Wir möchten wissen, warum beim Blick durch das Lochblech einige Bilder unscharf sind?
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Erklärung des Rätselfotos des Monats Mai 2023
Frage: Wo und wie kommt es zu diesen Kristallen?
Antwort: Ein kleines Loch in der mittleren der drei Scheiben eines Flugzeugfensters sorgt dafür, dass die Druckunterschiede zwischen Kabine und äußerer Scheibe stets ausgeglichen werden können. Der damit verbundene Luftaustausch erfüllt damit außerdem die Funktion, die Ansammlung von Feuchtigkeit zwischen den Scheiben und damit ein die Sicht behinderndes Beschlagen zu verhindern.
Aber Ausnahmen bestätigen die Regel. Ab und zu kommt es dann doch dazu, dass Scheiben beschlagen oder sogar Eiskristalle an der inneren Fläche der äußeren Scheibe entstehen, die meist auf die unmittelbare Umgebung des Lochs beschränkt bleiben. Auf dem Foto sieht man den nicht allzu häufig vorkommenden Fall, dass sich die Eisblumen über einen größeren Bereich ausbreiten. Die Kristalle können aber während ein und desselben Flugs auch wieder verschwinden. Da die Kristallbildung nicht an allen Scheiben gleichzeitig auftritt, müssen Besonderheiten in der Nähe des betroffenen Fensters ausschlaggebend sein.
Manchmal entstehen Löcher in der Wolkendecke, die den Durchblick auf den darüber liegenden Himmel erlauben, der oft wiederum bewölkt ist. Diese Löcher mögen verschiedene Ursachen haben. Aber wenn sie plötzlich auftreten, kann es sich wie im vorliegenden Fall um eine Hole-punch-Wolke handeln. Dieses Phänomen soll angeblich selten auftreten. Ich habe offenbar das Glück es schon mehrere Male erlebt zu haben. Wer sich für ihre komplizierte Entstehungsgeschichte interessiert kann sich in einem früheren Beitrag informieren. Fotos von unterschiedlichen Formen findet man hier.
Nachdem der Winter nunmehr schrittweise auf dem Rückzug ist, drängen sich immer mal wieder Hinterlassenschaften der kalten Jahreszeit in den Blick. Manchmal zeigen diese sich von der schönsten Seite, wie beispielsweise im obigen Foto. Es handelt sich um eine Fliese, die während der Vereisung vor einiger Zeit mit Salz bestreut wurde, um die Eisschicht zum Schmelzen zu bringen und damit die Rutschgefahr zu beseitigen.
Durch Salz wird der Schmelzpunkt von Wassereis herabgesetzt. Es gefriert bei einer niedrigeren Temperatur als reines Wasser. Es bleibt also auch bei Temperaturen flüssig, die allerdings nicht zu weit unter dem normalen Gefrierpunkt von 0 °C liegen dürfen. Diese Bedingung ist in unseren Breiten den meisten Fällen erfüllt.
Auch eine bereits vorhandene Eisschicht kann oft mit Salz aufgetaut werden, weil sie stets mit einer dünnen Wasserschicht bedeckt ist, die sich mit dem Salz verbindet und zu immer tieferen Schichten vordringt.
Nachdem es wieder wärmer geworden, das Wasser verdunstet ist, bleibt das gelöste Salz zurück und verfestigt sich wieder. Dabei bilden sich der Gitterstruktur des Salzes (Natriumchlorid) entsprechend Salzkristalle, die teilweise ästhetisch ansprechende Muster bilden wie hier auf der früher vereisten und mit Salz behandelten Fliese.
Ich weiß, man sollte beim Enteisen mit Salz sparsam umgehen. Das tue ich normalerweise auch, aber in diesem Fall handelte es sich um eine lokal beschränkte Maßnahme, bei der alles Salz wieder zurückgewonnen wurde. Bevor ich die Fliesen säuberte, erlaubte ich mir jedoch das obige – wie ich meine naturschöne – Foto zu machen.
So haben wir früher gesungen mit lachendem Herzen. Da viele Anzeichen dafür sprechen, dass der Winter nach einem kurzen Aufbäumen nun endgültig Abschied zu nehmen scheint, möchte ich ihm noch eines meiner letzten Pfützenfotos hinterher schicken. Diese Eisstruktur zeigt den Winter einmal mehr von einer seiner ästhetisch ansprechenden Seite. Entsprechend vielfältig sind die physikalischen Vorgänge, die diesen Anblick hervorgebracht haben. Dazu habe ich mich früher mehrfach geäußert.
Wir möchten die ungefähre Tageszeit der Aufnahme wissen.
Erklärung des Rätselfotos des Monats Februar 2023
Frage: Wie kommt es zu diesem Flechtwerk?
Antwort: Bei dem Flechtwerk handelt es sich um besonders strukturierte Eisblumen auf einer Fensterscheibe. Zu Eisblumen kann es kommen, wenn die Temperatur der Glasscheibe zunächst unter den Taupunkt sinkt. Dann übersteigt die absolute Wasserdampfkonzentration die maximal mögliche und der überschüssige Dampf kondensiert in Form winziger Tröpfchen an der Scheibe. Sobald die Temperatur auch noch den Gefrierpunkt des Wassers unterschreitet kristallisieren sie schließlich zu Eis. Manchmal kommt es gar nicht erst zum Zwischenschritt des Verflüssigens. Denn unter bestimmten Bedingungen geht Wasserdampf auf direktem Weg in Eis über, er resublimiert.
Der Ursprung der Eisblumen liegt in winzigen Kristallen mit einer für Wassermoleküle charakteristischen sechseckigen Struktur. Sie entstehen an Kondensationskeimen, etwa Schmutzpartikeln, an denen sich Tröpfchen beziehungsweise Kristalle spontan bilden können. Indem sich an ihnen weitere Wassermoleküle anlagern breitet sich die Kristallisation aus. In welche Richtung das geschieht hängt davon ab, ob die dabei freiwerdende thermische Energie genügend schnell an die Umgebung abgegeben wird. Das führt dazu, dass die Anlagerungen exponierte Spitzen ausbilden, die sich vom Ursprung entfernen. Mit zunehmender Entfernung dieser Triebe vom Zentrum vergrößert sich die Wahrscheinlichkeit Kristallisationswärme abzugeben, sodass Nebentriebe entstehen können. Sie schlagen dann ihrerseits einen Weg ein, der sowohl vom Ursprung als auch vom jeweiligen Zweig weg gerichtet ist ähnlich wie bei verzweigten Pflanzen, die zum Licht hin streben. Die Besondere Form der Verzweigungen wird u. A. von der Umgebungstemperatur, Feuchte, Luftströmungen und Verunreinigungen bzw. Kratzspuren in der Scheibe beeinflusst, sodass es schließlich zu farn- und blumenartigen Strukturen kommt. Die im vorliegenden Fall zu beobachtenden nicht sehr häufig vorkommenden zopfartigen Gebilde sind bei sehr niedriger Temperatur (ca. – 18° C) an einer alten, vermutlich mit feinen Kratzern übersäten Scheibe bei relativ starkem Wind entstanden.
So könnte man denken, wenn man sieht (Foto), dass die Reifkristalle, die sich in der Nacht gebildet haben, nicht auf der Eisfläche angedockt haben, sondern an den teilweise eingefrorenen trockenen Blättern. Wenn man diese Situation mit der in einem früher beschriebenen ähnlichen Phänomen vergleicht, erscheint dies Wahl unverständlich. Sollte nicht das Eis mit seinen Eiskristallen der idealere Keim sein?
Ich vermute folgenden Grund für diese unterschiedliche Wahl. In der kalten klaren Nacht, in der die Reifkristalle an den Blättern heranwuchsen, waren die Blätter wesentlich stärker abgekühlt als die riesige Eisfläche. Denn die Wärmekapazität des massiven Eises ist wesentlich größer als die der dünnen vertrockneten Blätter. Bei gleichem Energieverlust pro Flächeneinheit kühlen sich daher letztere auf eine wesentlich tiefere Temperatur ab. Der Taupunkt wurde daher dort viel früher unterschritten als über der vergleichsweise warmen Eisfläche. Überschüssige Moleküle gab es daher vor allem an den viel kälteren Blättern, sodass sie vor allem dort andocken konnten.
