Hier bildet ein Fenster ein gegenüberliegendes zweites Fenster durch spiegelnde Reflexion ab. Allerdings tut es das nicht so wie man es von einer ordentlichen Spiegelung erwarten würde. In den gespiegelten Bruchstücken ist kaum das Abbild eines normalen Fensters zu erkennen. Vielmehr wird es total verzerrt dargestellt, obwohl man dem spiegelnden Fenster keine entsprechenden „Anomalien“ ansieht. Sie sind aber da. Denn es handelt sich um ein doppelt verglastes Fenster, das offenbar geringe Deformationen aufweist, die man allerdings ohne diese Abbildung kaum erkennen würde.
Die Deformationen – eine der Scheiben ist nach innen, die andere nach außen gewölbt – kommen dadurch zustande, dass im luftdicht abgeschlossenen Hohlraum zwischen den beiden Scheiben ein Über- oder ein Unterdruck herrscht.
Da die Spiegelung an der hinteren Scheibe stets etwas lichtschwächer ist, weil bereits ein Teil des Lichts an der vorderen Scheibe reflektiert wurde, kann man einen Unterschied in der Helligkeit des gespiegelten gegenüberliegenden Fensters erkennen. Demnach fungieren die vorderen Scheiben als Wölbspiegel, die hinteren als Hohlspiegel.
Daraus lässt sich wiederum schließen, dass zwischen den beiden Scheiben ein größerer Luftdruck als der natürliche äußere Luftdruck herrscht. Und das setzt voraus, dass zum Zeitpunkt der Herstellung des Fensters ein größerer Außendruck vorhanden war als zum Zeitpunkt dieser Fotografie. Daraus folgt entweder, dass der Herstellungsort tiefer gelegen war als das Fenster (höherer Luftdruck). Oder aber zum Zeitpunkt der Aufnahme herrschte wetterbedingt ein sehr niedriger Luftdruck. Auf diese Weise kann ein Fenster eine ganze Geschichte „erzählen“, man muss nur genau hinhören – pardon: hinschauen.
Habe ich das Bild jetzt physikalisch entzaubert? Sicher nicht, denn die zauberhafte Struktur bleibt erhalten. Vielleicht, so denke ich manchmal, wird sie durch die Beschreibung überhaupt erst bemerkt und dadurch bemerkenswert. Ich spreche in solchen Zusammenhängen gerne von einer Wiederverzauberung…
Erklärung des Rätselfotos des Monats Mai 2021
Frage: Wie kommt es zu der Miniaturabbildung
Antwort: Bei einer Teepause, in der ich ein Stück Kandis in den Tee fallen ließ, entstand eine Blase und ermöglichte es mir durch sie hindurch auf das Stück Kandis zu linsen. Dieses erschien nämlich deutlich verkleinert, so als ob man durch eine Zerstreuungslinse blickte. Wie kann das sein?
Da der Blase ohnehin nur eine kurze Lebensdauer beschieden war und die geselligen Umstände es unmöglich machten, der Sache vor Ort auf den Grund zu gehen, rekonstruierte ich die Situation später in einer Tasse mit Wasser, in das ich zur Entspannung einem Tropfen Spülmittel gegeben hatte. Zur Erzeugung der Blase nahm einen Strohhalm zu Hilfe, mit dem ich auch noch die Blasengröße bestimmen konnte. Und anstelle des Kandis, legte ich eine Cent- Münze auf den Grund der Tasse.
Mit einer solchen Anordnung lässt sich schön verfolgen, dass die Münze wie ehemals der Kandis durch die Blase hindurch betrachtet tatsächlich verkleinert erscheint und zwar umso mehr je kleiner die Blase ist.
Zur Erklärung muss man sich zunächst klarmachen, dass es sich bei der Blase um eine Halbblase handelt und selbst das stimmt nur ungefähr. Damit eine Blase überhaupt als solche existieren kann, muss der Innendruck größer sein als der Außendruck. Denn die Tendenz der Seifenhaut, sich zu einem kugelförmigen Tropfen zusammenzuziehen muss durch einen höheren Innendruck kompensiert werden. Dadurch wird nicht nur die Seifenhaut straff gehalten, sondern im Falle der auf dem Wasser driftenden Halbblase auch die Wasseroberfläche ein wenig eingedellt, sodass im Wasser so etwas wie eine konkave Linse entsteht.
