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Loch

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Löchrige Randbemerkungen

Obwohl Löcher definitionsgemäß nichts sind, sind sie. Und das sind sie dank ihrer Ränder, die zum Bereich des Seienden gehören. Wenn man also Löcher überhaupt unterscheiden möchte, so gelingt dies nur in den unterschiedlich geformten Rändern (siehe Foto).

Kurt Tucholsky hat sich etwas eingehender mit der Natur des Lochs befasst und kommt zu folgendem Ergebnis:
Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist.
Das Loch ist ein ewiger Kompagnon des NichtLochs: Loch allein kommt nicht vor, so leid es mir tut. Wäre überall etwas, dann gäbe es kein Loch, aber auch keine Philosophie und erst recht keine Religion, als welche aus dem Loch kommt. Die Maus könnte nicht leben ohne es, der Mensch auch nicht: es ist beider letzte Rettung, wenn sie von der Materie bedrängt werden. Loch ist immer gut.

Wenn der Mensch, Loch‘ hört, bekommt er Assoziationen: manche denken an Zündloch, manche an Knopfloch und manche an Goebbels.
Das Loch ist der Grundpfeiler dieser Gesellschaftsordnung, und so ist sie auch. Die Arbeiter wohnen in einem finstern, stecken immer eins zurück, und wenn sie aufmucken, zeigt man ihnen, wo der Zimmermann es gelassen hat, sie werden hineingesteckt, und zum Schluß überblicken sie die Reihe dieser Löcher und pfeifen auf dem letzten. In der Ackerstraße ist Geburt Fluch; warum sind diese Kinder auch grade aus diesem gekommen? Ein paar Löcher weiter, und das Assessorexamen wäre ihnen sicher gewesen.
Das Merkwürdigste an einem Loch ist der Rand. Er gehört noch zum Etwas, sieht aber beständig in das Nichts, eine Grenzwache der Materie. Das Nichts hat keine Grenzwache: während den Molekülen am Rande eines Lochs schwindlig wird, weil sie in das Loch sehen, wird den Molekülen des Lochs…festlig? Dafür gibt es kein Wort. Denn unsre Sprache ist von den Etwas-Leuten gemacht; die Loch-Leute sprechen ihre eigne.
Das Loch ist statisch; Löcher auf Reisen gibt es nicht. Fast nicht.
Löcher, die sich vermählen, werden ein Eines, einer der sonderbarsten Vorgänge unter denen, die sich nicht denken lassen. Trenne die Scheidewand zwischen zwei Löchern: gehört dann der rechte Rand zum linken Loch? oder der linke zum rechten? oder jeder zu sich? oder beide zu beiden? Meine Sorgen möcht ich haben.
Wenn ein Loch zugestopft wird: wo bleibt es dann! Drückt es sich seitwärts in die Materie? oder läuft es zu einem andern Loch, um ihm sein Leid zu klagen – wo bleibt das zugestopfte Loch! Niemand weiß das: unser Wissen hat hier eines.
Wo ein Ding ist, kann kein andres sein. Wo schon ein Loch ist: kann da noch ein andres sein?
Und warum gibt es keine halben Löcher -?
Manche Gegenstände werden durch ein einziges Löchlein entwertet; weil an einer Stelle von ihnen etwas nicht ist, gilt nun das ganze übrige nichts mehr (pars pro toto, HJS). Beispiele: ein Fahrschein, eine Jungfrau und ein Luftballon.
Das Ding an sich muß noch gesucht werden; das Loch ist schon an sich. Wer mit einem Bein im Loch stäke und mit dem andern bei uns: der allein wäre wahrhaft weise. Doch soll dies noch keinem gelungen sein. Größenwahnsinnige behaupten, das Loch sei etwas Negatives. Das ist nicht richtig: der Mensch ist ein Nicht-Loch, und das Loch ist das Primäre. Lochen Sie nicht; das Loch ist die einzige Vorahnung des Paradieses, die es hienieden gibt. Wenn Sie tot sind, werden Sie erst merken, was leben ist. Verzeihen Sie diesen Abschnitt; ich hatte nur zwischen dem vorigen Stück und dem nächsten ein Loch ausfüllen wollen. *

Man sieht hier mehr als man begreift.
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* Kurt Tucholsky. Zur soziologischen Psychologie. In: Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 9, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 152-154.