Bislang hat uns hier der Winter nicht gerade mit winterlichen Ansichten verwöhnt. Lediglich die in den letzten Nächten immer wieder zugefrorenen Wasserpfützen, gaben beim Sonnenaufgang immer mal wieder einen Eindruck der Schönheit winterlicher Kreationen, bevor sie von derselben Sonne gnadenlos und im wahrsten Sinn des Wortes liquidiert wurden (siehe Foto). Man sieht einerseits das Blau des Himmels, das hier durch die an der Unterseite mit weißem Reif bedeckten Eisflächen einen pastellfarbenen Ton angenommen hat. An anderen Stellen dominiert das orangefarbene Sonnenlicht, das an einigen prominenten klaren Eisrändern gebrochen bzw. reflektiert wird. Der unebene Untergrund der Pfütze sorgt im Übrigen dafür, dass die Eisgebilde eine naturschöne Musterung angenommen haben.
Diese Pflanze hat eigentlich ihre Blütezeit lange hinter sich. Irgendwann kippte sie, der meisten Blüten verlustig, in den Teich, um dort allmählich zu verfaulen. Doch wie so oft im Leben nutzte sie dann die Gelegenheit, sich Ersatzblüten zuzulegen, um dem Zerfall noch eine letzte Grazie zu verleihen.
Die Gelegenheit ergab sich dadurch, dass sie mit einigen Ästen in einer Melange von Eis und Schnee steckte (siehe Foto). Als dann tags darauf die Sonne schien, erwärmten sich Teile der Pflanze wesentlich stärker als die Eis-Schnee-Mischung. Denn letztere reflektierte einen großen Teil der Strahlungsenergie und ließ einen anderen Teil durch, um am Boden des Teichs absorbiert zu werden.
Demgegenüber absorbierte die Pflanze einen großen Teil der auftreffenden Strahlungsenergie und sorgte dafür, dass das Eis-Schnee-Gemisch schmolz und sich um die Eintauchstellen herum verflüssigte. Möglicherweise wurde zusätzlich auch noch von der übrigen Pflanze absorbierte Energie durch Wärmeleitung zu den Eintauchstellen transportiert.
In der folgenden kalten Nacht froren dann diese Stellen wieder zu. Aber da sich dort kein Schnee mehr befand, blieb es dort transparent und damit dunkel, weil das einfallende Licht vom Teichboden absorbiert wurde.
Dies ist eine zugefrorene Wasserpfütze mit einer ursprünglich sehr wilden Topologie. Als sie mit Wasser volllief, ragten nur noch einige Relikte des Untergrunds aus dem Wasser heraus. Auf dem Foto ist das der hellbraune zerklüfte Teil. Der ihn umgebende dunkelbraune Bereich bildet eine Art Tableau, das vom Wasser gerade noch bedeckt war bevor der Frost einsetzte. Und als das Wasser dann gefror und die gesamte Pfütze bis auf den hellbraunen Teil mit einer Eisschicht überzog, war der dunkelbraune Bereich fest mit der transparenten Eisschicht überdeckt und verbunden. Unter der übrigen Eisschicht konnte man den noch mit Wasser gefüllten tieferen Teil des Pfützenbodens sehen, der eine ähnliche Braunfärbung aufwies wie das Tableau. Soweit die Szenerie einige Stunden nach Einbruch des Frostes.
Am nächsten Tag zeigte sich dann die im Foto dargestellte Szenerie. Der helle Bereich besteht aus einer Eisschicht, die keine Berührung mehr mit dem Wasser hat, auf der sie ursprünglich entstanden ist. Sie kann daher auch nicht dicker werden. Vielmehr überdeckt sie einen Hohlraum über dem weitgehend im Boden versickerten Wasser. Durch die hohe Luftfeuchte unter dieser Eisschicht bildete sich auf deren innerer Seite ein Reifbelag, durch den die Eisschicht undurchsichtig wurde.
Die Strukturen in dieser weißen Eisschicht sind darauf zurückzuführen, dass das Wasser wegen unterschiedlicher Wassertiefen und demzufolge unterschiedlich langer Versickerungszeiten andere Verläufe der Reifbildung bewirkt wurden.
Wegen der Unförmigkeit der dreidimensionalen Pfützenmorphologie entstand keine einheitliche Eisfläche, die vielleicht zum Glitschen geeignet gewesen wäre, sondern ein zweidimensionales Natur-Kunstwerk (Oxymoron!), das es meines Erachtens wert war fotografiert und hier gezeigt zu werden.
So manche zugefrorene Wasserpfütze (hier ein Ausschnitt) besticht durch oft naturkünstlerische (ich weiß – ein Oximoron) Muster, die in einer ziemlich direkten Weise das visualisieren, was schon vorher irgendwie da war, bevor die Temperatur unter den Gefrierpunkt sank. Will man dennoch beschreiben, was bei der Übersetzung der Beschaffenheit der Pfütze von einer hohen in eine tiefe Temperatur passierte, so muss man sich auf wesentliche Aspekte beschränken. Dazu zählen die Beschaffenheit des matschigen Untergrunds der Pfütze, die Geschwindigkeit, mit der Wasser versickert (vermutlich an den verschiedenen Stellen unterschiedlich), die Temperaturschwankungen, die Luftfeuchte, die Bedeckung des Himmels… Und selbst wenn man diese Aspekte alle in Betracht zieht, könnte wohl kein Computerprogramm die Entwicklung dieses Musters vorherberechnen. Wir kennen zwar die Naturgesetze, die bei dieser Entwicklung im Spiel sind, aber Details und insbesondere sensitive Punkte, bei denen es durch winzige Unterschiede zu qualitativ völlig anderen Strukturbildungen kommen kann, haben wir grundsätzlich nicht im Griff. Um es etwas pauschaler zu sagen: Der Zufall spielt oft mit dem Zünglein an der Waage.
Dennoch, einige typische Entwicklungen beim Zufrieren der Pfütze können zumindest im Prinzip physikalisch beschrieben werden. Wer sich dafür interessiert, sei auf frühere Beiträge verweisen, z.B. hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier)
Zuerst fiel mir das rote Blatt auf, das oben an der Fensterfront des Glashauses prangte. Erst dann sah ich, dass es sich wie ein I-tüpfelchen über einem großflächigen anorganischen Gewächs ausnahm und die Scheibe zu einem besonderen Winterbild gestaltete.
Woher in dieser Zeit das zwar verfärbte aber ansonsten noch ziemlich intakte Blatt kam, hat es mir nicht verraten.
Nachdem ich vor wenigen Jahren zum ersten Mal Haareis in freier Natur gesehen habe – aus Abbildungen kannte ich es bereits – entdecke ich es immer häufiger. Ich weiß inzwischen, dass dies ein typisches Zeichen für die Wahrnehmungsaufmerksamkeit ist: Man sieht nur was man kennt. So auch vor ein paar Tagen. Kaum sinkt die Temperatur unter den Gefrierpunkt, taucht das weiße Haar im Untergehölz des nahe liegenden Buchenwaldes auf. Die Bedingungen waren allerdings auch ideal, denn einerseits hatte die vorangegangene Regenzeit alles schön durchfeuchtet und andererseits fiel auch die Temperatur nicht allzu weit unter den Gefrierpunkt. Diesmal sah ich das wie Zuckerwatte anmutende Naturprodukt sogar in einem höher gelegenen abgestorbenen Ast einer Buche. Vor kurzem gab ich eine physikalische Erklärung für dieses – offenbar gar nicht mehr so seltene – Naturphänomen..
Nicht immer ist das Eiskratzen an zugefrorenen Autoscheiben ein Vergnügen. In diesem Fall war es anders. Ich konnte nämlich beim Beseitigen der Eisschicht meine Augen auf dem mit naturschönen Eiskristallbändern verzierten Dach weiden lassen. Ähnliche Formen hatte ich bislang nur selten und zwar meistens auf Fensterscheiben gesehen.
