So manches Mal, wenn ich in einen Spiegel schaue – und sei es nur das Fenster eines beleuchteten Raums, habe ich den Eindruck, dass aus dem Spiegel meine Mutter zurückschaut. Für mich ein eher positiver Aspekt, wenngleich er mit naturwissenschaftlichen Mitteln nicht zu erklären ist.
Ja, ja ich weiß: „Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, …,von denen sich eure Schulweisheit nichts träumen läßt.“*
Es scheint nicht nur mir so zu gehen. In dem Roman „Die Autorenwitwe“ von Judith Kuckart stolperte ich über die folgende Stelle:
„Olga geht zum Spiegel, sieht hinein, und der Spiegel schaut mit dem Auge ihrer Mutter zurück. Die muß ihr aber auch überall auflauern!**
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* William Shakespeare. Die Tragödie von Hamlet, Prinz von Dänemark.
** Judith Kuckart. Die Autorenwitwe – Erzählungen. Köln 2003, S. 35.
Diese Fenster sehen aus, als wären sie mit Butzenscheiben ausgestattet. Sind sie aber nicht. Vielmehr handelt es sich um doppelt verglaste Fenster, von denen die äußere Scheibe (auf die wir blicken) die hellen Gegenstände der Außenwelt spiegelnd reflecktiert. Da die Gegenstände im Innern (außer der Lampe links unten) vergleichsweise wenig Licht aussenden, werden sie von dem gespiegelten Licht weitgehend überstrahlt und daher nicht gesehen. Wer sich allerdings im Innenraum hinter dem Fenster befindet hat einen perfekten Blick auf die helle Außenwelt. Ursache für die Verzerrung der Spiegelungen der hell beleuchteten Außenwelt ist die Wölbung der der doppelt verglasten Scheiben nach außen. Die Wölbung wird dadurch bewirkt, dass im Innern zwischen den Scheiben ein höherer Luftdruck herrscht als außen. Die Scheibe wirkt daher wie ein Wölbspiegel, wie man ihn zuweilen an unübersichtlichen Straßeneinmündungen vorfindet. Eigentlich müsste man auch noch eine Spiegelung der hinteren Scheibe sehen, die als Hohlspiegel wirkt. Aber durch eine reflektierende Beschichtung der vorderen Scheibe sieht vom reflektierten Licht der hinteren Scheibe so gut wie gar nichts.
Wie es zum Überdruck zwischen den Scheiben kommt, habe ich früher bereits erklärt, zum Beispiel hier oder etwas ausführlicher hier.
Obwohl der Spiegel doch nur „vorne“ und „hinten“ vertauscht, hat man manchmal seine liebe Mühe, eine Ordnung in die Spiegeleien zu bringen. Versucht es doch selbst einmal 😉
Spiegel sind seit Menschengedenken, spätestens seit Narziss (siehe Ovids Metamorphosen), eine Herausforderung für die Menschen. Eine dieser Herausforderungen besteht in der Beantwortung der Frage, ob man dem Spiegel vertrauen kann.
„Den eigenen Rücken im Anprobespiegel zu sehen, beruht vor allem auf dem Wissen, daß es das gibt und daß ‚es geht‘. Man kennt das Hantieren mit zwei Spiegeln und die Bedingungen, unter denen der zweite Spiegel das Bild im ersten zeigt. Man kennt einfache Gesetzmäßigkeiten der Reflexion. Aber man ’sieht‘ in einem einigermaßen wissensunabhängigen Sinn nichts, was die Zugehörigkeit des Gesehenen zum Eigenleib unmittelbar ansichtig macht, etwa ohne Erinnerung an bestimmte Merkmale und Anomalitäten aus früheren Handlungen gleicher Art. Wir kennen uns von hinten nur auf Umwegen und unter reduziertem Gewißheitsgrad.“*
Fazit: Verachte nicht die Spiegelbilder. Nur mit ihrer Hilfe ist es möglich, einige den Augen direkt entzogene Partien des eigenen Körpers zu sehen.
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* Hans Blumenberg. Die Vollzähligkeit der Sterne. Frankfurt am Main 1997, S 378
In Museen und anderen Ausstellungsgebäuden sind oft auch die Toiletten sehenswert. Hier befinde ich mich in einem ziemlich großen Raum rundum mit Waschbecken und Spiegeln ausgestattet, aber coronabedingt gähnend leer (siehe Foto). Als ich vom Händewaschen aufblicke, erscheint mir auf einmal die Leere bis in die Unendlichkeit aufgebläht und gibt im ersten Moment einen völlig unwirklichen Eindruck ab.
