Obwohl Kiefern immergrün sind, auch im Winter, hatte ich den Eindruck, dass dieses Exemplar eines filigran gewachsenen Baumes das Licht von weit her reflektiert und die Verheißung von Frühlingsgefühlen zum Ausdruck bringt.
Man könnte auch sagen Eis und bunt. Denn die weißen Pflanzen, die sich hier als Alternative zur Botanik aufspielen, sind Kristalle aus Eis. Interessanterweise haben sie sich an den Resten der botanischen Pflanzen niedergelassen, so als würden sie nur das fortsetzen, was die grünen Pflanzen zurzeit der Kälte wegen weitgehend ruhen lassen müssen. Sie wetteifern auf diesem Foto mit den bunten Farben auf dem zu Matsch marginalisierten und dann gefrorenen ehemaligen Bach. Farbgeber ist eine andere uns wenig vertraute aber dafür zur organischen Welt gehörende Lebenform: Bakterienkolonien. Sie existierten hier schon vor dem Frost als Biofilm, in einer dünnen Kahmhaut, die die Bakterien auf dem Wasser bildeten. An den schönen Interferenzfarben kann man erkennen, dass diese Haut sehr dünn ist (Größenordnung: Wellenlänge des sichtbaren Lichts). Ob die Tierchen trotz der Erstarrung zu einer Eisschicht noch leben und die Frostphase lebend überstehen, konnte ich auf die Schnelle nicht herausfinden.
Einige Bäume sind hier gar keine Bäume, sondern Schattenräume im Streulicht des frühen Nebels
Die weißen Blüten bieten Futter für mehrere Insektenarten. In trauter Gemeinsamkeit, ohne Hektik fast meditativ nehmen sie hier einige Leckereien zu sich. Sie ließen sich durch mich nicht stören, ganz anders als ich es sonst beim Fotografieren von Insekten erlebe. Vielleicht wirkt die weiße Farbe beruhigend?
Wenn man sich die ergrauten Löwenzahnköpfe genauer anschaut, kann man manchmal leicht den Eindruck gewinnen, ein radialsymmetrisches Bündel von Miniaturwunderkerzen vor sich zu haben, die ihrerseits radialsymmetrisch Funken sprühen. Die Tatsache, dass die Symmetrie nicht perfekt eingehalten wird, erhöht eher noch die Ästhetik des Bildes.
Ich finde die zu Unrecht als Pusteblume verniedlichte Blume in diesem filigranen Endzustand oft so schön, dass ich ein Zögern verspüre, das kleine Wunderwerk zu zerstören. Soll es doch der Wind tun.
Wenn der Mensch es vergisst, Schilder vor den Unbilden des Wetters zu schützen, muss die Natur es selber übernehmen. Hier hat sich ein Zunderschwamm bereit erklärt, die Aufgabe zu übernehmen.
Der Herrmannsweg (H) gehört zu meinen Lieblingswanderwegen.
Nachdem nun auch die letzten Pflanzen sich aus ihrer Verpackung befreien und sich frei entfalten, sieht man wie sich die jungen Triebe der Tannen ihrer schützenden Hülle entledigen. Man sieht sie allenfalls noch als eine Art Zipfelmütze an dem einen oder anderen werdenden Neuzweig hängen.
Indem sich die noch angenehm weichen Tannennadeln immer mehr spreizen entwachsen sie der Hülle und schieben sie von sich. Während ich das Foto machte, sah ich die Mützen hier und da Fallen (siehe Foto rechts).
In diesen Nächten kommt der Frost nochmal zu seinem Recht und beeindruckt am Morgen mit den in der Nacht fertiggestellten Kunstwerken. Soll damit der Entwicklung in der Botanik Nachdruck verliehen werden? Jedenfalls sieht es mir auf der rechten Seite des Fotos so aus, als sollte hier ein Farnblatt entstehen. Als Display wird die randvolle Regentonne benutzt. Der ganz in der Nähe vorhandene Teich wurde gemieden. Dessen Wärmekapazität ist wegen der Größe des Wasserreservoirs einfach zu groß, um an der Oberfläche Temperaturen von 0° C zu ermöglichen.