Blickt man durch eine solche Zerstreuungslinse, so erscheinen die durch sie betrachteten Gegenstände – also hier die 1-Cent-Münze – verkleinert: Je kleiner die Blase und damit die Brennweite der von ihr geformten Linse, desto kleiner ist die Abbildung.
In der Abbildung ist die Blase wegen ihrer Transparenz nur indirekt zu erkennen, nämlich durch die tassenfarbene Spiegelung auf dem konkaven Rand der Blase und durch Interferenzfarben im Bereich des Spiegelbilds des lichtspendenden Fensters.
Eigentlich hatte ich es auf den Schatten eines nachdenklichen Menschen abgesehen und dabei die Spiegelwelt übersehen, ohne die das Foto des Schattens nicht zu haben war. Sie machte aus dem Foto ein Suchbild. Der Schattenmensch verschwindet fast vollkommen in der Überlagerung von Spiegelbildern.
Das Ergebnis ist daher einerseits ein Zeichen für all das, was übersehen wird, wenn man seine Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Sache lenkt und andererseits für die Reichhaltigkeit der Welt, aus der unsere Augen nur so schöpfen könnten, aber es in der Regel nicht tun. Der Fotoapparat kann (noch) nicht auswählen, er registriert alles Optische und man wundert sich zuweilen über das Ergebnis. Das kann aber trotzdem interessant sein, weil man in Welten geführt wird, die in der Realität so nicht gesehen und auch nicht erwartet werden.
Auf einer (langwierigen) Konferenz wagte ich es nicht, meine Langeweile dadurch zu verraten, dass ich durch das Fenster auf das frische Grün dieses schönen Frühlingsmorgens blickte. Ich schaute stattdessen auf eines der glasgerahmten Bilder an der Wand, das direkt in meinem Blickfeld lag. Darauf war eine Frau mit einem Krug abgebildet, die mir – so verstand ich es – den Blick in die Natur gestattete.
P.S.: Das Foto machte ich, als alle gegangen waren.
Im Schatten, den das geschriebene Wort wirft, verbergen sich dessen Geschwister. Man ahnt ihre Körper, Gesichter, Gerüche und Stimmen, so wie man eine Familienähnlichkeit bei flüchtig Bekanntem zwar ausmachten, aber nicht orten kann. Folglich ist der ungeschriebene Text immer länger – aber nicht vollständiger – als der geschriebene. Fehlt das gegenseitige Verweisen von Hell und Dunkel, Ausgesprochenem und Unausgesprochenem aufeinander, das heißt, geht es um einen ganz und gar ausgeleuchteten Text, dann gibt es auch nichts mehr zu verstehen.*
Als ich vor einigen Jahren an einem heißen Sommertag ein nicht sehr anspruchsvolles Buch las, schien die Sonne von hinten durch die Buchseite hindurch, die ich gerade auf der Schattenseite las. Es war in dieser Lage nicht zu verhindern, dass der Text spiegelverkehrt als Schatten der Buchstaben und Worte hindurchschimmerte und ich mich dabei erwischte, den umseitigen Text entziffern zu wollen. Das war schwierig aber auch herausfordernd. Interessanterweise mischte sich die Bedeutung der stückweise entzifferten spiegelverkehrten Schattenworte in die Bedeutung des normal gelesenen Textes mit ein. Daraus gingen teilweise kreative und inspirierende Einsichten hervor, die vom Autor des Buches nicht im Entferntesten intendiert waren. Daran wurde ich erinnert als ich das anregende Buch* von Dagmar Leupold las.
