Wenn man von weitem Verkehrszeichen sieht, die nicht auf Schildern, sondern direkt auf die Straße gemalt sind, so müsste man sich eigentlich darüber wundern, dass diese von weitem nicht infolge der perspektivischen Wahrnehmung zur Unkenntlichkeit geschrumpft erscheinen, sondern ein ganz normales Aussehen haben (oberes Foto).
Des Rätsels Lösung zeigt sich dann, wenn man direkt vor oder neben so einem Zeichen steht. Dann erkennt man, dass diese absichtlich oder wohlweißlich in die Länge gezogen aufgemalt werden, um die perspektivische Verkürzung auszugleichen (unteres Foto).
Aufmerksam wurde ich darauf, als ich zufällig zwei Leute direkt neben dem langen Zeichen antraf, die sich über den Anblick amüsierten. Dabei schnappte ich den Satz auf, dass die Bauarbeiter wohl zu lange in die Flasche geblickt hätten.
Ohne den Staub,
worin er aufleuchtet,
wäre der Strahl nicht sichtbar.
André Gide (1869 – 1951)
Dass hier Lichtstrahlen durch die Öffnungen im Blätterdach der Bäume brechen, „sieht“ man nur, weil feinste Wassertröpfchen das Sonnenlicht, von dem sie getroffen werden, in alle Richtungen aussenden, sodass es auf diese Weise auch unsere Augen erreicht.
Daraus wird oft der Schluss gezogen, dass man Licht an sich nicht sehen kann. Dies sagt vielleicht etwas über die Vorliebe zu paradoxen Aussagen aber nicht zur Eigenschaft des Lichts. Denn wie es unmittelbar einleuchtend (sic!) sein sollte, können wir nur etwas sehen, wenn Licht in unsere Augen fällt. Nur dadurch dass uns Gegenstände Licht zusenden, sieht man sie. Und wenn das Licht, das durch das Blätterdach fällt, nur gesehen wird, wenn Streuteilchen vorhanden sind, so spricht das nicht für dessen Unsichtbarkeit. Wir sagen ja auch nicht, Schall sei unhörbar, nur weil er in einer gegebenen Situation unsere Ohren nicht erreicht.
Der Physiker und Aphoristiker Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799) geht davon aus, dass von der sichtbaren Oberfläche der Gegenstände und ihrem Verhalten nicht ohne weiteres auf das innere Wesen geschlossen werden kann. Dieses bleibt trotz der großen Erfolge bei der Ausweitung der Sichtbarkeit durch Fernrohr und Mikroskop verborgen und verweist einmal mehr auf die spezifische Kontingenz unserer Wahrnehmung. Denn wie Lichtenberg am Beispiel der Newtonschen Gravitationskraft illustriert, ist oft das Wesentliche gerade in dem enthalten, was wir nicht sehen: Weiterlesen
Die physikalische Metaphorik die Welt als lesbares Buch anzusehen, teilt mit dem Lesen das Problem, ein Oberflächenphänomen darzustellen. Daran ändert auch die Steigerung des Sehens mit der Linse in ihren unterschiedlichen Varianten nichts. Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799) sieht als einer der ersten Wissenschaftler die Gefahr, dass kritiklos von der äußeren Ansicht auf das innere Wesen geschlossen wird; das gilt für die unbelebte Natur ebenso wie für den Menschen selbst. Weiterlesen
Ist es nicht faszinierend, dass die Natur nichts Eiligeres zu tun hat, als sich die in sie eingedrungenen Fremdkörper sofort bis zur Unkenntlichkeit letzterer anzuähneln, auch wenn diese Maßnahme nur solange anhält wie die Sonne scheint. Weiterlesen