Da dem Spiegel rückwärtig ein weiterer Spiegel gegenüber hängt, spiegeln sich die Spiegel – aus Langeweile? – gegenseitig ab. Vermutlich auch, wenn ich nicht dabei bin – denke ich jedenfalls. (Das quantenphysikalische Problem wonach durch die Beobachtung einer Gegebenheit der Beobachter diese beeinflusst, scheint hier jedenfalls nicht relevant zu sein).
Durch die gegenseitige Spiegelung der Spiegel ist es nicht zu vermeiden, dass auch die Spiegelungen des jeweils gegenüberliegenden Spiegels gleich mit gespiegelt werden und wenn sie schon dabei sind, so spiegeln sie auch die Spiegelungen der Spiegelungen und so weiter ad infinitum. Naja, jedenfalls bis ein gründunkles amorphes Etwas entsteht. Da mein Konterfei nun auch noch zwischen die Fronten geraten ist – trotz aller Anstrengung, ließ sich das nicht ganz vermeiden – muss es das Spielchen wohl oder übel mitmachen. Das änderte sich auch dann nicht, als ich die Kamera in Anschlag brachte, um dieses Erlebnis zu dokumentieren – sie integrierte sich ohne Umschweife auch noch ins Bild. Hier trieft es nur so von Selbstbezüglichkeit.
Aber was gibt es da wirklich zu sehen? Zunächst einmal tut sich ein nahezu unendlich großer Raum auf, der nur dadurch daran gehindert wird, das Unendliche zu erreichen, dass zum einen die Spiegel nicht ganz parallel zueinander ausgerichtet sind. Der dadurch bedingte leichte Silberblick führt zu einer Kurve, die noch im Endlichen uneinsehbar und uneinsichtig wird. Hinzu kommt zum anderen, dass die Spiegel einen weiteren irdischen Mangel aufweisen – sie absorbieren einen zwar winzigen aber endlichen Teil des Lichts. Dieser summiert sich allerdings auf dem Wege zur Unendlichkeit rasend schnell zur Lichtlosigkeit, vulgo Dunkelheit, in der wir endlichen Wesen nichts mehr sehen können.
Doch was um alles in dieser beschränkten Welt lässt das Licht im zunehmenden Grün verglimmen? Die Antwort ist abermals im Verhalten der Spiegel zu suchen. Denn offenbar schlucken sie nicht alle Farben des weißen Lichts gleichermaßen, sondern vor allem diejenigen, die als Komplementärfarbe dieses für Fensterglas typische Grün zurücklassen. Diese Farbe kennen wir. Wenn wir nämlich durch eine sehr dicke Scheibe blicken oder auf die Kante einer Scheibe, macht sich dieses Glasgrün (nicht grasgrün) bemerkbar.
Beim Durchgang des Lichts durch die Glasscheibe des Spiegels und – nachdem es an der verspiegelten Rückwand reflektiert wurde – ist ähnlich wie bei unseren Fensterscheiben von einer Grüntönung noch nichts zu bemerken. Wenn sich aber die Durchgänge häufen, addieren sich die geringen Absorptionen, so als blickte man durch eine sehr dicke Glasschicht.
Auf irritierend könnte vielleicht die folgende Überlegung sein: Das Spiegelbild ist etwas Virtuelles. Es ist uns verwehrt in die virtuellen Räume dieser Spiegelungen der Spiegelungen usw. nicht eintreten – das kann nur Alice* – aber die Aufsummierung der Virtualitäten scheint ganz reale Folgen zu zeitigen, das Licht wird geschluckt und zwar lange bevor die Unendlichkeit (der man ja so einiges Irreales zutraut) erreicht ist.
Ich verließ diesen Raum des Museums mit einem tieferen Eindruck als alle übrigen Räume zusammen hinterlassen hatten.
* Lewis Carroll. Alice hinter den Spiegeln. Frankfurt 1974
Sonnentaler bringt man normalerweise mit den Lichtkreisen unter dem Blätterdach von Bäumen in Verbindung. Wie erstaunt war ich doch, als ich perfekt aussehende Sonnentaler in der Stadt in einer bestimmten Anordnung über die Straße verstreut vorfand. Ich fragte mich natürlich, durch welche Löcher hier die Sonne wohl durchstrahlen würde und stieß schließlich auf hochgelegene Sprossenfenster mit kleinen quadratischen Scheiben (Schätzungsweise 15 cm x 15 cm). Diese reflektierten einen Teil des auftreffenden Sonnenlichts, was denselben Effekt hat, wie wenn das Licht durch quadratische Löcher geht: In der Nähe würde man quadratische Abbilder der kleinen Fenster auffangen, in weiterer Entfernung das Bild der Sonne.
