Als ich vor dieser aus einem Felsen mit einer überdimensionalen Säge herausgearbeiteten glatten Wand stand, hatte ich kurzfristig den Eindruck, das Steinpaar im rechten Drittel würde sich über den holprigen Hangweg von einer zur anderen Erhebung hüpfend nach links unten bewegen. Zugegeben – eine Täuschung. Aber vielleicht bewegt er sich ja tatsächlich, wenngleich dem Kontext entsprechend geologisch langsam 😉 , also mit einer Geschwindigkeit von derselben Größenordnung in der der Fels selbst entstanden ist. Man könnte die Szenerie aber auch als Dornröschenschlaf ansehen, das wäre wesentlich poetischer und würde die naturschöne Ansicht kongenial begleiten.
Nichts erscheint in solchem Maße vegetabilisch; nicht einmal, wo sie doch die Durchpausung wirklicher Pflanzen verewigen, die Spuren des Farns in der Steinkohle, der Meerlilie im Schiefer. Und trotzdem sind die Dendriten nie lebendig gewesen. Niemals bewässerte auch nur ein Tröpfchen ihre verzweigten Spitzengewebe, niemals schwärmten Samen aus geheimen Quersäcken in ihnen hoch, um sie ringsum zu vermehren. Ihr zartes Laubwerk wurde von einer blinden Kristallisation toter Stoffe, metallischer Oxyde in den Stein eingeschrieben. Doch ihre Büschel, ihr Gezweig erblühen so wunderbar, daß sich der Uneingeweihte mit Sicherheit darüber täuscht. Nur mit Mühe kann man ihn über seinen Irrtum aufklären.
Vorspiegelung sicherlich diese Salze, die das Pflanzlich so vollkommen simulieren, wobei sie allesamt dem Leben und dem Verderben enthoben sind. Trotzdem kann ich mich nicht der Überzeugung erwehren, daß diese falschen Farne, die mit der Pflanze nur das Aussehen gemeinsam haben und einer Welt angehören, die mit der ihrigen unvereinbar ist, auf ihre Weise den Geist belehren, daß es weit umfassendere Gesetzmäßigkeiten gibt, die gleichzeitig das Unbelebte wie das Belebte regieren. *
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Caillois, Roger: Steine. München: Hanser 1983, S. 30f.
Textilien, die man in bestimmter Weise „fallen“ lässt, „werfen“ Falten, die einem bestimmten „Fallprinzip“ gehorchen und vermutlich daher oft als ästhetisch ansprechend empfunden werden. An solche Textilien – Kleider, Vorhänge – musste ich denken, als ich in einer südfranzösischen Tropfsteinhöhle diese in vielen Jahrhunderten entstandenen Strukturen bewunderte. Sie sind Tropfen für Tropfen zur allmählichen Entfaltung gebracht worden, indem jeder Tropfen seinen Weg fand, bis er verdunstete und die gelösten Mineralien zurückließ. Man geht davon aus, dass die Tropfsteine nur etwa um einen Millimeter in zehn Jahren wachsen. Entscheidend ist dabei vor allem die Menge des tropfenden Wassers.
Gelenkt wird ein solcher langwieriger Prozess nicht durch einen innewohnenden Plan, sondern durch Zufall und Notwendigkeit. Dabei spielt das natürliche Prinzip, unter den gegebenen Umständen stets soviel Energie wie möglich an die Umgebung abzugeben, eine entscheidende Rolle. Würde der Prozess unter den gleichen Randbedingungen noch einmal ablaufen, so ergäbe sich zwar ein ähnliches aber nicht das gleiche Muster.
Lange hatte ich das Spiel des auf- und ablaufenden Wassers am Strand beobachtet. Der schwarze Stein in der Strömung erzeugte zu beiden Seiten eine Wirbelstraße, indem das zunächst zu beiden Seiten abgelenkte Wasser den drohenden Leerraum hinter ihm zu füllen versuchte. Diese Wirbel lösten sich ab und wurden durch neue ersetzt, sodass sich eine ganze Straße ergab. Leider hatte ich keine Kamera dabei, sodass ich die Bilder im Kopf speichern musste.
