Was es mit diesem Foto auf sich hat erratet ihr nicht. Es ist einfach zu abwegig. Ich hatte einige winzige Kugellagerkugeln (merkwürdiges Wort) in einer alten Filmdose aufbewahrt. Als ich sie benutzen wollte, merkte ich plötzlich, dass ich von einigen Kugeln beobachtet wurde und zwar durch mein Spiegelbild, das mich hier mehrfach miniaturisierte (auch eine Form der Marginalisierung).
Aber so wie ich es sah, kann ich es hier leider aus Gründen der Beschaffenheit der Welt nicht zeigen – der Fotoapparat drängt sich mit ins Bild und zwar sehr prominent. Das ist übrigens auch philosophisch gesehen ein interessanter Befund: So wie man sich im Spiegel sieht, kann man von keinem Anderen gesehen werden.
Außerdem ist das Spiegelbild nur in einem beschränkten runden Rahmen zu haben. Er wird durch die Spiegelung der matten Dose bewirkt, die den Rest der Kugeln mit einem grau-metallic wirkenden Überzug zu versehen scheint.
H. Joachim Schlichting. Spektrum der Wissenschaft 2 (2023)
Es sollte ›alles, was der Fall ist‹
in theoretischen Gewahrsam kommen
Hans Blumenberg (1920–1996)
Wenn in einer Reihe von Dominosteinen einer umfällt, kommt es oft zur Kettenreaktion. Wie schnell diese abläuft und ob es ohne Unterbrechung klappt, hängt von mehreren Parametern ab: dem Abstand der Steine, der Reibung zwischen ihnen und der Wechselwirkung mit dem Untergrund.
Die beim Dominospiel verwendeten Steine haben schon vor vielen Jahren auf eine ganz andere Art Karriere gemacht. Sie werden dabei nicht mehr nach Regeln aneinander gelegt, sondern in einer möglichst langen Reihe hochkant aufgestellt. Das geschickte Arrangieren findet seinen Abschluss darin, den ersten Stein gegen den zweiten fallen zu lassen. Das löst eine mehr oder weniger schnell laufende Kippwelle aus, die in einer Kettenreaktion durch das gesamte System läuft. Die Energie zum Antrieb des Spektakels stammt aus der Höhenenergie der Dominos.
or dem Start ist jeder Stein in einem stabilen Gleichgewicht. Sein Schwerpunkt befindet sich senkrecht über der Auflagefläche, und seiner Höhe entsprechend besitzt der Dominostein Höhenenergie. Um ihn über seine Kante zu kippen, muss der Schwerpunkt zwangsläufig zunächst ein wenig angehoben werden, bevor der Stein fällt. Dann wird die Höhenenergie in Bewegungsenergie umgesetzt. Diese überträgt sich teilweise beim Aufprall auf den nächsten aufgestellten Stein und stößt ihn um, wodurch nun der übernächste in der Reihe umgeworfen wird und so weiter. Ein Ziel besteht darin, durch geeignete Platzierung der Dominos eine möglichst schnelle Welle auszulösen. Dabei wird in der Regel stillschweigend unterstellt, die Reibung mit dem Boden sei so groß, dass die Steine darauf nicht wegrutschen. Das ist bei den üblichen Untergründen meistens gewährleistet.
Es kann aber auch anders sein. Das zeigt zum Beispiel ein mit einer Hochgeschwindigkeitskamera aufgenommenes Video des Youtubers Destin Sandlin. Die auf seinem Kanal »SmarterEveryDay« dokumentierten Experimente haben David Cantor von der Polytechnique Montréal und Kajetan Wojtacki vom Forschungsinstitut für Grundlagentechnologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau zu näheren Untersuchungen inspiriert. Mit Hilfe von Computersimulationen brachten die beiden Physiker Ketten von bis zu 200 Dominos zu Fall. Sie variierten den Abstand zwischen den Steinen und die Reibungskräfte mit dem Untergrund sowie untereinander.