Diese schöne an botanische Strukturen erinnernde Ansicht ist entstanden, als das Wasser einer Pfütze fast schon versickert war. Der nasse, schlickartige Rest wurde vom Frost der Nacht erfasst und in einen Garten von Eiskristallen verwandelt. Die Freiheit der Kristallbildung ist durch die starke „Verunreinigung“ des Wassers durch Erde weitgehend eingeschränkt. Das Ergebnis ist meines Erachtens aber dennoch naturschön. Die Struktur war so fest, dass man darüber gehen konnte, ohne Spuren zu hinterlassen.
Manche Pflanzen lieben das Wasser, sie sind hydrophil, andere verabscheuen es, sie sind hydrophob. Wieder andere nehmen eine Position dazwischen ein. Darin unterscheiden sie sich kaum von den Menschen. Ein Freund von mir, Wilfried Suhr, hat eine Situation fotografiert, in der man die Hydrophobie der aus dem Wasser wachsenden Pflanzen deutlich erkennen kann (rechts: Ausschnitt). Sie stoßen das Wasser so deutlich ab, dass die Wasseroberfläche ein Stück weit eingedellt wird. Lediglich die das Wasserniveau ausgleichende Schwerkraft verhindert eine weitere Absenkung. Als Kompromiss ergibt sich eine Vertiefung rund um die aus dem Wasser herauswachsenden Pflanzen, ein sogenannter konvexer Meniskus, der die Wasserphobie eindrucksvoll zum Ausdruck bringt. Die auf der Wasseroberfläche gespiegelte Sonne (eine Lichtphobie?) sowie einige Wolken heben die Strukturen eindrucksvoll aus dem ansonsten ziemlich monochromen Hintergrund heraus.
Dies ist wieder ein kleines Phänomen, das leicht übersehen wird, aber – einmal bemerkt – zu Fragen Anlass gibt, die ansonsten wohl kaum in den eigenen Fragehorizont gelangt wären.
Ab heute bin ich wieder einmal in der netzfreien Zone und kann daher erst in etwa einer Woche wieder auf Kommentare eingehen. Ich habe allerdings einige neue Beiträge für den kommenden Tage erstellt.
Sie sind vor Ort, die Lämpchen rund
Wie Irrwischflämmchen aufgestellt.
Die Winde keucht, es rollt der Hund,
Der Hammer pickt, die Stufe fällt,
An Bleigewürfel, Glimmerspat
Zerrinnend, malt der kleine Strahl
In seiner Glorie schwimmend Rad
Sich Regenbogen und Opal.*
Dies ist eine Strophe aus dem für mich geheimnisvollen Gedicht „Die Erzstufe“ von Annette von Droste-Hülshoff (1797 – 1848), in dem sie sich bestimmten Aspekten des Bergbaus lyrisch nähert und dabei Naturbilder benutzt, die ganz andere Assoziationen hervorrufen. Ich sehe in den Lämpchen, die in der Sonne strahlenden weißen Köpfe der Pusteblume. Darin leuchtet eine durch Interferenz an den feinen Verästellungen der Pappusse hervorgerufene „Glorie“ in Spektralfarben, die wie ein Opal irisiert. Ein vergleichbares Irisieren sieht man zum Beispiel auch in den Distelsamen.
* Annette von Droste-Hülshoff: [Die Ausgabe von 1844], S. 173. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 7909 (vgl. Droste-SW Bd. 1, S. 127)
Als ich auf einer Wanderung diesen Text las, fühlte ich mich in meinem Naturgarten noch wohler als bisher.