Beim Anblick dieser dendritischen Muster schlich mir eine (für einen Physiker nicht gerade schmeichelhafte) Frage durchs Gemüt: Greift die Natur bei der „Auswahl“ ihrer Motive manchmal in die falsche Schublade? Waren diese Strukturen nicht eigentlich den Fichten und Tannen vorbehalten?
Zunächst waren es Tautropfen. Der Temperaturabfall in der Nacht vor allem an kleinen Einheiten wie den Grasblättern ließ die Luftfeuchte über 100% ansteigen und den überschüssigen Wasserdampf in Form von wachsenden Wassertropfen kondensieren. Doch die weiter sinkende Temperatur unterschritt schließlich den Gefrierpunkt: Die Tropfen erstarrten und tauschten ihre spiegelnde Brillanz gegen eine eisige Härte ein. Nahm man sie in die Hand, so flossen sie dahin wie nichts…
Als Kinder freuten wir uns über zugefrorene Pfützen, um darauf zu glitschen bzw. zu schlittern. Pfützen mit weißen Eisschichten waren weniger geeignet, weil diese so dünn waren, dass man meist schon beim vorsichtigen Betreten einbrach.
Aus Ärger darüber und des schönen Geräusches wegen haben wir dann oft auch noch den Rest der Pfütze zertrampelt, sodass unsere Schuhe und manchmal auch noch die Hosen danach völlig verdreckt und damit Ärger zu Haus vorprogrammiert waren. Denn unter dem dünnen Eisbelag war meist noch feuchter Schlamm vorhanden, den der Frost noch nicht erreicht hatte.
Das Eis ist in manchen Pfützebn deshalb so dünn, weil das Wasser schneller versickert als die Eisschicht dicker wird. Schließlich reißt der Kontakt zur Wasseroberfläche. Auf diese Weise entsteht zwischen dem sinkenden Wasserniveau und der Eisschicht ein Hohlraum mit großer Luftfeuchte. Die reichlich vorhandenen Dampfmoleküle docken an der Unterseite der nunmehr frei gewordenen Eisschicht an und bilden eine Reifauflage. Wegen der Lufteinschlüsse des Reifs geht die Transparenz zugunsten eines Milchglasaussehens verloren. Deshalb gehören dünnes Eis und Intransparenz zusammen.
Aber ehrlich gesagt habe ich das Foto nicht nur deshalb gemacht um dies zu dokumentieren. Vielmehr fand ich die Eisschicht in ihrer reichhaltigen Strukturierung und der darin implizit enthaltenen Entstehungsgeschichte einfach naturschön. Leider werden wir solche Ansichten in Zukunft in unseren Breiten wohl immer seltener zu Gesicht bekommen.
H. Joachim Schlichting. Spektrum der Wissenschaften
Allein was hilft es dir,
zu spalten Haar um Haar?
Friedrich Rückert (1788–1866)
Im Inneren von nassem Totholz treiben Stoffwechselvorgänge eines Pilzes Feuchtigkeit durch dünne Kanäle nach außen. Bei moderaten Minusgraden gefriert das austretende Wasser dabei zu einem seltenen Anblick: zuckerwatteähnlichem Haareis.
Wasser gefriert in freier Natur in den verschiedensten Formen. Der Strukturreichtum reicht von Schneeflocken über zahlreiche Reif- und Raureifphänomene bis zum Haareis. Diese filigrane Erscheinung gefrorenen Wassers findet man selten. Zum einen ist Haareis lediglich in weitgehend naturbelassenen Waldgebieten anzutreffen, und zwar am Holz bestimmter Laubbäume (vor allem Buchen und Eichen), das nicht abgeräumt wird, sondern ungestört vermodert. Zum anderen muss seinem Auftreten eine feuchte Wetterperiode vorangegangen sein, und die Temperaturen dürfen nur ein wenig unterhalb des Gefrierpunkts liegen.
Das Haareis umsäumt verrottende Holzstücke mit auffälligen, weiß leuchtenden, watteähnlichen Strukturen. Bei näherem Hinsehen entdeckt man, dass die vermeintliche Watte aus vielen sehr dünnen (zirka 0,02 Millimeter) aber langen (bis zu 20 Zentimeter) Eisfäden besteht. Die oft seidenartig schimmernden Fasern treten typischerweise in Büscheln auf. Sie wachsen dicht gedrängt senkrecht zur Oberfläche des Holzstücks aus diesem heraus. Trotzdem verschmelzen die einzelnen Stränge nicht miteinander.
Vor allem letztere Eigenschaft ist sehr erstaunlich. Denn getrennte Eisteile, die sich aber teilweise berühren, neigen dazu, zusammenzufrieren, insbesondere bei Temperaturen in der Nähe des Schmelzpunkts. Die Ausbildung einer gemeinsamen Oberfläche verkleinert die Oberflächenenergie. Warum es bei Haareis anders ist, bleibt vorerst ein Teil seines Geheimnisses, obwohl das Phänomen seit langem bekannt und insbesondere in den letzten Jahrzehnten wissenschaftlich näher untersucht worden ist. Vermutlich spielen hier organische Stoffe eine Rolle, die als schützende Beschichtung wirken.
Schaut man sich die Holzstücke genauer an, so entdeckt man, dass jedes Haar einzeln aus einer winzigen Öffnung im Material heraussprießt. Man gewinnt den Eindruck, ähnlich wie bei der Herstellung von Spagetti würde eine flüssige Substanz durch Düsen gedrückt werden und an der Luft sofort verhärten. Diese Vorstellung ist nicht ganz abwegig, denn laut entsprechender Forschungsarbeiten handelt es sich bei den Löchern in den Holzstücken um die Austrittsöffnungen so genannter Holzstrahlen. Das sind winzige Kanäle, die das Leitgewebe radial von der Mitte bis zur Borke durchziehen und im lebenden Baum dem Transport von Wasser und Nährstoffen dienen. Die einzelnen Eishaare sind an den Mündungen der Holzstrahlen verwurzelt und haben den gleichen Durchmesser wie diese. Außerdem sprießt das Eis stets aus den von der Borke befreiten Abschnitten des Totholzes. Manchmal quillt es sogar aus den Bruchstellen zwischen teilweise gelösten Rindenteilen.
Lange Zeit war unbekannt, wie es im Einzelnen zum frostigen Aufleben der abgestorbenen Holzstücke kommt. Dabei hatte bereits 1918 der später für seine Hypothese der Kontinentaldrift berühmt gewordene Alfred Wegener (1880–1930) wesentliche Erkenntnisse gewonnen. Er hielt das Haareis zunächst selbst für einen der Pilze, die abgestorbenes Holz befallen. Nachdem er erkannte, dass es sich um Eis handelt, vermutete er, Baumpilze seien immerhin maßgeblich an der Entstehung des Haareises beteiligt.
Neuere wissenschaftliche Untersuchungen haben den Zusammenhang mit Pilzen nachgewiesen. Wenn man nämlich vom Eis befreite Holzstücke, die sich unter den passenden meteorologischen Bedingungen anschließend erneut in die kristalline Wolle kleiden, mit Hitze, Alkohol oder Fungiziden behandelt, bleibt der Effekt aus. Außerdem ist geschmolzenes Haareis leicht bräunlich gefärbt, was auf organische Rückstände hinweist. Alle behaarten Äste waren mit einer für Laubbäume typischen Pilzart befallen, der Rosagetönten Gallertkruste (Exediopsis effusa).
Doch welche konkrete Rolle spielt der Pilz bei der Bildung des Haareises? Bei anderen winterlichen Phänomenen wie den nadelartigen Eiskristallen an Pflanzen und anderen Objekten sind zwei Dinge verantwortlich: entweder die Resublimation (Gefrieren ohne vorher flüssig geworden zu sein) von Wasserdampf oder die Kristallisation von unterkühlten Wassertröpfchen. In beiden Fällen lagern sich die Wassermoleküle aus dem Dampf oder der Flüssigkeit von außen an entsprechende Keime beziehungsweise schon vorhandene Kristalle an. Demgegenüber wachsen die Eishaare direkt aus dem Totholz heraus, ähnlich wie tatsächliches Haar aus dem Körper eines Lebewesens. Die entscheidenden Vorgänge passieren also innen. Der Stoffwechsel der Pilze ist dafür eine unabdingbare Voraussetzung.
