Manche Gedanken kristallisieren sich zu Bildern.
Ich sitze am Fenster, blicke auf die Nachbarhäuser in der Straße und lasse die Gedanken schweifen. Alte Urlaubserinnerungen werden an die Oberfläche gespült, sie überlagern in Bildern das tatsächlich Gesehene.
Um auf die Bedeutung des Lichts in allen Lebensbereichen aufmerksam zu machen, hat die UNESCO den 16. Mai zum Internationalen Tag des Lichts erklärt. Das möchte ich zum Anlass nehmen, auf den ganz alltäglichen Sonnenaufgang hinzuweisen, der weder sprachlich noch physikalisch das ist, was er zu sein vorgibt. Sprachlich geht hier nichts auf, was vorher zu war. Da entsteht nichts, was später wieder verschwindet. Sowohl im geozentrischen als auch im heliozentrischen Weltbild entsteht dieser Eindruck dadurch, dass sich die Erde und die Sonne relativ zueinander bewegen. Wir gehen neuzeitlich-kopernikanisch davon aus, dass die Erde sich um die Sonne dreht und nicht umgekehrt, weil ansonsten beispielsweise die Sterne – je weiter desto schneller – kollektiv um die Erde rotieren müssten und das für weit entfernte Sterne auch noch mit Überlichtgeschwindigkeit. Trotzdem bleibt es beim Sonnenauf- und -untergang.
Was schon eher Kopfzerbrechen bereiten könnte, ist die Tatsache, dass wir die Sonne beim Auf- und Untergang nie da sehen, wo sie „in Wirklichkeit“ oder „geometrisch“ ist. Denn infolge der Brechung des Lichts bei ihrem langen Weg durch die Atmosphäre wird das Sonnenbild optisch angehoben und zwar etwa um einen Winkel, der dem Sonnendurchmesser entspricht (etwa 0,5 Grad). Wenn die Sonne beim Untergang den Horizont berührt, ist sie also „in Wirklichkeit“ schon untergegangen.
Diesen Gedanken könnte man philosophisch oder wie auch immer weiter vertiefen in Richtung auf die Frage, ob man denn ganz genau genommen (mit vielen Stellen hinter dem Komma) überhaupt je etwas dort sieht, wo es ist. Denn Lichtbrechung – und sei sie sie noch so klein – ist immer vorhanden, wenn Licht von einem Medium ins andere übergeht oder sich zum Beispiel die Dichte der Luft ändert. Überlegungen, die in diese Richtung laufen, kommen daher kaum zu einem befriedigenden Ergebnis. Eine ähnlich Spitzfindigkeit ergibt sich, wenn man wegen der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit davon ausgehen würde, dass die Gegenstände stets einen Moment später und daher möglicherweise an der Stelle anderen Stelle gesehen werden. Bei der Sonne macht diese Differenz immerhin etwas 8 Minuten aus.
Also lassen wir es und erfreuen uns am Abbild der Sonne die hier (Foto) hinter dem Geäst von Bäumen untergeht. Das Sonnenlicht hat beim Durchgang durch die Atmosphäre und den zahlreichen Streuvorgängen mit der Luft und den darin enthaltenen Aerosolen so viel an Farben und Intensität eingebüßt, dass es nicht mehr weiß leuchtet, sondern hauptsächlich in gelben und roten Farbtönen (er)scheint. Man kann dann sogar bedenkenlos in die Sonne hineinblicken und beobachten, wie schnell sie absinkt. Wenn das Sonnenbild den Horizont „berührt“, dauert es gerade einmal 2 Minuten, bis der letzte Rest ihres Rands verschwindet. Und wenn man Glück hat, viel Glück, dann kann man auch noch erleben, dass sie sich mit einem grünen Blitz verabschiedet.
Wenn man will kann man daraus weitere tiefschürfende Gedanken schöpfen, wie beispielsweise im folgenden Text ausgeführt:
„Worum geht es? Durch den kopernikanischen Schock wird uns demonstriert, daß wir die Welt nicht sehen, wie sie ist, sondern daß wir ihre „Wirklichkeit“ gegen den Eindruck der Sinne denkend vorstellen müssen, um zu „begreifen“, was mit ihr der Fall ist. Da liegt das Dilemma: wenn die Sonne aufgeht, geht nicht die Sonne auf. Was die Augen sehen und was der astrophysisch informierte Verstand vorstellt, kann nicht mehr miteinander zur Deckung kommen. Die Erde wälzt sich im leeren Raum um sich selbst nach vorn, wobei der irreführende Eindruck entsteht, wir sähen die Sonne aufgehen. Solange das Universum besteht, gab es noch keinen Sonnenaufgang, sondern nur sture Erdumdrehungen, und dieser Befund wird nicht tröstlicher dadurch, daß wir aufgrund radioastronomischer und anderer Messungen zu der Vorstellung gezwungen sind, daß es vor einem Zeitpunkt t(x) weder die Sonne noch die Erde noch Augen gegeben hat, um deren Konstellationen zu sehen. Dann wären nicht nur die Sonnenaufgänge, sondern auch die Voraussetzungen des Scheins von Sonnenaufgängen in einem kosmischen Noch-Nicht verschwunden. Der augenscheinliche Sonnenaufgang verliert sich in einer mehrfachen Nichtigkeit, sobald wir den ptolemäischen „Schein“ zugunsten kopernikanisch organisierter Vorstellungen von „Wirklichkeit“ aufgeben. Radikaler als jedes metaphysische Vorstellen von „Wesenswelten“ dementiert das moderne physikalische Vorstellen der Körperwelt den ‚Schein der Sinne‘.“
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Sloterdijk, Peter: Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung. Frankfurt a M 1987.
Zugegeben, das Foto ist unscharf. Aber das ist bewusst geschehen. Denn anderenfalls hätte ich kaum einen Eindruck davon vermitteln können, wie das Gras vor ein paar Tagen in der Morgensonne in allen Spektralfarben funkelte. Es sind die Tautröpfchen, die – normalerweise übersehen oder in Form nasser Füße ein Ärgernis darstellen – hier deutlich und ästhetisch ansprechend auf sich aufmerksam machen. Sie reflektieren das Sonnenlicht ins Auge des Betrachters.