Als ich am Abend aus einer bestimmten Perspektive heraus den Mond über den hochstrebenden Pflanzen sah, hatte ich das Gefühl, diese würden zum Mond hinauf ranken wollen…
Unser Walnussbaum hat in diesem Jahr sehr viele Nüsse produziert, die zur Zeit am warmen Kamin geknackt und verzehrt werden. Da wir es mit der Säuberung der Nüsse nicht so gründlich vorgegangen sind, wie man es bei gekauften wohl erwartet, bieten sich oft Anblicke wie auf diesem Foto. Sie zeigen vermutlich Reste der Versorgungsgefäße, durch die die spätere „erwachsene“ Nuss innerhalb einer später abfallenden weichen Hülle aufgepäppelt wurde. Es scheint so etwas wie eine Miniplazenta zu sein. Jedenfalls stelle ich mir das so vor. (Biologen*innen mögen mich da ggf. korrigieren.).
Von der Struktur her haben wir hier wieder das von Adersystemen, Einzugsbereichen von Gewässern u.ä. bekannte Bild fraktaler Verästelungen (vgl. z.B. hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier).
Die Luft wird dünner, und manchmal ist der Wanderer von Wolken umgeben, und wenn sie zum Teppich werden, dann heißt das, daß sich vor ihm eine Schlucht auftut. Man geht über Grate, die einen halben Meter breit und fünfzehnhundert, achtzehnhundert, zweitausend Meter hoch sind, an Abgründen entlang. Die Hänge sind senkrecht, und der einzige Halt für den Fuß oder die Hand sind Wurzeln und Sträucher und manchmal ein fester Stein. Wenn man auf eine Hochfläche trifft, ist alles grün: sogar das Sonnenlicht ist grün. Der Boden ist mit einem grünen Pflanzenteppich bedeckt, die Bäume, die Sträucher und das Buschwerk zeigen die gesamte Palette des Grün. Die Baumstämme sind mit Flechten bedeckt, die wie Grünspan aussehen, sich aber nass anfühlen: Diese grüne Wirklichkeit ist feucht. Von den Blättern tropfen unzählige Regenperlen, und wenn man auftritt, sinkt das Gras mit einem wässerigen Schmatzen ein. Auf den bemoosten Felsen sind flüssige Kristalle, und den Weg kreuzen kleine Rinnsale, Wasseradern. Die Temperatur liegt wenige Grade über Null, und das Licht dringt kaum durchs Blattwerk. Auf einer Lichtung taucht ein Wolkenfetzen auf, und die Sonne zerreißt ihn, und an dem Sonnenstrahl klettert eine Dunstspirale empor. Es regt sich kein Lüftchen, doch ab und zu spürt man einen kalten Windstoß. Ganz weit dort unten ist zu beiden Seiten das graue Meer und zur dritten Seite hin sieht (es) grau aus.*
* Guillermo Cabrera Infante. Ansicht der Tropen im Morgengrauen. Frankfurt 1992, S. 94
Eines Sommers, als ich noch klein war, im Sommer vor Pearl Harbor, wollten meine Eltern weg von Bethesda, und wir mieteten uns für eine Monat ein Backsteinhaus in Virginia; da gab es eine riesige Weinlaube mit Backsteinboden, wo die Ameisen kleine Hügel bauten. Ich muß damals – warten Sie – einundvierzig – sieben gewesen sein. Verzeihen Sie, ich bin sonst nicht so geschwätzig.
Ich weiß.
Ich kann mich noch erinnern – die kleinen Nebensprößlinge der Ranken bildeten Buchstaben, waren buchstabenförmig gekringelt, verstehen Sie. Sie formte ein A mit den Fingern. Ich wollte mir eine vollständige Sammlung zulegen. Von A bis Z.
Wie weit sind sie gekommen?
Ich glaube, bis D. Ich habe nie ein richtiges E finden können. Dabei sollte man doch meinen, daß es in all dem Gerank auch ein E gegeben haben muß.
