Wenn die Bäume ihr Laub verloren haben (man sollte vielleicht besser sagen: abgegeben haben), präsentiert sich der Mond oft in naturschönen Kontexten. Diesmal scheint sich der nahezu volle Mond in den Ästen einen Baumes verheddert und damit die Distanz zwischen Baum und Himmel aufgehoben zu haben. Die dem Mond nahezu diametral gegenüberstehende untergehende Sonne verleiht nicht nur dem Baum, sondern auch dem Mond einen rötlichen Teint.
Als ich meine Begleiterin darauf aufmerksam machte, fand sie das ein wenig zu mystisch, was ich wiederum als merkwürdig empfand. Denn ich hatte es rein physikalisch gemeint, um deutlich zu machen, dass trotz ihrer ansonsten großen Unterschiede – der Baum als irdisches und der Mond als himmlisches Objekt – sich hier beide völlig gleich verhalten: Sie reflektieren das rötliche Sonnenlicht.
Der Anblick des Fotos mutet meines Erachtens fast wie eine Grafik an, weil uns das Anschauungsvermögen bei der Zusammenschau an sich weit voneinander entfernter Gegenstände zuweilen im Stich lässt.
Als ich den im Wind flatternden Bändern mit dem Blick folgte, wurde ich direkt auf den nachtmittaglichen zunehmenden Halbmond gelenkt. Alle Teile wurden von derselben Seite von der Sonne angestrahlt. Der Mond ist auch nur ein im Licht der Sonne hängender „Gegenstand“. Natürlich ist er nicht nur das, aber das auch. Das muss man sich manchmal klarmachen.
Vor ein paar Tagen wunderte ich mich über einen hellen Fleck in den oberen Tannenspitzen. Dieser entpuppt sich wenig später als der zunehmende Halbmond, der sich auf seiner Reise über den Himmel befindet. Er ist seit Neumond schon ein wenig über die Hälfte hinausgewachsen und wird jeden Tag etwas dicker, bis er dann knapp eine Woche später und auch zu späterer Stunde zum Vollmond mutiert sein wird.
Mit dieser Sprechweise meine ich natürlich, dass die relative Stellung zwischen Sonne und Mond sich so verändert, dass ein immer größerer Teil der uns zugewandten Mondoberfläche angestrahlt wird. Leider hat man es selten, dass man diesen „Fortschritt“ jeden Tag beobachten kann. Der Wald, die Wolken oder andere Hindernisse verbergen ihn zeitweise. Aber vertrauen kann man ihm. Man kann es sogar berechnen und vorhersagen.
Dürfen Schriftsteller und Poeten „lügen“, indem sie Situationen beschreiben, die es so nicht geben kann? Ich maße mir nicht an, dies beurteilen zu wollen. Das müssen die Poeten unter sich ausmachen. Arno Schmidt ( 1914 – 1979) ist einer unter ihnen, der seine Kollegen immer wieder tadelt, wenn sie seiner Meinung nach in dieser Hinsicht Fehlverhalten zeigen. Dabei nimmt er ein Wort von Samuel Butler (1835 – 1902) zum Motto: „I don’t mind lying, but I hate inaccuracy!“. Diese Ungenauigkeit wirft Schmidt zum Beispiel einem seiner Lieblingsautoren vor: Weiterlesen
Manche Hochspannungsleitungen sind mit (meist orangefarbenen) Kugeln bestückt (Foto). Ich habe sie bislang vor allem an Autobahnen gesehen. Sie dienen vor allem dazu, tieffliegende Flugzeuge oder Hubschrauber zu warnen, weil die Seile selbst oft schwer zu erkennen sind. Das erklärt auch die Häufigkeit des Vorkommens an Autobahnen, wo mit Hubschraubern bei Rettungseinsätzen zu rechnen ist. Weiterlesen
An diesem schönen Gedicht Matthias Claudius‘ (1740 – 1815), von dem ich hier nur die ersten vier Strophen abdrucke, haben sich schon einige „Philister“ abgearbeitet, indem sie meinten dem Claudius eine Inkorrektheit nachweisen zu können. Denn in der dritten Strophe des Gedichts heißt es: „Er ist nur halb zu sehen / Und ist doch rund und schön“. Dies könne nicht sein. Denn wenn der Mond in der Dämmerung, also bei Sonnenuntergang aufgeht, dann handelt es sich um den der Sonne gegenüberliegenden Vollmond. Der (abnehmende) Halbmond geht hingegen gegen Mitternacht auf und da hat man dann keine Dämmerung mehr. Es gibt harsche Kritik und auch Hinweise im günstigsten Fall Entschuldigungen mit der dichterischen Freiheit usw. Ich will das hier nicht weiter ausführen. Aber wer sagt denn, dass Claudius vom Halbmond spricht. Er sagt, der Mond sei nur halb zu sehen. Vielleicht ist er ja wegen teilweiser Bewölkung u. Ä. teilweise bedeckt? (siehe Foto). Denn es kommt häufig vor, dass sich eine Wolke vor den Mond schiebt und ihn halb abdeckt. Und wenn man einen Halbmond rund und schön finden kann, dann doch wohl auch einen halben Vollmond. Wie dem auch sei, ich halte diese vermeintliche Inkorrektheit weder geeignet für einen Unterrichtseinstieg in die Mondphasen noch für eine oberlehrerhafte Kritik an einem großen Dichter.