Wenn man die Sonne im Rücken hat und sich vor den tropfnassen Blättern bewegt, beobachtet man, dass das Funkeln in einem Aufflammen und Verlöschen einzelner Lichtblitze besteht, die synchron der Bewegung folgen. Beeindruckend ist insbesondere, dass neben weißen auch farbige Lichtblitze zu sehen sind. Wenn man einen Lichtpunkt fixiert und die Blickrichtung leicht variiert, kann man erreichen, dass dabei ein ganzes Spektrum von Farben durchlaufen wird. Durch die Beobachtungskonstellation wird klar, dass das Sonnenlicht ähnlich wie beim Regenbogen 1. Ordnung in die Wassertropfen eindringt und nach zweimaliger Brechung und einmaliger Reflexion ins Auge des Beobachters gelangt.
Da das weiße Licht aus allen Spektralfarben besteht, werden die Lichtstrahlen je nach Farbe unterschiedlich stark gebrochen und auf diese Weise wie von einem Prisma in Farben aufgespalten.
Doch wenn das Phänomen im Automatikmodus fotografiert wird, ist man meistens über das Ergebnis enttäuscht. Die Lichtblitze sind zu klein, um eine eine nennenwerte Spur auf dem Chip zu hinterlassen. Da hilft es dann in vielen Fällen nur noch, bewusst unscharf zu fotografieren, um so die winzigen Lichtblitze auf eine größere Fläche zu verschmieren und ihnen dadurch eine größere Sichtbarkeit zu verschaffen. Unsere Augen schaffen es beim Umherblicken u. A. mit Hilfe der angepassten Pupillenöffnung sich stets auf die betrachteten Details einzustellen. Bei den hellen Lichtpunkten, stellt sich eine winzige Pupillenöffnung ein; beim vergleichsweise dunklen Gras ist sie hingegen wesentlich größer.
Wir haben es hier also mit dem merkwürdigen Sachverhalt zu tun, dass eine bewusste fotografische Qualitätsverminderung Ansichten hervorbringt die anders nicht zu haben sind.
Man kann aber auch die Defokussierung so groß machen, dass die Zerstreuungskreise mehrere Farben gleichzeitig aufweisen. Auf diese Weise lassen sich mit der Unschärfefotografie auch künstlerische und ästhetische Aspekte realisieren. Diese auch physikalisch interessante Thematik wird vor allem unter dem aus dem Japanischen kommenden Begriff „Bokeh“ (von jap. 暈け = unscharf, verschwommen) diskutiert.
Das Foto zeigt einen Stein auf einem Sandstrand, der von auf- und ablaufendem Wasser umströmt wird. Da der Sand aus hellen und dunklen Anteilen besteht, die sich in ihrer Dichte unterscheiden, kommt es bei der Strömung zu Entmischungen der beiden Sandsorten. Auf diese Weise werden die beiden Wirbel des sandbeladenen strömenden Wassers hinter dem Hindernis visualisiert. Insgesamt wird ein fast symmetrisches Strömungsmuster um den Stein herum gezeichnet.
Als ich an dem Strand an diesem Muster vorbeikam drängte sich mir allerdings ein ganz anderes Bild auf: Ich sah und sehe auf dem Foto einen Hundekopf oder den Kopf eines ähnlichen Tiers. Vielleicht geht es ja der einen oder dem anderen auch so. Dabei zeigt sich ein merkwürdiges Phänomen. Die Struktur drängte sich mir umso stärker auf, je weiter ich mich entferte, bzw. je kleiner das Netzhautbild wurde. Dieser Eindruck wiederholte sich, als ich das Foto hier zunächst möglichst groß darstellen wollte und dabei den Eindruck gewann, dass sich die Pareidolie umso deutlicher aufdrängt, je kleiner die Darstellung ist (siehe kleines Bild).
Das erinnert mich an ein Kunstwerk auf dem Straßenpflaster vor dem Picasso-Museum in Münster, in dem das Konterfei des Künstlers nur aus gehöriger Entfernung bzw. Höhe zu erkennen ist. Dazu gibt es einen früheren Beitrag.
Visuelle Ähnlichkeiten entdeckt man oft in völlig verschiedenen Bereichen und Zusammenhängen. Als ich diese Felswand (links) fotografierte, erinnerten mich die hellen Lichtbänder an Kaustiken wie man sie oft in flachen Gewässern beobachten kann (rechts). Tatsächlich hat das eine mit dem anderen rein materiell gesehen nichts zu tun. Unser Mustererkennungsvermögen kennt oft keine Grenzen welcher Art auch immer und stellt Zusammenhänge her, die realiter gar nicht bestehen. Aber diese unsere Fähigkeit völlig verschiedene „Ansichten“ miteinander zu verknüpfen, stellen eine Grundlage für die Entwicklung neuer Ideen und Möglichkeiten dar, auf die man durch bloßes Nachdenken wohl kaum gekommen wäre.
Im Bremer Science Center Universum gibt es eine gläserne Brücke über einen vermeintlichen Abgrund. Obwohl kein Geheimnis daraus gemacht wird, dass man letztlich über eine Art transparenten Spiegel geht, der den Blick in die Tiefe herausfordert und man sich auf dem Kopf stehend (gespiegelt) dabei beobachtet, haben manche Menschen Angst darüber zu gehen. Um nicht als Angsthase zu gelten, gehen manche mit sturem Blick nach vorn darüber, um von diesen für sie offenbar verstörenden Illusionen nichts mitzubekommen.
Auch diesem harmlosen Beispiel zeigt sich einmal mehr, dass der Verstand oft vor der bloßen illusionären Wahrnehmung ins Hintertreffen gerät.
Nach all den Regentagen bekommt man endlich mal wieder den Mond zu Gesicht und zwar gleich in voller Größe und voller Kraft, sodass er sich ohne weitere Umstände durch das spröde Geäst der winterlichen Bäume brennt.
Wenn die Bäume ihr Laub verloren haben (man sollte vielleicht besser sagen: abgegeben haben), präsentiert sich der Mond oft in naturschönen Kontexten. Diesmal scheint sich der nahezu volle Mond in den Ästen einen Baumes verheddert und damit die Distanz zwischen Baum und Himmel aufgehoben zu haben. Die dem Mond nahezu diametral gegenüberstehende untergehende Sonne verleiht nicht nur dem Baum, sondern auch dem Mond einen rötlichen Teint.