Sie hätten es überspringen und mit F weitermachen sollen.
Ich war abergläubisch. Ich dachte, das dürfe ich nicht. Ich hatte die ganze Zeit Hemmungen.*
Ich habe einfach ein paar dieser vertrockneten und mit dem Beginn des Blätterfalls abgefallenen Nebensprosse der Weinranken auf ein Blatt Papier gelegt. Alles andere spricht für sich. Insbesondere die winzigen Spiralen erinnern an die frühere biologische Funktion dieser nunmehr zum Kunstwerk erstarrten Überbleibsel. Die üppig wuchernde Weinpflanze hatte sich in ihrer Wachstumsperiode durch raffinierte Suchbewegungen der Ranken in der Umgebung Objekte gesucht, an denen sie festmachen konnte, um so den weiteren Wuchs der Pflanze zu sichern. Denn sie ist auf ein Stützgerüst angewiesen. Wer Lust hat, kann ja mal Buchstaben und Ziffern suchen.
John Updike. Ehepaare. Reinbeck 1976
In einer blauen Hügelwelt
Bei einer Amsel Sehnsuchtston
Ein großes, grünes Roggenfeld,
Und drinnen feuerroter Mohn.
Wie ein Laternlein jede Blüt,
Und brennen röter als der Tag.
Ein Augenblick hat da geglüht,
Der lang noch nicht erlöschen mag.
Max Dauthendey (1867 – 1918)
Buschwindröschen erfreuen uns vor allem in der Zeit, in der die Bäume noch kein Laub haben und die Sonne den Waldboden erreicht, wo sie vornehmlich wachsen und blühen. Später, wenn das Blätterdach der Bäume so dicht ist, dass nur noch wenig Licht zu ihnen vordringt, verziehen sie sich in die dunkle Unterwelt des Rhizoms, in dem die während der kurzen Vegetationsperiode erworbenen Nährstoffe für das nächste Frühjahr gespeichert werden. Weiterlesen
H. Joachim Schlichting. Spektrum der Wissenschaft 5 (2020), S. 60
Die Tropfen Tau schon rinnen,
Auf uns und über uns.
Achim von Arnim (1781 – 1831)
Einige Pflanzen schöpfen lebenswichtige Feuchtigkeit direkt aus der Luft, indem Wasserdampf an ihren spezialisierten Blättern kondensiert. Winzige Rillen auf deren Oberfläche lassen die wachsenden Wassertropfen verschmelzen und zu Boden fließen.
Bei einem Regenschauer suchen wir Schutz unter Bäumen, denn das Blätterdach hält den Boden trocken. Gelegentlich allerdings verhält es sich gerade umgekehrt, vor allem am Morgen – dann ist es nur rund um den Stamm nass. Dieses sonderbare Phänomen ist sogar von großer ökologischer Bedeutung. In niederschlagsarmen Gebieten der Erde trägt es maßgeblich zur Wasserversorgung mancher Pflanzen bei.
Bei Nebel kommt man den Ursachen schnell auf die Spur. Ein Teil der durchziehenden Schwaden bleibt an den Blättern der Bäume hängen. Die winzigen Tropfen vereinigen sich mit nachfolgenden und fallen schließlich auf Grund der eigenen Schwere ab.
Doch manchmal findet man frühmorgens selbst nach einer klaren Nacht ohne Anzeichen von Nebel trotzdem feuchte Stellen unter manchen Pflanzen. Dann verdankt sich die Wassergewinnung aus dem vermeintlichen Nichts einem anderen Effekt: Auf den Blättern der Bäume bildet sich Tau. Wenn es nachts kälter wird, nimmt die maximal mögliche Wasserdampfkonzentration ab. Sie sinkt dabei oft unter die tatsächlich vorhandene Feuchte – der so genannte Taupunkt wird unterschritten.
