Man könnte auch sagen Eis und bunt. Denn die weißen Pflanzen, die sich hier als Alternative zur Botanik aufspielen, sind Kristalle aus Eis. Interessanterweise haben sie sich an den Resten der botanischen Pflanzen niedergelassen, so als würden sie nur das fortsetzen, was die grünen Pflanzen zurzeit der Kälte wegen weitgehend ruhen lassen müssen. Sie wetteifern auf diesem Foto mit den bunten Farben auf dem zu Matsch marginalisierten und dann gefrorenen ehemaligen Bach. Farbgeber ist eine andere uns wenig vertraute aber dafür zur organischen Welt gehörende Lebenform: Bakterienkolonien. Sie existierten hier schon vor dem Frost als Biofilm, in einer dünnen Kahmhaut, die die Bakterien auf dem Wasser bildeten. An den schönen Interferenzfarben kann man erkennen, dass diese Haut sehr dünn ist (Größenordnung: Wellenlänge des sichtbaren Lichts). Ob die Tierchen trotz der Erstarrung zu einer Eisschicht noch leben und die Frostphase lebend überstehen, konnte ich auf die Schnelle nicht herausfinden.
Nicht nur Menschen ver(un)zieren Bäume mit eigenen (Kunst-)Werken. Auch Schnecken scheinen es ihnen nachzumachen. Jedenfalls ist das schon ganz gut gelungene, mit Schneckenschleim gemalte Männchen am Baum ein Zeichen ihres diesbezüglichen Tuns. Menschen versuchen es meist auf andere Art, durch Schnitzen, Ausmalen mit Farben, kreativ Anmalen, Drapieren mit getrickten Textilien oder durch Lichtprojektionen… Manchmal schmücken sich die Bäume auch selbst, z.B. mit einer naturschönen Wucherung oder einem originellen Tattoo. Andere Tierchen gehen eher bildhauerisch vor.
Auf einer Radtour in großer Sommerhitze traf ich auf diese Szenerie in einsamer Landschaft, die mich an alte Gemälde erinnerte. Jedenfalls kam dieses Bild mir irgendwie aus der Zeit gefallen vor.
Ich sitze auf einer Bank am Rande eines kleinen Sees und beobachte die beiden Schwäne wie sie versuchen miteinander anzubändeln. Ich wurde dadurch an einen Satz des Verhaltenforschers Konrad Lorenz (1903 – 1989) erinnert, er sagte: Gänse sind eben auch nur Menschen. (Lorenz untersuchte u. A. das Verhalten von Graugänsen).
Mir ist im Laufe der Zeit klar geworden, dass dieser Satz nicht nur für Graugänse gilt.
Dieser kleinen Motte, die auf den Namen Langhornmotte hört, musste ich fotografisch ein wenig von den Fühlern abschneiden, damit der Körper noch groß genug ins Bild kommt. Da die Fühler für den Tast- und Geruchssinn zuständig sind, dürfte das Tierchen über einen vergleichsweise großen sensorischen Radius verfügen. Ich war erstaunt, wie behände das Tierchen mit diesen langen Extremitäten (hier erlangt der Begriff eine unmittelbare Anschauung) umherflog, so als ob es das Normalste von der Welt sei.
Aber aus der Sicht der Physik muss ich das Erstaunen sofort wieder ein wenig dämpfen, denn in der Größenordnung der Insekten, stellen die Fühler trotz ihrer Länge und ihrer vermeintlichen relativen Schwergewichtigkeit im Vergleich zum Körper keine besondere Belastung dar. Denn der Motte ergeht es nicht etwa so, wie es uns gehen würde, wenn wir mit zwei baumlangen Armen ausgestattet wären. Wir würden sie wohl nicht einmal heben können.
Um das zu verstehen muss man wissen, dass die Auswirkung der Schwerkraft auf einen Organismus mit der Größe stärker abnimmt als die Kraft mit der der Schwerkraft widerstanden wird. Mit anderen Worten je kleiner der Organismus, desto geringer wirkt sich die Schwerkraft aus.
Wer es genauer wissen will schaue sich den früheren Beitrag an.
Ich erlebe den Weideaustrieb der Kühe stets als einen Wechsel in eine neue Jahreszeit. Die endlosen Weiden der Krummhörn gewinnen wieder Farbe, die dem satten Grün ausgezeichnet steht. Meine Wanderungen werden nunmehr wieder begleitet von neugierigen Blicken der Kühe und dem stillen Einverständnis beim gegenseitigen Betrachten.
