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Unendlich

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Virtuelle Räume, wo man sie nicht erwartet …

In Museen und anderen Ausstellungsgebäuden sind oft auch die Toiletten sehenswert. Hier befinde ich mich in einem ziemlich großen Raum rundum mit Waschbecken und Spiegeln ausgestattet, aber coronabedingt gähnend leer (siehe Foto). Als ich vom Händewaschen aufblicke, erscheint mir auf einmal die Leere bis in die Unendlichkeit aufgebläht und gibt im ersten Moment einen völlig unwirklichen Eindruck ab.
Da dem Spiegel rückwärtig ein weiterer Spiegel gegenüber hängt, spiegeln sich die Spiegel – aus Langeweile? – gegenseitig ab. Vermutlich auch, wenn ich nicht dabei bin – denke ich jedenfalls. (Das quantenphysikalische Problem wonach durch die Beobachtung einer Gegebenheit der Beobachter diese beeinflusst, scheint hier jedenfalls nicht relevant zu sein).
Durch die gegenseitige Spiegelung der Spiegel ist es nicht zu vermeiden, dass auch die Spiegelungen des jeweils gegenüberliegenden Spiegels gleich mit gespiegelt werden und wenn sie schon dabei sind, so spiegeln sie auch die Spiegelungen der Spiegelungen und so weiter ad infinitum. Naja, jedenfalls bis ein gründunkles amorphes Etwas entsteht. Da mein Konterfei nun auch noch zwischen die Fronten geraten ist – trotz aller Anstrengung, ließ sich das nicht ganz vermeiden – muss es das Spielchen wohl oder übel mitmachen. Das änderte sich auch dann nicht, als ich die Kamera in Anschlag brachte, um dieses Erlebnis zu dokumentieren – sie integrierte sich ohne Umschweife auch noch ins Bild. Hier trieft es nur so von Selbstbezüglichkeit.
Aber was gibt es da wirklich zu sehen? Zunächst einmal tut sich ein nahezu unendlich großer Raum auf, der nur dadurch daran gehindert wird, das Unendliche zu erreichen, dass zum einen die Spiegel nicht ganz parallel zueinander ausgerichtet sind. Der dadurch bedingte leichte Silberblick führt zu einer Kurve, die noch im Endlichen uneinsehbar und uneinsichtig wird. Hinzu kommt zum anderen, dass die Spiegel einen weiteren irdischen Mangel aufweisen – sie absorbieren einen zwar winzigen aber endlichen Teil des Lichts. Dieser summiert sich allerdings auf dem Wege zur Unendlichkeit rasend schnell zur Lichtlosigkeit, vulgo Dunkelheit, in der wir endlichen Wesen nichts mehr sehen können.
Doch was um alles in dieser beschränkten Welt lässt das Licht im zunehmenden Grün verglimmen? Die Antwort ist abermals im Verhalten der Spiegel zu suchen. Denn offenbar schlucken sie nicht alle Farben des weißen Lichts gleichermaßen, sondern vor allem diejenigen, die als Komplementärfarbe dieses für Fensterglas typische Grün zurücklassen. Diese Farbe kennen wir. Wenn wir nämlich durch eine sehr dicke Scheibe blicken oder auf die Kante einer Scheibe, macht sich dieses Glasgrün (nicht grasgrün) bemerkbar.
Beim Durchgang des Lichts durch die Glasscheibe des Spiegels und – nachdem es an der verspiegelten Rückwand reflektiert wurde – ist ähnlich wie bei unseren Fensterscheiben von einer Grüntönung noch nichts zu bemerken. Wenn sich aber die Durchgänge häufen, addieren sich die geringen Absorptionen, so als blickte man durch eine sehr dicke Glasschicht.
Auf irritierend könnte vielleicht die folgende Überlegung sein: Das Spiegelbild ist etwas Virtuelles. Es ist uns verwehrt in die virtuellen Räume dieser Spiegelungen der Spiegelungen usw. nicht eintreten – das kann nur Alice* – aber die Aufsummierung der Virtualitäten scheint ganz reale Folgen zu zeitigen, das Licht wird geschluckt und zwar lange bevor die Unendlichkeit (der man ja so einiges Irreales zutraut) erreicht ist.
Ich verließ diesen Raum des Museums mit einem tieferen Eindruck als alle übrigen Räume zusammen hinterlassen hatten.