Die Blätter der Pflanzen kühlen sich schnell ab, denn sie sind von geringer Masse und haben daher eine geringe Wärmekapazität. Als Folge ihrer eigentlichen Funktion, tagsüber möglichst viel Sonnenlicht einzufangen, sind sie nachts ebenso optimal zum kalten Weltall ausgerichtet – und strahlen diesem Energie durch Wärme zu.
Damit sich Wasserdampf absetzen kann, sind zusätzlich zur Unterschreitung des Taupunkts Kondensationskeime nötig. Wegen winziger Oberflächenstrukturen und Verunreinigungen gibt es davon reichlich. Sobald an den Stellen Miniaturtröpfchen entstanden sind, wachsen diese zügig, denn sie sind ihrerseits ideale Orte für weitere Kondensation.
Schließlich neigen sich die Blätter. Meist sind sie ohnehin nicht waagerecht ausgerichtet, und selbst wenn, verbiegt sie die zunehmende Last. Die Schwerkraft lässt die Tropfen herabgleiten und zu Boden fallen. Das geschieht aber erst bei einer kritischen Größe.
Diese hängt einerseits von der Benetzbarkeit der Blätter ab, also der Adhäsionskraft, mit der Wasser daran haftet. Der Wert dafür lässt sich mit Hilfe des so genannten Kontaktwinkels bestimmen. Das ist die Neigung zwischen dem Rand der gekrümmten Oberseite eines Tropfens und der Blattoberfläche (siehe Illustration). Bei einem flachen Winkel von 0 bis 90 Grad ist der Untergrund hydrophil (wasserliebend), bei 90 bis 180 Grad ist er hydrophob (wasserabweisend). Im letzteren Fall können sich bereits relativ kleine Tropfen ablösen. Das ist der berühmte Lotoseffekt, der sich hier zu Lande beispielsweise auch bei Kapuzinerkresse oder bei Kohlrabi beobachten lässt (siehe Foto).
Andererseits ist die Voraussetzung für das Herunterfallen eine ausreichende Neigung der Blätter. Denn mit ihr wächst die Komponente der Schwerkraft, die für das Hinabkullern entscheidend ist. Da die Belastung durch das sich sammelnde Wasser das Blatt krümmt, kommt es zu einer Art Rückkopplung: Je mehr Tropfen entstehen und je größer sie werden, desto eher lösen sie sich ab.
Die Vorgänge kommen morgens zum Erliegen, wenn mit zunehmender Umgebungstemperatur die maximal mögliche Feuchte wieder zunimmt. Dann erhöht sich der Taupunkt, und die Neigung zur Kondensation nimmt ab. Schließlich überwiegt die Verdunstungsrate, so dass die letzten Wasserrückstände wieder verschwinden. Um bis dahin möglichst viel Feuchtigkeit zu den Wurzeln zu leiten, sollten die Tropfen rasch zu Boden gehen und Platz für neue machen. Falls die Pflanze auf diese Form der Versorgung angewiesen ist, sollten sie also möglichst schnell das kritische Volumen zum Abgleiten erreichen.
Zu Beginn wachsen einmal entstandene Tropfen jeder für sich. Zwei kleine verschmelzen erst dann zu einem großen, wenn sie sich zufällig berühren. Der Menge an herab rieselndem Wasser würde demnach zunehmen, wenn solche Vereinigungen öfter und zielgerichteter vorkämen. Die kanarische Kiefer etwa hat dafür besonders lange und schmale Nadeln entwickelt – eine fast eindimensionale Struktur. Die Tropfen kommen daher wesentlich rascher mit Nachbarn in Kontakt als bei einem ungerichteten Wachstum in der Fläche.