* Dagmar Leupold. Destillate. Frankfurt 1996, S. 53
Im 46. Stockwerk eines Hochhauses, in dem die immer wieder unter großen akrobatischen Einsatz (jedenfalls kam es mir so vor) geputzen Fenster, hat man einen einen guten Durchblick und damit auch einen weitreichenden Überblick über die Megastadt. Damit ist jedoch bei weitem kein Einblick verbunden in die Maschinerie, die all dies in Gang hält. Wendet man den Blick, so verliert man sich leicht in Spiegelungen, die den vorher noch als deutlich und klar empfindenen Durchblick wie ein Anblick einer anderen Welt erscheinen lassen. Man ist sehr schnell müde, die Überlagerungen von realen und virtuellen Eindrücken zu ordnen und nimmt es und sich selbst mittendrin schließlich als eine Art Kunstwerk wahr.
Beim Blick durch ein altes Kellerfenster zeigt sich zunächst noch sehr diskret, mehr als eine Annäherung an das Kommende ein zartes hoffnungsvolles Grün. Alles noch mit Vorbehalt; der nackte Boden, der demnächst die ersten Pflanzen aufnehmen soll, wartet im Hintergrund. Das Grün ist vorerst eine bloße VorSpiegelung.
Erklärung des Rätselfotos des Monats Dezember 2020
Frage: Wie kommt es zu der doppelten Abbildung der Fenster?
Antwort: Obwohl das Phänomen durch kluge Kommentare bereits im letzten Monat weitgehend geklärt wurde, fasse ich noch mal zusammen und vertiefe in einigen Aspekten.
Die Aufnahme wurde im Flur eines altehrwürdigen Gebäudes gemacht. An den Abbildern der Fenster kann man erkennen, dass sie noch einfach verglast sind. Doppelt verglaste Scheiben liefern im Allgemeinen Lichtkreuze im Lichtkreis.
Von jeder durch die tiefstehende Sonne beleuchteten Scheibe wird ein Teil auf die Wand und eines auf den Fußboden projiziert, sodass das Licht durch diffuse Reflexion in unserer Augen gelangt. Der auf die Wand projizierte Teil wird außerdem vom glatten Fußboden spiegelnd reflektiert. Es sieht so aus, als würde der vom Fußboden gespiegelte Teil den diffus an der Wand reflektierten Teil zu einem Bild des gesamten Fensters ergänzen. Das ist jedoch nicht der Fall. Denn das Spiegelbild unterscheidet sich von einer Projektion dadurch, dass es je nach dem Standpunkt des Beobachters eine andere Lage annimmt. Außerdem ist zu erkennen, dass das Spiegelbild sich in der Spiegelwelt unterhalb des Bodens befindet.
Der Fliesenboden ist offenbar so glatt, dass er wie ein Spiegel wirkt. Er ist allerdings kein perfekter Spiegel. Denn ein solcher würde nicht als Projektionsfläche taugen – es würden also keine Projektionen der Fenster auf dem Boden auftreten. Der Boden ist aber gleichzeitig auch so matt, dass das auffallende Licht außerdem diffus reflektiert wird. Letzteres erkennt man auch an der gelblichen Farbe des Fußbodens.
Wie ist es möglich, dass die Köpfe der Personen, die hier an einem Gewässer promenieren in der unteren Hälfte hinter Zweigen verschwinden, obwohl sie in der oberen Hälfte des Fotos nicht zu sehen sind?
(zum Vergrößern klicken)
Der Fliegende Holländer, ein Geisterschiff, das über die Jahrhunderte hinweg immer wieder gesichtet wurde, hat zahlreiche Dichter zu größeren und kleineren literarischen Gestaltungen animiert. Die Sage, manchmal auch als Fabel erzählt, ist überdies mehrfach musikalisch verarbeitet worden, wovon die Oper Richard Wagner aus dem Jahre 1842 wohl das bekannteste Werk ist. Auch in der Kunst und in jüngerer Zeit in Film und Fernsehen findet der Sagenstoff immer wieder Beachtung.
In dem Maße wie objektive Methoden der Dokumentation zur Verfügung stehen, werden die Sichtungen seltener. Die schriftlich verbürgte letzte Sichtung erfolgte 1959.
