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Rand

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Auch Insekten können pingelig sein

Als ich gestern einen streifenden Blick über die Blätter der Stechpalme warf, war mir als würde irgendetwas nicht stimmen. Bei genauerem Hinsehen entdeckte ich, dass einige der tiefer liegenden Blätter durch die höher gelegenen hindurchschimmerten. Betrachtet man das untere Blatt links der Mitte, so sieht man in der Tat den schemenhaften Umriss des dahinter liegenden etwas verschwommenen Blattes. Ihr werdet es inzwischen erkannt haben: Das vermeintlich durchsichtige Blatt besteht nur noch aus seinem Rand. Der Rest wurde offenbar von einem hungrigen Tierchen sorgfältig herausgebissen bzw. gefressen. Zu einer anderen Jahreszeit hätte ich auf eine Schnecke getippt. Dies sieht mir aber eher als Werk von Insekten aus. Bei einigen anderen Blättern der Stechpalme sieht man bereits den Beginn eines ähnlichen Kahlfraßes. Wenn man dem Tierchen keine Pingeligkeit oder ästhetische Ambitionen unterstellen will, bleibt nur der Schluss, dass ihm der Blattrand zu hart ist. Wer sich an dieser Stechpalme einmal geratscht hat, wird dafür Verständnis aufbringen.

Löchrige Randbemerkungen

Obwohl Löcher definitionsgemäß nichts sind, sind sie. Und das sind sie dank ihrer Ränder, die zum Bereich des Seienden gehören. Wenn man also Löcher überhaupt unterscheiden möchte, so gelingt dies nur in den unterschiedlich geformten Rändern (siehe Foto).

Kurt Tucholsky hat sich etwas eingehender mit der Natur des Lochs befasst und kommt zu folgendem Ergebnis:
Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist.
Das Loch ist ein ewiger Kompagnon des NichtLochs: Loch allein kommt nicht vor, so leid es mir tut. Wäre überall etwas, dann gäbe es kein Loch, aber auch keine Philosophie und erst recht keine Religion, als welche aus dem Loch kommt. Die Maus könnte nicht leben ohne es, der Mensch auch nicht: es ist beider letzte Rettung, wenn sie von der Materie bedrängt werden. Loch ist immer gut.

Wenn der Mensch, Loch‘ hört, bekommt er Assoziationen: manche denken an Zündloch, manche an Knopfloch und manche an Goebbels.
Das Loch ist der Grundpfeiler dieser Gesellschaftsordnung, und so ist sie auch. Die Arbeiter wohnen in einem finstern, stecken immer eins zurück, und wenn sie aufmucken, zeigt man ihnen, wo der Zimmermann es gelassen hat, sie werden hineingesteckt, und zum Schluß überblicken sie die Reihe dieser Löcher und pfeifen auf dem letzten. In der Ackerstraße ist Geburt Fluch; warum sind diese Kinder auch grade aus diesem gekommen? Ein paar Löcher weiter, und das Assessorexamen wäre ihnen sicher gewesen.
Das Merkwürdigste an einem Loch ist der Rand. Er gehört noch zum Etwas, sieht aber beständig in das Nichts, eine Grenzwache der Materie. Das Nichts hat keine Grenzwache: während den Molekülen am Rande eines Lochs schwindlig wird, weil sie in das Loch sehen, wird den Molekülen des Lochs…festlig? Dafür gibt es kein Wort. Denn unsre Sprache ist von den Etwas-Leuten gemacht; die Loch-Leute sprechen ihre eigne.
Das Loch ist statisch; Löcher auf Reisen gibt es nicht. Fast nicht.
Löcher, die sich vermählen, werden ein Eines, einer der sonderbarsten Vorgänge unter denen, die sich nicht denken lassen. Trenne die Scheidewand zwischen zwei Löchern: gehört dann der rechte Rand zum linken Loch? oder der linke zum rechten? oder jeder zu sich? oder beide zu beiden? Meine Sorgen möcht ich haben.
Wenn ein Loch zugestopft wird: wo bleibt es dann! Drückt es sich seitwärts in die Materie? oder läuft es zu einem andern Loch, um ihm sein Leid zu klagen – wo bleibt das zugestopfte Loch! Niemand weiß das: unser Wissen hat hier eines.
Wo ein Ding ist, kann kein andres sein. Wo schon ein Loch ist: kann da noch ein andres sein?
Und warum gibt es keine halben Löcher -?
Manche Gegenstände werden durch ein einziges Löchlein entwertet; weil an einer Stelle von ihnen etwas nicht ist, gilt nun das ganze übrige nichts mehr (pars pro toto, HJS). Beispiele: ein Fahrschein, eine Jungfrau und ein Luftballon.
Das Ding an sich muß noch gesucht werden; das Loch ist schon an sich. Wer mit einem Bein im Loch stäke und mit dem andern bei uns: der allein wäre wahrhaft weise. Doch soll dies noch keinem gelungen sein. Größenwahnsinnige behaupten, das Loch sei etwas Negatives. Das ist nicht richtig: der Mensch ist ein Nicht-Loch, und das Loch ist das Primäre. Lochen Sie nicht; das Loch ist die einzige Vorahnung des Paradieses, die es hienieden gibt. Wenn Sie tot sind, werden Sie erst merken, was leben ist. Verzeihen Sie diesen Abschnitt; ich hatte nur zwischen dem vorigen Stück und dem nächsten ein Loch ausfüllen wollen. *