Endlich glaubte ich auch in dieser Gegend Bäume mit Misteln gefunden zu haben. Doch bei näherem Hinsehen entpuppten sich die vermeintlichen Halbschmarotzer als Nester von Krähen. Auch gut. Die Erbauer dieser großen Nester waren dann auch nicht fern. Es war ein Kommen und Gehen bzw. Landen und Starten, bei dem große Mengen Material herangeschafft wurde. Ich bin erstaunt die großen Vögel bereits zu dieser Zeit beim Nestbau anzutreffen. Sie ließen sich durch meine indiskrete Anwesenheit nicht aus der Ruhe bringen.
Ehrlich gesagt hätte ich lieber vom „Herrn der Fäden“ gesprochen, um mich nicht dem Verdacht auszusetzen, dass typischerweise Frauen spinnen und mit Fäden umgehen. Aber die Größe der Spinne auf dem Foto ist eher 2 cm als 1 cm groß, was für eine weibliche Gartenkreuzspinne spricht. Die Männchen bringen es nur auf etwa 1 cm. An dieser Spinne faszinierte mich besonders, mit welcher Behändigkeit und Schnelligkeit sie über das Netz stolzierte. Denn es ist nicht so, dass sie gegen die Klebrigkeit der Fangfäden gefeit wäre. Sie nutzt vor allem die nicht klebrigen Gerüstfäden, d.h. vor allem die diagonal verlaufendenden Speichenfäden, die als erste hergestellt werden. Bei den Tröpfchen, die hier zu sehen sind, handelt es sich um winzige Wassertröpfchen. Die Klebetropfen am spiralförmigen Fangfaden kann man mit bloßem Auge nicht sehen.
Als ich vor einiger Zeit an meinem Schreibtisch mit kleinen Styroporkügelchen experimentierte flog ein Teil von ihnen ohne Vorwarnung gegen das Fenster und blieb dort hartnäckig kleben (oberes Foto). Sie waren so widerspenstig, dass ich sie schließlich alle einzeln absammeln musste, um das Fenster wieder klar zu bekommen. Ursache für diesen Geisterflug waren elektrische Ladungen, die die Kügelchen durch meinen Umgang mit ihnen aufgenommen hatten. Weiterlesen
Vor einiger Zeit als es noch so richtig kalt war, habe ich mich über die tanzenden Mückenschwärme gewundert. Ich sah sie mit Bewusstsein wohl zum ersten Mal, obwohl meine Netzhäute in den vielen vorangegangenen Wintern mit Sicherheit auch von diesem Naturphänomen belichtet wurden, aber es stand kein aufmerksamer Beobachter dahinter. Nun steht er dahinter und wundert sich trotzdem. Diesmal nicht wegen der Kälte, sondern wegen des Windes. Denn auch an diesen Aprilwettertagen – mal Sonne mal Regen, mal Wind, mal Windstille machen sie sich durch ihre unermüdlichen Tänze bemerkbar. Wenn sich dann die Dunkelheit von der letzten Regenwolke noch nicht ganz verzogen hat, aber die Sonne bereits wieder ein Strahlenbündel durch eine Wolkenlücke schickt, reflektieren die Mückenflügel das Licht mit auffälliger Intensität. Dadurch sehen die Mückentänze zuweilen wie rhythmisch bewegte, irgendwie miteinander korrelierende Lichtpunkte aus.
Nach welcher Choreographie geschieht das?
Diese beiden Fliegen haben Glück in ihrem Glück. Sie paaren sich unter einem lichtdurchfluteten natürlichen Sonnenschirm. Bei Nacht wäre es schon problematischer, denn sie verraten sich durch ein charakteristisches Flattergeräusch, das durch Schlagen mit den Flügeln zustande kommt. Just dieses Geräusch können nachtaktive Fledermäuse hören und problemlos zugreifen. Weiterlesen
Wenn sich nach tagelanger Abwesenheit die Spinnen – meist langbeinige Zitterspinnen (siehe Abbildung) – im Hause ausgebreitet und ihre Netze gespannt haben, erleben sie regelmäßig das wahre Wunder. Als Tierfreund sauge ich sie nicht einfach mit dem Staubsauger weg, wie es ansonsten wohl üblich ist, sondern ergreife sie mitsamt eines Teils ihres Netzes in der hohlen Hand und trage sie hinaus in die große weite Welt. Dabei bleiben sie in der Regel völlig unversehrt. Weiterlesen
Immer wenn ich den Kohlweißling (Pieris rapae) beobachte, bin ich von seinem makellosem Weiß und dem effektvoll kontrastierenden schwarzen Punkt auf seinen Flügeln beeindruckt. Nachdem ich mir an einigen anderen Beispielen (z.B. hier und hier) klar gemacht habe, dass hinter der Weißheit meist keine Licht absorbierenden Pigmente, sondern andere physikalische Vorgänge stehen, bin ich der Sache etwas auf den Grund gegangen.