Der Pilz ernährt sich von dem in den Holzstrahlen vorhandenen organischen Material. Dabei gibt er neben Wasser gasförmiges Kohlendioxid ab. Das drückt Wasser durch die Strahlkanäle aus dem Holz heraus. Molekulare Rückstände der Stoffwechselvorgänge des Pilzes wirken als Kristallisationskeime, an denen es beim Austritt an die kalte Außenluft zu dünnen Fäden gefriert. Der ausgetriebene Strom reißt auch deswegen vorerst nicht ab, weil eine Art Saugeffekt beiträgt. Dadurch wird Wasser zur Grenzfläche des Eises gezogen, wo die Flüssigkeit lokale Ladungsunterschiede zwischen den Holz- und Kristalloberflächen ausgleicht und dadurch die Grenzflächenenergie minimiert. Die Pilztätigkeit erklärt ebenfalls, warum das Phänomen nur bei leichtem Frost auftritt: Die beim Stoffwechsel erzeugte Wärme hält die Temperatur im Ast oberhalb des Gefrierpunkts. Wenn es dafür zu kalt wird, erstarrt die Feuchtigkeit im Holz, und das ganze Schauspiel stoppt.
Ähnlich dem Haupthaar eines Menschen neigen sich ganze Büschel der Eisfäden in Scheiteln und Wirbeln zur einen oder anderen Seite. Das ist vor allem Unterschieden bei der Wachstumsgeschwindigkeit eines jeden Haars zu verdanken. Sie schwankt infolge von Unregelmäßigkeiten an den Rändern der Strahlmündungen. Dieses wilde Verhalten erweckt einen geradezu lebendigen Eindruck, der im Reich der Eiserscheinungen einzigartig ist.
Quelle
Hofmann, D. et. al.: Evidence for biological shaping of hair ice. Biogeosciences 12, 2015
Die Nordmanntanne schimmert bereits umrisshaft durch die Eisscholle hindurch, die ich aus der schmelzenden Eisschicht des bis vor kurzem zugefrorenen Teichs herausbrach. Sobald sie sich verflüssigt hat, wird der Blick frei und ein naturschönes Relikt des vorangegangenen Frosts vergangen sein. Die schöne Tanne wird bald danach ihre Nadeln abwerfen und ebenfalls vergehen.
Dazu fällt mir der Vers aus »Reuters Morgengesang« von Wilhelm Hauff (1802-1827) ein: Ach, wie bald schwindet Schönheit und Gestalt!
Nachdem sich der Frost weitgehend zurückgezogen hat, können wir seine langsam vergehenden Hinterlassenschaften bewundern. In diesem Foto ist der Rand eines bewegten und nur teilweise zugefrorenen Gewässers zu sehen, dass durch irgendwelche Hindernisse bedingt zu dieser doppelflügeligen Form gewachsen ist. Interessanterweise ist der Strukturierungsprozess noch nicht abgeschlossen. Der Phasenübergang vom festen in den flüssigen und gasförmigen Zustand ist im vollem Gange und er läuft alles andere als einheitlich ab. Da das Schmelzen zudem relativ viel Energie erfordert, dauert es eine ganze Weile bis merkliche Veränderungen zu beobachten sind. Natürlich passiert in diesen Tagen an allen vereisten Stellen etwas Ähnliches.
Pass auf wohin du tritts. Unter deinen Schritten zerbröseln farbige Eisminiaturen, die es wert sind betrachtet zu werden.
Nach einem heftigen Regenschauer nutze ich die erste Gelegenheit, in der der Wasserstrom von oben als feines Nieseln seinem Ende entgegen zu gehen scheint, um eine kleine Wanderung zu unternehmen. Als ich den Wald betrete, fühle ich mich unter dem Blätterdach zunächst ziemlich geschützt, weil die Bäume den Nieselregen weitgehend auffangen. Doch plötzlich setzt ein anschwellendes Rauschen ein, das sich zunächst nur akustisch äußert und an eine Windböe erinnert, dann aber zu einem gefühlt wahren Sturzbach eskaliert. Es hört allerdings genauso plötzlich wieder auf und lässt mich wie einen begossenen Pudel zurück. Weiterlesen
Von einem gewissen Punkt an
gibt es keine Rückkehr mehr.
Franz Kafka (1883–1924)
H. Joachim Schlichting. Spektrum der Wissenschaft 3 (2022), S. 72 – 73
Beim Zusammendrücken von Daumen und Mittelfinger wird Energie elastisch gespeichert und schließlich schlagartig freigegeben.
Das Fingerschnippen ist vermutlich so alt wie die Menschheit. Das visuell-akustische Signal, das zwischen Mittelfinger und Daumen einer Hand erzeugt wird, lässt sich beispielsweise bereits bei den alten Griechen nachweisen, wie ein bemaltes Gefäß von zirka 320 v. Chr. bezeugt. Die Geste ist unvermindert populär, auch wenn sich der Kontext und die Bedeutung mit der Zeit und der Gesellschaft ändern. Heute beordert man auf die Weise kaum noch Bedienstete zu sich, dafür hoffen Schülerinnen und Schüler vorgezogen zu werden, indem sie sich fingerschnalzend melden.
Diese Art der Tonerzeugung wirkt eleganter und müheloser als das laute Händeklatschen. Dort kommt es beim Aufeinandertreffen der Handflächen zu Stoßwellen, die sich durch einen Knall bemerkbar machen. Erstaunlicherweise gelingt das beim Schnippen ebenfalls, obwohl dabei nur zwei Finger mit relativ kleiner Fläche aus sehr kurzer Entfernung zusammengebracht werden. Wie man mit etwas Experimentieren selbst herausfinden kann, entsteht das typische Geräusch nicht etwa auf Grund des als kraftvoll empfundenen Aneinandergleitens von Mittelfinger und Daumen, sondern erst dadurch, dass der Finger auf den Handballen unterhalb des Daumens auftrifft. Der Mechanismus ist überaus wirkungsvoll und ermöglicht große Geschwindigkeiten des Mittelfingers, die zum Auslösen von Schallwellen mehr als ausreichen. Auf keine andere Weise lässt sich auf derart begrenztem Raum mit nur zwei Fingern einer Hand ein auch nur annähernd so gut hörbarer Laut hervorbringen.
Welches physikalische Geheimnis steckt hinter dem Schnippen? Beim Ablauf werden zunächst Daumen und Mittelfinger aufeinander gepresst, und zwar mit der Tendenz sie zu scheren, das heißt sie gegeneinander zu verschieben und innerhalb der Gewebe Spannung aufzubauen. Die Hautoberflächen bleiben am Kontaktpunkt anfangs zusammen, während sich tiefere Schichten der Finger bereits verlagern. Sie werden dabei ähnlich unter Druck gesetzt wie eine elastische Feder, und eine rückwirkende Kraft entsteht. Die Reibungskraft zwischen den Kuppen muss so dosiert werden, dass sie zunächst bremsend wirkt und ein vorschnelles Abgleiten unterbindet. Das funktioniert nur mit passend beschaffenen Oberflächen. Mit nassen oder fettigen Fingern gelingt Schnippen daher kaum.
Schließlich überschreitet die auf Daumen und Mittelfinger ausgeübte Scherkraft ein kritisches Maß. Sie wird größer als die Haftreibungskraft, und es kommt zum abrupten Übergang zur Gleitreibung. Das setzt die gesamte elastische Spannenergie plötzlich frei. Dadurch wird der Mittelfinger stark beschleunigt und trifft mit enormer Rotationsgeschwindigkeit auf den Ballen unterhalb des Daumens. Bis zu dem Auslösepunkt kommt es sehr auf die intuitiv ausgeübte, subtile Kontrolle des Drucks zwischen Daumen und Mittelfinger an.