Als ich meine Begleiterin darauf aufmerksam machte, fand sie das ein wenig zu mystisch, was ich wiederum als merkwürdig empfand. Denn ich hatte es rein physikalisch gemeint, um deutlich zu machen, dass trotz ihrer ansonsten großen Unterschiede – der Baum als irdisches und der Mond als himmlisches Objekt – sich hier beide völlig gleich verhalten: Sie reflektieren das rötliche Sonnenlicht.
Der Anblick des Fotos mutet meines Erachtens fast wie eine Grafik an, weil uns das Anschauungsvermögen bei der Zusammenschau an sich weit voneinander entfernter Gegenstände zuweilen im Stich lässt.
Wilfried Suhr, H. Joachim Schlichting. Physik in unserer Zeit 53/6 (2022) S. 296 – 299
Ein rotierender Toroflux erzeugt verschiedene interessante visuelle Strukturen, die sich auf physikalische und wahrnehmungstheoretische Effekte zurückführen lassen. Ursachen sind die schnelle Bewegung und die gegenseitige Abdeckung der Stahlbänder.
Bei einem schnell rotierenden Toroflux aus glänzendem Stahlband erscheinen die Windungszwischenräume zu einem teiltransparenten Kontinuum verschmiert. Auf diesem sind Spiegelbilder von hellen Objekten in der Umgebung erkennbar. Außerdem treten je nach Hintergrund dunkle oder helle Streifen auf, die oberhalb einer Grenzgeschwindigkeit stationär im Raum schweben. Diese erstaunlichen und ästhetisch ansprechenden Phänomene lassen sich durch das Zusammenwirken von physikalischen und wahrnehmungstheoretischen Aspekten erklären.
Wenn man von weitem Verkehrszeichen sieht, die nicht auf Schildern, sondern direkt auf die Straße gemalt sind, so müsste man sich eigentlich darüber wundern, dass diese von weitem nicht infolge der perspektivischen Wahrnehmung zur Unkenntlichkeit geschrumpft erscheinen, sondern ein ganz normales Aussehen haben (oberes Foto).
Des Rätsels Lösung zeigt sich dann, wenn man direkt vor oder neben so einem Zeichen steht. Dann erkennt man, dass diese absichtlich oder wohlweißlich in die Länge gezogen aufgemalt werden, um die perspektivische Verkürzung auszugleichen (unteres Foto).
Aufmerksam wurde ich darauf, als ich zufällig zwei Leute direkt neben dem langen Zeichen antraf, die sich über den Anblick amüsierten. Dabei schnappte ich den Satz auf, dass die Bauarbeiter wohl zu lange in die Flasche geblickt hätten.
Früher wurden die Bilder noch über den Umweg – Auge-Gehirn-Hand-Pinsel – gestaltet. Heute sind es Pixel, in ihrer Abstraktheit kaum zu überbieten. Dennoch vertrauen wir ihnen oft mehr als dem Auge von – sagen wir – Leonardo da Vinci. So habe ich die Wüste gesehen, denke ich, wenn ich den hier visualisierten Datensatz vor Augen habe (siehe Foto). Am besten man denkt nicht weiter darüber nach. Oder? Lassen wir noch kurz Ulrike Draesner zu Wort kommen, die sich darüber Gedanken macht:
Lukas stand auf einem Küchenstuhl und preßte mit aller Kraft eine Reißzwecke in die Wand. Sein Daumennagel war ganz weiß, die Fingerkuppe puterrot. Im Institut hatten sie beim Aufräumen ein Poster mit einer Erdaufnahme des Hubble Space Telescope entdeckt. Da niemand es wollte, hängte Lukas es jetzt überm Küchentisch auf.
Aloe hatte einfach getan, als interessiere sie sich plötzlich brennend für Formel I. Sein Versuch, mit ihr zu reden, war fehlgeschlagen.
Kaum nahm Lukas den Daumen von der Wand, fiel die Reißzwecke wieder heraus. Wahrscheinlich steckte ausgerechnet an dieser Stelle ein Stein. Aber er konnte nicht ausweichen, ohne die drei anderen Kartenecken, die er schon angepinnt hatte, auch wieder zu lösen. Lukas stieg vom Stuhl und betrachtete die aus Millionen von Datenbits zusammengepixelte Aufnahme. Eine geradezu mystische Verschmelzung von Präzision und Phantasie. Alle Pixel echt, alle Farben falsch. Bodenschätze, versteckte Stollen, Ölfelder, Brände und Wald. Computerrhododendren sprossen über die Ozeane, durch die Wüsten zogen sich feine schaumige Riffs weißlicher Stürme, um den Nordpol flockte eine Wolke heller Bläschen, die aussahen, als stecke in jeder ein Babyhai, der in seiner Raumfahrerkapsel durch eine gallertige Masse Nahrung trieb. Jede Farbe ein Ausbruch, ein Gefühl, vieldeutig und rätselhaft. Über Mittelamerika saß eine riesige, grünbraun gesprenkelte Schildkröte, in deren Mitte ein roter Fleck leuchtete wie ein zyklopisches Auge. Er mochte diese Mischung von Genauigkeit und Wahn. Sie erinnerte ihn an mittelalterliche Gemälde vom Rand der Welt und seinen fabelhaften Wesen; hier kehrten sie als harte >Fakten< wieder, waren aber eigentlich nichts als eine Folge von Nullen und Einsen, kein einziges Pigment zunächst, kein einziges Element – ganz irrealer Stoff.*
* Ulrike Draesner. Mitgift. München: Luchterhand 2002, S. 129f
Dieser Paradolie begegnete ich auf einer Wanderung. Das durch das Blätterdach kunstvoll geformte Sonnenlicht projizierte dieses Bild auf einen Baum. Oder war es ganz anders? Zeichnete das vom beleuchteten Baum diffus reflektierte Licht das Bild in meinem Kopf? Dass ich in diesem natürlichen Bild (gr. eidolon) etwas sah, was völlig daneben (gr. para) ist, macht den Reiz der Suche nach derartigen Bildern aus. Da eine natürliche Pareidolie definitionsgemäß auch von anderen Menschen wahrgenommen werden kann, zeige ich sie hier, um das zu überprüfen.