Stunden später als das Wasser bei Ebbe weiter unten seine Spielchen mit Steinen und anderen Hindernissen trieb, traf ich erneut auf den Stein. Er schien mich diesmal wie der Leibhaftige anzugrinsen, konnte jedoch durch die im Sand gezeichneten Abbilder der Wirbel vom Mittag nicht verbergen, dass er nur ein Stein und nichts als ein Stein war, durch den der Sand teilweise entmischt und gestaltet worden war. Oder hatte ich hier einen der Köpfe des Höllenhundes Kerberos vor Augen?
Die beiden Fotos sind keine 200 m voneinander entfernt aufgenommen worden und doch trennen sie geologische Zeiträume. Das linke Foto ist gerade mal ein oder zwei Tage alt, nachdem die Struktur durch einen Sandsturm aus dunklem und hellem Sand geschaffen wurde. Das rechte Foto deutet auf eine ganz ähnliche Entstehungsgeschichte hin, aber es ist kein lockerer Sand mehr sondern festes Gestein, das hier als Element eines Gehweges mit Mörtel verfugt wurde. Vermutlich ist es in einem nahe gelegenen Steinbruch gefördert worden, nachdem durch welche erdgeschichtlichen Vorgänge auch immer eine Versteinerung der ehemaligen Dünenlandschaft stattgefunden hat, die der heutigen sehr ähnlich gewesen sein muss.
Für mich ist es ein merkwürdiges Gefühl, diese beiden Strukturen, die sich offenbar nur in der Festigkeit unterscheiden, hier in trauter Gemeinsamkeit vorzufinden, als wäre es das Natürlichste von der Welt: Alles ist nach wie vor da, nur die Zeit ist weg.
Dieses Fundstück ist wirklich alt. Es stammt aus der Zeit als die Ammoniten lange vor den Menschen auf dieser Erde zugegen waren, bevor sie spätestens am Ende der Kreide vor etwa 66 Millionen ausstarben. Heute wird man durch Versteinerungen an sie erinnert. Ich freue mich immer wieder, wenn ich einen solchen Stein finde. Das vorliegende Exemplar hat einen Durchmesser von ca. 12 cm und hat lange auf der Erdoberfläche gelegen und war den Einflüssen von Wind und Wetter ausgesetzt, sodass die typische Spiralform kaum noch zu erkennen ist. Das Besondere an diesem Stein ist sein Lichtzeichen, weshalb ich ihn in diese dunkle Jahreszeit platziere.
Dieses Naturgemälde entdeckte ich auf einem mit Natursteinplatten gepflasterten Platz einer Stadt. Fast jede Platte war ein Unikat und könnte wie dieses fotografisch aus dem Kontext befreit als künstlerische Grafik durchgehen. Als ich das Foto machte, musste ich zwei Zigarrettenkippen beseitigen, die ich als äußerst störend empfand. Während dieser Aktion war ich dem skeptischen Blick einiger Passanten ausgesetzt. Das konnte ich gut verstehen, war ihnen doch dieses schöne Bild nicht aufgefallen.
Statt mit Steinen zu werfen, sollte man lieber einen Blick auf die Steine werfen. Bei diesem Kreuzstein (Foto) handelt es sich um das Mineral Chiastolith, einer speziellen Form des Andalusit, ein Aluminium-Mineral mit gekreuzten Einschlüssen aus Kohlenstoff. Sein atomarer Aufbau und seine Entstehung sind schon eher geeignet, sich den Kopf zu zerbrechen, ohne den Stein selbst dazu zu benutzten. Ich beschränke mich darauf, ihn zu zeigen, weil ich ihn als ein weiteres schönes Beispiel für den Variationsreichtum der Natur halte. Man hat fast den Eindruck, als wäre hier etwas aus Absicht entstanden.