Vier US-Forscher um Raghav Acharya vom Georgia Institute of Technology in Atlanta haben die Details des Fingerschnippens experimentell und theoretisch näher untersucht. In ihrer im November 2021 veröffentlichten Analyse stellten sie mit Hilfe einer Hochgeschwindigkeitskamera fest, dass dabei Rotationsgeschwindigkeiten von 7800 Grad pro Sekunde erreicht werden, was 1300 Umdrehungen pro Minute entspricht. Der ganze Vorgang dauert nur etwa sieben Millisekunden und ist damit zwanzigmal schneller als ein Augenblinzeln. Überhaupt können wir kaum eine andere Bewegung derart explosiv ausführen. Hinsichtlich der Drehgeschwindigkeit erreicht ein professioneller Baseballspieler zwar noch leicht höhere Werte, aber was die Beschleunigungen angeht, sind diese beim Fingerschnippen den Studienautoren zufolge die größten, die je bei Menschen gemessen wurden.
Bei ihren Versuchen variierten die Forscher einige der relevanten Parameter, insbesondere den Reibungskoeffizienten. Dazu verwendeten sie unterschiedliche Materialien wie Gummihandschuhe oder Fingerhüte. Sie wiesen nach: Die anfängliche Energiespeicherung vermittels der Haftreibung ist für das Phänomen von entscheidender Bedeutung. Eine wesentliche Rolle spielen außerdem die elastischen Eigenschaften der biologischen Gewebe, etwa deren Komprimierbarkeit.
Die Forscher beließen es nicht bei der Dokumentation des realen Prozesses, sondern entwickelten auf Basis ihrer Ergebnisse ein mathematisches Modell des Fingerschnippens. Sie gingen stark vereinfachend davon aus, dass die Wechselwirkung zwischen den beiden Fingern einem Feder-Masse-System entspricht (siehe »Federnde Finger«). Dabei wirkt eine Kraft, die über eine Feder vermittelt wird, durch Reibung auf eine andere Masse ein, die zunächst als Riegel dient. Die Federkraft ist variierbar. Die davon abhängige Reibungskraft führt als Haftreibung zu einer Speicherung elastischer Energie. Diese wird dann beim Entriegeln auf einmal freigesetzt und beschleunigt urplötzlich eine Masse, die an der Feder befestigt ist.
Die Wissenschaftler erhoffen sich auf Basis ihres Modells eine Erklärung für ähnliche Vorgänge im Tierreich. Zum Beispiel schnappen manche Termiten und Ameisen mit ihren Mundwerkzeugen auf vergleichbare Weise. Darüber hinaus könnten die Erkenntnisse die Entwicklung von fein steuerbaren Aktuatoren für technische Anwendungen unterstützen.
Diese Art, Finger aneinander schnalzen zu lassen, ist die effektivste – aber nicht die einzige. Wenn die Hand mit bewusst schlaff gelassener Muskulatur in eine Art Schleuderbewegung versetzt wird, schlägt schließlich der Zeigefinger auf den Mittelfinger auf. Mit etwas Übung erzeugt auch das ein lautes Geräusch. Vielleicht wäre das ja ein Gegenstand für ein zukünftiges Forschungsvorhaben.
Quelle
Acharya R. et al.: The ultrafast snap of a finger is mediated by skin friction. Journal of the Royal Society Interface 18, 2021. https://doi.org/10.1098/rsif.2021.0672
Wo bislang eine unansehnliche Wasserpfütze den Wanderweg blockierte, hatte sich gestern mit Hilfe des nächtlichen Frosts ein naturschöner Anblick entfaltet. Ausschlaggebend für die Entwicklung dieser individuellen Eisstruktur ist ein Stein, der beim Zufrieren der Pfütze ganz zu Beginn die entscheidenden Strukturimpulse gibt. Sie sind hier als radial vom Stein ausgehende Eiskristalle zu sehen, die gewissermaßen das Fachwerk abgeben, dessen Zwischenräume ganz zum Schluss zufrieren. Weiterlesen
Vor einiger Zeit hatte ich das Glück, erstmalig das sogenannte Haareis in freier Natur zu entdecken. Und wie das Schicksal es will, entdeckte ich es einige Zeit später noch einmal. Die Jahrzehnte vorher muss ich wohl blind gewesen sein für diese subtile und feine Hervorbringung der Natur. Vor ein paar Tagen entdeckte ich nur gewissermaßen die Ergänzung zum Haareis, das sogenannte Kammeis. Allerdings hatte ich das auch schon früher beobachtet, daraus aber nicht den Schluss gezogen, dass es auch Haareis geben müsse ;). Diesmal zeigte sich mir das Kammeis in vielgliedrigen Zapfen, die gewissermaßen aus dem Boden hervorquollen, obwohl sie aus Eis bestehen (siehe Foto).
Dieser „Boden“ befindet sich auf einem wenig bewachsenen Hang eines Bergs. Er besteht aus Sand und verwitternden Steinen des felsigen Untergrunds und war nur an der Oberfläche gefroren.
Die Nadeln entstehen anschaulich gesprochen dadurch, dass in den Poren des Bodens gespeichertes Wasser gefrierend sich ausdehnt. Dabei bewegen sich die Spitzen der gefrorenen Wasserfäden nach außen und ziehen aufgrund ihres inneren Zusammenhalts (Kohäsion) weiteres Wasser aus dem Innern nach, das dann in den kälten Bereich gerät und ebenfalls gefriert usw.. Auf diese Weise können beachtliche Eisnadellängen erreicht werden. Das im Foto zu sehende Kammeis ist maximal etwa 7 cm lang. Obwohl Kammeis bis zu 30 cm lang werden kann, habe ich in unseren Breiten nie Zähne gesehen, die länger als 10 cm waren. Manchmal werden mit den wachsenden Zähnen an der Oberfläche zusammengefrorene Bodenbestandteile aus ihrer „Verankerung“ herausgerissen und einfach mit angehoben.
Obwohl die einzelnen Nadeln zunächst unabhängig voneinander aufstreben, bleiben sie oft mehr oder weniger fest miteinander verbunden. Diese innere Verbundenheit macht sich auch darin bemerkbar, dass sich die Bündel aufstrebender Nadeln krümmen, wenn einige Nadeln schneller wachsen als andere. Dann neigt sich das Bündel zur Seite der langsamer wachsenden Nadeln. Im Foto sieht man sogar hauptsächlich gekrümmte Exemplare von Kammeisbündeln, sodass die Ähnlichkeit mit den Zähnen eines Kamms nicht gerade überwältigend ist. Solche Krümmungen aufgrund unterschiedlich starker Ausdehnungen kennt man auch aus anderen Zusammenhängen.
Wesenlich für das Auftreten von Kammeis ist die Eigenschaft des Wassers sich im Unterschied zu den meisten anderen Stoffen beim Erstarren auszudehnen. Das ist der sogenannten Anomalie des Wassers zu verdanken. Eine weitreichende Konsequenz dieser Anomalie für das Leben auf der Erde ist die allerdings sehr vertraute Tatsache, dass Gewässer von oben her zufrieren.
Wie kommt es zu den Strukturen im Eiszapfen?
Erklärung des Rätselfotos des Monats Januar 2022
Frage: Wie kommt es zu den weißen Nadeln?
Antwort: Diese filigranen und gegen Berührung sehr sensiblen Kunstwerke der Natur entstehen, wenn die Temperatur einige Grade (-8 °C) unter Null liegt und die Wasserdampfkonzentration sehr hoch ist (relative Feuchte über 90%).
In der Nähe von kalten Gegenständen überschreitet die relative Feuchte 100 % und die überschüssigen Wasserdampfmoleküle tendieren unter derartigen Bedingungen dazu, sich an kalten Gegenständen niederzulassen und sich auf diese Weise am Aufbau von Eiskristallen zu beteiligen (Resublimation). Am günstigsten sind die Stellen, an denen sich bereits kleine Kristalle befinden. Daran docken die Moleküle an und die Kristalle wachsen wie in diesem Fall meist nadelartig nach außen dem Nachschub entgegen. Dieser wird mit dem Wind herbeigeführt.
Eis ist an sich transparent. In Form winziger Kristalle reflektiert es die von den Objekten ausgehenden Lichtstrahlen jedoch in alle Richtungen, sodass die nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen ihnen verlorengehen und damit die Transparenz durch ein zauberhaftes Weiß ersetzt wird (Lichtstreuung).