Meine eigene Sichtung erfolgt erst kürzlich und ist in diesem Foto zu sehen. Die roten Segel sind allerdings inzwischen etwas verblichen…
Die Sage und die Umstände, die zu den Sichtungen führten lassen physikalisch gesehen Fata-Morgana-Erscheinungen bzw. Luftspiegelungen als wahrscheinliche Ursachen vermuten. Luftspiegelungen sind wegen der oft großen Temperaturunterschiede auf dem Meer sehr häufig zu sehen. Sie gaben insbesondere in Zeiten, in denen die physikalischen Hintergründe dieser beeindruckenden Erscheinung noch nicht bekannt waren, Anlass zu phantasiereichen Deutungen.
Um keinen falschen Eindruck zu erwecken – das obige Foto ist zwar auch eine Spiegelung, aber keine Luftspiegelung.
Erklärung des Rätselfotos des Monats Juni 2020
Frage: Wie kommt der Schatten in den Schatten?
Frage: Wie kommt der Schatten in den Schatten?
Antwort: Eines Abends bei schon tiefstehender Sonne entdeckte ich den eigenen Schatten innerhalb eines fremden Schattens, dem eines Gebäudes. Er war verständlicherweise allein schon aus Gründen des Kontrasts nicht besonders ausgeprägt aber gut sichtbar. Er fiel mir zunächst nicht direkt auf, sondern erst aufgrund der Koordination der Bewegungen meines vor mir hergeschobenen Erstschattens, mit zunächst nur schemenhaft aus dem Augenwinkel bemerkten Bewegungen innerhalb eines anderen Schattens.
Des Rätsels Lösung ist nicht mystisch, sondern physikalisch. Ich brauchte mich nur umzudrehen, um den Ursprung der Lichtquelle zu sehen, die meinen Zweitschatten bewirkte. Ich blickte in ein blendendes Fenster eines relativ weit entfernten Gebäudes. Das kommt insbesondere bei tiefstehender Sonne nicht selten vor. Seltener ist es jedoch, dass der Zweitschatten auf eine Projektionsfläche geworfen wird, die nicht von der wesentlich heller strahlenden Sonne direkt beleuchtet wird. Da würde die geringfügige Aufhellung durch das vom Fenster reflektierte Licht nicht zu sehen sein. Im vorliegenden Fall wird durch den Fensterreflex ein direkter Schatten etwas aufgehellt, sodass der Schatten meiner im Wege stehenden Person einigermaßen deutlich zu sehen ist.
Leider konnte ich aus meiner Position die Figur auf der Spitze des Doms (Gendarmenmarkt in Berlin) nicht ganz auf das Foto bekommen. Mir kam eines der unteren Fenster zu Hilfe, das die Ergänzung besorgte. Glück muss man haben.
Das Reflexionsgesetz wird dadurch nicht außer Kraft gesetzt. Im Gegenteil, das Foto zeigt, dass es gilt. 😉
Während der Besichtigung einer Grotte auf der Kanareninsel Lanzarote entfernte ich mich ein wenig von der geführten Gruppe und blieb erschreckt vor einem tiefen Abgrund stehen. Ich beugte mich vorsichtig über den Rand und war angesichts der Tiefe der vor mir liegenden Schlucht der Meinung, dass man an dieser Stelle unbedingt eine Barriere und einen Hinweis auf die Absturzgefahr hätte anbringen müssen. In dem Moment rief mich auch schon der Touristenführer ärgerlich zurück und kam mir mit dem Rest der Gruppe entgegen. Er nutzte noch einmal die Gelegenheit der ganzen Gruppe einzuschärfen doch zusammenzubleiben, weil man sich ansonsten unnötig in Gefahr begeben würde.
Dann erzählte er einiges über die angebliche „Geschichte“ dieser Schlucht und endete mit der Frage, wie tief sie wohl sei. Einige beugten sich vorsichtig über den Rand und gaben ihre Schätzungen ab. Dann schlug jemand vor, eine Münze oder ein Steinchen in die Schlucht zu werfen, die Sekunden bis zum Aufschlag zu zählen und daraus die Tiefe zu berechnen. Ich vergegenwärtigte mir auch schon die Formel des freien Falls für die Berechnung: Die Fallstrecke ist gleich 5 mal der gezählten Sekunden zum Quadrat. Doch so weit kam es nicht. Denn als die erste Münze in den Abgrund fiel, hörte man nur ein leichtes Platschen und der Abgrund zerbrach in einem Farbengewirr. Denn er bestand aus einer nur drei Zentimeter dicken Wasserschicht, in der sich das bonbonfarben ausgeleuchtete Gewölbe der Grotte spiegelte. Erst durch die Zersplitterung des glatten Wasserspiegels ging auch unsere Illusion zu Bruch.