Vor vielen Jahren – es muss so um 1980 gewesen sein – hatte ich eine große Ladung Sand zu Pflasterzwecken bestellt. Darin waren einige größere Steine enthalten. Einer gefiel mir besonders (rechtes Foto). Er war etwa 15 cm lang. Ich hatte gleich den Verdacht, dass er im Innern ein Geheimnis barg. Also versuchte ihn mit der spitzen Seite eines Hammers zu spalten. Das gelang erst beim zweiten kräftigen Schlag, beim ersten sprang nur ein Teil einer „Schale“ ab (rechtes Foto). Der Stein zerfiel in zwei Hälften (linkes Foto). Statt darin Ammoniten zu finden, musste ich mit der in der linken Hälfte zu sehenden Struktur Vorlieb nehmen. Es handelt sich um ein polygonales Muster mit einem Netzwerk von Adern feiner Kristalle.
Irgendwie geriet der Stein dann in Vergessenheit zumindest die ein Hälfte. Die andere begleitete mich während der Jahrzehnte als Teil eines Steinbeets. Beim Umgraben im Garten kam nunmehr die andere Hälfte zum Vorschein. Ich erkannte sie nicht sofort und brachte sie zum Steinbeet, wo es dann fast wie von selbst zur Wiedervereinigung kam. Die Hälften passen immer noch sehr gut zusammen. Nur in der Patina unterscheiden sie sich ein wenig, weil sie andere Lebensläufe hinter sich haben. Während der saubere Teil die ganze Zeit vom Zahn der Zeit geschützt in der Erde weilte, war der andere dem Zahn der Zeit oberhalb der Erde ausgesetzt. Aber sie passen noch genauso gut zusammen wie vor Jahrzehnten – jedenfalls rein morphologisch.
Stein ist der Inbegriff von Solidität und Haltbarkeit. Nimmt man jedoch eine längere Zeitspanne hinzu, so ergibt sich auch der Stein den Einwirkungen von Wind, Wetter, Gravitation usw. geschlagen. Auf diesen Sachverhalt möchte der Künstler des im Foto abgebildeten Exponats aufmerksam machen. Wir haben es also mit dem seltenen Fall eines Kunstwerks zu tun, das nicht wie üblich über die Zeiten hinweg durch aufwändige Restaurierungsarbeiten möglichst in seinem ursprünglichen Zustand gehalten wird, sondern dem normalen Gang der Zeit überlassen bleibt. Es ist also ein Kunstwerk, das sich verändert und uns durch die Art der Veränderung, nämlich durch den eigenen Zerfall, vor Augen führt, dass auch Gestein nicht ewig in der Form bleibt, in der es einmal war.
Auf dem Steinquader ist eine – vielleicht noch etwas länger als dieser selbst haltbare – Tafel angebracht, auf der man erfahrt, dass das Kunstwerk „Lengericher Kalksteinblock in Eisen“ benannt ist und vom Künstler Jupp Ernst aus Steinfurt im Jahre 2006 gefertigt wurde. Außerdem ist vermerkt: Der Stein zerfällt in absehbarer Zeit. Der Rahmen hält noch eine Weile die Form.
In der Physik wird die mit dem Zerfall einhergehende Entwertung als Ausdruck des 2. Hauptsatzes der Thermodynamik verstanden. Demnach kann die mit dem Begriff der Entropie erfasste Entwertung eines abgeschlossenen Systems nur zunehmen. In diesem Fall kommt es vor allem darin zum Ausdruck, dass chemische und physikalische „Beindungen“ zwischen den Teilen des Steinquaders gelöst werden und die dabei freiwerdende Energie an die Umgebung abgegeben wird. Schließlich, wenn der Stein dann auch noch der Schwerkraft anheimfällt und zerbröselt, geht auch noch potenzielle Energie an die Umgebung über.
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Was nützt mir
Was nützt mir die Welt
wenn die Sinne sich nicht öffnen
die Augen verklebt sind und
die Hand nicht loslässt
Neues zu fassen
mir Peking, New York, Granada
wenn ich nicht entbrenn kann
in Liebe zu einem
einzigen Stein*
Diesen Stein (5 cm lang), Rest eines Ammoniten, fand ich als Kind von 6 Jahren im Split eines Bahndamms. Er begleitet mich seitdem oft als Handschmeichler in der Hosentasche.