Wer es nicht glaubt, dem empfehle ich folgendes kleines Expermiment. Man nehme einen quadratischen oder rechteckigen Taschenspiegel, lasse das Sonnenlicht darauf fallen und richte den Reflex auf eine möglichst weit entfernte schattige Fläche, z.B. die Wand eines hohen Hauses. Man wird einen runden Fleck wahrnehmen.
Dass die Reflex-Sonnentaler auf der Straße nicht so ordentlich aufgereiht erscheinen, wie die Fensterelemente liegt wohl daran, dass letztere nicht völlig plan eingebaut worden sind und die große Entfernung zu entsprechenden Verschiebungen der Abbilder auf dem Asphalt führt.
Ursprünglich war das Fenster ein praktisches Bauelement, das eine semitransparente Kommunikation mit der Außenwelt ermöglicht. Durch das Fensterglas wurde es möglich, Räume materiell von der Außenwelt zu trennen ohne wesentliche optische Einschränkungen hinnehmen zu müssen. Doch die Glasscheiben führen darüber hinaus ein multivisuelles Eigenleben, dass oft zu verblüffenden, manchmal sogar künstlerisch anmutenden Effekten führt. Im vorliegenden Foto erleben wir Fenster von außen, wobei ihre Wirkung als Lichtfalle und Spiegel dominiert. Obwohl dies ursprünglich kaum beabsichtigt war, kann ihne eine gewisse Ästhetik nicht abegesprochen werden. Auch spielen Fenster in der Kunst eine wichtige Rolle.
Es ist wahrlich kein erbauendes Gefühl, sich selbst zwar verdoppelt aber kopflos gegenüberzustehen. Und da sage doch jemand, Spiegel seien verlässlich. Rein physikalisch gesehen sind sie es auch: Einfallswinkel = Reflexionswinkel und erst dadurch entsteht das Malheur. Ein gewellter, eingedellter Spiegel kann eben auch nur ein gewelltes und gedelltes Abbild hervorbringen. Dabei kann es je nach Blickwinkel neben abenteuerlichen Verzerrungen zu Überlagerungen und Verdeckungen, wobei oft entscheidende Partien einer Person dem Blick entzogen werden*.
Dennoch oder vielleicht auch deshalb sind solche meist in Science Centern mehr zur Belustigung als zur Aufklärung aufgestellten Zerrspiegel sehr beliebt. Das Vergnügen, sich in der Spiegelwelt je nach Position und Blickwinkel deformiert und depriviert, aber trotzdem nicht deprimiert zu sehen, resultiert vielleicht auch daraus, dass man im tiefsten Inneren die ebenso tiefe Überzeugung spürt, trotzdem in Wirklichkeit wirklich alles beieinander zu haben. Ich habe Kinder erlebt, die nach einigen Spielchen mit dem Zerrspiegel anschließend zum manchmal daneben angebrachten Planspiegel gegangen sind, vielleicht um sich ihrer körperlichen Integrität zu versichern. Man kann ja nie wissen.
Wenn Ödön von Horváth (1901 – 1938) in diesem Zusammenhang meint:
Mancher müßte in einen Zerrspiegel schauen,
um erträglich auszusehen,
so steckt angesichts des Fotos dahinter schon eine ganze Portion Bosheit.
* Wer kein Science-Center u. Ä. in der Nähe hat, kann sich mit den wandelnden Zerrspiegeln auf den Straßen und Parkplätzen vergnügen. Besonders die gut geputzten Karossen zeigen exzellente Verzerrungen.
Wo der Gedanke des Ichs nicht eins ist mit dem Begriffe der Welt, kann man sagen, daß dies reine Denken des Gedankens des Ichs nur zu einem ewigen Sichselbstabspiegeln, zu einer unendlichen Reihe von Spiegelbildern führt, die immer nur dasselbe und nichts Neues enthalten.*
Immerhin scheint die Reihe der ewigen Selbstabspiegelung zumindest perspektivisch auf einen imaginären Punkt zuläuft, so dass man nur hoffen kann. Bleibt nur zu hoffen, dass es kein Nullpunkt ist.
* Friedrich Schlegel: Kritische Ausgabe. München etc 1964, Bd. 2, S. 351
Der Eingang eines Kaufhauses wird durch eine verspiegelte Säule gestützt. Schaut man in diesen Spiegel, so nimmt man zwar das zu einem zylinderschmalen Ausschnitt geschrumpfte Spiegelbild der Umgebung wahr, sein eigenes Bild muss man allerdings suchen. Erst auf den zweiten Blick entdeckte ich mein fast zu einem Strich geschrumpftes Konterfei. Der Physik sei Dank, dass sich an der Höhe nichts geändert hatte. Das erinnerte mich an den Suppenkasper, der schließlich auch nur noch ein Strich in der Landschaft war.