Kann man das Theaterstück „Das Leben des Galilei“ von Bert Brecht (1898 – 1956) verstehen, wenn man den physikalischen Hintergrund der folgenden Passage nicht versteht? Ich kann mich an meinen eigenen Deutschunterricht erinnern, in dem das Theaterstück durchgenommen wurde. Der Sachverhalt des aschfahlen Lichts, das an einer zentralen Stelle thematisiert wird, ist mir jedoch als eine eher mystische Angelegenheit im Gedächtnis geblieben, obwohl Bert Brecht die Situation ziemlich deutlich beschreibt. Offenbar wurden wir damals gar nicht angehalten, die Situation physikalisch zu verstehen. Brecht möchte in diesem Dialog demonstrieren (siehe Foto), welche Probleme die Wissenschaftler an der Schwelle der Neuzeit bewegten: Weiterlesen
Leonardo da Vinci hat als einer der ersten zahlreiche Alltagsphänomene im Sinne der neuzeitlichen Physik nicht nur zutreffend, sondern didaktisch elegant beschrieben. Er stellt die Mondphasen so dar, dass man sich unmittelbar in die Situation hineinversetzen muss.
Der Mond hat kein Licht von sich aus,
und soviel die Sonne von ihm sieht,
soviel beleuchtet sie;
und von dieser Beleuchtung
sehen wir soviel,
wieviel davon uns sieht.
Und wenn er denn schon dabei ist, beschreibt er auch noch gleich das Phänomen des Erdscheins, in dem die Erde als indirekt stahlender Körper hinzugenommen wird. Der Erdschein ist oft beim neuen Mond zu sehen:
Und seine Nacht*
empfängt so viel Helligkeit,
wie unsere Gewässer ihm spenden,
indem sie das Bild der Sonne widerspiegeln,
die sich in allen jenen (Gewässern) spiegelt,
welche die Sonne und den Mond sehen.
(Um den Erdschein im oberen Foto besser sehen zu können, zur Vergrößerung auf Bild klicken).
Auch aus heutiger Sicht sind viele physikalische Beschreibungen aus Leonardos Feder in „Glanz und Präzision, Kraft und Zartheit“ unübertroffen, wie der Physikdidaktiker Martin Wagenschein **(1896 – 1988) es einmal ausgedrückt hat. Dieses fast wie ein Gedicht wirkende Stück Prosa erscheint ihm „als ein kostbares Muster für die endgültige, präzise Fassung einer naturwissenschaftlichen Einsicht, die in der Wirklichkeit des Gegenstandes wie in der Wärme der Muttersprache bleiben darf“.
Leonardo beschreibt das aschgraue Licht als Ergebnis einer doppelten Reflexion von Sonnenlicht. Dieses erreicht den nicht direkt beleuchteten Teil des Mondes über den Umweg des beleuchteten Teils der Erde. Dieser hat gleichzeitig die Sonne und den Mond „im Blick“. Er wählt keinen menschlichen Beobachter, weil dieser wegen des mangelnden Kontrastes vom taghellen Teil der Erde das aschgraue Licht gar nicht sehen würde. Erst wenn er sich mit der Sonne in den Abend dreht und es dunkler wird, wird der Erdschein unter günstigen Bedingungen sichtbar. Heute weiß man, dass in erster Linie nicht die Gewässer den Erdschein bedingen, sondern u.a. Wolken und Schneefelder.