Eveline Hasler. Auf Wörtern reisen. Zürich 1993, S. 32
Als ich die blumenartigen Eiskristalle auf dem dunklen Holz einer Parkbank entdeckte (oberes Foto), wurde ich an einen schwarzen Stein mit ähnlich aussehenden weißen Einsprengseln erinnert, den ich vor Jahren aus China mitgebracht habe. Es handelt sich um einen sogenannten Chrysanthemenstein, der offenbar durch die Ähnlichkeit seiner „Blüten“ mit denen dieser Blume so genannt wurde.
Interessant ist, dass der schwarze Stein ein Kalksandstein ist und daher eigentlich hell sein sollte. Ist er aber nicht, weil in ihm Bitumen (also ein teerartige Kohlenstoffverbindung) enthalten ist und für diese „Farbinversion“ sorgt.
Die in den Kalkstein eingelagerten steinernen „Chrysanthemen“ bestehen aus Coelestinkristallen. Dabei handelt es sich chemisch gesehen um Strontium, das seiner kristallinen Struktur entsprechend unter Einwirkung des Zufalls, zu diesen naturschönen Gebilden heranwächst.
Die ovale Steinplatte ist ca. 20 cm lang.
Als ich kürzlich durch Kommentare angeregt mal wieder „Das Ende der Welt“ von Christoph Ransmayr hervorkramte, das ich vor etwa 10 Jahren las, stieß ich auf die folgende Stelle über den Stein. Da ich zahlreiche Steine und Versteinerungen gesammelt habe und immer wieder fasziniert von ihnen bin, möchte ich Ransmayr sprechen lassen, denn so schön könnte ich es nie ausdrücken: Weiterlesen
Der hier rumliegenden Steinbrocken sieht aus wie ein abgesägter Baumstamm. Er sieht nicht nur so aus, er war auch mal Teil eines Baums – vor sehr langer Zeit, und es hat Millionen von Jahren gedauert bis aus dem Holzstamm ein Steinstamm wurde. Wie es im Einzelnen dazu kam, ist insofern wissenschaftlich noch nicht verstanden, als es bislang nicht gelang, Holz im Labor zu versteinern. Aber man hat ein grobes Bild von den physikalisch-chemischen Vorgängen, die der Steinstamm hinter sich hat. Weiterlesen
Es gibt verschiedene Aspekte des Gleichgewichts. Mechanisch gesehen ist der Steinstapel im Gleichgewicht, wenn sein Schwerpunkt senkrecht über der Unterstützungsfläche ist. Man erkennt sofort, dass diese Bedingung zwar notwendig ist, aber nicht hinreichend. Die Reibungskräfte zwischen den teilweise schräg aufeinander liegenden Steinen müssen so groß sein, dass die Steine nicht voneinander abgleiten. Man muss sich schon einige Mühe geben, um ein solches Gebilde hinzubekommen. Eine gewisse Zusatzstabilität ist auch noch erwünscht, damit die Steine nicht bei der kleinsten Erschütterung oder Luftbewegung ins Wanken geraten.
Ursprünglich aus den Bergen stammend, wo solche Steinmännchen in früherer Zeit als Wegmarkierung dienten, haben sie sich inzwischen auch ins Flachland verirrt bis an die Küste. Zumindest hier haben sie keine besondere Bedeutung. Die Motive für ihre Konstruktion sind vielfältig. Ich denke, dass sich bei den Konstrukteuren solcher Gebilde das Kindheits-Ich Bahn bricht, indem das irgendwann unterbrochene Spielen mit Bauklötzen, bei dem das Errichten hoher Türme eine besondere Herausforderung darstellte, hier eine vielleicht meditative Fortsetzung findet. Sicherlich spielen aber auch das haptische Erlebnis mit natürlich geformten Steinen spielerische umzugehen sowie ein gewisser Kunstsinn eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Vielleicht heißt ja das Zauberwort, das die Welt zum Klingen bringt „Stein“ – wäre man nur in der Lage, es richtig auszusprechen.