* Lewis Carroll. Alice hinter den Spiegeln. Frankfurt 1974

Wolken – Gedanken des Himmels

An die Wolken

Und immer wieder,
wenn ich mich müde gesehen
an der Menschen Gesichtern,
so vielen Spiegeln
unendlicher Torheit,
hob ich das Aug
über die Häuser und Bäume
empor zu euch,
ihr ewigen Gedanken des Himmels
.

Und eure Größe und Freiheit
erlöste mich immer wieder,
und ich dachte mit euch
über Länder und Meere hinweg
und hing mit euch
überm Abgrund der Unendlichkeit
und zerging zuletzt
wie Dunst,
wenn ich ohn Maßen
den Samen der Sterne
fliegen sah
über die Äcker
der unergründlichen Tiefen.

Christian Morgenstern (1871-1914)

.

.

Siehe auch: Die wunderbaren Wolken und Seht Ihr die Wolke dort.

Der Gedanke, der Spiegel, die Welt, die Wiederholung

Wo der Gedanke des Ichs nicht eins ist mit dem Begriffe der Welt, kann man sagen, daß dies reine Denken des Gedankens des Ichs nur zu einem ewigen Sichselbstabspiegeln, zu einer unendlichen Reihe von Spiegelbildern führt, die immer nur dasselbe und nichts Neues enthalten.*

Immerhin scheint die Reihe der ewigen Selbstabspiegelung zumindest perspektivisch auf einen imaginären Punkt zuläuft, so dass man nur hoffen kann. Bleibt nur zu hoffen, dass es kein Nullpunkt ist.


* Friedrich Schlegel: Kritische Ausgabe. München etc 1964, Bd. 2, S. 351

Bifurkationen

Alles, was sich verästelt,
verzweigt: Delta Blitz Lunge,
Wurzeln, Synapsen, Fraktale,
Stamm- und Entscheidungsbäume;
alles, was sich vermehrt
und zugleich vermindert –
nicht zu fassen,
schon zu reichhaltig
für dieses Spatzenhirn,
dieses x-beliebige Glied
einer infiniten Serie,
die sich hinter dem Rücken
dessen, der da, statt zu denken,
gedacht wird, entwickelt,
verästelt, verzweigt.*

Infinit ist die Serie der Bifurkationen bei diesem Zweigabschnitt eines Birnbaums, der auf ein Seerosenblatt eines Teiches fiel, schon lange nicht mehr. Wenn die Patina – hier in Form von Flechten – den Entscheidungsbaum erst im Griff hat, enden die Verzweigungen und lassen nur noch erahnen, wie es hätte weitergehen können.


* Hans Magnus Enzenberger. Die Elexiere der Wissenschaft – Seitenblicke in Poesie und Prosa. Frankfurt am Main 2002; S.: 125

Es spiegelt sich die Ewigkeit…

Es spiegelt sich die Ewigkeit
In engster Gegenwart,
Und rückwärts die Vergangenheit
Erscheint von höchster Art,
Wie ein verlornes Paradies
Seh ich’s vor meinem Blick,
Was ich betrauert, war so süß,
Was ich verflucht, mein Glück. *

Unendlichkeitsspiegel haben über ihre optische Faszination hinaus ein beachtliches metaphorisches Potenzial. Zwei semitransparente Spiegel (normale Glasscheiben reichen bei günstigen Lichtverhältnissen auch schon aus) machen aus wenigem viel. In der optischen wie im übertragenen Sinn erlebt man den nicht genau lokalisierbaren Übergang von etwas Vertrauten und Überschaubaren in eine kleine Unendlichkeit.