Blumen blühen in den verschiedensten Farben, um zu gefallen und aufzufallen. Nicht unbedingt den Menschen, aber den Bestäubern, Bienen und anderen Insekten. Man findet alle Farben vertreten. Nur grüne Blüten gibt es selten. Das ist verständlich, weil die Blüten aus dem überwiegenden Grün der Pflanzen hervorstechen müssen, um nicht übersehen zu werden. Die wenigen grünen Blüten wirken weniger durch Ihre Farbe als durch Geruch und vermutlich auch durch Farben und andere Merkmale, die wir Menschen gar nicht wahrnehmen. Im vorliegenden Fall dürften Insekten kaum Interesse bekunden – die Blümchen entdeckte ich in einem Kunstmuseum
Wir sitzen auf einer Brücke über dem Arno in Florenz. Die Zeit verstreicht wie im Fluge, wie leider so oft, wenn die Umstände besonders schön sind. In dieser Einschätzung sind wir uns alle einig, auch wenn sie der gleichmäßig ablaufenden „physikalischen“ Zeit, wie sie unsere Uhren anzeigen widerspricht. Als es zu dämmern beginnt, leuchten plötzlich die Laternen entlang des Ufers auf. Wir sind uns einig, dass sie nicht auf einmal angehen, sondern nacheinander mit der nächsten Lampe beginnend bis zum entfernten Ende hin. Die Lichtreflexionen im Wasser tun es ihnen gleich.
Dieses Phänomen hatte ich schon vorher in meiner Heimatstadt erlebt und mir nichts weiter dabei gedacht. Aber als wir jetzt in dieser Runde darüber sprechen, erscheint es doch etwas mysteriös. Wie sollten denn die Lampen geschaltet sein, um dieses Nacheinander zu realisieren? Welchen Sinn könnte es haben. Und warum verläuft die Sequenz immer vom Beobachter weg?
Kurzum, was tut sich hier? Als erstes wurde der Gedanke geäußert, dass das Licht von den entfernteren Lampen mehr Zeit benötige zu unseren Augen zu kommen, als der von den näheren. Aber sofort wird klar, dass die Lichtgeschwindigkeit so groß und unsere Wahrnehmung so grob sind, dass der Gedanke nun wirklich abwegig ist. Auch die Idee, dass der Schaltimpuls vielleicht eine gewisse Zeit benötigt, um von einer Lampe zur nächsten zu gelangen, erweist sich als wenig hilfreich.
Ähnlich wie bei unserer Einschätzung der „Geschwindigkeit“ des Zeitverlaufs zeigt sich, dass die Physik hier nicht weiterhilft. Vielmehr hat man es mit einem wahrnehmungsphysiologischen Phänomen zu tun. Man könnte auch von einer optischen Täuschung sprechen: Ursache dafür ist die Tatsache, dass unser visuelles System auf einen schwachen Lichtreiz bis zu einer Zehntel Sekunde später reagiert als auf einen starken: Wenn zwei entfernte Lichtsignale zur selben Zeit ausgelöst werden, sehen wir das schwächere Signal zeitlich verzögert.
Dieser visual delay* kommt auch in diesem Phänomen zum Tragen. Obwohl die Lampen weitgehend identisch sind und zur gleichen Zeit aufleuchten, ist ihre scheinbare Helligkeit aufgrund der unterschiedlichen Entfernung entsprechend verschieden. Die Intensität des Lichts nimmt mit dem Quadrat der Entfernung ab. Daher wird das Lichtsignal deutlich später wahrgenommen, je weiter die entsprechende Lampe entfernt ist.
Ich vermute, dass das Aufleuchten der hellen orangefarbenen Warnlampen an Autobahnbaustellen nicht wie es scheint, immer vom Beobachter weg läuft, sondern die Lampen einfach nur rhythmisch an und ausgehen.
* J. A. Wilson, S. M. Anstis, The American J. of Psychology 1969, 82, 350.
Dieser kleinen Motte, die auf den Namen Langhornmotte hört, musste ich fotografisch ein wenig von den Fühlern abschneiden, damit der Körper noch groß genug ins Bild kommt. Da die Fühler für den Tast- und Geruchssinn zuständig sind, dürfte das Tierchen über einen vergleichsweise großen sensorischen Radius verfügen. Ich war erstaunt, wie behände das Tierchen mit diesen langen Extremitäten (hier erlangt der Begriff eine unmittelbare Anschauung) umherflog, so als ob es das Normalste von der Welt sei.
Aber aus der Sicht der Physik muss ich das Erstaunen sofort wieder ein wenig dämpfen, denn in der Größenordnung der Insekten, stellen die Fühler trotz ihrer Länge und ihrer vermeintlichen relativen Schwergewichtigkeit im Vergleich zum Körper keine besondere Belastung dar. Denn der Motte ergeht es nicht etwa so, wie es uns gehen würde, wenn wir mit zwei baumlangen Armen ausgestattet wären. Wir würden sie wohl nicht einmal heben können.
Um das zu verstehen muss man wissen, dass die Auswirkung der Schwerkraft auf einen Organismus mit der Größe stärker abnimmt als die Kraft mit der der Schwerkraft widerstanden wird. Mit anderen Worten je kleiner der Organismus, desto geringer wirkt sich die Schwerkraft aus.
Wer es genauer wissen will schaue sich den früheren Beitrag an.
Es sieht jedenfalls so aus, als würde der Baum im Gegenlicht einer Lichtquelle (hinter dem Baum versteckt) seine Zweige ringförmig um diese gruppieren. Das Faszinierende an dem Phänomen ist, dass das Ringsystem gewissermaßen mitläuft, wenn wir aus einer anderen Perspektive auf die Sonne blicken – das allerdings in Grenzen.
Wir haben es hier mit einem Phänomen zu tun, das in diesem Blog bereits in mehreren Varianten angesprochen wurde. Eine Variante tritt beim Blick durch eine zerkratzte Kunststoffscheibe auf, durch die man auf eine Lichtquelle blickt. Die Lichtquelle scheint von abschnittsweise konzentrischen Ringen umgeben. Das Phänomen lässt sich oft bei Flugzeugfenstern beobachten. Eine weitere Variante ist eine Autokarosserie, bei der die gespiegelte Sonnenscheibe im Zentrum von leuchtenden Kreisen umgeben erscheint.