Ohne dass es sich bei dem polierten Naturstein um ein erklärtes Kunstwerk handelt, fand ich es dennoch in einem weltberühmten Kunstmuseum. Kunst scheint also ansteckend zu sein.
Welche physikalischen und chemischen Prozesse in der Erdkruste stattgefunden haben, um derartige Muster hervorzubringen ist Gegenstand der Geophysik und Geologie. Die Reichhaltigkeit der Muster lässt allenfalls erahnen, dass – wie so oft bei natürlichen Strukturbildungsvorgängen – Zufall und Notwendigkeit auf wunderbare Weise Hand in Hand gehen.
Es ist für mich kaum nachzuvollziehen, welche physikalischen und chemischen Vorgänge vor Millionen von bei der Entstehung des Naturgesteins abliefen, um dieses faszinierende Muster hervorzubringen. Der Mensch hat diese in einem Steinbruch gewonnenen Steine zurechtgeschnitten und nutzt sie in einer Stadtmauer zur Befestigung einer Böschung.
Ich finde die Musterung des Steins sehr ansprechend und hatte den Eindruck, dass sie mich an irgendetwas Bekanntes erinnerte. Nach einiger Überlegung wurde mir klar, dass es Nervenzellstrukturen sind, die aus den Gehirn herauspräpariert wurden, die ich also auch noch sekundär durch eine Abbildung gesehen habe. Merkwürdig, solche Zellen sind beteiligt bei der Wahrnehmung und Beschreibung dieser Steinstruktur. Ich denke aber, dass dieser Stein mich nicht nur deshalb ansprach, sondern vor allem wegen der subtilen Ästhetik der an eine Grafik erinnernden Struktur des behauenen, aber inzwischen auch schon von Witterungseinflüssen gezeichneten Steins.
Ob jemand die Steine…schon verstand, weiß ich nicht*
* Novalis. Die Lehrlinge zu Sais. In: Dichtungen und Fragmente. Leipzig 1989, S. 184
Ein Stein ist in jeder Beziehung etwas Hübsches: Gestalt, Struktur, Glanz, Härte, er hat so viel Eigenschaften, die unsere Sinne beschäftigen und befriedigen und unser Nachdenken anregen. Wir könnten solch einen Gegenstand zu tausend spekulativen oder praktischen Zwecken benutzen. Die Könige der Welt werden wir sein, wenn wir kühn versichern, daß wir in seiner Verwendung und in unserer zweckmäßigen Freude den ureigensten Sinn des Steines selbst finden. Wir werden elender als Sklaven sein, wenn wir den Stein dazu nehmen, um die anderen damit zu treffen.*
Als ich den Stein (nein, nicht den der Weisen!) fand (siehe Foto), versuchte ich den kleinen, den der große in seinem steinernen Maul zu zermalmen scheint, zu befreien. Die Rettungsaktion misslang: Jahrmillionen alten Steinen ist mit menschlichen Kräften so leicht nicht beizukommen.
Erfolg versprechender wäre es vielleicht die oder wenigstens eine Geschichte zu erzählen, die den kleinen Stein in diese missliche Lage gebracht hat.
*Duhamel, Georges: Der Besitz der Welt. Zürich 1922.
… und anschließen fehlt mir ein Stein am Herzen.
Rechtzeitig bevor die Flut kam hatte ich mein Herz-Kunstwerk beendet und überließ es jetzt den Naturgewalten in Gestalt der anstürmenden Flut. Als ich am nächsten Morgen den noch von menschlichen Spuren freien Stand betrat und schließlich mein Steinherz wiederfand, fiel mir ein Stein vom Herzen. Ähnlich war es dem Steinherz ergangen.