Dazu kommt es, weil der kreisförmige Teil des Zylinderspiegels das auftreffende Licht der umgebenden Gegenstände einschließlich des Fotografen bis auf einen schmalen Streifen radial in alle Richtungen reflektiert. Wer diesen lateralen Schrumpfungsprozess ausprobieren will, halte eine flexible Spiegelfolie vor sich und biege sie allmählich zu einem Zylinder. Man kann dann den Schrumpfungsprozess hautnah miterleben. Um „vorher“ und „nachher“ nebeneinander zu haben, nahm ich das Ganze vor der Glasscheibe des hinter der Säule befindlichen wenig ausgeleuchteten Geschäfts auf.
In die Röhre zu blicken ist gemeinhin negativ konnotiert. Mit dem heutigen Foto zeige ich ein Beispiel, in dem das nicht so ist. Wir blicken in eine Röhre an deren entgegengesetzten Ende sich eine Blume befindet. Da die Röhre innen verspiegelt ist – sie besteht aus einer zusammengerollten Spiegelfolie – wird das von der Blume ausgehende Licht an der inneren Wandung der Röhre gespiegelt, und die Spiegelungen werden wieder gespiegelt und so fort.
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Ich kann mich selbst nicht benennen. Die Alchimisten arbeiteten mit Zauberspiegeln und ließen sich von der Reflektion leiten. Das Spiegelkabinett um mich herum wurde verwinkelt angelegt, um das Bild zu verzerren. Bin das da ich, in der Schaufensterscheibe ! Bin das ich auf dem Familienfoto! Bin das ich im Bürofenster! Bin das ich auf den Hochglanzseiten einer Illustrierten? Bin das ich in den zerbrochenen Flaschen auf der Straße! Überall Spiegelbilder, wohin ich auch gehe. Überall Bilder von mir. Und wer bin ich!
Mein Mißtrauen wurde geweckt, als ich noch klein war. Ich konnte mich in den Spiegeln, die mir vorgehalten wurden, nicht finden, konnte mich nicht· durch die Pole der Gewißheit definieren, die so verläßlich schienen, sich aber ständig verschoben. Was war die wahre Natur der Welt! Was war meine wahre Natur in ihr!* Weiterlesen
Es spiegelt sich die Ewigkeit
In engster Gegenwart,
Und rückwärts die Vergangenheit
Erscheint von höchster Art,
Wie ein verlornes Paradies
Seh ich’s vor meinem Blick,
Was ich betrauert, war so süß,
Was ich verflucht, mein Glück. *
Unendlichkeitsspiegel haben über ihre optische Faszination hinaus ein beachtliches metaphorisches Potenzial. Zwei semitransparente Spiegel (normale Glasscheiben reichen bei günstigen Lichtverhältnissen auch schon aus) machen aus wenigem viel. In der optischen wie im übertragenen Sinn erlebt man den nicht genau lokalisierbaren Übergang von etwas Vertrauten und Überschaubaren in eine kleine Unendlichkeit.
* Achim von Arnim (1781–1831)
Vor ein paar Tagen hatte ich ein Rätselbild gezeigt. Wer statt zu raten einfach die schönen Strukturen auf sich wirken ließ, tat gut daran. Denn da es sich um einen Ausschnitt aus dem Anblick einer antiken Zuckerdose mit einem zerrspiegelartigen Outfit handelte (siehe obiges Foto), war die Chance das Richtige zu raten äußerst gering. Dennoch hat ein Blogfreund mein Konterfei doppelt, kopfstehend und verzerrt auf dem Foto entdeckt. Damit war einerseits gezeigt, dass es sich um einen Spiegel handelt, der nichts anderes tut, als seine Umgebung wiederzugeben – wenn auch in diesem Fall stark verzerrt. Der wesentliche Teil des Rätsels war damit gelöst. Der unwesentliche Teil, auf das spiegelnde Objekt selbst zu kommen, war so gut wie ausgeschlossen. Da die Verzerrung nach einem komplizierten Muster erfolgt und außerdem nur ein Ausschnitt gezeigt wurde, gab es nur wenige Anhaltspunkte, die auf das Objekt hätten schließen lassen.
Selbst wenn man ein Computerprogramm zur Hand gehabt hätte, um die anamorphotische Struktur des Spiegels glattzubügeln, würde man vor allem den Fotografen mit seiner Camera und einen Teil der Kaffeegesellschaft in lichtdurchfluteter Runde sehen, die sich hier zusammengefunden hatte. Ein Spiegel hat eben kein Aussehen von sich aus, er leiht sich das Licht der Umgebung.