Farben von Gegenständen entstehen dadurch, dass sie von weißem Licht, z.B. Sonnenlicht, bestrahlt werden, mit dem Licht in Wechselwirkung treten und die nicht absorbierten Anteile wieder ausstrahlen. Die Wechselwirkungen bestehen zum einen darin, dass Pigmente einzelne Wellenlangen des weißen Lichts absorbieren und die Komplementärfarbe als Farbe des Gegenstands wieder aussenden. Zum anderen können sie aber auch von der Struktur des Gegenstands mitbestimmt werden, indem das einfallende Licht durch Interferenz, Beugung und/oder Streuung modifiziert wird. Dabei spielen strukturelle Variationen der Materialien eine entscheidende Rolle.
Bei der Farbentstehung der Schmetterlingsflügel spielt die Struktur der Schuppen, die nach einem allgemeinenen Bauplan in einem mehr oder weniger regelmäßigen Muster angeordnet sind, eine wichtige Rolle. Die Struktur der weißen Flügelschuppen des Kohlweißlings unterscheidet sich in charaktereistischer Weise von der anderer Schmetterlinge. An rasterelektronenmikroskopischen Aufnahmen* erkennt man, dass die Kreuzrippen dicht mit eiförmigen Perlen verziert sind. Diese Perlen streuen das einfallende Licht in alle Richtungen und erhöhen das Reflexionsvermögen der Flügel für alle Wellenlängen, sodass ein kräftiges Weiß entsteht (siehe untere Abbildung rechts). Im Bereich des charakteristischen schwarzen Flecks des Schmetterlings fehlen diese Perlen, sodass das einfallende Licht weitgehend absorbiert wird und er schwarz erscheint (untere Abbildung links).
Weitere Mechanismen für die Erzeugung der Farbe Weiß in der Natur findet man z.B. beim Schnee, der Blüte des Buschwindröschens und der Schneebeere.
Quelle
* Stavenga D.G., Stowe S., Siebke K., Zeil J. und Arikawa K.. Butterfly wing colours: scale beads make white pierid wings brighter. Proc. Roy. Soc. Lond. B 271 (1548), 1577–1584 (2004)
H. Joachim Schlichting. Spektrum der Wissenschaft 4 (2020), S. 60
Es flüstern und sprechen die Blumen
Heinrich Heine (1797 – 1856)
Fliegende Insekten wie Hummeln sind elektrisch leicht positiv geladen, viele Blüten hingegen negativ. Mit ihrem Pelz können die Tiere die Felder spüren – und so abschätzen, wie viel Nektar noch zu holen ist.
Wer über Blumen schwirrende Insekten beobachtet, fragt sich vielleicht: Sind die Kraft raubenden Anflüge nicht zum großen Teil vergeblich, weil sich bereits andere kurz vorher am Nektar bedient haben? Die prächtigen Farben und Strukturen der Blüten ändern sich schließlich nicht, ebensowenig ihr betörender Duft. Doch es gibt weitere, für uns Menschen unmerkliche Hinweise, ob sich ein Besuch lohnt. Weiterlesen
Dieser Spruch fiel mir ein, als ich den Buntspecht (Foto) zum ersten Mal auf dem Balkon direkt neben meinem Schreibtischfenster entdeckte. Er macht sich hier jetzt schon seit Monaten über die Meisenknödel her, die eigentlich für kleinere Vögel gedacht waren. Während letztere lautlos an der Speise nippen – wenn man einmal von kleineren akustisch untermalten Streitereien absieht – bearbeitet der Specht (es ist ein Männchen) mit kurzen, sehr schnellen Trommelwirbeln die Brüstung, die fast überall im Haus zu hören sind. Ich bekomme schon vom bloßen Hinschauen Kopfschmerzen. Weiterlesen
…bin 1 Jahr alt und ein Außenseiter. Denn im Unterschied zu meinen Artgenossen habe ich Hörner. Nicht dass die anderen sie sich bereits abgestoßen hätten, sie wurden ihnen als Babys in einer schmerzhaften Prozedur entfernt.