Die leuchtenden, scheinbar konzentrischen Äste kommen dadurch zustande, dass das an passenden Astabschnitten (Einfallswinkel = Reflexionswinkel) reflektierte Licht einer vom Baum verdeckten Lichtquelle sich zu kompletten leuchtenden Ringen zu ergänzen scheint.
Da der Baum eine Trauerweide ist, kommen die langen, gebogenen Zweige zumindest im oberen Bereich der vermeintlichen Kreisförmigkeit bereits ein stückweit entgegen. Der Effekt geht mittlerweise jahreszeitlich bedingt im Zuge der zunehmenden Belaubung verloren. Im nächsten Winter wird man das Schauspiel dann erneut bewundern können.
Das eindrucksvolle Foto hat mir freundlicherweise Hans-Holger Wache zur Verfügung gestellt, der diese Aufnahme in Berlin machte.
Es dringt in jede Spalte,
zeichnet alle Formen
– auch die unsichtbaren
Andrzej Stasiuk (*1960)
H. Joachim Schlichting. Spektrum der Wissenschaft 3 (2022), S. 74 – 75
Feinste Kratzer auf glatten Oberflächen sind normalerweise unsichtbar. Unter der Sonne treten sie allerdings abschnittsweise als dünne, manchmal bunt schillernde Streifen hervor, die sich scheinbar kreisrund um das Bild der Lichtquelle herum gruppieren.
Die meisten Menschen würden wohl behaupten, ein frisch lackiertes Auto glänze am schönsten. Wenn man hingegen auf einen speziellen physikalischen Effekt aus ist, darf die Autokarosserie nicht mehr ganz fabrikneu sein. Dann bildet sich an klaren Tagen um das reflektierte Bild der Sonne herum ein konzentrisch aussehendes System von mehr oder weniger kurzen Lichtstreifen. Sie schillern überdies häufig in verschiedenen Spektralfarben (siehe »Leuchtspuren«). Besonders lange genutzte Fahrzeuge ergeben die schönsten Effekte. Denn die Ringe werden letztlich durch Gebrauchsspuren hervorgerufen, die im Lauf der Zeit durch mechanische Einwirkungen auf den Lack entstehen. Daran sind die rotierenden Bürsten beim Waschen oder das manuelle Säubern ebenso beteiligt wie Schmutzteilchen, die über den Lack hinweg streichen und dabei mikroskopisch kleine Rillen hinterlassen.
Auf den ersten Blick könnte man vermuten, es wären kreisförmige Streifen für das Phänomen verantwortlich, vielleicht durch entsprechende Bewegungen beim Polieren in diesem Bereich. Doch die leuchtenden Ringe bewegen sich mit dem Reflex der Lichtquelle mit und treten an fast jeder beliebigen Stelle in Erscheinung. Es muss eine andere Ursache geben.
Schaut man sich die hellen Striche genauer an, so erkennt man: Sie sind meist gar nicht gekrümmt, sondern es handelt sich um geradlinige Riefen, die sich wie Tangentenstücke an imaginäre Kreise um den Sonnenreflex herum gruppieren. Offenbar sieht man nur jene Abschnitte der Kratzer, die gerade so orientiert sind, dass sie das Licht ins Auge reflektieren. Auf die Weise entsteht insgesamt scheinbar eine kreisförmige Struktur. Unser visuelles System verstärkt den Eindruck, denn es tendiert dazu, Reize möglichst ausgewogen und symmetrisch wahrzunehmen. Denn wegen der Zufallsverteilung der Rillen kann es in Wirklichkeit keine aus tangentialen Stücken zusammengesetzten geschlossenen Kreise geben.
Wie kommt es zu dem Phänomen? Auf einer perfekt glatten Oberfläche wäre das Spiegelbild der Sonne genau auf einer Fläche zu sehen – und nur dort –, von der die einzelnen Punkte der Sonnenscheibe nach dem Reflexionsgesetz ins Auge geworfen werden. Nun sehen wir aber viele Stellen glänzen, die vom Spiegelbild der Sonne ein Stück entfernt sind. Darum können die reflektierenden Flächenelemente nicht in derselben Ebene liegen wie die gespiegelte Sonne. Sie müssen vielmehr zu ihr hin geneigt sein und zwar umso stärker, je weiter weg sie liegen.
Die Erklärung liegt im u-förmigen Querschnitt der Kratzer. Deswegen existiert ein ganzes Spektrum unterschiedlich geneigter Flächenelemente, und jedes leuchtet an den Stellen passender Winkel auf. Da die Sonne eine ausgedehnte Lichtquelle ist, erhellt sie nicht nur einen Punkt, sondern die Reflexion erstreckt sich noch über ein kleines Stück zu dessen Seiten. Die Länge der strahlenden Abschnitte hängt mit der scheinbaren Größe der Sonne zusammen. Außerdem sind die Reflexe an einem Kratzer auch deshalb nicht auf einen Punkt beschränkt, weil die Innenseiten unregelmäßig strukturiert sind und an mehreren Stellen passende Bedingungen bieten. Aus Symmetriegründen gelten die Überlegungen für alle tangential um das Spiegelbild der Sonne herum orientierten Rillen. Mit zunehmendem Abstand vom Zentrum sind immer steilere Neigungen für eine Reflexion zum Betrachter erforderlich. Da diese seltener vorkommen, nehmen die Häufigkeit und die Helligkeit leuchtender Kratzerabschnitte nach außen hin ab.
Obwohl die funkelnden Stellen einen Eindruck davon vermitteln, wie stark der Autolack vom Alltag gezeichnet ist, muss man sich vor Augen führen, dass die tatsächliche Zahl und Länge der winzigen Schrammen noch wesentlich größer sind. Eine Computersimulation veranschaulicht das: Man kann für eine Zufallsverteilung unterschiedlicher Kratzer, die im diffusen Licht unsichtbar sind, die Abschnitte visualisieren, die mit einer senkrecht darüber angebrachten Punktlichtquelle zu Tage treten. Dann zeichnen die Reflexionen ein ähnliches Muster wie auf einem Autodach und spiegeln doch immer nur einen Bruchteil aller Unebenheiten wider.