Man sieht hier mehr als man begreift.
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* Kurt Tucholsky. Zur soziologischen Psychologie. In: Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 9, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 152-154.

Küsten sind meist weiß berandet

Phänomenologisch verschiedene Bereiche der Natur werden oft in äußerst kreativer Weise durch eine auffällige Markierung berandet. So sind Blätter von Bäumen im Sommer oft von gleißend hellen Linien der Lichtstreuung umgeben, während sie im Winter eher von Reifkristallen eingerahmt erscheinen und berandete Wolken und berandete nasse Blätter, berandete Dünen in der Sandwüste…
Ein weiteres meist von einer höheren Warte aus zu beobachtendes Phänomen sind die hellen Ränder an den Meeresküsten (Foto). Es handelt sich um das weiß schäumende Wasser der brandenden Wellen und man fragt sich vielleicht, warum sie unabhängig vom jeweiligen Küstenverlauf stets senkrecht einlaufen.
Die je nach der Windrichtung, den Meeresströmungen und anderen Einflüssen aus einer bestimmten Richtung gegen die Ufer anlaufenden Wellen werden in dem Maße wie ihre Höhe die Größenordnung der abnehmenden Wassertiefe erreicht im unteren Bereich durch Reibung mit dem Boden gebremst. Weil die Seite der schräg einlaufenden Wellen, die zuerst Bodenkontakt erfährt zuerst gebremst und verlangsamt wird und sich dieser Prozess über die ganze Länge der Front fortsetzt, kommt es zu einem Einschwenken der Welle bis sie nahezu senkrecht zum jeweiligen Uferabschnitt weiterläuft. Dabei wird sie im unteren Bereich so stark gebremst, dass sie aus Trägheit im oberen Bereich weiterlaufend sich überschlägt und weißschäumend und tosend ihre Bewegungsenergie verbraucht, d.h. durch Wärme an die Umgebung abgibt.
Da der Schaum des brandenden Wassers aus zahlreichen Luftbläschen besteht, an denen das Licht in alle Richtungen vor allem durch Totalreflexion gestreut wird, erscheint es uns weiß.

Grenzen – immer nur tangieren nicht überschreiten

LichtränderDer Schatten, den wir manchmal bemerken, isolieren und als Schatten untersuchen, ist zumeist ein Schlagschatten. Daß unser Geist den Schlagschatten bevorzugt, hat offensichtlich verschiedene Ursachen. Der Schlagschatten bewegt sich oft schnell auf seinem Grund und fällt dadurch auf.

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Die Wahrheit liegt meist am Rande

Leuchtende_BlätterSelbst wenn man nur den geometrischen Aspekt einer Landesgrenze betrachtet, so findet man in ihrer Gestalt die durch geologische, politische und andere Vorgänge bestimmte meist wechselvolle Geschichte einbeschrieben. Die „unendliche Geschichte“ einer Landesgrenze steht daher vielleicht nicht zufällig am Beginn einer Forschungsrichtung, die sich im weiteren und engeren Sinne mit Grenzfragen befaßt. Weiterlesen

Im Kaffeesatz lesen

Spektrum der Wissenschaft 1 (2009), S. 30

Nur ein leidiger Kaffeefleck? Von wegen: Die ausgeprägten Ränder offenbaren nichts weniger als ein universelles (Potenz-)Gesetz