Man kennt solche Spiegelungen auch aus dem Alltag, wie im unteren Bild zu sehen ist. Aber keiner käme auf die Idee, darin einen auf dem Kopf stehenden Kirchturm in einer tiefen Schlucht zu sehen. Der Kontext macht hier wie so oft den Text: Die sofort zu erkennende Ähnlichkeit mit einem realen Gebilde verrät die Spiegelillusion. Die Gewölbestruktur in der Grotte ist aber aufgrund ihrer Unregelmäßigkeit und Unvertrautheit nicht etwas, das man sofort wiedererkennt, wenn es denn zum zweiten Mal und dann auch noch auf dem Kopf stehend auftritt. In den Wasserspiegel blickend war nicht auf den ersten Blick zu erkennen, dass es sich hier nur um eine umgekehrte Abbildung der über uns befindlichen Grottendecke handelte. Hinterher war man natürlich schlauer und konnte durch einen direkten Vergleich von Original und Abbild die Spiegelung erkennen.
Das Beispiel macht einmal mehr deutlich, dass wir durch Spiegelungen leicht getäuscht werden können, weil diese bei einem guten Spiegel ein täuschend echt wirkendes Abbild des Originals darbieten. Zwar wird von der Wasseroberfläche nur ein Bruchteil des auftreffenden Lichts reflektiert, so dass bei einer Pfütze oder einem See die Spiegelungen in den meisten Fällen durch das wesentlich intensivere Streulicht der Umgebung überstrahlt werden. Aber in bestimmten Fällen, vor allem dann wenn der Boden unter der Wasserschicht dunkel ist und kaum Licht reflektiert und die gespiegelten Gegenstände hell sind, kann das Spiegelbild in Konkurrenz zum Original treten.
Vielleicht träumt die Eine oder der Andere vom fernen Strand, wenn er in der Alltagshektik über das Pflaster eilend überhaupt dazu kommt, den entsprechenden Gedanken Raum zu geben. Aber Raum braucht es dazu gar nicht so viel. Als ich nämlich kürzlich nach einem Regenschauer vom Wetter genervt durch die Stadt laufe, um der nächsten undichten Wolke zu entgehen, trifft mich – ich hätte beinahe gesagt, wie aus heiterem Himmel – ein verheißungsvoller Anblick, der sich ganz diskret in einer Wasserlache entfaltet. Weiterlesen
Auch wenn es in dieser unserer (un)vollkommenen Welt keine perfekte Symmetrie gibt, erkennen wir dies nur dadurch, dass wir uns auf die Idealgestalt der Symmetrie beziehen. Die gestörte, gebrochene oder sonstwie verfehlte Symmetrie ist das Reale. Ohne Symmetriebrüche gäbe es weder die Welt noch uns, die wir so großspurig darüber sinnieren. Frank Close (*1945) drückt das folgendermaßen aus: „Es mag seltsam klingen, doch heute, fünf Milliarden Jahre nachdem die erste Fusion in der Sonne stattfand, gibt es uns und andere Lebensformen auf der Erde nur, weil das W (ein Elementarteilchen, HJS) so massiv und das Photon masselos ist. Wieder einmal müssen wir erkennen, dass unsere Existenz ganz wesentlich von einer gebrochenen Symmetrie abhängt. Bei Abkühlen des Universums wurde die Symmetrie durch die unterschiedlichen Massen der Kraftübermittler zerstört.“*
Auch vom ästhetischen Standpunkt aus zieht man meist den (manchmal kaum merklichen) Symmetriebruch vor. Allerdings gilt hier wie dort: „Asymmetrie ist, ihren kunstsprachlichen Valeurs nach, nur in Relation auf Symmetrie zu begreifen“**.
