Ich bin immer wieder fasziniert von verblüffend einfachen aber wirkungsvollen und oft intelligenten Erfindungen und Praktiken im alltäglichen Bereich, die kaum zur Kenntnis genommen werden und deren Urheber meist namenlos bleiben. Fortan werde ich hier in lockerer Folge an die dahinter stehenden naturwissenschaftlichen und/oder technischen Zusammenhänge erinnern.
Ich beginne mit einer Entdeckung, die ich kürzlich beim Zerlegen einer alten Holztür gemacht habe.
Viele ältere Holztüren aus der Nachkriegszeit (50er bis 80er Jahre) sind relativ leicht. Das merkt man allerdings meist erst dann, wenn man sie ein- oder ausbaut. Obwohl sie massiv aussehen, ist das Innenleben oft ziemlich hohl. Das hilft nicht nur Material zu sparen, sondern vermindert auch die Last die die Tür auf die Scharniere ausübt. Natürlich kann das Innenleben einer solchen Tür nicht völlig hohl sein, weil sie ansonsten ziemlich flexibel und instabil wäre. Das Innere muss also in irgendeiner Weise ausgefüllt werden. Heute werden oft Füllungen aus Spanplatten mit röhrenförmigen Hohlräumen benutzt.
Beim Ausbauen und Entsorgen der älteren leichten Türen entdeckte ich eine interessante Füllungsvariante (siehe Foto). Zwischen den beiden Oberflächen aus relativ dünnem Sperrholz wurden merkwürdige Holzringel als Abstandshalter benutzt. Solche Ringel erinnern an die Späne, die beim Hobeln eines Brettes aus dem Hobel quellen. Vermutlich sind sie auch auf ähnliche Weise entstanden, nämlich durch Abtragen eines Holzspans durch ein hobelartiges Werkzeug.
Wenn die Klinge beim Hobeln eine mehr oder weniger dünne Holzschicht abschneidet, wird diese nach oben aus dem Werkzeug heraus gedrückt und dabei Stück für Stück eingeknickt. In gleichem Maße entstehen dadurch dünne Querrisse auf der Unterseite des Spans, der infolgedessen auf dieser Seite länger wird als die weitgehend rissfreie Oberseite. Um diesen Längenunterschied auszugleichen rollt sich der Span spiralförmig ein.
Diese gerollten Späne werden zwischen die beiden Flächen des Türblatts eingefügt. Durch die Aufrollung werden sie mit ihrer Breitseite nach oben und unten orientiert und können nicht umkippen und nur schwer zusammengedrückt werden. Dadurch wird dem Hohlraum zwischen den beiden Oberflächen bei geringer Masse optimale Stabilität verliehen.
Und damit das Ganze nicht allzu trocken endet, hier noch ein Gedicht zur nichtmateriellen Bedeutung von Türen:
Rote Rosen
Du hast Deine Hand noch nicht auf die Türklinke gelegt,
Als Dir durchs Türbrett der Rosen Brand schon entgegenschlägt.
Die Rosen sind Deinem Herzen näher als manches Wort,
Sie geben ihr Glück in die Luft und halten doch vornehm das Prahlen zurück.
Der Rose Seele will sich sanft zu Dir setzen,
Deine Augen haben und Deinem Blut von Seligkeit schwätzen.
Wer sie vor seinen Türen in kleinen menschengroßen Bäumen pflegt,
Dem hat sich das Glück quer über die Schwelle gelegt;
Denn die roten Rosen, die können für Dich küren,
Sie locken Dir die Liebste durch verschlossene Türen.
Max Dauthendey (1867 – 1918)
Ich schätze nur Erfahrungen, und die sind in der Regel von allem Denken und Vergleichen vollkommen unabhängig. So schätze ich an mir, wie ich eine Türe öffne. Im Türöffnen liegt mehr verborgenes Leben als in einer Frage.
Robert,Walser. Jakob von Gunten. München 1964