Auf den sehr biegsamen Nadeln geraten die Tropfen bald ins Gleiten und reißen auf dem Weg herab kleinere Exemplare mit. Und zwar nicht nur einige weitere, zufällig auf ihrer Bahn liegende, wie es auf einem flächenhaften Blatt der Fall wäre, sondern gleich alle, die sich unterhalb von ihnen befinden. Auch andere Pflanzen bieten eine solche anisotrope Topografie, etwa der Bambus. Dieser verfügt über in Längsrichtung geordnete Blattadern. Sie begünstigen schmale, elliptisch geformte Wassertröpfchen und führen sie gezielt hinab.
Die Idee, durch eine derartige Strukturierung Flüssigkeit effektiver aus Dampf zu produzieren, fasziniert Wissenschaftler schon länger. Sie wollen mit maßgeschneiderten Oberflächen unter anderem in Wüsten Trinkwasser gewinnen. 2019 hat eine französische Forschergruppe von einer Möglichkeit berichtet, auch kleinere Tropfen in Bewegung zu versetzen und ablaufen zu lassen, die normalerweise wieder verdunsten würden.
Das Team um Pierre-Brice Bintein von der Université Paris Diderot hat dazu mikroskopisch kleine Rillen auf Materialien aufgebracht. Daraufhin floss kondensiertes Wasser wesentlich schneller ab als auf glatten Flächen. Die kleineren Tropfen verschmelzen eher zu einer kritischen Größe, und auf dem Substrat verbleiben weniger Rückstände. Wenn es Ingenieuren gelingt, solche Strukturen großflächig und günstig herzustellen, ließe sich nicht nur mehr Nebel und Wasserdampr in Wüsten ernten, sondern außerdem die Entwässerung in anderen Systemen verbessern, bei denen die Schwerkraft eine Rolle spielt, von der Destillation bis zum Wäschetrockner.
Quelle
Bintein, P.-B. et al.: Grooves accellerate dew shedding. Physical Review Letters 122, 2019
H. Joachim Schlichting. Spektrum der Wissenschaft 4 (2020), S. 60
Es flüstern und sprechen die Blumen
Heinrich Heine (1797 – 1856)
Fliegende Insekten wie Hummeln sind elektrisch leicht positiv geladen, viele Blüten hingegen negativ. Mit ihrem Pelz können die Tiere die Felder spüren – und so abschätzen, wie viel Nektar noch zu holen ist.
Wer über Blumen schwirrende Insekten beobachtet, fragt sich vielleicht: Sind die Kraft raubenden Anflüge nicht zum großen Teil vergeblich, weil sich bereits andere kurz vorher am Nektar bedient haben? Die prächtigen Farben und Strukturen der Blüten ändern sich schließlich nicht, ebensowenig ihr betörender Duft. Doch es gibt weitere, für uns Menschen unmerkliche Hinweise, ob sich ein Besuch lohnt. Weiterlesen
Vor allem in Obst- und Weinanbaugebieten kann man in diesen Tagen, bzw. den frostigen Nächten Sprinkleranlagen in Betrieb sehen, die oft zu den lange vermissten Winterlandschaften mit ihren Kristallgärten führen. Dies ist natürlich nur ein ästhetischer Nebeneffekt des durch den künstlichen Regen beabsichtigen Schutzes der bereits Blätter und Blüten bildenden Pflanzen vor Erfrierungen. Auf den ersten Blick erscheint es paradox, dass die kristalline Verzauberung der Pflanzen durch die Beschichtung mit Eis eine Erwärmung der Pflanzen bewirken kann. Weiterlesen
Eigentlich hatte ich darum gebeten, dass sich alle fünf um die Krippe herum zu einem Gruppenfoto gruppieren. Aber einer der Insekten war so publikumsscheu, dass es im letzten Moment die Flucht ergriff und sich versteckte. Man sieht gerade noch, wie es hinter der Blume verschwindet. Insekten sind eben auch nur Menschen.