* Achim von Arnim (1781–1831)

Probleme beim Übertritt einer Grenze

„I see nobody on the road,“ said Alice.

„I only wish I had such eyes,“ the King remarked in a fretful tone.
„To be able to see Nobody! And at that distance too!
Why, it´s as much as I can do to see real people, by this light!“*

*Lewis Carroll. Alice’s Adventures in Wonderland & Through the Looking-Glass Weiterlesen

Rätselfoto des Monats Dezember 2018

Wie kommt es zu diesen Lichtschweifen?

 


Erklärung des Rätselfotos vom Vormonat:

Frage: Warum rotiert die Kugel fast reibungsfrei?
Antwort: Im öffentlichen Raum trifft man oft Kunstwerke in Form von rotierenden Steinkugeln an. Sie sind passgenau in eine sphärische Lagerung eingelassen und werden von einem dünnen Wasserfilm getragen. Dadurch wird die Reibung mit dem Untergrund so stark herabgesetzt, dass die oft tonnenschweren Kugeln mit Hand in Drehung versetzt werden können. Oft behalten sie diese Drehung sehr lange bei, weil sie wegen der großen Masse ein sehr großes Trägheitsmoment besitzen. Daher sind die wegen der geringen Reibung nur geringen Energieverluste kaum zu bemerken.
Das Wasser wird in der Mitte unter der Kugel in den Zwischenraum gepresst und tritt an der oberen Kante der Lagerung wieder aus. Bei den großen Kugeln im öffentlichen Raum ist man meist überrascht, wie gering die ausströmende Wassermenge und wie dünn der Wasserfilm sind. Eine Postkarte lässt sich normalerweise nicht in den Zwischenraum zwängen. Da solche Kugeln oft im öffentlichen Raum stehen, wird dies schon aus Sicherheitsgründen erforderlich, damit Kinder nicht ihre Finger dazwischen stecken können. Dieser geringe Zwischenraum bedeutet, dass die polierten Kugeln äußerst präzise gearbeitet sein müssen. Angesichts dieser Präzision kann man sie trotz der geringen Komplexität und der Gewöhnlichkeit des Materials als High-Tech-Produkte ansehen.
Der Druck, mit dem die Kugel in der Schwebe gehalten wird ist erstaunlich gering. Er wird dadurch aufrechterhalten, dass durch einen Zufluss in der Mitte der Kugelkalotte Wasser in den Zwischenraum gepresst wird. Dieses erzeugt einen Keil zwischen Kugel und Lagerung und trennt beide voneinander.

Spirale 6 – Never ending stories III – Spiralen der Vergänglichkeit

Das Verhalten von Sand unter unregelmäßigen und regelmäßigen mechanischen Einwirkungen ist auf dieser Seite schon öfter angesprochen worden. Man denke etwa an den Wind in der Wüste oder in mechanische Schwingungen versetzte Sandkörner. Dabei standen vor allem physikalische Aspekte im Vordergrund. Die ästhetische Dimension war dabei jedoch nicht zu übersehen.
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Never ending stories II – gespiegelte Unendlichkeit

Mit Spiegeln kann man unendlich große virtuelle Räume schaffen – instantan, geräuschlos und ohne die Umwelt zu belasten. Das ist beeindruckend! Ein durch Spiegelung geschaffener Raum ist im Idealfall (wenn sich der Beobachter ganz klein macht, um auf der Symmetrieachse zu sitzen) rein optisch vom realen Raum nicht zu unterscheiden. Mit den dadurch gegebenen Möglichkeiten experimentieren die Künstler schon von jeher. Weiterlesen

Die zwei Parallelen

parallele_img_8600Es gingen zwei Parallelen
ins Endlose hinaus,
zwei kerzengerade Seelen
und aus solidem Haus.