Einzelheiten zur Enthornung entnehme man beispielsweise dem Wikipediaartikel. Insbesondere sei auf die Kritik hingewiesen:
Die betäubungslose Enthornung ist für Rinder einschließlich Kälbern schmerzhaft und wird deswegen von Tierrechtsorganisationen kritisiert. So fordert die Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt ein Verbot der betäubungslosen Enthornung, da diese Praktik zu den schmerzhaftesten Eingriffen bei landwirtschaftlich genutzten Tieren zähle. Jedoch kann auch bei ordnungsgemäß durchgeführter Betäubung und Schmerzausschaltung eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit rund um die verödeten Hornansätze dauerhaft bleiben.[9] Laut Demeter komme es auch häufig zu Wundheilungsstörungen nach der Enthornung.
Konrad Lorenz (1903 – 1989) machte diese Aussage zwar in Bezug auf Graugänse, aber sie gilt meines Erachtes auch für Libellen bzw. genauer Libellenlarven. Als ich gestern bei schönstem Sonnenschein und bitterer Kälte am zugefrorenen Teich saß und mir vorstellte, wie es in ein zwei Monaten sein könnte, sah ich wie sich unmittelbar unter der Eisschicht zahlreiche Libellenlarven unbeweglich mit dem Bauch nach oben sonnten. Zuerst dachte ich, dass sie tot und aufgetrieben seien. Aber heftiges Klopfen veranlasste die eine oder andere ziemlich unwillig wie mir schien einen Stellungswechsel vorzunehmen. Dazu mussten sie sich in die normale Schwimmlage begeben und ihren dunkleren Rücken nach oben drehen. Erst dadurch erkannte ich, dass sie ihren Bauch der Sonne aussetzten. Weiterlesen
Das Summen von Fliegen wird meist als Geräusch empfunden, das nicht gerade positive Empfindungen auslöst. Wer käme schon auf die Idee, das monotone Summen oder Brummen der Fliegen in Beziehung zu einer Fuge von Bach zu setzen. Wer da anderer Meinung wäre, würde wohl kaum ernst genommen werden.
Indessen zeigen Untersuchungen, die schon vor Jahren an der Universität Massachusetts durchgeführt wurden, dass die Melodien der Fliegen jeweils als harmonische Einheiten von 12 bis 16 Stimmen unterschiedlichen Timbres aufgefasst werden können, die zusammen einen komplexen, polyphonen Klang ergeben. Musikalisch geschulte Personen sollten sich diese Vielstimmigkeit wie georgischen Volksgesang anhören, in dem sich die Stimmen zu einem harmonischen Ganzen vereinigen.
Übrigens sind für die Klangentstehung des Fliegengesumms die Unterflügel verantwortlich. Von ihrer Stellung hängt die Tonhöhe und Klangfarbe der Fliegenmusik ab.
Meine Großeltern hatten Hühner und Enten, die ich als Kind als Spielkameraden ansah, was von diesen allerdings nicht ganz so gesehen wurde. Als ich kürzlich mal wieder nur wenige Tage alte Entenküken antraf, die sich in einem größeren Sonnentaler wärmten, wurde ich an eine alte Episode aus Kindheitstagen erinnert. Aus welchen Gründen auch immer ließen meine Großeltern manchmal Enteneier von Hühnern ausbrüten. Sie wurden ihnen im wahrsten Sinne des Wortes einfach untergeschoben. Weiterlesen
Dieser Satz ging mir als erstes durch den Kopf, als ich nach einem großen Knall an meinem nur etwa 1 m entfernten Fenster vor meinem Schreibtisch allmählich wieder zu Sinnen kam und nach und nach begann, das Ereignis in seiner ganzen Komplexität und Dramatik zu erfassen. Weiterlesen
Früher waren Pferde kraftvolle Hilfskräfte im Bereich der Fortbewegung und der Landwirtschaft. Als Überbleibsel aus dieser Zeit wird die Leistung der motorisierten Nachfolger auch noch in „Pferdestärke“ (PS) gemessen (1 PS = 0,735 kW). Das ist die Leistung, die erbracht werden muss, wenn ein Pferd beispielsweise mit Hilfe einer Rolle 75 kg in 1 Sekunde 1 Meter hochhebt. Weiterlesen
Schlichting, H. Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 41/10 (2010), S. 30-31
Vögel sind auch nur Menschen
Konrad Lorenz (1903 – 1989)
Vögeln, die auf Hochspannungsleitungen rasten, sollte eigentlich nichts geschehen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.