Solche strahlenden Ringe lassen sich außerdem beispielsweise als Reflexionen auf Besteck und weiteren intransparenten Objekten erkennen, aber auch beim Blick durch die Kunststofffenster eines Flugzeugs. Diese sind ebenso mechanischen Einwirkungen ausgesetzt. Von den winzigen Spuren sieht man nur etwas, wenn man durch das Fenster hindurch auf eine Lichtquelle blickt. In dem Fall gruppieren sich die hellen Abschnitte nicht um das Spiegelbild, sondern um das Original der Lichtquelle (siehe »Spektrum« August 2019, S. 52). Daher unterscheiden sich die physikalischen Verhältnisse insofern, als das Licht hier nicht an den Kratzern reflektiert, sondern an ihnen gebrochen wird.
Bei genauerem Hinschauen glitzern viele Rillen bunt. Offenbar sind einige der feinen Unregelmäßigkeiten von der Größenordnung der Wellenlänge des Lichts. Dann kommt es zur Beugung des Lichts, die das einfallende weiße Licht in die Bestandteile seines Spektrums zerlegt. Die Strukturen wirken wie feine Spalte, entlang derer die auftreffende Strahlungsfront Elementarwellen in alle möglichen Richtungen aussendet. Überlagern sie sich im Auge oder auf dem Chip der Kamera, so werden entsprechend den jeweiligen Wegunterschieden bestimmte Wellenlängen verstärkt oder abgeschwächt. Je nach Beobachtungsposition schimmern die Schrammen oft so intensiv farbig, dass sie viel breiter wirken, als sie in Wirklichkeit sind.
Es ist fraglich, ob die Natur überhaupt ‚aussieht‘. Es ist fraglich , ob die Welt einen feststehenden Aspekt bietet. Es könnte sein, daß die Augen ein Netzwerk ins Dunkle auswerfen, das eine dem Menschen faßbare Welt durch den Menschen selbst entstehen läßt. Die objektive Substanz ist für den Menschen sinnengemäß nicht faßbar. Malerei ist Kanon der Sicht.*
Die Naturwissenschaften, die Kunst, die Literatur… sind verschiedene und möglicherweise komplementäre Zugänge zur Natur und der durch sie mitbestimmten Wirklichkeit. Jedes ist eine besondere Art und Weise einen Zugang zu dem zu finden, was die Menschen als Substrat dieser Wirklichkeit ansehen.
* Willi Baumeister. Das Unbekannte in der Kunst. Stuttgart 1947, S.18
Sonnenstrahlen, jene ephemeren Lichtstäbe, die durch Lücken im Blätterdach der Bäume dringen und auch das Innere von Gebäuden nicht verschonen, haben es den Menschen immer wieder angetan. Sie wurden und werden oft von Schriftstellern und Poeten sehr konkret genommen. So spricht Arno Schmidt (1914 – 1979), von einem „Sonnenstrahlengebälk wie massiv, man möchte’s mit der Hand anfassen und sich dran vorbeiducken“. Aber nicht nur Sonnenstrahlen, auch Mondstrahlen haben die dichterische Fantasie immer wieder beflügelt. Man denke nur an Theodor Storms (1817 – 1888) „Kleine(n) Häwelmann“, der mit seinem Rollenbett auf einen langen Strahl, den der gute Mond durch das Schlüsselloch fallen ließ, zum Haus hinaus fuhr. Auch Felix Timmermanns (1886 – 1947) lässt Sankt Nikolaus mit seinem Eselchen auf einem Mondstrahl zur Erde kommen. Dabei stellte sich das Eselchen auf den Strahl, „stemmte die Beine steif und glitschte nur so hinunter, wie auf einer schrägen Eisbahn“ (siehe Abbildung). Und Wilhelm Busch (1832 – 1908) lässt in seinem derb ironischen Humor den heiligen Antonius seinen Glauben daran erweisen, dass er seine Haube an einen Sonnenstrahl hängt.
Die Dichter ziehen die Wirkung ihrer Aussagen aus der Differenz zwischen der physischen Nichtigkeit der Strahlen und der äußerst konkret erscheinenden Realität ihres Daseins. Physikalisch gesehen sind die Strahlen nichts anderes als Tröpfchen oder Staub, an denen das Licht eines durch Öffnungen zwischen den Blättern von Bäumen ausgeblendeten Strahls in alle Richtungen reflektiert wird, also auch in unsere Augen. Von wegen „Gebälk“ – ephemerer geht es nicht.
Bei naiver Betrachtung scheinen die scheinbaren Lichtstrahlen die an sich korrekte Vorstellung, dass die Sonne das Licht radial in alle Richtungen ausstrahlt zu bestätigen. Diese Vorstellung kollidiert allerdings mit der ebenso unverbrüchlichen Tatsache, dass die Strahlen wegen der Größe der Sonne fast parallel auf der Erde ankommen. Der Öffnungswinkel beträgt gerade einmal 0,5°. Die scheinbare Divergenz der Sonnen- und Mondstrahlen ist ein Perspektiveneffekt von derselben Art, nach der parallele Bahnschienen zum Horizont hin zusammenzulaufen scheinen.
Bei tiefstegender Sonne kann man zuweilen das Glück haben, einzeln beleuchtete Dünen in einer Dünenlandschaft am Strand oder in der Wüste zu finden. Der Anblick ist m. E. sehr bemerkenswert, weil er den Eindruck vermittelt aus sich selbst heraus zu leuchten.
Das menschliche Vermögen, Muster zu erkennen, ist bislang noch von keiner Maschine übertroffen worden. Sie ist entscheidend dafür, auch da noch etwas Sinnhaltiges zu erkennen, wo der Vergleich mit allem bislang Bekanntem ergebnislos ausgeht. Auch wenn der Sinn zunächst lediglich darin besteht, dass man den Anblick schön findet. Schönheit ist ein wesentlicher Aspekt einer sinnerfüllten Wahrnehmung.