Die vorliegende Fotografie eines Straßenzugs ist so etwas wie eine grobe Visualisierung dieses Sachverhalts, bei der ich mich soweit es ging der Symmetrieachse annäherte. Das führte zusätzlich dazu , dass das an der Glasscheibe reflektierte Licht maximal und die Störung durch Licht von innerhalb des Gebäudes minimal wurde (Fresnelsche Gesetze).
Nur wenn man genau hinschaut, bemerkt man einige Strukturen, die auf Gegenstände hinter der Scheibe verweisen; aber erkennen, worum es sich dabei im Einzelnen handelt, kann man trotzdem nicht. Am meisten fällt noch jene dunkle Linie hinter der Scheibe auf, die keine Entsprechung auf der realen Seite hat.
Da es sich um keinen gewöhnlichen Anblick handelt – wer schmiegt sich schon an eine kalte glatte Scheibe, um in dieser Stellung den Blick auf die gewohnte Welt zu nehmen – hat das Foto etwas Künstl(er)i(s)ches. Denn so etwas bewundert man allenfalls auf Gemälden. Dabei denke ich zum Beispiel an Richard Estes (*1932), der ähnliche Szenen fotorealistisch malte. Obwohl er als Maler die Möglichkeit gehabt hätte, perfekt symmetrische Situationen zu malen, konzentrierte er sich besonders auf die asymmetrischen Aspekte.
Ich hätte dieses Foto bestimmt nicht gemacht, wenn es eine perfekte Symmetrie darstellte, denn im weitesten Sinne des Wortes bedeutet Symmetrie nichts anderes als Wiederholung des Gleichen. Das wäre mir aber zu langweilig gewesen.
*Frank Close. Luzifers Vermächtnis. München, 2002
** Theodor W. Adorno. Ästhetische Theorie. Frankfurt 1970
Möwen sah um einen Felsen kreisen
Ich in unermüdlich gleichen Gleisen,
Auf gespannter Schwinge schweben bleibend,
Eine schimmernd weiße Bahn beschreibend,
Und zugleich im grünen Meeresspiegel
Sah ich um dieselben Felsenspitzen
Eine helle Jagd gestreckter Flügel
Unermüdlich durch die Tiefe blitzen.
Und der Spiegel hatte solche Klarheit,
Daß sich anders nicht die Flügel hoben
Tief im Meer, als hoch in Lüften oben,
Daß sich völlig glichen Trug und Wahrheit. Weiterlesen
Man wird oftmals sehen,
wie aus einem Menschen drei werden,
und alle ihm folgen:
und häufig verläßt sie gerade dieser eine,
der ähnlichste
Leonardo da Vinci (1452 – 1519)
Die interessantesten Schatten kann man bei tiefstehender Sonne in Städten beobachten, wenn die Fensterfronten zu sekundären Lichtquellen werden und dem kräftigen Sonnenschatten eine etwas herabgemilderte Variante entgegen halten. Weiterlesen
Aus der Betrachtung dieses Fensters kann man einige Schlussfolgerungen ziehen, die der harmlose Anblick zunächst kaum vermuten lässt. In ihm spiegelt sich – nein, kein symmetrisch gespiegelter Kopf mit Bowler Hut – sondern die Giebelverzierung eines altehrwürdigen Gebäudes. Man sieht die Spiegelung nicht nur einmal, sondern gleich dreimal, sich gegenseitig überlagernd. Das lässt darauf schließen, dass es sich um ein Isolierglasfenster mit drei Scheiben handelt. Und die haben es in sich, vor allem optisch. Weiterlesen
Mit Spiegeln kann man unendlich große virtuelle Räume schaffen – instantan, geräuschlos und ohne die Umwelt zu belasten. Das ist beeindruckend! Ein durch Spiegelung geschaffener Raum ist im Idealfall (wenn sich der Beobachter ganz klein macht, um auf der Symmetrieachse zu sitzen) rein optisch vom realen Raum nicht zu unterscheiden. Mit den dadurch gegebenen Möglichkeiten experimentieren die Künstler schon von jeher. Weiterlesen