Im rechten Foto ist eine Karaffe abgebildet, die ebenfalls zum originellen Zerrspiegelservice gehört.
Ähnliche öft ästhetisch Ansprechende Zerrbilder liefern auch Autokarosserien, Wasserwellen und Zerrspiegel, wie sie beispielsweise in Science Centern zu erleben sind.
Bahnsteige sind selten attraktiv. Aber manchmal kann man ihnen doch den einen oder anderen interessanten Aspekt abgewinnen. Im vorliegenden Foto scheint auf einer verrosteten Metallabdeckung irgendeines Kabelschachts o.Ä. über den man achtlos hinweggeht ein regelmäßiges Muster vor einem himmelblauen Hintergrund aufgeprägt zu sein. Schaut man genauer hin, so handelt es sich lediglich um eine Spiegelung in einer Wasserpfütze. Sie ist aus dem Blickwinkel der Aufnahme immerhin so lichtintensiv, dass die durch jahrelanges Darübergehen eingebeulte und zurzeit der Aufnahme mit einer Schicht Regenwasser gefüllte verrostete Abdeckung kaum als solche zu erkennen ist. Aufgefallen ist mir das Phänomen, weil ich gedankenverloren plötzlich den Eindruck hatte, ein tiefes Loch vor mir zu haben und unwillkürlich meinen Schritt korrigierte, um nicht reinzufallen. Reingefallen bin ich trotzdem, weil ich mir das Blaue vom Himmel vorgaukeln bzw. mich durch eine Spiegelung in einer schnöden Wasserpfütze täuschen ließ.
Der auf Hochglanz polierte rote Lack der Karosserie und das gleißende Chrom der Stoßstangen, wirkten wie Zerrspiegel im Irrgarten auf dem Ostermarkt, stauchten mich zu einem feisten Zwerg oder streckten mich spindeldürr. Die Zierleisten auf der Kühlerhaube und an den Seiten – Blitze. Das in der Sonne funkelnde Rund der Radkappen, umrahmt von weißen und schwarzen Ringen der Weißwandreifen – unbekannte Planeten, zu denen Amis und Sowjets sich ein Wettrennen durch Weltall lieferten*.
Klaus Modick (*1951) erinnert sich in seinem Roman „Klack“ anhand einer Fotografie an die hochglänzenden Autokarosserien der 50er und 60er Jahre. An dem Anblick hat sich heute kaum etwas geändert. Doch heute ist das kaum noch ein bemerkenswertes Phänomen. Ich habe es mehrfach erlebt, dass sich Menschen – darauf aufmerksam gemacht – wunderten, im Glanz nichts anderes als Spiegelungen der Umgebung zu entdecken und in Karosserien so etwas wie Zerrspiegel zu erkennen, die zu den beliebtesten Phänobjekten von Science-Centern gehören.
* Klaus Modick. Klack. Köln 2013
H. Joachim Schlichting. Physik in unserer Zeit 50/3 (2019) S. 149
Strahlt man mit einem Laserpointer flach auf einen Spiegel, sodass das Spiegelbild auf einer senkrecht dazu aufgestellten Projektionswand erscheint, tritt eine ganze Serie von Reflexen auf, die sich einem nicht sofort erschließen.
Mit einem Laserpointer soll man eigentlich nicht spielen, jedenfalls nicht, wenn andere Personen in der Nähe sind. Dennoch ist der Reiz, auf diese Weise neuen Phänomenen auf die Spur zu kommen, sehr groß. Das früher beschriebene Phänomen, bei dem mit einem Laserpointer in eine fast leere Teetasse gestrahlt wurde, gehört ebenso dazu (Physik in unserer Zeit 2013, 44(2), 98) wie das Licht beugende Geodreieck (Physik in unserer Zeit 2012, 43(4), 198). Weiterlesen
„In die Röhre zu schauen“ ist heute weitgehend negativ konnotiert im Sinne von „leer ausgehen“. Geht man weiter in die Geschichte zurück, so hat die Röhre in Form des Fernrohres jedoch eine eher positive Entwicklung hinter sich. Das beginnt bereits vor der Zeit, als das Rohr mit Linsen ausgestattet wurde und zu einer enormen Steigerung des Sehvermögens geführt hat. Weiterlesen
Museumsshops bieten manchmal originelle Designobjekte an, die wie in diesem Fall auch noch praktisch sind. Aus dieser Tasse kann man wirklich trinken. Das besondere daran ist aber, dass die Tasse ein über die gesamte Fläche der Untertasse verzerrtes Gemälde à la Gauguin in eine normale Form transformiert. Sie tut das dank der Verspiegelung der zylindrischen Tasse. Ein solches verzerrtes Bild nennt man Anamorphose (von: altgriechisch ἀναμόρφωσις anamorphosis = die Umformung). Weiterlesen