Bei Wanderungen im Spätsommer ärgere ich mich schon seit Jahren, dass – von den ökologischen Problemen einmal abgesehen – die Landschaft durch den massenhaften Anbau von Mais so uneinsichtig wird wie die Politik, die so etwas nicht zu verhindern weiß. Außer zwei grünen Maismauern ist auf große Strecken nichts mehr von der ansonsten schönen Gegend zu sehen. Im vorliegenden Fall bin ich ein wenig versöhnt, weil die grüne Mauer durch neugierig blickende Sonnenblumen aufgelockert wird und meine Augen durch andere Farbeinsprengsel vor dem völligen Ermüden bewahrt werden. Ob hier die Uneinsichtigkeit der Landschaft den Bauern insofern einsichtig gemacht hat, als er die fehlende Aussicht durch eine bunte Ansicht ersetzte? Weiterlesen
Wie erstarrte, kalte Flammen leuchten uns im knalligen Gelb klebrige Hörnlinge entgegen. Es handelt sich um einen Pilz von klebriger, gallertartiger Konsistenz, der in der Regel auf vermoderndem Holz im Wald anzutreffen ist. Als Kinder haben wir den Pilz als gelbe Ziegenscheiße bezeichnet. Allein dadurch verging uns die Lust das Gewächs trotz der ansprechenden gelb bis orangene Farbe anzufassen. Weiterlesen
Beim Aufräumen stieß ich auf ein kleines Stück Bernstein, das ich mir vor Jahren auf der kleinen Nordseeinsel Neuwerk von einem Sammler erstanden habe. Dieser Sammler hatte im Laufe der Jahre eine sehenswerte Ausstellung von großen und kleinen, unbearbeiteten und fein geschliffenen Teilen zusammengetragen. Er war der Lehrer dieser kleinen Insel im Wattenmeer und frönte nebenbei seinem Hobby, Bernstein zu sammeln. Dazu machte er – wenn ich mich recht erinnere – möglichst jeden Tag, wann die Tide es erlaubte, eine Wattwanderung um die Insel. Weiterlesen
Schlichting, H. Joachim. Spektrum der Wissenschaft 5 (2018), S. 68 – 69
Objekte, die auf flachen Gewässern driften, werfen oft völlig andere Schatten, als ihre tatsächlichen Umrisse vermuten lassen. Das verblüffende Phänomen erklärt sich durch unscheinbare Dellen in der Wasseroberfläche.
Wenn du alle Formen der Gewässer
gut unterscheiden willst,
dann betrachte klares Wasser von geringer Tiefe
unter den Sonnenstrahlen
Leonardo da Vinci (1452–1519)
Arno Schmidt (1914 – 1979) Zettels Traum
Es ist als strebten die Wolken himmelwärts und würden die fest auf der Erde wachsende Pflanzen nachahmen. Es ist vor allem die florale Strukturierung der Cirren, die diesen Gedanken nahelegt.
Ursache für diese einheitliche Strukturierung der hochliegenden Cirrusbewölkung ist starker Wind der die Wolken aus einer Richtung kommend traktiert. Alles andere ist eine perspektivische Täuschung.
Weil es die Aehre verschmäht, sich mit der Farbe zu zieren,
Hat die Natur ihr den Mohn dicht an die Seite gestellt;
Jener hat sie die Kraft vertraut, den Menschen zu nähren,
Diesem verlieh sie den Reiz, welcher sein Auge erfreut.
Jene frage drum nicht: wo sprießen dir nützliche Körner?
Oder dieser: wo trägst du den erquicklichen Schmuck?
Wenn die Eine uns fehlte, so könnten wir freilich nicht leben,
Aber wir mögten es nicht, wäre der And’re nicht da!