Beim Flanieren in Städten ist meine Aufmerksamkeit nicht nur auf Menschen und Gebäude gerichtet. Auch der steinerne Belag von Fußböden und Bürgersteigen gehören dazu. Es ist erstaunlich, wie viele Informationen in diesen Nebensächlichkeiten stecken, ganz abgesehen davon, dass man ihnen nicht selten auch ästhetische Aspekte abgewinnen kann (siehe auch hier und hier und hier und hier und hier). Weiterlesen
Wenn mir jemand sagte, dass im Sand liegende Steine sich ausruhen oder sonnen würden, so fände ich das zumindest ein wenig hergeholt. Wenn man aber einige Steine unterschiedlicher Form und Größe zusammenträgt und in geeigneter Weise zusammenlegt, ist der Gedanke an Ausruhen oder Sonnen nicht mehr von der Hand zu weisen, auch wenn dem Männchen (oder ist es ein Weibchen) schon der kleine Finger der linken Hand abhanden geht. Weiterlesen
Wie um einen Kiesel, den, wenn man ihn in einen See wirft, auf der Wasseroberfläche konzentrische Kreise umgeben, ordnen sich neun Himmel um den großen Stein Erde.
Weber, Anne (*1964); Besuch bei Zerberus; Suhrkamp Verlag, 2004. Weiterlesen
Dies ist ein Naturstein, der als Element in eine Steinmauer eingebaut wurde, wie oben an der Mörtelfuge zu erkennen ist. Das Besondere an diesem Stein ist, das in ihm ein vermutlich erdgeschichtlich viel älterer Stein eingelassen ist. Ich stelle mir die in erdgeschichtlich früher Zeit abgelaufenen Vorgänge so vor, dass Steinbrocken von weicher Erde, evtl. Sedimenten umgeben und schließlich ebenfalls zu Stein verfestigt wurden.
Jeder hat Erfahrungen mit größer werdenden Kreisen. Dafür genügt es schon, daß er Zeuge war, wie ein Stein in ein Wasserbecken fiel. aber niemand hat Kreise gesehen, die vom Horizont ausgegangen und in ihrem eignen Mittelpunkt verschwunden sind.
Caillois, Roger (1913 – 1978): Steine. München 1983.
An einem scheinbar rein mechanischen Beispiel kommt in dieser schlichten Feststellung die Irreversibilität natürlicher Vorgänge zum Ausdruck. Irreversibiltität als Ausdruck des 2. Hauptsatzes der Thermodynamik gilt nicht nur in der Thermodynamik im engeren Sinne. Vielmehr ist die reibungsfreie Mechanik, wonach die Ringe am Ufer reflektiert wieder zurückkommen und der Stein wieder aus dem Wasser hochschnellt, eine extreme Idealisierung der Wirklichkeit – ohne die allerdings die Entwicklung einer quantitativen physikalischen Beschreibung der Welt im neuzeitlichen Sinne nicht möglich und denkbar wäre. Erst vor dem idealen Hintergrund einfacher physikalischer Gesetzmäßigkeiten lässt sich die wirkliche Welt in definierten Abweichungen von der Idealität physikalisch beschreiben.
Wir haben Alles mit Schmerzen versehen: das Licht „verbrennt“; der Schall „erstirbt“; der Mond „geht unter“; der Wind „heult“; der Blitz „zuckt“; der Bach „windet sich“ ebenso wie die Straße.
Mein Herz pumpte die Nacht aus: Blödsinnige Einrichtung, daß da ständig sonne lackrote Schmiere in uns rum feistet! N steinernes Herz müßte man haben, wie beim Hauff.
aus: Arno Schmidt. Das Steinerne Herz. Zürich 1986.