Das Foto bezieht sich auf den gestrigen Beitrag unter der Frage, ob Spiegelbilder einen Schatten haben können. Nach einem Kommentar von , habe ich den Vorschlag gemacht, eine brennende Kerze vor einem Spiegel aufzustellen und die Schatten eines ebenfalls vor den Spiegel gestellten Gegenstands zu betrachten. Um keine Verwirrung zu stiften, habe ich das kleine Experiment selbst durchgeführt und das beiliegende Foto geschossen. Weiterlesen
Herzlichen Glückwunsch, liebe Julia, nun geht es auf dem Lebensrad eine Sprosse weiter und das wird wohl ein Baum werden:
was brauchst du
was brauchst du? Einen Baum ein Haus zu
ermessen wie groß wie klein das Leben als Mensch
wie groß wie klein wenn du aufblickst zur Krone
dich verlierst in grüner üppiger Schönheit
wie groß wie klein bedenkst du wie kurz
dein Leben vergleichst du es mit dem Leben der Bäume Weiterlesen
Ucke, Christian; Schlichting, H. Joachim. In: Physik in unserer Zeit 45/4 (2014), S. 181-185
Mit Spiegeln lassen sich überraschende Effekte erzielen. Zwei einander gegenüberstehende Spiegel erzeugen Vielfachreflexionen mit enormer Tiefenwirkung. Begehbare Spiegeldreiecke und Spiegellabyrinthe irritieren die Wahrnehmung mit unendlich vielen Reflexionen.
Zu dritt betreten wir ein begehbares Kaleidoskop. Sofort befinden wir uns in einem unendlichen Gedränge der vielfältig reproduzierten virtuellen Ausgaben unserer selbst. Die eigenen Bewegungen werden in der Spiegelwelt in potenzierter Weise synchron reproduziert und erzeugen einen fast körperlich spürbaren Sog. Die Wuchtigkeit und Größe der zahllos iterierten und streng korrelierten Bildkaskaden stehen in einem merkwürdigen Kontrast zur völlig abwesenden Mühe mit der diese optischen Ungetüme in den verschiedensten Perspektiven verzögerungsfrei in Bewegung gesetzt werden. Auch wenn das Phänomen auf einfache Weise im Rahmen der geometrischen Optik erklärt werden kann, fühlen wir uns wie verzaubert: ein Rest an Verwunderung und ungläubigem Staunen bleibt und verlässt uns auch eine ganze Zeit nach Verlassen des simplen Spiegeldreiecks nicht mehr. Neben der Unendlichkeit, die hier einen sichtbaren Ausdruck findet ist es wohl auch die Selbstbezüglichkeit, die auf konkrete Weise zu denken gibt.
Schlichting, H. Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 42/9 (2011), S.40-41
Manche vermeintlichen Rätsel lassen sich erst lösen, wenn wir stillschweigend Vorausgesetztes auf den Prüfstand stellen.
»Eine komische Stadt, senkrecht zu ihrer Spiegelung. Es gibt Stunden, in denen das Wasser sich beruhigt und plötzlich der Schein sich bildet. Das harte, trockene Venedig steigt aus einer platten Spiegelung, eine auf einen Spiegel gestellte Stadt …
Die Architektur ist nicht wahnsinnig, sie hat alle Sinne beisammen, ihre Vernunft ist die Schwerkraft, ihre Einsicht die G erade, die man zieht, die G erade, der kürzeste Weg von einem Punkt zum andern. Ihre L eichtheit ist die besiegte Schwerkraft. Die Mauer steht, weil sie vernünftig ist. B eschränktes, beschränktes Denken, Reize geometrischer Denkweise.«
Jean-Paul Sartre (1905 – 1980)
Jean-Paul Sartre sah die Architektur im Spiegel und entdeckte darin Vernunft, Einsicht und Geometrie. Eines Tages erinnerte ich mich der Sätze des Philosophen, als ich auf dem Bahnhofsvorplatz einer norddeutschen Stadt die Wartezeit auf einen verspäteten Zug überbrückte. Dort wurde mein Blick nämlich von der Spiegelwelt in einem Wasserbecken gefangen (oberes Foto). Ein nicht ungewöhnliches Bild: Ein hell erleuchtetes Gebäude wird im ruhigen Wasser wie in einem auf dem Boden liegenden Spiegel reflektiert. Aber etwas stimmte nicht. Ist die Architektur, zumindest die gespiegelte, doch wahnsinnig geworden?