* gemeint ist der im Dunkeln liegende Bereich des Mondes, der von der Sonne nicht erreicht wird.
** Martin Wagenschein. Ursprüngliches Verstehen und exaktes Denken II. Stuttgart 1970, S. 66
Untere Skizze: Leonardos Skizze des Erdscheins aus: Da Vinci’s Codex Leicester (ca. 1510)
Meines Lebens schönster Traum hängt in einem Apfelbaum. An diesen Vers aus Wilhelm Buschs „Max und Moritz“ wurde ich erinnert, als ich den (fast) Halbmond durch das noch blattlose Geäst eines Apfelbaumes sah und gleichzeitig einige schöne physikalische Phänome damit verbinden konnte.
Zum einen sieht man die Äste wie mit weißem Pinselstrich nachgezogen leuchten. Demgegenüber scheinen einige Astabschnitte in der Helligkeit des Mondes zu verglimmen. Und schließlich erahnt man schemenhaft die Ergänzung der Mondsichel, die den Mondkreis vollendet. (Zum Vergrößern Klicken).
Ich habe bereits früher darauf hingewiesen, dass einer meiner Lieblingsautoren, Arno Schmidt (1914 – 1979) mit großer Lust und oft sarkastisch Schriftstellerkollegen für physikalisch ungenaue und unmögliche Passagen kritisiert (z.B. hier und hier und hier und hier und hier und hier). Dabei spielen die Mondphasen eine wichtige Rolle. So schreibt er in „Und es blitzten die Sterne…“: Leopold Schefer, bekanntlich einer meiner Lieblinge, kriegt das leider auch fertig, in seinem Gedicht „Nordlicht“ zu schwelgen:
„Denn feurig geht der Vollmond gar nun auf,
bang ächzend schwirrt die Eule wieder um,
die alte Weide leuchtet wie ein Geist,
und nach der Sterne Stand ist’s Mitternacht.“
Sorry! : das, was um Mitternacht aufgeht, kann nur ein abnehmender Halbmond sein. (Und man komme mir, bitte, nicht mit ‚Stimmung‘ und ähnlich feinsinnigen Ausreden; da frage ich nur zurück : hätte er nicht auch sagen können, „denn feurig geht der Halbmond gar nun auf`“?).
Auf dem Foto geht der Vollmond auf, während die Sonne untergeht, wie man deutlich an den rötlichen Teint des Münsteraner Schlosses erkennen kann. Dass der östliche Himmel auch einen leichten Rotschimmer hat, ist nicht die Dämmerung, sondern die Gegendämmerung.
Ob Eduard Mörike in seinem Gedicht „Früh im Wagen„, in dem er die Situation korrekt beschreibt, Schmidts Lob geerntet hätte? Ich bin mir da nicht sicher.