Sie wollten sich nicht schneiden
bis an ihr seliges Grab:
Das war nun einmal der beiden
geheimer Stolz und Stab.

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Spielend und spiegelnd zum Unendlichen

Winkelspiegel„Wir leimten mit Stoffresten zwei Spiegel an einer Seite aneinander, daß sie aussahen wie zwei Buchdeckel. Anna brachte die Pappe mit dem schwarzen Strich. Dort stand unser Spiegelbuch aufgeschlagen; die Pappe taten wir so vor das Buch, daß das Scharnier der beiden Spiegel die Spitze eines Dreiecks bildete, die beiden auseinanderklaffenden Seiten kreuzten die schwarze Linie auf der Pappe. Die gemalte Linie und die beiden in den Spiegeln reflektierten Linien bildeten ein gleichschenkliges Dreieck. Anna spähte hinein. Ich begann, das Spiegelbuch langsam zu schließen, der Winkel verkleinerte sich, die schwarzen Linien bildeten plötzlich ein Quadrat. Anna starrte. Weiterlesen

Grenzenlos und blau wie das Meer

Meer„Wo der Verlust von Realität und Realismus zu beklagen sein soll, ist der Boden unter den Füßen die geläufigste Metapher; wenn das Verlassen der Lebenswelt beschrieben werden soll, wird er zur Metapher der unauffälligen Zuverlässigkeiten, aus denen das Syndrom der Lebensweltlichkeit besteht, die zu thematisieren einer der spätesten Einfälle der Philosophie sein wird…
Sie verlieren auf der hohen See der geistigen Produktivität, wo dem Menschen die Idee der Unendlichkeit gegenwärtig ist,…jene Erdschollen aus dem Gesichte, auf denen sonst der Mensch festen Fuß faßt und seine kleinliche Philisterwelt aufbaut“ (Hans Blumenberg (1920 – 1996)).

Im Jahr des Lichts (26) – Eins, zwei, drei…unendlich

KerzenunendlichkeitMit dem 1. Advend beginnt die Zeit der Lichter insbesondere in Gestalt von Kerzenflammen und damit zumindest im christlichen Kulturkreis eine imaginierte Verbindung von Diesseitigem und Jenseitigen, von Endlichem und Unendlichem. Das symbolisieren die in dem Foto abgelichteten drei Teelichter, indem sie uns auf ziemlich unspektakuläre Weise zugleich einen Blick  in die Virtualität und Unendlichkeit bzw. virtuelle Unendlichkeit erlauben. Möglich wird dies durch ein Design-Objekt, das zum Beispiel unter dem Namen „der unendliche Teelichthalter“ erhältlich ist und im Wesentlichen aus zwei parallelen Glasscheiben besteht, zwischen denen einige Teelichter platziert werden. Weiterlesen

Nach neuen Meeren

Blau-unendlich-rvDorthin – will ich; und ich traue
Mir fortan und meinem Griff.
Offen liegt das Meer, ins Blaue
Treibt mein Genueser Schiff.
Alles glänzt mir neu und neuer,
Mittag schläft auf Raum und Zeit -:
Nur dein Auge – ungeheuer
Blickt michs an, Unendlichkeit!

Friedrich Nietzsche

Unendliche Spiegelfechtereien

Unendliche SpiegelfechtereienUcke, Christian; Schlichting, H. Joachim. In: Physik in unserer Zeit 45/4 (2014), S. 181-185

Mit Spiegeln lassen sich überraschende Effekte erzielen. Zwei einander gegenüberstehende Spiegel erzeugen Vielfachreflexionen mit enormer Tiefenwirkung. Begehbare Spiegeldreiecke und Spiegellabyrinthe irritieren die Wahrnehmung mit unendlich vielen Reflexionen.

PDF: Unendlichkeitsspiegel