Natürlich gibt es eine einfache Erklärung dafür, dass Vögel unbeschadet auf Hochspannungsleitungen sitzen können. Die meisten von uns werden sie auch kennen. Warum aber sitzen die Tiere auf manchen Leitungen lieber als auf anderen? Warum scheint es eine Obergrenze der Spannung von 60-Kilovolt zu geben, welche die Vögel gerade noch tolerieren? Und warum achten sie auf einen Mindestabstand, wenn sich ein dritter Ankömmling zwischen zwei Sitzende drängt?
Während in Deutschland meist Erdkabel die Oberleitungen verdrängt haben, wurde die elektrische Energie in früheren Zeiten noch durch Freileitungen in die Häuser transportiert. Sie bestanden aus Strom führenden, nicht isolierten Drähten, und zum gewohnten Bild einer ländlichen Idylle gehörte es, dass die Vögel darauf wie Noten auf Notenlinien saßen. (Diese ergaben allerdings keine nennenswerte Melodie; Ausnahmen wie die unten angegebene bestätigen die Regel.). Dass den Vögeln ihr Sitzplatz nichts anhaben kann, war also Teil der Alltagserfahrung und darum wenig überraschend.
Sollte man sich aber nicht vielleicht doch darüber wundern, dass die Vögel keinen elektrischen Schlag bekommen?Wer im Haushalt eine stromführende Leitung berührt, wird Teil eines Stromkreises. Denn seine Füße sind mit dem Fußboden und dieser wiederum ist mit der Erde verbunden, die als Neutralleiter zum Kraftwerk fungiert. Dann kommt es unter anderem auf den Widerstand zwischen Erde und Füßen an: Ist er zu klein, kann der durch den Körper fließende Strom lebensgefährlich werden.
Vögel auf Freileitungen stehen indessen nicht in Kontakt mit der Erde. Damit ihnen ein Stromschlag droht, müssten sie schon zwei stromführende Leitungen, zwischen denen eine Spannung besteht, gleichzeitig berühren oder auch zwischen die Leitung und den erdverbundenen Strommast geraten. Kleinen Vögeln passiert dies selten, große jedoch erleiden vor allem aufgrund ihrer Flügelspannweite immer wieder tödliche Stromschläge. Die häufigste Todesursache für Weißstörche, so der Naturschutzbund Deutschland, sind Unfälle an Mittelspannungs-Freileitungen.
Im Großen und Ganzen aber dürften die Tiere nicht wählerisch bei ihrem Sitzplatz sein. Begeben wir uns also, auch wenn dies heutzutage einige Geduld erfordert, auf Ausschau nach Vögeln, die auf Hochspannungsleitungen rasten. Was sehen wir? Die fernen schwarzen Punkte haben keineswegs auf einer x-beliebigen Leitung Platz genommen.
Hochspannungsleitungen nutzen nicht nur die Erde als ″Rückleitung″ zum Kraftwerk, sondern außerdem einen zusätzlich mit der Erde verbundenen Neutralleiter. Dieser ist meist auf der Spitze der Hochspannungsmasten angebracht und, anders als die stromführenden Leiter, nicht durch Isolatoren von den Masten getrennt (siehe Abb. 2). Und tatsächlich: Genau hier, also auf dem Neutralleiter oder den Streben des eisernen Fachwerks der Masten, scheinen die Vögel mit Vorliebe zu sitzen. Haben sie mit den stromführenden Leitungen vielleicht doch unangenehme Erfahrungen gemacht?
Wenn sie die Leitungen im ″Sitzen″ mit beiden Füßen berühren, befindet sich zwischen diesen ein kurzes Leitungsstück. Könnte der Spannungsabfall bereits hier so groß sein, dass der über die Beine durch den Körper geleitete Strom zumindest zu unangenehmen Empfindungen führt? Nein, denn um Energieverluste gering zu halten, werden die Leitungen meist aus einer Eisenseele und darum gewickeltem Aluminiumdraht hergestellt. Der elektrische Widerstand dieser Leitungen ist so gering, dass zumindest auf sehr kurzen Strecken so gut wie keine Spannung abfällt. Es muss also andere Gründe geben, weshalb die Vögel den stromführenden Leitungen aus dem Wege gehen.