Friedrich Hebbel (1813 – 1863) Weiterlesen
Fliegen im Juni auf weißer Bahn
flimmernde Monde vom Löwenzahn,
liegst du versunken im Wiesenschaum,
löschend der Monde flockenden Flaum. Weiterlesen
Bei bedecktem oder blauem Himmel im Schatten gibt es kein reines Weiß. Denn woher sollte es kommen. Der blaue Himmel sendet blaues Licht aus und Gegenstände, die alle Wellenlängen reflektieren, im weißen Sonnenlicht daher auch weiß aussehen, nehmen einen leichten Blauschimmer an. Das sieht man meistens nicht und ärgert sich vielleicht auch noch, wenn die Kamera nicht den gewünschten Weißabgleich vornimmt. Im vorliegenden Fall war mir das bläuliche Leuchten der ansonsten schneeweißen Fallschirmchen mit den daran hängenden Samen des Löwenzahns aufgefallen.
Besonders gut lässt sich die Blaufärbung bei Schnee im Schatten erkennen, weil man dann im Kontrast dazu auch noch den wirklich weißen Schnee im Lichte der Sonne sehen kann.
Draußen war alles beim alten. Gelbe Rapsfelder legten sich in den Wind, darüber tupfte der Himmel sein abgedunkeltes Blau über die Quellwolken, bis sie langsam verschwanden. Das Licht schlug in regelmäßigen Abständen gegen den Zug, aber die Farben rutschten an der glatten Oberfläche des Waggons ab, krallten sich einen Moment lang ans Fenster, verschwanden (Guy Helminger. Etwas fehlt immer. Berlin 2007).
Rapsgelb ist eine der ersten intensiven Farben des Jahres, die großflächig und unübersehbar in Erscheinung tritt. Sie scheint uns zu versichern, dass jetzt die helle Jahreszeit die Oberhand gewinnt. Die Farbe wirkt aber nicht nur auf Menschen. Die für uns rein gelb aussehenden Blüten weisen im für uns unsichtbaren ultravioletten Spektralbereich breite Leuchtstreifen auf (UV-Absorption), die als auffällige Saftmale von den Insekten wahrgenommen werden. (Wildbienen können Licht bis zu einer minimalen Wellenlänge von 300 Nanometer, Menschen nur bis 380 Namometer sehen). Die Bestäuberinsekten werden davon angelockt und bestäuben im Gegenzug die Blüten.
Früher sagte mein kleiner Sohn, der an demselben Blütenstand des Löwenzahns eine in voller Pracht gelb blühende Blüte neben einer bereits verblühten weißen „Pusteblume“ sah: „Die ist schon alt, die hat schon weiße Haare“. Aber sie ist schön, entgegnete ich, schau sie dir genau an. Weiterlesen
Da der Winter bis vor wenigen Tagen zumindest in unserer Gegend ausgeblieben ist, haben sich einige Pflanzen schon ganz schön weit hervorgewagt und bereits damit begonnen, Blattknospen zu entfalten, wie hier an einem Hortensienzweig. Nun hat sie der Winter kalt erwischt. Der Eisregen, der zurzeit alles überkrustet, hat ein solches embryonales Blatt eingehüllt, sodass es nunmehr wie in transparentem Kunstharz konserviert erscheint. Es sieht schön und völlig unversehrt aus (siehe auch: Unterkühlte Schönheiten). Fraglich ist nur, ob dem Blatt diese kalte Umhüllung gut bekommen wird. Weiterlesen
Gefällte Bäume, die man zuweilen im Wald vorfindet, geben auf vielfältige Weise Einblick in ihr vergangenes Leben. An den Jahresringen kann man das Alter ablesen, die Breite und Form der Ringe sagt etwas über das Wetter in den jeweiligen Jahren aus. Und quer durch den Schnitt verlaufende Äste zeigen, dass in den Jahren des jungen Baums ausgebildete Äste vom in den Folgejahren dicker werden Baum förmlich eingeschlossen werden. Der junge Baum bleibt in gewisser Weise in dem älteren Baum enthalten. Diese Erkenntnis hat einen Künstler vor Jahren dazu inspiriert, diese innere „Baumgeschichte“ sichtbar zu machen und auszustellen. Weiterlesen