Hier wurde ein grünes Trinkglas mit einem brennenden Teelicht vor eine weiße Wand gestellt. Und siehe da, man sieht etwas, was gar nicht vorhanden sein kann – der rötlich erscheinende Bereich an der Wand. Ausgerechnet dort, wo das ungefilterte weiße Kerzenlicht auf die Wand trifft, tritt eine Farbe auf, die objektiv gar nicht vorhanden ist.
In der Tat erliegen wir hier einer veritablen optischen Täuschung. Davon kann man sich überzeugen, wenn man den vermeintlich roten Bereich durch eine Röhre betrachtet und damit den übrigen visuellen Kontext ausschaltet. Dann sieht man die Wand wie sie ist – weiß vom weißen Kerzenlicht.
Schuld an dieser Täuschung ist die chromatische Adaption, die anschaulich als die Tendenz unserer Augen bezeichnet werden kann, die überwiegende Farbe in einem Raum als weiß zu sehen. In einer neuen Lichtsituation – wie hier durch den höheren Grünanteil – wird die Empfindlichkeit der grünes Licht erfassenden Zapfen unserer Augen im Verhältnis zu den anderen Farbanteilen reduziert. Die von grünem Licht beleuchtete Wand wird daher als weniger grün angesehen als sie „in Wirklichkeit“ ist. Da aber auch die Grünanteile der – objektiv gesehen – weißen Wand vermindert werden, dominiert die Komplementärfarbe von Grün, so dass die Wand einen Rotschimmer aufweist.
Dass auch die Kamera dieser Täuschung unterliegt, wird oft mit Verweis auf die Objektivität der Fotografie angezweifelt. Doch die Kamera ist im Automatikmodus gerade so ausgelegt, dass durch einen sogenannten Weißabgleich dafür gesorgt wird, die Dinge auf dem Foto möglichst genau so aussehen zu lassen, wie man sie mit eigenen Augen sieht.
Wer dieses Freihandexperiment selbst ausprobieren möchte, muss nicht unbedingt eine grünes Glas nehmen. Gläser mit anderen Farben funktionieren genauso gut. Allerdings sieht man dann natürlich andere Komplementärfarben. Die Gläser müssen allerdings gut durchgefärbt sein, damit das Phänomen eindrucksvoll in Erscheinung tritt.
H. Joachim Schlichting. Physik in unserer Zeit 53/5 (2022), S. 256
Durch eine Art physiologischen Weißabgleich tendiert die visuelle Wahrnehmung dazu, die Farbe des Lichts überwiegend als weiß anzusehen. Das funktioniert aber nicht immer.
Unsere Augen täuschen uns mehrfach, durchaus als Hilfestellung. So erkennen wir Gegenstände in ihrer „wahren“ Größe unabhängig davon, wie weit sie entfernt sind. Eine weitere Täuschung ist die sogenannte chromatische Adaption: Unser visuelles System tendiert dazu, die dominante Farbe der Beleuchtung in einer bestimmten Situation als weiß wahrzunehmen. Das hat zum Beispiel die praktische Konsequenz, dass wir eine im Schatten liegende „weiße“ Wand eines Gebäudes auch als weiß wahrnehmen, obwohl sie das blaue Licht des Himmels reflektiert. Dies sorgt dann für den enttäuschenden „Blaustich“ auf Urlaubsfotos von weißgekalkten Häusern im Süden.
Heutige Digitalkameras tragen in Standardsituationen derartigen Farbadaptionen des Auges Rechnung, durch einen entsprechenden Weißabgleich. Unter dem Blätterdach von Bäumen aufgenommenen Fotos ist dann das grüne Umgebungslicht ebenso wenig anzusehen wie das blaue Himmellicht von beschatteten weißen Wänden.
Gelegentlich versagt aber ein derartiger physiologischer oder technischer Weißabgleich. Sind mehrere Beleuchtungsfarben gleichzeitig und in vergleichbarem Ausmaß im Spiel, können sie das Täuschungsmanöver der chromatischen Adaption aushebeln. Auf natürliche Weise zeigt dies der Besuch eines alten Aussichtsturmes, der mitten in einem Laubwald steht (siehe Foto). Beim Abstieg von seiner Aussichtsplattform konnte man gleichzeitig Licht sehen, das durch drei verschiedene Öffnungen auf die graue Wand und die Stufen der Wendeltreppe traf. Durch das höchste Fenster fiel blaues Himmellicht, das mittlere lag im grünen Licht des Blätterdachs, das untere ließ das weitgehend weiße Mischlicht der freien Umgebung ins Innere des Treppenhauses hinein. So konnte man alle drei Farben auf einmal in den Blick nehmen. Die Augen hatten keine Chance, grün und blau gleichzeitig als weiß erscheinen zu lassen. Sie wurden hier ausgetrickst, indem sie daran gehindert wurden, uns wie so oft auszutricksen.
Dieses Phänomen lässt sich leicht in einem Freihandexperiment nachvollziehen. Auch Künstler, wie etwa James Turrell (*1943), nutzen den physiologischen Effekt in ihren Lichtinstallationen aus.
Wenn man in die Museumsräume des Zentrums für internationale Lichtkunst über einen Treppengang eintritt, wird man bereits von einem ersten Lichtphänomen eingenommen, das als solches gar nicht als Kunstwerk ausgewiesen ist (siehe oberes Foto). Gewöhnt man sich nämlich einige Minuten an das von blauen Leuchtstoffröhren beleuchtete Gewölbe und blickt dann zurück auf die weißgetünchten Wände des Eingangs, die noch vom Tageslicht beleuchtet werden, so erstrahlen diese in einem rötlichen Schimmer, in der Komplementärfarbe des Blaus. Man sieht also eine Farbe, die objektiv gar nicht vorhanden ist und einen rein wahrnehmungsphysiologischen Effekt darstellt, auf den ich in diesem Blog bereits in einigen anderen Kontexten eingegangen bin (z.B. hier und hier und hier). Es handelt sich um einen Effekt der chromatischen Adaptation oft auch mit einer etwas anderen Schwerpunktsetzung als Simultankontrast bezeichnet. Weiterlesen
Eine weiße Wand zeichnet sich dadurch aus, dass sie unabhängig von der Wellenlänge das auftreffende Licht nahezu unverändert wieder ausstrahlt. An einem strahlenden Sonnentag ist der Schatten auf einer solchen Wand blau. Weiterlesen
Im Rahmen einer Wanderung auf dem Wittekindsweg bestiegen wir den Aussichtsturm am Nonnenstein um den Ausblick über die farbenprächtige Welt zu genießen. Dominierend sind zur Zeit das Grün der Wälder und das Himmelsblau. Die Farben entstehen dadurch, dass das weiße Sonnenlicht entweder durch Streuung an den Luftmolekülen (genauer: an deren Dichteschwankungen) den Himmel blau erscheinen lässt oder dass die Pflanzen das weiße Licht absorbieren und nur grünes Licht wieder von sich geben. Weiterlesen
Erklärung des Rätselfotos vom Vormonat: Kunstwerke durch Kontaktarmut