Heute jährt sich der Geburtstag von Paul Valéry (1871 – 1945) zum 150. Mal. Valéry ist vor allem als Lyriker bekannt. Ich schätze ihn darüber hinaus als äußerst scharfsinnigen Denker und Essayisten, der auch noch so sicher geglaubte Dinge analysiert, hinterfragt, präzisiert und das in einer oft ausdruckstarken Weise. Insbesondere in seinen Cahiers findet man eine Fülle von tiefen Gedanken wie beispielsweise den folgenden:
Der Nachweis der Erdrotation ist ein schwerwiegendes Ereignis der Geschichte. Dreht sie sich denn, so wissen meine Sinne nicht von dieser Geschwindigkeit und tun sie nur indirekt kund. Ich glaubte etwas zu wissen. Wenn mir eine derart gewichtige Tatsache unbekannt bleiben konnte, wenn es so vieler Jahrhunderte und Umwege bedurfte, um sie zu entdecken, wie mancher Verdacht muß da nicht auf das fallen, dessen ich mich sicher wähnte!
Wie kümmerlich, auf einem Kreisel zu sitzen!
Das wissenschaftliche Befremden beginnt und wird nicht mehr aufhören. Es treibt die Religionen und Legenden davon und zieht sie wieder herbei. Christus hätte ein solch albernes, solch ungeheures Wunder nicht auszusprechen, die Heilige Schrift nicht zu schreiben gewagt.
Die Menschheit verhält sich nicht wie eine Gruppe, die sich auf einem Kinderkreisel sitzen weiß.
Paul Valéry. Cahiers 2. Frankfurt 1988, S.95
Im Hintergrund sieht man im ablaufenden Wasser an der Nordseeküste futtersuchende Vögel. Merwürdigerweise hatten sich auf der rechten Seite weiße Vögel versammelt (rechtes Foto) und auf der linken schwarze (linkes Foto: zum Vergrößern klicken). Ich dachte zunächst an Zufall. Als ich aber am Wasser entlang nach rechts wanderte merkte ich, dass dabei in dem Maße wie ich vorankam die vorher weißen Vögel schwarz aussahen. Erst dadurch wurde mir klar, dass alle Vögel weiß waren. Sie erschienen mir dann schwarz, wenn ich gegen das Licht der untergehenden Sonne blickte (linkes Foto) und der Kontrast zwischen der hellen Umgebung und der Schattenseite der weißen Vögel so groß wurde, dass letztere schwarz erschien. Demgegenüber sah ich die Vögel in ihrer wahren Farben, wenn ich sie im vollen Sonnenlicht vor Augen hatte. Eigentlich klar, aber erst die unwahrscheinliche Wandlung von weiß nach schwarz machte mich stutzig.
Dieses Beispiel zeigt, wie leicht man zu Fehleinschätzungen kommen kann. Denn nicht immer wird man durch einen Widerspruch in der Wahrnehmung zu einem kritischen Blick veranlasst.
Wenn man ein solches Gebäude mit gekrümmten Fassaden erblickt, wird man vielleicht an moderne Architektur à la Hundertwasser erinnert… Aber nein, nicht wirklich. Denn die Linien sind doch wohl etwas zu umstürzlerisch. Außerdem erscheinen sie genau in den Kreuzungen der Sprossen des Fensters, durch das man blickt zusammengezogen zu werden. Man wird ziemlich schnell das Fenster im Verdacht haben. Richtig, es handelt sich um eine Doppeltverglasung und die führt in den meisten Fällen dazu, dass die Scheiben infolge unterschiedlichen Luftdrucks innerhalb und außerhalb der Scheiben deformiert werden. Diese Deformationen führen meist zu kissenförmigen Verzerrungen der Gegenstände, die man im Blick hat.
Aber wie wäre es, wenn wir gar keinen Hinweis auf das Fenster hätten? Würden wir dann die Realität anders wahrnehmen. Würden wir etwa davon ausgehen, dass gesehene Gegenstände je nach Blickwinkel ihre äußere Form ändern? Welche Wirklichkeitsauffassung resultierte daraus? Ich will den Gedanken nicht weiterspinnen, obwohl er geeignet ist, einige stillschweigende Voraussetzungen der Wahrnehmung zu unterminieren. Und da wir nun mal nicht ständig durch Fenster blicken, sind diese Fragen außerdem sehr hypothetisch. Sind sie das wirklich? Sind nicht auch unsere Augen eine Art Fenster? Jedenfalls blicken wir durch den Glaskörper, die Linse, die Hornhaut und nehmen alles auch noch auf dem Kopf stehend wahr. Ist das wirklich vertrauenswürdig? Nun, wir haben nichts Besseres und kommen in der Regel bestens damit zurecht – von Augenfehlern einmal abgesehen. Jedenfalls macht unser Gehirn aus den Seheindrücken die schöne, stabile, in Senkrechten und Waagerechten normierbare Welt. Aber ist nicht gerade darin das Problem zu sehen? Sind wir noch Herr im eigenen Hause?
Vor kurzem nutzten wir das Sonnenwetter, um eine längere Wanderung im Wiehengebirge zu unternehmen. Dabei überquerten wir eine hellgraue Betonstraße, die über und über mit Sonnentalern übersät war. Nun sind Sonnentaler keine Seltenheit, wenn man an einem sonnigen Tag im Wald unterwegs ist. In diesem Fall war aber auffällig, dass die Straße in einem leichten Grünschimmer strahlte. Auch dafür gibt es eine plausible Erklärung. Sie ist grün, weil sie von grünem Licht beleuchtet wird. Das grüne Licht entsteht dadurch, dass das weiße Sonnenlicht durch das Blätterdach der Bäume gefiltert wird. Die trifft allerdings nicht nur für die Straße, sondern auch für die Waldwege zu.
Warum fällt das Grün hier besonders auf? Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen ist die hellgraue Betonstraße deshalb hellgrau, weil sie so gut wie alle Farben des weißen Sonnenlicht diffus reflektiert. Das erkennt man an den weißen Sonnentalern, die das ungefilterte Sonnenlicht reflektieren, das durch die Lücken im Blätterdach der Bäume hindurchgeht. Die übrigen Bereiche werden indessen durch das von den Blättern reflektierte bzw. durchgelassene grüne Licht beleuchtet, was nach der Wechelwirkung mit dem Sonnenlicht übrig bleibt.
In den übrigen Bereichen des Waldbodens, der u. A. auch das grüne Licht absorbiert, sieht man die Mischfarbe, die vom Boden ausgestrahlt wird – die typische Farbe des Waldbodens.