Eine Erkenntnis daraus: Bei kleinem Abstand zwischen Dominos, wenn also die Kante des angetippten Steins weit oben auf den Nachbarn prallt, breitet sich die Welle nur langsam aus. Denn zum einen ist infolge der geringen Höhendifferenz die Bewegungsenergie noch klein. Zum anderen gleiten während des gemeinsamen Kippens die Stirnflächen lange aneinander, das heißt die Reibungskraft wirkt über eine verhältnismäßig große Strecke, wodurch sich viel Bewegungsenergie in Wärme umwandelt.
Ein rutschiger Untergrund bremst die Kettenreaktion zusätzlich, weil die Steine infolge des Aufpralls im bodennahen Bereich etwas nach hinten weggleiten. Umgekehrt wird die Welle schneller, wenn die Reibung mit dem Untergrund steigt und die Streckenverluste durch solch ein Wegrutschen sinken. In der Praxis haben die Dominos meist gute Bodenhaftung.
Ein interessantes Verhalten ergibt sich bei einem größeren Zwischenraum bis hin zur dreifachen Steindicke. Hier ist kein rückwärtiges Weggleiten mehr zu beobachten – und zwar unabhängig von der Stärke der Reibung mit dem Boden. Der niedrigere Aufprallpunkt kippt den Nachbarn zwar weniger wirkungsvoll um als es beim Anstoßen mit einem kürzeren Hebel oberhalb des Schwerpunkts der Fall ist. Die große Fallhöhe sorgt aber für mehr Bewegungsenergie, und das verhindert weitgehend das Zurückrutschen des Steins. Die beiden gegensätzlichen Effekte gleichen sich teilweise aus, und in einem gewissen Abstandsbereich bleibt die Geschwindigkeit der Welle etwa gleich.
Überschreitet in den Simulationen die Lückenbreite jedoch die dreifache Dicke der Steine und wird die Reibung zwischen den Dominos größer und mit dem Untergrund kleiner, wird die Welle instabil. Denn bei einer solchen Kombination gleiten die Steine mitunter so weit zurück, dass sie ihre Nachbarn nicht mehr erreichen.
Außerdem ändert sich die Fortpflanzungsgeschwindigkeit nur noch wenig, sobald der Reibungskoeffizient zwischen den Dominos einen bestimmten Wert überschreitet. Vermutlich gleiten die Steine dann ohnehin kaum noch aneinander ab, und es tritt eine Art Sättigungseffekt auf. Ähnliche Erscheinungen gibt es beim Einfluss der Reibung auf den Böschungswinkel eines stabilen Haufens aus Sand. Daher vermuten die beiden Forscher hinter dem Verhalten ein universelles Phänomen.
Die schnellste Wellenausbreitung gibt es mit einer Konfiguration, bei der die Dominosteine relativ dicht zusammenstehen und eine große Reibungskraft mit dem Boden sowie eine kleine untereinander ausüben. Cantor und Wojtacki ermittelten eine Höchstgeschwindigkeit von 2,25 Metern pro Sekunde.
Solche Simulationen helfen zwar, das Verhalten einer Dominokette bis hin zu praktisch nicht mehr realisierbaren Konstellationen auszuloten und zu visualisieren. Damit versteht man jedoch nicht zwangsläufig alle Aspekte der komplexen Dynamik besser. So gibt es beispielsweise im Video von Destin Sandlin seitliche Drehungen, bei denen einzelne Steine regelrecht aus der Reihe zu tänzeln scheinen, wenn sie nicht perfekt mittig angestoßen wurden. Solche Auswirkungen erfasst das virtuelle Kippen von Cantor und Wojtacki nicht. Das manuelle Aufstellen hat Experimenten im Computer noch manche faszinierenden Aspekte voraus. Mehr Spaß macht es ohnehin.