Eigentlich wollte ich die Seerosen im Teich fotografieren. Aber dann wird meine Aufmerksamkeit auf ein veritables Geplänkel en miniature gelenkt. Zwei winzige Wasserläufer umschwänzeln einander wie im richtigen Leben. Meiner Einschätzung nach müsste es sich den Vorurteilen entsprechend bei dem kleineren Exemplar um das Weibchen handeln, denn es weicht immer mal wieder ein Stück zurück, wenn er zu aufdringlich wird, entfernt sich aber auch nicht zu weit und wartet offenbar, bis er wieder herankommt. Inzwischen berühren sie sich bereits mit den Beinchen. Weiterlesen
Auch am 3. Advent widmen wir uns einer Kerzenflamme. Eine Kerze brennt in einem rotgetönten Glas. Mehrere „Flammen“ zeugen davon auf mehr oder weniger direkte Weise. Obwohl man die weiße Kerze und die Originalflamme durch das Glas hindurch sehen kann, schauen sie durch das getönte Glas betrachtet unterschiedlich verändert aus. Die Kerze hat einen rötlichen Teint angenommen, die Flamme ist nach wie vor weiß. Ist sie dann noch original oder nur noch originell? Ich würde sagen, originell, denn auch das Licht der Flamme wurde durch das Glas gefiltert. Grund für die scheinbare Wirkungslosigkeit des Rotfilters ist ein Wahrnehmungseffekt, der mutatis mutandis auch für die Kamera gilt. Die Originalflamme ist vergleichsweise intensiv. Da sich die Pupillen- bzw. die Blendenöffnung der Kamera nicht nur auf die helle Flamme, sondern auch auf die wesentlich dunkleren Gegenstände in der Umgebung einstellt, werden die Rezeptoren so stark angeregt, dass die vergleichsweise schwache Rottönung des Glases im Vergleich zum dominierenden Weiß der brennenden Flamme keinen merklichen Einfluss mehr hat auf die Farbwahrnehmung (Irradiation, Blooming). Man erkennt auch im Vergleich zur gespiegelten weißen Flamme, dass jede Strukturierung in Form von dunkleren Partien überstrahlt wird. Beim wesentlich schwächeren Streulicht der Kerze macht sich hingegen die Rotfilterfunktion des Glases deutlich bemerkbar. Weiterlesen
Auch wenn wir uns alle daran gewöhnt haben und es daher kaum mehr wahrnehmen, gehört es zu den eindrucksvollsten Alltagserscheinungen des Lichts: Transparente Fenster werden mit Abbildern der Außenwelt tapeziert. Diese Spiegelbilder der hell erleuchteten Umgebung machen den Blick ins Innere meist unmöglich. Und das, obwohl nur wenige Prozent des auf die Scheiben einfallenden Lichts spiegelnd reflektiert wird. Der überwiegende Teil fällt durch die Scheiben hindurch auf die Gegenstände in den Räumen. Das von ihnen wieder abgegebene, durch die Fenster wieder nach außen gestrahlte Licht ist aber meist so schwach, dass es vom gespiegelten Licht überstrahlt wird. Weiterlesen
Im Gasometer von Oberhausen kann man zurzeit unter der vielsagenden Überschrift „Der schöne Schein“ eine eindrucksvolle Ausstellung erleben. Im unteren Bereich des knapp 120 m hohen und 60 m breiten Stahlzylinders werden bekannte Meisterwerke gezeigt. Es handelt sich zwar um (gute) Reproduktionen, dafür sind sie in der Regel – den Dimensionen der Umgebung angemessen – wesentlich größer als die Originale. Man kann sie daher aus einer ungewohnten Perspektive wahrnehmen und sie dank ihrer engen visuellen Nachbarschaft miteinander vergleichen und in kreativer Weise zueinander in Beziehung setzen. Dadurch können Assoziationen ausgelöst und Gedanken in Gang gesetzt werden, die ansonsten kaum möglich wären. Weiterlesen