Das Grün auf der Straße fällt allerdings erst dann auf, wenn man nicht nur auf die Straße blickt, sondern auch noch Randbereiche des Waldbodens in den Blick nimmt. Denn heftet man den Blick nur auf die Straße, erscheint sie eher im ursprünglichen Grau. Warum das so ist? Das Auge und auch die der visuellen Wahrnehmung nachempfundene Sensorik der Kamera tendieren dazu die vorherrschende Farbe als weiß wahrzunehmen bzw. darzustellen (chromatische Adaptation). Wenn man jedoch gleichzeitig auch andere nicht grüne Bereiche wahrnimmt, funktioniert dieser Mechanismus nicht mehr und man sieht auch die Straße weitgehend in der tatsächlichen Farbe. Das Phänomen ist vielfach zu beobachten, wenn man denn darauf achtet.
Über ähnliche Phänomene wurde früher hier und hier und hier berichtet.
Eigentlich interessierte mich nur die wellenartige Wolkenstruktur, bis drei Jets in das Blickfeld eindrangen. Es sah so aus als würden sie sich ein Wettrennen liefern, was in dieser Höhe von mindestens 8 km allerdings dramatischer aussieht als es in Wirklichkeit ist. Denn die Entfernungen und Höhenunterschiede zwischen ihnen sind möglicherweise viel größer als man auf den ersten Blick einschätzen würde.
So zeigte sich auch im Folgenden, dass die Bahnen zweier Jets sich kurzfristig zu verschmelzen schienen, was aber eher eine Verdeckung der vom Beobachter aus gesehen hinteren durch die vorderen Kondensstreifen war, wie sich im weiteren Verlauf zeigte.
Ohne die Kondensstreifen hätte ich von diesem Schauspiel ohnehin nichts mitbekommen. Die Flugzeuge selbst wären wohl kaum aufgefallen, weil es fast unmöglich ist, sie ohne die Streifen zu erkennen. Wie man auf den Fotos sieht, setzen die Kondensstreifen erst ein ganzes Stück hinter den Flugzeugen an.
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Wenn sich Hühner fortbewegen untermalen sie jeden Schritt mit einem übertrieben erscheinenden Kopfnicken. Aber sie sind damit nicht allein. Auch andere Vögel wie zum Beispiel Tauben sind für ihre notorische Nickbewegung bekannt. Dass das Nicken mit den Schritten koordiniert zu sein scheint, wird dadurch unterstrichen, dass die Nickfrequenz mit der Laufgeschwindigkeit zunimmt. Das spricht dafür, dass es sich nicht um eine bloße Marotte handelt, sondern um eine physikalisch-physiologische Notwendigkeit. Weiterlesen
Wenn sich nach tagelanger Abwesenheit die Spinnen – meist langbeinige Zitterspinnen (siehe Abbildung) – im Hause ausgebreitet und ihre Netze gespannt haben, erleben sie regelmäßig das wahre Wunder. Als Tierfreund sauge ich sie nicht einfach mit dem Staubsauger weg, wie es ansonsten wohl üblich ist, sondern ergreife sie mitsamt eines Teils ihres Netzes in der hohlen Hand und trage sie hinaus in die große weite Welt. Dabei bleiben sie in der Regel völlig unversehrt. Weiterlesen
Der hier rumliegenden Steinbrocken sieht aus wie ein abgesägter Baumstamm. Er sieht nicht nur so aus, er war auch mal Teil eines Baums – vor sehr langer Zeit, und es hat Millionen von Jahren gedauert bis aus dem Holzstamm ein Steinstamm wurde. Wie es im Einzelnen dazu kam, ist insofern wissenschaftlich noch nicht verstanden, als es bislang nicht gelang, Holz im Labor zu versteinern. Aber man hat ein grobes Bild von den physikalisch-chemischen Vorgängen, die der Steinstamm hinter sich hat. Weiterlesen
Wenn man die ostfriesische Landschaft erleben möchte, muss man früh anfangen. Oft beginnt der Tag mit Nebeln, die aus den Kanälen und Schlooten aufsteigen und die Strukturen der Landschaft mit etwa derselben Geschwindigkeit freigeben wie das eigene Bewusstsein sich auf den neuen Tag einzustellen vermag.
Ich habe bewusst eine Schwarzweiß-Aufnahme gewählt, weil das Wahrnehmung noch weitgehend durch die Stäbchen bestimmt wird.
Hier werde ich ab heute eine Woche ohne Internet verbringen 🙂
Physikalisch gesehen ist Stille die Abwesenheit von Schall. Die uns umgebende Luft ist in völliger Ruhe. Nichts schwingt, was das Trommelfell zum Mitschwingen anregen könnte. Doch wie „hört“ sich Stille an? Kann man absolute Stille überhaupt erleben? Weiterlesen
Optische Täuschungen können sich über den rein visuellen Eindruck hinausgehend unmittelbar körperlich auswirken. In einem Kommentar einer früher vorgestellten Täuschung wurde dies bereits im Hinblick auf die schwankenden Parallelen einer aus schwarzen und weißen Fliesen bestehenden Wand geäußert. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel einer Täuschung mit garantiert drastischer Körperwirkung kann man in einigen Science Centern, z.B. dem Phaeno in Wolfsburg erleben und vielleicht sogar erleiden. Weiterlesen
Diese Figur-Grund-Täuschung habe ich im Science-Center Phaeno in Wolfsburg entdeckt. Ich stand lange vor diesem Phänobjekt bis der Groschen fiel. Ich habe es ja bereits im Titel verraten, worum es geht: Eine Täuschung der Wahrnehmung bei der man in mehrdeutigen Situationen zwischen Objekt (Figur) und Hintergrund (Grund) hin und her schwankt. Für mich waren die gedrechselt aussehenden Figuren dominant, bis plötzlich die Zwischenräume ein Eigenleben als Personen mit altertümlichen Gewändern zu führen begannen und die Objekte in den Hintergrund drängten.
Mir ist es auch schon passiert, dass ich gewissermaßen in freier Natur in der eine Täuschung gar nicht beabsichtigt war, massive Steinsäulen zugunsten luftiger Zwischenräume visuell in den Hintergrund gedrängt habe.