makrowelt zu erschließen, stießen bald an eine Grenze, die in der Natur des Lichts erkannt wurde. Dadurch wurde eine Entwicklung in Gang ge-setzt, die schließlich zur Überwindung der optischen Sichtbarkeit führte und die Voraussetzungen für die moderne Mikrophysik und Kosmologie schuf. Dem Sehen kommt dabei nach wie vor eine große Bedeutung zu und wirft die didaktisch relevante Frage auf, welche Beziehungen zwischen dem Bild, dem als Konstrukteur handelnden Beobachter und der Realität auszumachen sind.
Schlichting, H. Joachim. In: PhyDid 1/2 (2003) S. 9-18.
An der Schwelle zur Neuzeit steht ein technisches Objekt, ein Produkt der Brillenmacher, ein „Stückchen Glas, …auf Staub“ abgerieben: die Linse. Wie ein Deus ex machina fällt sie Galilei in die Hände und wird im tatsächlichen wie im übertragenen Sinne für eine verbesserte, ja eine neue Sehweise sorgen. Die vorher undenkbare Verbindung von Handwerkskunst und spekulativer Welterkenntnis, wird zu einem typischen Aspekt der neuzeitliche Physik.
PDF: Die Welt jenseits der geschliffenen Gläser – Zur Bedeutung des Sehens in der klassischen Physik