Quelle
Cantor, D., Wojtacki, K.: Effects of friction and spacing on the collaborative behavior of domino toppling. Physical Review Applied 17, 064021 (2022)
Es gibt verschiedene Aspekte des Gleichgewichts. Mechanisch gesehen ist der Steinstapel im Gleichgewicht, wenn sein Schwerpunkt senkrecht über der Unterstützungsfläche ist. Man erkennt sofort, dass diese Bedingung zwar notwendig ist, aber nicht hinreichend. Die Reibungskräfte zwischen den teilweise schräg aufeinander liegenden Steinen müssen so groß sein, dass die Steine nicht voneinander abgleiten. Man muss sich schon einige Mühe geben, um ein solches Gebilde hinzubekommen. Eine gewisse Zusatzstabilität ist auch noch erwünscht, damit die Steine nicht bei der kleinsten Erschütterung oder Luftbewegung ins Wanken geraten.
Ursprünglich aus den Bergen stammend, wo solche Steinmännchen in früherer Zeit als Wegmarkierung dienten, haben sie sich inzwischen auch ins Flachland verirrt bis an die Küste. Zumindest hier haben sie keine besondere Bedeutung. Die Motive für ihre Konstruktion sind vielfältig. Ich denke, dass sich bei den Konstrukteuren solcher Gebilde das Kindheits-Ich Bahn bricht, indem das irgendwann unterbrochene Spielen mit Bauklötzen, bei dem das Errichten hoher Türme eine besondere Herausforderung darstellte, hier eine vielleicht meditative Fortsetzung findet. Sicherlich spielen aber auch das haptische Erlebnis mit natürlich geformten Steinen spielerische umzugehen sowie ein gewisser Kunstsinn eine nicht zu unterschätzende Rolle.
H. Joachim Schlichting. Physik in unserer Zeit 50/3 (2019) S. 149
Strahlt man mit einem Laserpointer flach auf einen Spiegel, sodass das Spiegelbild auf einer senkrecht dazu aufgestellten Projektionswand erscheint, tritt eine ganze Serie von Reflexen auf, die sich einem nicht sofort erschließen.
Mit einem Laserpointer soll man eigentlich nicht spielen, jedenfalls nicht, wenn andere Personen in der Nähe sind. Dennoch ist der Reiz, auf diese Weise neuen Phänomenen auf die Spur zu kommen, sehr groß. Das früher beschriebene Phänomen, bei dem mit einem Laserpointer in eine fast leere Teetasse gestrahlt wurde, gehört ebenso dazu (Physik in unserer Zeit 2013, 44(2), 98) wie das Licht beugende Geodreieck (Physik in unserer Zeit 2012, 43(4), 198). Weiterlesen
Wer je ein Kind beseligt matschend im Sandkasten oder am Meeresstrand beobachtete, der weiß, daß in diesem glückhaft-tätigen Umgang mit dem wäßrigen Erdenbrei etwas Elementares geschieht. Unter dem Einfluß des Wassers und unter Mitwirkung der kindlichen Hände nimmt die Erde Gestalt an. Weiterlesen
„Wir leimten mit Stoffresten zwei Spiegel an einer Seite aneinander, daß sie aussahen wie zwei Buchdeckel. Anna brachte die Pappe mit dem schwarzen Strich. Dort stand unser Spiegelbuch aufgeschlagen; die Pappe taten wir so vor das Buch, daß das Scharnier der beiden Spiegel die Spitze eines Dreiecks bildete, die beiden auseinanderklaffenden Seiten kreuzten die schwarze Linie auf der Pappe. Die gemalte Linie und die beiden in den Spiegeln reflektierten Linien bildeten ein gleichschenkliges Dreieck. Anna spähte hinein. Ich begann, das Spiegelbuch langsam zu schließen, der Winkel verkleinerte sich, die schwarzen Linien bildeten plötzlich ein Quadrat. Anna starrte. Weiterlesen
Schlichting, H. Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 4 (2016), S. 46 – 47
Treffen flache Kiesel unter kleinem Winkel auf eine Wasseroberfläche, wirkt diese wie eine Sprungschanze. Das kann sich einige Male wiederholen. Weiterlesen