Spiegel sollten eigentlich naturgetreue Abbilder von Gegenständen liefern. In Spiegelbildern bleiben Längen und Winkel erhalten, nur die Seiten der Objekte sind miteinander vertauscht. Doch der Sonnenreflex in der zweiten Fensterreihe des Gebäudes strahlt in der Spiegelwelt des Wassers aus einem anderen Stockwerk heraus, nämlich dem nächst höheren! (Mit „höher“ wollen wir auch in der Spiegelwelt das beschreiben, was näher an Spiegeldach und Spiegelhimmel liegt.)
Schon für sich genommen ist dieses Phänomen recht erstaunlich. Der Mathematiker Lewis Carroll, Autor von „Alice im Wunderland“, hätte seine Freude daran gehabt. Und für Alices Katze wäre es möglicherweise ein Hinweis gewesen, dass in der Spiegelwelt doch einiges anders ist: „Wie gefiele dir das, Mieze“, fragt Alice leicht drohend ihre kleine schwarze Katze, „wenn du in dem Haus hinterm Spiegel wohnen müsstest? Ob sie dir dort auch deine Milch zu trinken gäben? Aber vielleicht schmeckt Spiegelmilch nicht besonders gut …“
Die naheliegende Frage lautet: Muss der Sonnenreflex, den wir im realen Fenster sehen, tatsächlich auch aus dessen Spiegelbild strahlen? Überprüfen wir diese stillschweigende Voraussetzung – eine geradezu hartnäckige Intuition, wie sich im Gespräch mit Mitmenschen leicht feststellen lässt –, indem wir uns mit Sartre von den „Reizen geometrischer Denkweise“ verführen lassen. In Abbildung 2 ist die Situation skizziert. Sonnenstrahlen treffen parallel auf die Fenster und werden spiegelnd reflektiert. Das Licht der im oberen Fenster reflektierten Sonne fällt dabei gemäß dem Gesetz „Einfallswinkel gleich Reflexionswinkel“ ins Auge des Beobachters. Das im darunter liegenden Fenster reflektierte Licht fällt hingegen zunächst auf die Wasseroberfläche und wird erst von dort ins Auge reflektiert. Wie bei jeder Spiegelung kann das Auge von dieser Umlenkung des Lichts nichts „wissen“. Das zweimal reflektierte Sonnenlicht scheint daher von einem Ort zu stammen, der auf der geradlinigen Verlängerung des eintreffenden Lichtstrahls liegt.
Entgegen unserer Intuition muss es zwangsläufig so aussehen, als käme der gespiegelte Reflex aus dem „falschen“ Fenster. Aber – anders als es Bild 1 zeigt – nicht aus einem höheren, sondern aus einem niedrigeren Fenster der Spiegelwelt. Eine gewisse Beruhigung angesichts dieser scheinbaren Differenz zwischen Realität und physikalischer Beschreibung erfährt man, wenn man auch diese Situation tatsächlich beobachtet (Bild 3)!
Statt die Verwirrung weiter wachsen zu lassen, ziehen wir erneut die Geometrie zu Rate. Welche Wege müssten denn Lichtstrahlen einschlagen, damit die in Blld 1 beobachtete Situation zustande kommt? Offenbar müssten die von den Fenstern reflektierten Lichtstrahlen einander überkreuzen, denn nur so kann es zu einer „Vertauschung“ der Reflexe kommen (Skizze 4). Andererseits wissen wir bereits aus der Schule: Lichtstrahlen, die aus derselben Richtung kommen und an senkrechten Spiegelflächen reflektiert werden, werden einander nie überschneiden.
Nach Lage der Dinge bleibt uns nun nichts anderes, als unsere stillschweigenden Voraussetzungen abermals zu überprüfen. Wenn wir nicht gleich die Gesetze der Lichtausbreitung in Zweifel ziehen wollen, ist es am einfachsten anzunehmen, dass die Fenster möglicherweise doch nicht senkrecht orientiert sind. Und siehe da, plötzlich ist es nicht mehr schwierig, sich die Situation vorzustellen: Das spiegelnde Fenster in Foto 1 steht offenbar „auf kipp“, ist also gegen die Senkrechte ins Innere des Gebäudes geneigt (siehe Grafik 4).
Wer noch zweifelt, kann das Ergebnis sogar überprüfen. Betrachten wir Foto 1 im Licht der gesammelten Erkenntnisse erneut, erkennen wir am oberen Ende des ansonsten überbelichteten Fensters einen rudimentären Schattenstreifen. Genau dieser Schattenstreifen tritt auch bei anderen Fenstern in der oberen Reihe auf: bei jenen nämlich, die auch einen seitlichen Schatten aufweisen, der sich wiederum unmittelbar mit ihrer Kippstellung erklären lässt. Man sieht: die Lösung des Problem erfordert nicht die Kenntnis der physikalischen Gesetze, sondern auch das kreative Vermögen, stillschweigende Voraussetzungen zu erkennen und zu überwinden.