Vor einiger Zeit habe ich über den jungen Sichelmond berichtet, wie er aufgrund seiner Nähe zur untergehenden Sonne eine gute Anschauung zu den Mondphasen liefert. Diese in unseren Breiten meist fast aufrecht stehende Sichel wird in der Nähe zum Äquator oft ziemlich oder ganz flach wie ein Schiffchen angetroffen. Das erinnert mich an eine Geschichte aus der Kindheit, in der der Mond als Nachen bezeichnet und fast genau so dargestellt wurde, wie es auf diesem Foto zu sehen ist, vielleicht sogar noch etwas flacher. Weiterlesen
An einem dieser warmen Sommertage genießen wir die abendliche Abkühlung und erleben den Sonnenuntergang, der zu dieser Jahreszeit wieder hinter einem Wald stattfindet. Wenn dann wie auf dem Foto der gerade einmal zwei Tage alte junge Mond der Sonne hinterher eilt, sieht man unmittelbar, wie diese Mondsichel zustande kommt. Jedenfalls wurde einer der Anwesenden ganz ruhig und plötzlich meinte er, dass er nunmehr verstehe, wie die Mondphasen zustande kommen. Weiterlesen
Dem jungen Mond wird meines Erachtens nicht nur in der Belletristik – von einigen sehr schönen Ausnahmen abgesehen – zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Unter „Mond“ versteht man meistens den Vollmond, ohne es explizit zu sagen. Dabei beginnt mit dem jungen Mond, der feinen Sichel, die sich nach den dunklen Neumondnächten, nur kurz aber mit der Zeit immer länger und deutlicher zeigt, ein Zyklus des Neubeginns, den ich gelernt habe, in mein Leben zu integrieren. Weiterlesen
… in trauter Nähe Zweisamkeit, so möchte man hinzufügen, wenn man die beiden wie auf dem Foto so nebeneinander sieht. Ich möchte gleich hinzufügen, dass das Foto nicht manipuliert ist. Es fragt sich also, wie das abgebildete Phänomen zustand gekommen ist. Weiterlesen
Diese Begegnung kann nicht stattgefunden haben. Auf den ersten Blick sieht es zwar so aus, dass als ob sich Flugzeug vor dem Halbmond her bewegt. Es könnte sich um einen zunehmenden Halbmond handeln. Er geht mittags auf und um Mitternacht unter. Der auf dem Bild zu sehende tagesblaue Himmel stimmt mit der Tatsache überein, dass der Mond von rechts oben von der Sonne angestrahlt zu werden scheint. Doch wie sieht eine Kugel aus, die von der Seite angestrahlt wird? Richtig, die Krümmung der Schattenlinie muss gerade entgegengesetzt als in dem Bild sein. Eine „Halbmondform“ wie die im Bild zu sehende ergibt sich nur, wenn der Schatten einer weiteren Kugel auf die von vorn beleuchtete Kugel fällt. Das ist bei einer Mondfinsternis der Fall, bei der sich der etwa 2,5 mal so große Erdschatten über die Vollmondscheibe schiebt. Eine Mondfinsternis mit einem Vollmond hoch am Himmel tritt jedoch nur in der Nacht auf. Denn der Vollmond geht mit Sonnenuntergang auf und mit Sonnenaufgang unter. Mit anderen Worten, das Foto ist manipuliert.
„Ich habe mich offensichtlich sehr unzulänglich ausgedrückt, und ich bestreite das nicht; trotzdem, fühlst du nicht, dunkel zwar, doch ebenso tief vielleicht wie ich, daß in diesen Begegnungen ein hoher Grad von Wirklichkeit sich manifestiert und gleichzeitig eine Art Durchlaß, ein Weg sich öffnet für unseren Blick?“
Philippe Jaccottet: Der Spaziergang unter den Bäumen
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Als ich vor einiger Zeit am Bahnsteig angesichts des strahlenden Vollmonds (siehe Foto) mit einem netten Mann in ein Gespräch geriet, ließ er erkennen, dass er wie viele andere Menschen auch glaubte, die Mondphasen kämen durch den Erdschatten zustande. Nun hätte ich mir keine bessere Situation vorstellen können als die gegebene: Die Bahnschilder wurden frontal von der gerade aufgegangenen Sonne angestrahlt und reflektierten das Licht diffus in unsere Augen. (Dass dies so deutlich war mag möglicherweise auch noch damit zusammenhängen, dass einige der Schilder mit einer retroreflektierenden Schicht versehen waren.) Dem der Sonne ebenfalls gegenüberstehenden Mond ging es nicht anders. Da er frontal angestrahlt wurde, war er voll zu sehen. Weiterlesen
Schlichting, H. Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 41/9 (2010), S. 32- 33
Wie vermessen, den Mond mit einem Apfel oder gar einem Tischtennisball zu vergleichen. Erst Galileo Galilei erkennt, dass man ihn als einen Gegenstand denken kann, der »sich in die Hand nehmen lässt«
Der Mond hat kein Licht von sich aus,
und so viel die Sonne von ihm sieht, so viel beleuchtet sie;
und von dieser Beleuchtung sehen wir so viel, wie viel davon uns sieht.
Leonardo da Vinci (1452–1519)
http://www.spektrum.de/alias/schlichting/mondphasen-im-apfelbaum/1040565