In der ornithologischen Literatur finden sich dazu sehr differenzierte Aussagen. Axel Donges von der Naturwissenschaftlich-Technischen Akademie in Isny berichtet, dass sich Vögel oberhalb einer durch die Kabel übertragenen Maximalleistung von etwa sechzig Kilowatt nicht mehr auf Leitungsseilen aufhalten. Experimente mit Tieren in Gefangenschaft zeigten zwar, dass sie je nach Art auch höhere Spannungen akzeptieren. Die höhere Toleranz etwa von Brieftauben oder Staren dürfte sich allerdings auf ihre im Vergleich zur freien Natur geringeren Wahlmöglichkeiten zurückführen lassen.
Tatsächlich ist der durch die Leitungen fließende Wechselstrom von starken elektromagnetischen Wechselfeldern umgeben. So misst man an der Oberfläche der Leiter elektrische Feldstärken von bis zu 1500 Kilovolt pro Meter (kV/m) und magnetische Feldstärken von acht Millitesla. Nach heutigem Kenntnisstand gehen von magnetischen Feldern zwar keine nennenswerten Wirkungen auf den Organismus der Vögel aus. Das elektrische Wechselfeld jedoch macht sich durch gleich zwei Effekte bemerkbar. Zum einen lassen bereits Felder ab einer Stärke von fünf Kilovolt pro Meter die Behaarung von Säugetieren und die Federn von Vögeln vibrieren. Zum anderen wirkt der elektrisch leitfähige Vogelkörper, selbst wenn es nicht zum Kontakt mit dem Leiter kommt, wie eine Antenne. Durch kapazitive Ankopplung gerät er also unter Spannung, sodass elektrische Ströme fließen. Je nach Größe des Vogels erreichen sie einige hundert Mikroampère, auf die dann auch dessen Sinnesrezeptoren ansprechen. Mindestens einer der beiden Effekte wird von den Vögeln offenbar als unangenehm empfunden.
Vögel sind ″auch nur Menschen″, hatte einst der Verhaltensforscher Konrad Lorenz formuliert. Da stellt sich natürlich die Frage, ob Menschen auch Vögel sind, zumindest in der Hinsicht, dass sie ebenfalls ein Sensorium für elektrische Wechselfelder besitzen. Tatsächlich scheint es Menschen zu geben, die sich durch die Wirkungen von Wechselfeldern beeinträchtigt fühlen, weshalb nicht nur die Hochspannungsleitungen in der Nähe von Häusern, sondern auch die Stromleitungen in den Häusern selbst unter dem Stichwort Elektrosmog kontrovers diskutiert werden.
Eine weitere interessante Beobachtung kann gelingen, wenn man die Vögel bei ihrem Kommen und Gehen auf den Leitungen beobachtet: Sie nähern sich einander nur bis zu einem bestimmten Mindestabstand. Lässt sich eines der Tiere zwischen zwei bereits sitzenden Artgenossen nieder, so rückt meist derjenige zur Seite, dem der Neuankömmling zu nahe zu kommen droht. Versucht ein Vogel sich zwischen zwei andere zu drängen, die schon so dicht sitzen, dass der Mindestabstand in jedem Fall überschritten wird, werden manchmal sogar die übernächsten Nachbarn aktiv, um die Situation bereits präventiv zu normalisieren. Die hirnphysiologischen Mechanismen der Abschätzung des für sichere Starts und Landungen nötigen Sicherheitsabstands sind im einzelnen noch nicht geklärt. Da fallen einem natürlich eine ganze Menge Parallelen ein. Eine davon hat Petr Seba untersucht: Statistisch gesehen erzeugen Vögel beim Hinsetzen und Menschen beim Parken ihrer Autos dasselbe Lückenmuster. Menschen, so darf man schließen, sind also auch in dieser Hinsicht nur Vögel.
Literatur:
Sitzende Vögel als Melodiegeber: http://www.basicthinking.de/blog/2009/09/09/netzkunst-wenn-voegel-den-ton-angeben
Unfallgefahren durch Freileitungen: http://www.storchennest.de/de/index_storchenwelt_gefahren.html
Donges, Axel: Setzen sich Vögel wirklich auf Hochspannungsleitungen. MNU 53(6), S. 354, 2000. (dort weitere Literatur)
Seba, Petr: Parking and the visual perception of space. J. Stat. Mech., L10002, 2009.