Es scheint als würden die nadelförmig wachsenden Raureifkristalle die stachelige Form der realen Tannennadeln imitieren. Allerdings sind sie so frei, nur eine Seite des Zweigs zu besiedeln. Denn anders als ihre botanischen Vorbilder wachsen sie nicht der Sonne, sondern dem Wind entgegen, der reichlich Nahrung in Form von Wassermolekülen heranführt. Möglicherweise hat er bei Temperaturen von einigen Graden Celsius unter null auch noch winzige Nebeltröpfchen (unterkühlt) im Gepäck, um sich an den bereits vorhandenen Kristallen anzulagern. Da bei der Kristallisation Wärme abgeführt werden muss, sind die in die kalte Luft hineinreichenden äußeren Spitzen besonders prädestiniert.
Als ich noch während des Regens einige Tage vor dem Frost wie in Kindheitstagen eine Burg in der Pfütze formte und dann der Natur überlies, ahnte ich nicht, was einige Tage Später nach dem Einbruch der kalten Tage daraus werden würde. Offenbar ist das Wasser schnell versickert, sodass mein bereits vom Regen und dem Wasser in der Pfütze deformiertes Gebäude die von mir beabsichtigte Form weitgehend verloren hat. Dafür ist es durch die Eisstrukturen mit großer „Aufmerksamkeit“ für die Details in ein naturschönes Netzwerk von Eislinien in ein kühles Gesamtkunstwerk eingebunden worden.
Die hellen Bereiche der realtiv dünnen Eisschicht haben keine Berührung mehr mit dem Wasser, auf dem sie ursprünglich mal entstanden sind. Sie sind von unten mir Reifkristallen besetzt, sodass die ursprüngliche Transparenz verschwunden ist. Nur der ursprüngliche „Burggraben“ ist noch mit Wasser gefüllt und die dort noch aufliegende Eisschicht ermöglicht noch einen Durchblick auf den dunklen Pfützenboden.
Heute vor fast genau einem Jahr, bot die ganz unfreiwillig als Eiskunstinstallation mutierte Pfütze noch ein etwas anderes Bild.
Diese schöne an botanische Strukturen erinnernde Ansicht ist entstanden, als das Wasser einer Pfütze fast schon versickert war. Der nasse, schlickartige Rest wurde vom Frost der Nacht erfasst und in einen Garten von Eiskristallen verwandelt. Die Freiheit der Kristallbildung ist durch die starke „Verunreinigung“ des Wassers durch Erde weitgehend eingeschränkt. Das Ergebnis ist meines Erachtens aber dennoch naturschön. Die Struktur war so fest, dass man darüber gehen konnte, ohne Spuren zu hinterlassen.
Die Bäume trieften nur so vom letzten Regen. Doch das Geräusch der fallenden Tropfen, die sich aus den letzten feinen Wasserströmen speisten, ließ allmählich nach. Einige Tropfen blieben schließlich noch hängen. In der Nacht kühlte es sich auf etwas unter den Gefrierpunkt ab. Jedenfalls empfing mich der nächste Morgen mit reifüberzuckerten Pflanzen.
Erstaunlicherweise hingen einige Tropfen immer noch an den Zweigen. Aber sie waren gefroren, wie man an den Luftkanälen feststellen konnte, die die Tropfen durchzogen. Es sollte ein sonniger Tag werden und das geschah dann erstaunlicherweise auch. Ich behielt einige „Eistropfen“ im Auge. Weil sie am Ast festgefroren waren, fielen sie nicht herab. Vorerst. Denn die Sonne trat ihren nun schon etwas größer gewordenen Bogen mit ganzer Strahlkraft an. Das blieb nicht ohne Wirkung auf die „Eistropfen“. Es tat sich was.
Ich sah es zuerst daran, dass die inneren Luftkanäle schwanden. Die Luft löste sich in dem Maße im Wasser, wie es aus dem Eis hervorging. Schaut man genauer hin, so sieht man auf dem Foto, dass der Tropfen im oberen Bereich noch gefroren ist und Reste der Luftkanäle aufweist, während sich im unteren Bereich ein transparentes Säckchen mit flüssigem Wasser füllt und eine Trennlinie zwischen fest und flüssig sich allmählich nach oben bewegt.
Alles ging Hand in Hand bis der ursprüngliche Zustand vom Vortag wieder hergestellt war.
Eine meist übersehene völlig unwichtige Kleinigkeit. Sicher. Aber auch eine schöne Geschichte, die sich an den Bäumen vieltausendmal abspielt, ohne dass jemand Notiz davon nimmt. Ich mag diese Miniveranstaltungen im Verborgenen!
Was mag das sein, das hier wie ein galaktischer Nebel durch zahlreiche Sterne hindurch gesehen daherkommt? Ich war mir vollkommen sicher, dass ich den Blick nicht nach oben gerichtet und kein Riesenteleskop vor Augen hatte, sondern ohne Hilfsmittel nach unten in eine zugefrorene Wasserpfütze.
Schaut man genauer hin, so erkennt man durch die ansonsten ziemlich glatte Eisschicht hindurch verfaulende Blätter und andere Überbleibsel aus der vergangenen Vegetationszeit. In die Eisschicht integriert zeichnen sich in zarten vor allem Blautönen Strukturen ab, die an Spuren biologischer Aktivität erinnern. Ähnlich wie beim Gefrieren von Wasser die darin enthaltene Luft gewissermaßen ausgeschwitzt wird, sind es hier vermutlich proteinhaltige Bestandteile der verwesenden Biomasse, die sich an der Wasseroberfläche abgesetzt haben und einen äußerst dünnen Belag bilden. Dieser ist offenbar so dünn, dass es aufgrund der Überlagerung des an der vorderen und hinteren Grenzschicht reflektierten Lichts zu ähnlichen Strukturfarben wie bei einer Ölschicht auf einer nassen Straße. Die weißen „Sterne“ sind winzige im Eis eingefrorene Gasblasen, die von innen mit Reif belegt sind.
Wie dem auch sei, es ist auf jeden Fall ein naturschöner Anblick, der zumindest einen Teil seines Geheimnisses bewahrt hat – jedenfalls bis jetzt. Ich habe schon einige Male die Schönheit zugefrorener und zufrierender Pfützen gezeigt. Dort wurden die Strukturen vor allem durch das parallel zum Gefrieren versickernde Wasser hervorgerufen. In diesem Fall zeugt aber die glatte Eisfläche davon, dass der Wasserspiegel während des Gefrierens weitgehend gleich geblieben sein muss. Als Ursache käme eine Versiegelung des Pfützenbodens durch die Sedimentation feinstrukturierter Überreste der verwesenden Biomasse infrage. Meist sind solche Pfützen sehr langweilig und manchmal bei genügender Länge allenfalls zum Glitschen zu gebrauchen. Hier aber finden wir in der verhältnismäßig dicken Eisschicht andere beeindruckende Strukturen.
Das Schöne an der dicken Eisschicht ist außerdem, dass sie nicht so leicht zu zerstören ist. Viele Menschen, auch Erwachsene, genießen eher das akustische Phänomen der klirrend zerbrechenden Eisscheiben als die Wohltat für die Augen.
H. Joachim Schlichting. Spektrum der Wissenschaft 1 (2022), S. 60 – 61
Das Schöne ist eine Manifestation
geheimer Naturgesetze
Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832)
Selbst bei lang anhaltenden tiefen Temperaturen kann die Eisdecke eines Sees allmählich schrumpfen. Das liegt an der Wärmestrahlung des Tageslichts. Aufliegende Steine schirmen diese unter sich ab, während das restliche Eis abgetragen wird. Sie finden sich daher schließlich auf einer Säule balancierend wieder.
In unseren Regionen trifft man auf einem zugefrorenen Gewässer zuweilen Steine, Blätter und Äste an, die sich in einer Mulde befinden, so als wären sie dort unter dem eigenen Gewicht eingesunken (siehe »Schmelzabdruck«). Der Eindruck trügt. Vielmehr absorbieren sie die direkte Sonnenstrahlung und erwärmen sich deswegen über den Gefrierpunkt hinaus. Bei nicht allzu tiefen Temperaturen entsteht zunächst Schmelzwasser und dann mit dessen Verdunstung eine passgenaue Mulde, die bei länger andauernder Sonneneinwirkung immer tiefer wird. Das Eis an sich ist weitgehend transparent und nimmt nur wenig Sonnenenergie auf. Es wird an unberührten Flächen in der Umgebung also kaum angegriffen.