Was wir hier mit einfachen geometrischen Mitteln an einer Fensterfront erprobt haben, ist grob gesehen dem ähnlich, was auch Oberflächenphysiker tun. Sie bestrahlen eine unbekannte Oberfläche mit Licht oder Teilchen einer bekannten Quelle. Die Modifikation der Strahlung in Form der registrierten Reflexe gibt ihnen dann Aufschluss über die mikroskopische Beschaffenheit der Oberfläche. Anders als im vorliegenden Fall haben sie jedoch nicht die Möglichkeit, sich von der Korrektheit ihrer Schlussfolgerungen durch einen direkten Anblick zu überzeugen.
Die ästhetischen Reize, die in einer durch Spiegelung verdoppelten und variierten Welt liegen, erfasst das physikalische Denken zwar nicht. Und Assoziationen wie sie Sartre angesichts der Spiegelungen im Wasser anstellt, liegen ihm ebenfalls fern. Aber gerade durch diese Beschränkung, die sich die Physik im Übrigen selbst auferlegt hat, lässt es uns zu Ergebnissen gelangen, die anders nicht zu haben sind. Und das ist mindestens ebenso faszinierend. Zumal unser Erkenntnisgewinn über die konkreten Beispiele hinausgeht.
Auch wenn es vor wenigen Minuten noch kaum möglich erschien, sollte es im Lichte der vorangegangenen Ausführungen dem aufmerksamen Leser gelingen, das in der Aufnahme rechts (Bild 5) dargestellte „Rätsel“ zu lösen.
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http://www.spektrum.de/alias/schlichting/spiegelwelt-mit-fehlern/1116468
Schlichting, H. Joachim. In: Physik in unserer Zeit 39/2 (2008) 98
Real- und Spiegelwelt sind normalerweise gut auseinander zu halten.
Doch manchmal kann ein ungewöhnlicher Kontext zu irritierenden
Situationen führen.
Suhr, Wilfried; Schlichting, H. Joachim. In: V. Nordmeier; A. Oberländer (Hrsg.): Didaktik der Physik- Kassel 2006. Berlin: Lehmanns 2006
An transparenten Schichten können in Natur und Alltag auf eine Weise Interferenzfarben entstehen, die im Laufe der Physikgeschichte zwar bekannt war, aber heute fast vergessen ist. Denn diese Farben bleiben dem absichtslosen Blick meist verborgen. Kennzeichnend ist, dass sie auch an Schichten von mehreren Millimetern Dicke entstehen können. Die grundlegenden Eigenschaften dieses Phänomens der sogenannten Quételetschen Ringe lassen sich mit so einfachen Mitteln, wie einer Lichtquelle, einem Schirm und einem Kosmetikspiegel sehr eindrucksvoll demonstrieren und untersuchen.
Schlichting, H. Joachim. In: Physik in der Schule 37/3, 210 (1999).
Spiegel stehen normalerweise für die originalgetreue Reproduktion der Realität. Andererseits weiß man, daß das Spiegelbild nicht mit dem Original zu verwechseln ist. Es hat keine Substanz. Außerdem vertauscht es Links mit rechts, so daß man sich im Spiegel nie so sieht, wie andere einen sehen. Es sei denn man betrachtet sein eigenes Spiegelbild im Spiegel. Spiegel verändern die Wirklichkeit.
Schlichting, H. Joachim. In: Physik in der Schule 36/10, 398 (1998).
Die Welt in ihren Teilen und als Ganzes wird immer wieder als Spiegel des Menschen bzw. des menschlichen Bewußtseins angesehen: Diese große Welt ist der Spiegel, in den wir hineinschauen müssen, um uns von Grund auf kennen zu lernen (Michel de Montaigne)…
Schlichting, H. Joachim. In: Physik in der Schule 36/6, 238 (1998).
Wohl kaum ein Gegenstand hat den über sich und die Welt nachdenkenden Menschen tiefer beeindruckt als der Spiegel. In realen und metaphorischen Zusammenhängen begegnet er Spiegel, in denen er sich oder die Welt gespiegelt wiederfindet. Obwohl die Spiegelung im Rahmen der Physik als optisches Phänomen entzaubert werden konnte, ist sie auch heute noch oft von jenem geheimnisvollen Zauber umgeben, der in Märchen und anderen Erzählungen weiter lebt.
PDF: Es schauet der Spiegel den Menschen nicht an (Clemens von Brentano)