Dieses bereits leicht gebrochene steinerne Herz fand ich eingebettet in einer passenden Mulde am Strand und fragte mich, wie es das Herz wohl zustande gebracht hat, nicht durch die periodisch anbrandenden, Sand vor sich herschiebenden, auflaufenden Wellen allmählich in Sand eingebettet zu sein, sondern im Gegenteil vor einer Art „Burggraben“ umgeben zu werden. Schuld ist die um den Stein herum abgelenkte Wasserströmung, die durch die Einschränkung beschleunigt wird. Geschwindigkeitzunahme und dadurch bedingte Druckabnahme in der Strömung bewirken, dass Sand in der Nähe des Steins aufgehoben, fortgetragen und beim anschließenden Langsamerwerden wieder deponiert wird. Dass dadurch besonders die leichten Sandkörnchen betroffen sind, zeigt sich auch optisch in der durch diese Entmischung verursachten Farbänderung rund um den Stein.
Ich zweifle nicht, daß in den menschlichen Dingen, also auch in der Geschichte, ebensogut eine Notwendigkeit ist wie in den Naturdingen. Aber jeder Mensch hat zugleich seine Separatnotwendigkeit, so daß Millionen Richtungen parallel, in krummen und geraden Linien nebeneinander laufen, sich durchkreuzen, fördern, hemmen, vor- und rückwärtsstreben und dadurch für einander den Charakter des Zufalls annehmen und es so, abgerechnet die Einwirkung der Naturereignisse, unmöglich machen, eine durchgreifende, alle umfassende Notwendigkeit des Geschehenden nachzuweisen. Es geht damit wie mit der Witterung, die gewiß so bestimmte Gesetze hat wie der Umlauf der Welten.
Franz Grillparzer (1791 – 1872): Historische und politische Studien
In diesem Jahr habe ich einen sehr alten Weihnachtsbaum ausgewählt. Er ist viel älter als das Weihnachtsfest selbst und war vor vielen Millionen Jahren ein Farnblatt, das unter die Erde geriet, anschließend hohem Druck ausgesetzt war und durch komplexe erdgeschichtlich bedeutsame Vorgänge eine ziemlich naturgetreue Kopie seiner selbst hinterlassen hat. Der Fund solcher Versteinerungen und das allmählich wachsende Verständnis der geologischen Zeiträume, die für eine solche Versteinerung erforderlich sind, haben schließlich dazu geführt, das „biblische“ Alter der Erde von ca. 4000 Jahren in Frage zu stellen und zu immer realistischeren Abschätzungen des geologischen Erdalters zu gelangen. Weiterlesen
Steine? Schaut genau hin! Es sind nicht nur Steine, sondern auch Feigen, die wie die Steine des Untergrunds aussehen, auf dem die Feigenbäume wachsen. Jedenfalls kam mir der Gedanke, als ich auf der Kanareninsel „La Palma“ Feigen zu essen bekam. Das Gestein vulkanischen Ursprungs kommt in den verschiedensten Variationen bezüglich der Farbe, Härte, Dichte, Form und Größe vor und ist das Ergebnis unterschiedlicher erdgeschichtlicher Prozesse, die die Insel als Ganzes und im Detail geformt haben.
Wir haben es also mit Steinfrüchten zu tun. Nicht ganz. Nur die einsame Dattel, die sich auch noch unter die Steine gemischt hat, darf diesen Titel rechtmäßig in Anspruch nehmen. Alles andere sind Scheinfrüchte. Damit meine ich nicht nur die Steine, sondern auch die Feigen, die wie beispielsweise auch die Erdbeere einen Steinfruchtverband darstellen.
„Ein Stein ist in jeder Beziehung etwas Hübsches: Gestalt, Struktur, Glanz, Härte, er hat so viel Eigenschaften, die unsere Sinne beschäftigen und befriedigen und unser Nachdenken anregen. Wir könnten solch einen Gegenstand zu tausend spekulativen oder praktischen Zwecken benutzen. Die Könige der Welt werden wir sein, wenn wir kühn versichern, daß wir in seiner Verwendung und in unserer zweckmäßigen Freude den ureigensten Sinn des Steines selbst finden. Wir werden elender als Sklaven sein, wenn wir den Stein dazu nehmen, um die anderen damit zu treffen“.
Georges Duhamel (1884 – 1966): Der Besitz der Welt. Zürich 1922.