Manchmal lässt sich aber eher das Umgekehrte beobachten, etwa bei lang anhaltenden tiefen Temperaturen auf schneefreien, zugefrorenen Seen wie dem Baikalsee in Sibirien. Dort sind Steine zwar auch von einer Mulde umgeben, aber statt darin zu liegen, scheinen sie vielmehr darüber zu schweben. Tatsächlich werden sie von einem schmalen Eispodest getragen, das aus der Vertiefung herausragt. Wegen der visuellen Ähnlichkeit zu meditativ genutzten Steintürmchen werden solche Fundstücke gelegentlich als Zen-Steine bezeichnet (siehe »Zen-Stein«).
Die Kontur der Zen-Steine erinnert an pilzartige Felsformationen, wie sie beispielsweise im türkischen Kappadokien zu bewundern sind (siehe »Feenkamine«). Solche »Feenkamine« entstehen, indem härteres Gestein, das auf weicherem liegt, an manchen Stellen die Erosion durch Wasser und Wind abschirmt und damit verzögert.
Es war bereits bekannt, dass die Erosion auch beim Entstehen der Zen-Steine eine wesentliche Rolle spielt. Bisher ließ sich allerdings nicht erklären, welcher Mechanismus bei derart tiefen Temperaturen das Eis so stark abträgt. Denn einerseits ist die direkte Sonneneinstrahlung jahreszeitlich bedingt sehr schwach, und zum anderen erfolgt die Strukturbildung der Zen-Steine unabhängig davon, ob und aus welcher Richtung die Sonne scheint.
Im Oktober 2021 haben die Physiker Nicolas Taberlet und Nicolas Plihon von der Universität Lyon das Problem gelöst. Sie konnten sowohl experimentell als auch anhand eines physikalischen Modells zeigen, dass die Erosion durch die Sublimation von Eis bewirkt wird. Beim Sublimieren einer Substanz geht diese direkt vom festen in den gasförmigen Zustand über. Das flüssige Stadium wird sozusagen übersprungen. Das ist kein ungewöhnlicher Vorgang – im Winter verschwindet Schnee selbst in unseren Breiten unter bestimmten Bedingungen, ohne zuvor flüssig geworden zu sein (siehe »Spektrum« 2/2020, S. 78). Ein solcher unmittelbarer Übergang geschieht außerdem beispielsweise beim festen Kohlenstoffdioxid, das umgangssprachlich bezeichnenderweise Trockeneis heißt und bei Umgebungstemperatur in einer stürmischen Reaktion gasförmig wird (siehe »Spektrum« 11/2009, S. 52).
Bei der Sublimation von Eis finden Schmelzen und Verdampfen gewissermaßen gleichzeitig statt. Daher muss die dazu nötige Wärme für beides auf einmal aufgebracht werden; obendrein ist beim Wasser jeweils relativ viel Energie dafür erforderlich. Woher stammt sie? Eis absorbiert Licht sichtbarer Wellenlängen kaum. Deswegen kommen fast ausschließlich die langwelligen Anteile des diffusen Tageslichts in Frage, das aus allen Richtungen einstrahlt.
Aus dessen Intensität lässt sich die Rate der Eiserosion durch Sublimation abschätzen. Dabei zeigt sich: Der Schwund geht sehr langsam vonstatten. Dabei schirmt ein auf dem Eis liegender Stein die unter ihm befindliche Fläche ab und schützt sie vor Verlusten. So senkt sich allmählich das Eisniveau außerhalb des Schattens, und der Stein bleibt auf einem Podest liegen. Dieses scheint aus der sinkenden Eisfläche herauszuwachsen und wird dabei der diffusen Strahlung des Tageslichts stärker ausgesetzt. Dadurch trifft die von überall kommende Wärme auch auf die zunehmend hohen Seiten der Eissäule, die zu einem immer schmaleren Stiel erodiert – der schließlich unter dem Gewicht des Steins bricht.
Taberlet und Plihon haben ihre Theorie durch Laborexperimente abgesichert. Sie führten sie in einer Vakuumkammer durch, wie sie zur Gefriertrocknung etwa von Lebensmitteln verwendet wird. Bei den dort herrschenden niedrigen Drücken und Temperaturen konnten die beiden Physiker die Sublimationsrate wesentlich erhöhen und damit die Erosionsdauer entsprechend verkürzen. Sie stellten die Geschehnisse auf dem Baikalsee gewissermaßen im Zeitraffer nach. Statt Steine verwendeten sie kleine Metallplatten. Diese wurden mit dem Schrumpfen der umliegenden Eisschicht in der Kammer schnell auf ein immer höheres und schmaleres Podest gehoben. Bei Versuchen mit Plättchen unterschiedlicher Art war der Effekt unabhängig vom Material. Insbesondere spielte die Wärmeleitfähigkeit des Stoffs keine Rolle.
Bei einem näheren Blick fällt auf: Ähnlich wie bei den eingangs genannten Blättern auf hiesigen zugefrorenen Flächen bildet sich unter den Zen-Steinen ebenfalls eine Mulde. Denn sie absorbieren – anders als Eis – auch Energie im sichtbaren Bereich des Tageslichts und geben diese als Wärmestrahlung an die Umgebung ab. Das erodiert die in unmittelbarer Nähe befindliche Eisfläche zusätzlich. Hier zu Lande bringt das die Unterlage üblicherweise zum Schmelzen, in Sibirien aber erhöht es wegen der sehr tiefen Temperaturen lediglich die Sublimationsrate.
Quelle
Taberlet, N. , Plihon, N.: Sublimation-driven morphogenesis of Zen stones on ice surfaces. PNAS 2021 Vol. 118 No. 40 e2109107118
Erklärung des Rätselfotos des Monats Dezember 2021
Frage: Wie kommt es zu dieser geraden Begrenzung der Reifschicht?
Antwort: Wir blicken frontal auf die Seitenscheibe einer Busstation. Sie ist etwa bis zur Hälfte mit Reif bedeckt, der wie mit einem Lineal gezogen begrenzt ist. Ursache dafür ist die Sonne, die schräg von oben und von der Seite in den Unterstand scheint und teilweise durch das Dach abgeschattet wird. Weil sich die Sonne allmählich von links nach rechts bewegt und immer mehr von vorn in den Unterstand leuchtet, verschiebt sich der Schatten des Dachs und damit die Trennlinie weiter nach oben. In dem Maße, wie der beschattete und noch vom Raureif überzogene Teil der Scheibe in die Sonne gerät, schmilzt das Eis. Denn obwohl die Eiskristalle weitgehend transparent sind, wird das Licht im rauen Reif mehrfach reflektiert, wobei immer auch ein Teil des Lichts absorbiert und in Wärme umgewandelt wird, die für das Schmelzen benötigt wird.
An der Geradlinigkeit der Schmelzgrenze erkennt man übrigens die Geradlinigkeit der Lichtausbreitung.
Wer sich nach einer feuchten Wetterperiode bei Temperaturen etwas unterhalb des Gefrierpunts vom Wege durch ein weitgehend naturbelassenes Waldstück abweicht, hat eine Chance, Haareis zu finden. Dass die Chance nicht allzu groß ist, sollte ich selbst erleben, der ich nun schon seit Jahren durch ein geeignetes Waldstück spaziere, von dem ich meine, dass in ihm bei den passenden meteorologischen Bedingungen Haareis zu finden sei. Inzwischen hatte ich mich so an meinen Wald gewöhnt, dass ich dort auch zu anderen Jahreszeiten meines Weges ging und andere spannende Phänomene vorfand, die teilweise auch Eingang in diesen Blog gefunden haben.
