Beim Lesen eines Buches mit Op-Art-Abbildungen war mir irgendwie so, dass etwas Buntes durch das Glas hindurch schimmerte. Um festzustellen, ob es an mir oder am Glas Wein lag, füllte ich es kurzerhand mit Wasser und sah, dass das Glas oder besser die Flüssigkeit die Bilder lieber farbig hatte. Es ist also nicht der tiefe Blick ins Glas, sondern der Blick durch das Glas, der dieses Phänomen ermöglicht.
Schuld daran sind die Übergänge des vom Op-Art-Bild ausgehenden Lichts von Luft zum Glas, von Glas zum Wasser und vom Wasser zum Glas und dann wieder zur Luft, bevor es mein Auge erreicht. Dabei spielt das dünne Glas die geringste Rolle und muss nicht weiter betrachtet werden. Entscheidend ist der Durchgang des Lichts durch den Wasserkeil, wobei es ähnlich wie in einem optischen Prisma gebrochen und damit aus der ursprünglichen Richtung abgelenkt wird. Da die Lichtbrechung von der Wellenlänge des Lichts abhängt und damit für die verschiedenen Farben, aus denen sich das weiße Licht zusammensetzt, unterschiedlich groß ist, laufen die einzelnen Farben gewissermaßen auseinander und werden schließlich getrennt voneinander wahrgenommen. Man sieht also die weißen Teile des schwarzweißen Op-Art-Bildes in mehreren ineinander verschwimmenden Versionen.
Man kann auch künstlerisch tätig werden, indem man den Blick durchs Glas auf unterschiedliche Weise auf Schwarzweißbilder und andere Darstellungen richtet und sich den schönsten Anblick auswählt.
Gott, heißt es, schied die Finsternis vom Licht,
Doch mocht es ihm nicht ganz gelingen,
Denn wenn das Licht in Farben sich erbricht,
Mußt es vorher die Finsternis verschlingen.*
* Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)
Eine transparente Plastiktrinkflasche steht auf der Fensterbank im Sonnenlicht. Dieses fällt etwas nach links verschoben von vorn oben ein. Abgesehen von einer intensiven Lichtstreuung im oberen Bereich der Flasche, die so intensiv ist, dass die Details überstrahlt werden, fallen einige spektralfarbene Streifen auf.
Zum einen fällt ein regenbogenfarbiger Teilkreis auf ein Blatt weißes Papier, das ich der besseren Sichtbarkeit vor mir auf den Schreibtisch gelegt habe. Er entsteht dadurch, dass das Licht beim schrägen Auftreffen auf die Wasseroberfläche in der Flasche gebrochen wird. Die gerundete Wasserschicht wirkt gewissermaßen wie ein Prisma, durch das das weiße Licht zum Einfallslot hin gebrochen wird und zwar zunächst beim Auftreffen auf das Wasser und anschließend beim Verlassen des Wassers. Weil es dabei auf eine kreisrunde Front trifft wird es nicht nur nach unten, sondern auch zur Seite abgelenkt. Dadurch ergibt sich in der Projektion auf dem Tisch, ein runder Lichtstreifen, der länger ist als der Querschnitt der Flasche.
Da der Brechungsindex nicht nur vom brechenden Material, dem Wasser, abhängt, sondern auch von der Wellenlänge des Lichts, wird das Licht unterschiedlicher Wellenlängen unterschiedlich stark gebrochen: kurwelliges Licht (vor allem Blau) wird stärker (zum Einfallslot hin) gebrochen als langwelliges (vor allem Rot). Daher liegt der rote Streifen außen und der blaue innen. Ganz sauber gelingt die Aufspaltung in Farben nicht, weil die Kunststoffwand der Flasche nicht ganz homogen ist.