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Der Stoff, aus dem die Schatten sind

Als Entität für sich betrachtet, ist der Schatten seltsam. Er ist ein wirkliches materielles Faktum, ein physikalisches Loch im Licht, hat aber weder eine stabile Form noch eine kontinuierliche Existenz; andererseits aber sind die Metamorphosen, die er durchläuft, determiniert, und obwohl er diskontinuierlich ist, kann er wiederkehren. Wie die Farbe wird Schatten nur in Abhängigkeit vom Licht realisiert, aber anders als die Farbe hat der Schatten kein permanentes, molekular definiertes Eigengebiet. Obwohl seine aktuelle Manifestation auf Oberflächen stattfindet, ist sein Reich dreidimensional und innerhalb dieses Reichs ist ihm alles untertan. Und so weiter. All dies mag durchaus etwas mit Leonardo da Vinci und jenen anderen zu tun gehabt haben, die sich manchmal fragten, ob der Schatten vielleicht nicht nur ein lokales Negativ des Lichts sei, sondern auch dessen aktiver Gegenspieler, der aus der Dichte ausstrahlt wie das Licht von einer Lichtquelle.*

Wer findet heraus, welcher Alltagsgegenstand auf dem Foto abgebildet wurde?


* Michael  Baxandall. Löcher im Licht. München 1998. S. 156

Das laufende Nichts

Das vom Fernsinn durchstimmte Nichts läuft. Das Nichts ist ein vom Fernsinn durchstimmtes Loch. Es ist zugegeben und kann befragt werden. Ein schwarzes laufendes vom Fernsinn durchstimmtes Loch offenbart das Nichts in seiner ursprünglichen Offenbarkeit.*

 

 

 

Günter Grass (1927 – 2015) hat zwar mehr an einen Hund gedacht, aber ich denke, dass auch Menschen vom Fernsinn (nicht nur vom Fernsehen) durchstimmt sein können, besonders in diesen Tagen.
Warum wir das Nichts meist als schwarz und als Loch ansehen, kann ich nur vermuten. Schwarz ist die Lichtlosigkeit, keine Energie kommt aus der Schwärze. Nun weiß man zwar inzwischen, dass auch die schwarzen Löcher nicht ganz dicht sind, aber doch ziemlich. Nichts ist perfekt.
Die an die sperrige Sprache von Martin Heidegger angelehnte Darstellung ist vermutlich in satirischer Absicht erfolgt.


* Günter Grass. Hundejahre. Neuwied 1963, S. 456

Der Lattenzaun

LattenzaunEs war einmal ein Lattenzaun,
mit Zwischenraum, hindurchzuschaun.

Ein Architekt, der dieses sah,
stand eines Abends plötzlich da –

und nahm den Zwischenraum heraus
und baute draus ein großes Haus.

Der Zaun indessen stand ganz dumm,
mit Latten ohne was herum.
Ein Anblick gräßlich und gemein.
Drum zog ihn der Senat auch ein.

Der Architekt jedoch entfloh
nach Afri- od- Ameriko.

Christian Morgenstern

Kurt Tucholsky: Das Loch als Grenzwache der Materie

Loch-2Kurt Tucholsky (1890 – 1935) wurde heute vor 125 Jahren geboren. Obwohl er schon 1935 starb, fehlt er uns in der heutigen Welt mit seinem kritischen Geist und geistreichen Humor. Und wo etwas fehlt da ist ein Loch. Auch das wusste Tucholsky auf amüsant kluge Weise:
„Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist.
Das Loch ist ein ewiger Kompagnon des NichtLochs: Loch allein kommt nicht vor, so leid es mir tut. Wäre überall etwas, dann gäbe es kein Loch, aber auch keine Philosophie und erst recht keine Religion, als welche aus dem Loch kommt. Die Maus könnte nicht leben ohne es, der Mensch auch nicht: es ist beider letzte Rettung, wenn sie von der Materie bedrängt werden. Loch ist immer gut.
Wenn der Mensch „Loch“ hört, bekommt er Assoziationen: manche denken an Zündloch, manche an Knopfloch und manche an Goebbels. Weiterlesen

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