Daher verdanke ich die vor wenigen Tagen gemachten Entdeckungen auch eher dem Zufall als einer zielgerichteten, systematischen Suche. Diesmal kurz nach der Wintersonnenwende war die Sonne bereits hinter dem südlichen Berghang des Hüggeld (230 m) verschwunden, sodass mein Weg im Schatten lag. Um noch etwas von der Sonne zu erwischen beeilte ich mich daher aus dieser Gegend wegzukommen. Plötzlich schienen auf dem im Schatten liegenden Waldboden gleich mehrere Stellen wie aus sich heraus aufleuchten, was meine Neugier erweckte. Zunächst dachte ich an achtlos weggeworfene Tempotaschentücher, die durch ihre optischen Aufheller manchmal eine erstaunliche Leuchtkraft entwickeln. Merkwürdigerweise kam es mir überhaupt nicht in den Sinn, dass es sich um das Objekt meiner Wünsche handeln könnte, das einmal den Anlass gab, hier zu spazieren. Erst als ich die feinen Haarbüschel vor Augen hatte, die aus den am Boden liegenden, morschen Ästen herauswuchsen, fiel der Groschen. Soweit zur Vorgeschichte, die mir schön öfter in dieser Weise passiert ist, und nun etwas zur Physik.
Die feinen Eishaare, die hier büschelartig aus den feuchten, morschen am Boden liegenden Holzstücken (Reste von Buchenästen, aber auch einige andere Bäume sind geeignet) wucherten, hatten offenbar ideale Wachstumsbedingungen vorgefunden: durchnässtes morsches Holz bei Temperaturen leicht unter dem Gefrierpunkt. Wie kommt es zu diesem Phänomen?
Wissenschaftlich nachgewiesen ist, dass Haareis durch ein im Holz lebendes Pilzmyzel verursacht wird. Diese These ist schon sehr alt und geht auf Alfred Wegener (1880 – 1930) zurück, dessen Name vor allem mit der Kontinentalverschiebungstheorie verbunden ist. Ausgehend von Wegners Ergebnissen und der Fachliteratur über Haareis und ähnliche Phänomene haben neuere Untersuchungen experimentell und theoretisch die Pilzthese erhärtet. Dazu haben die Forscher zum einen zeigen können, dass auf Holzstücken, die natürlicherweise von Haareis befallen waren, dieses in geeigneten Frostnächten erneut sprießte, wenn man vorher die alten Haare beseitigt hatte. Sobald man allerdings dem vermuten Pilzmyzel mit Hitze (Kochen), Alkohol oder einem Fungizid zu Leibe rückte, blieb der anschließende Haareisbefall ganz oder zumindest teilweise aus.
Nach Auswertung und Analyse wissenschaftlichen Beobachtungen und Experimente, ergibt sich folgende Erklärung für das Zustandekommen von Haareis:
– Urheber des zur Haareisbildung führenden Prozesses ist ein im Holzkörper, vor allem in den Holzstrahlen lebendes Myzel eines winteraktiven Pilzes. Es konnten mehrere Arten von auf Laubholz spezialisierten Asko- und Basidiomyzeten identifiziert werden.
– Der Pilz baut die in den Holzstrahlen vorhandenen organischen Nährstoffe (Kohlenhydrate, Lipoide) durch einen aeroben Dissimilationsprozess (Zellatmung) ab. Oxydative Endprodukte sind CO2 und H2O.
– Der Druck des entstehenden CO2-Gases drängt mit dem Oxydationswasser auch im Holz gespeichertes Wasser durch die Holzstrahlkanäle an die Oberfläche.
– Im ausgestoßenen Wasser befinden sich als ‚Verunreinigung’ unvollständig abgebaute organische Substanzen. Dank der als Kristallisationskeime wirkenden organischen Moleküle gefriert das Wasser beim Austritt an die Luft schon knapp unterhalb von 0° C: Am Ausgang der Holzstrahlen entstehen Eishaare.
– Die in den Eishaaren enthaltene organische Substanz kann winteraktive Insekten (Collembolen) anziehen.
– Beim Schmelzen der Eishaare wird die organische Substanz als dünner Faden sichtbar, an dem sich perlenartig Wassertröpfchen bilden.*
* Gerhart Wagner und Christian Mätzler. Haareis auf morschem Laubholz als biophysikalisches Phänomen. Hair Ice on Rotten Wood of Broadleaf Trees – a Biophysical Phenomenon. Forschungsbericht Nr. 2008-05-MW 2008
Diese Eisstruktur beobachtete ich auf einem Feld mit Wintergetreide. Hier lag ein wenig Schnee, der tagsüber bei Sonnenschein teilweise schmolz. Die Rückstände gefroren während der Nacht, sodass schließlich diese filigrane Eisskulptur entstand. Die gläserne „Ente“ (oder was auch immer) auf der linken Seite ist nur wenige Zentimeter hoch.
Obwohl das figürliche Ensemble sehr zerbrechlich aussieht (z.B. Hals der Ente), ist es relativ stabil. Entscheidend für diese Stabilität ist die sogenannte Flächen-Volumen-Relation, die ich früher bereits ausführlicher beschrieben habe (siehe z.B. hier). Als Beispiel denke man sich ein Insekt. Unter Beibehaltung seiner Proportionen auf die Größe eines Menschen vergrößert, würde es unter dem eigenen Körpergewicht zusammenbrechen.
Auffällig sind weiterhin die (schwachen) Farbeindrücke der an sich transparenten Eisskulpturen. Wie bereits in früheren Beispielen gezeigt (z.B. hier) sind sie auf die Wirkung des polarisierten Lichts des Himmels zurückzuführen. Da die Polarisationswirkung des Himmels im Vergleich zu einer Polaroid-Brille schwach ist, sind die Farben hier nur andeutungsweise zu erkennen. Auch frische Risse in einer Eisschicht können sich farblich bemerkbar machen.
Ich kann mich noch gut erinnern, dass in meiner Kindheit unser Weihnachtsbaum u.A. mit Lamettagirlanden geschmückt wurde, die genauso aussahen wie die Eiskristallbänder, die ich in unserem winterlichen Gewächshaus vorfand (siehe Foto). Es war damals eine Art Alleinstellungsmerkmal, weil derartig geschmückte Weihnachtsbäume in der Nachbarschaft nicht vorkamen. Die Girlanden hatte – wenn ich mich recht erinnere – jemand aus Amerika mitgebracht. Ein Blick ins Internet zeigt, dass sie immer noch oder wieder erhältlich sind.
Obwohl sich die hier gezeigten echten Eiskristallbänder auf einer Glasscheibe befanden, zeigte sich, dass auch in diesem Fall auf den ersten Blick nicht zu sehende Bänder die gefrorenen Kristalle zusammenhalten. Dabei handelt es sich um ausgediente Spinnfäden, die sich noch auf der Scheibe befinden. Diese enthalten offenbar geeignete Keime, an denen die Wasserdampfmoleküle in der kalten Nacht vor der Aufnahme des Fotos angedockt und dann seitliche „Kristalltriebe“ ausgebildet haben. Die Tendenz sich radial vom initialen Spinnfaden zu entfernen ist dadurch bedingt, dass beim Übergang der Wassermoleküle vom dampfförmigen in den festen Zustand sowohl Kondensationswärme als auch Kristallisationswärme abgegeben werden muss. Das gelingt wie man sieht am besten, wenn sich die Kristalle vom Ursprung weg in den kalten Außenbereich orientieren. Schaut man sich das Foto genauer an, so kann man erkennen, dass sich die so entstehenden Seitentriebe einander „ausweichen“, wenn sie sich gegenseitig in die Quere kommen.
Diese kleine Bastelarbeit hängt seit Jahren bei uns im Flur. Die farbigen Elemente bestehen aus kleinen, gespaltenen Holzwürfeln, die mit aufgeklebten Magnetstreifen auf ein Eisenblech fixiert sind. Oft spüre ich Lust, die Anordnung meinem jeweiligen Empfinden entsprechend zu modifizieren. Manchmal ist alles sehr ordentlich, manchmal fliegt alles durcheinander – wobei letzteres leichter zu haben ist als ersteres. Diesmal hatte ich Lust, die zurzeit brennenden Kerzen nachzustellen. Der Übergang des festen Wachses in Dampf, durch den die Wachsmoleküle chemisch modifiziert in den Raum getragen werden, findet hier seine symbolische und künstlerische Entsprechung.