Zum anderen beobachtet man zwei spektralfarbene Streifen auf dem unteren Teil des Fensterrahmens. Sie kommen dadurch zustande, dass das unterhalb der Wasseroberfläche einfallende Sonnenlicht zunächst gebrochen und dadurch nicht nur zum Einfallslot hin abgelenkt, sondern auch spektral zerlegt wird. Anschließend trifft das sich auf diese Weise verjüngende Lichtbündel auf die Innenwand der Flasche (auf die man blickt), wird dort teilweise reflektiert und schließlich beim Wiederaustritt aus der rückwärtigen Wand der Flasche abermals gebrochen. Dabei tritt wie bei der Entstehung eines Regenbogens in einem Wassertropfen eine deutliche Verstärkung des Lichts auf, so dass zu jeder Seite bei einem bestimmten Winkel ein farbiger Streifen zu sehen ist. Jenseits dieses Winkels kommt kein Licht mehr an. Die im übrigen Bereich gebrochenen farbigen Lichtstrahlen mischen sich wieder zu weißem Licht. Wir haben wir es also hier mit einem regenbogenartigen Phänomen zu tun, das wegen der Zylindergeometrie der Flasche jedoch nur auf eine Ebene beschränkt ist.
Schließlich sieht man innerhalb der Flasche noch so etwas wie ein helles Rechteck. Es kommt dadurch zustande, dass ein Teil des durch die Flasche hindurchstrahlenden Lichts beim Durchgang durch die Kunststoffwand teilweise an Inhomogenitäten des Materials gestreut und gebrochen wird. Es gelangt auf diesem Wege ins Auge des Betrachters gerät und wird sichtbar.
Der farbige Sonnentaler tanzt mir schon wieder vor der Nase herum und fordert mich geradezu heraus, etwas mit ihm anzustellen. Vor einiger Zeit legte ich drei aus einem anderen Experiment stammende Glasmurmeln in den Lichtfleck. Diesmal habe ich eine hexagonales Prisma zur Hand, das ich mitten in das farbige Lichtgewusel hineinstelle. Ich staune nicht schlecht, wie sich die Dinge ändern: In das farbige Runde mischt sich das geometrisch Gerade hinein. Das bunte Licht wird den Facetten des Glasobjekts entsprechend in vielfacher Weise reflektiert, gebrochen und teilweise sortiert.
Aber auch das Glasobjekt sieht ganz anders aus. Und wenn ich nicht wüsste, wie es beschaffen ist, hätte ich vermutlich Schwierigkeiten, es in seinem Originalaussehen zu erkennen.
Was Goethe wohl dazu gesagt hätte? Gegen die Newtonsche Farbenlehre dichtete u.A. mit folgenden Reimen an:
Ist erst eine dunkle Kammer gemacht
Und finstrer als eine ägyptische Nacht,
Durch ein gar winzig Löchlein bringe
Den feinsten Sonnenstrahl herein,
Dass er dann durch das Prisma dringe:
Alsbald wird er gebrochen sein.
Aufgedröselt bei meiner Ehr‘
Siehst ihn, als ob’s ein Stricklein wär‘,
Siebenfarbig statt weiß, oval statt rund.
Glaube hierher des Lehrers Mund:
Was sich hier auseinander reckt,
Das hat alles in Einem gesteckt.
Und dir, wie manchem seit hundert Jahr,
Wächst darüber kein graues Haar.*
* Johann Wolfgang von Goethe. Aus: Sprüche in Reimen – Zahme Xenien. VII.
Wie kommen die Teile in die Tropfen?
Erklärung des Rätselfotos des Monats September 2019
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Im Regierungsviertel in Berlin sieht man zuweilen an sonnigen Tagen, die Kanten der gläsernen Elmente einiger Gebäude in brillanten Farben erstrahlen, deren Reflexe sich oft auch noch im leicht bewegten Wasser malerisch zu immer neuen Farbmustern zusammenfinden. Diese allenfalls als ästhetisch empfundene Phänomen (War es von den Architekten vorausgesehen oder sogar beabsichtigt?) erinnert mich einmal mehr an die Bedeutung der Brechung des Lichts im geschliffenen Glas: Weiterlesen
Erklärung des Rätselfotos vom Vormonat: Farben feiner Risse