Er gibt keine Begründung, doch kann man sie sich ergänzen: Nach den rabiaten Göttern Mars und Saturn, Jupiter dazwischen, war eine der Venus adäquate, freundliche Gestalt fällig, die dem Haupt ihres Vaters Jupiter entsprungene Eulengöttin der ‚Kopfgeburten‘ insgesamt, nämlich der Wissenschaften.*
Gestern traf ich das „Maskottchen“ der Weisheit und der Wissenschaften im Iburger Wald, einem Ausläufer des Teutoburger Waldes. Gleich drei Exemplare hockten auf und im Stamm eines abgestorbenen Baums. Ich gehe davon aus, dass es sich um ein Schnitzwerk handelt, das mit der Motorsäge aus dem Baum herausmodelliert wurde.
* Hans Blumenberg. Die Vollzähligkeit der Sterne. Frankfurt am Main 1997, S 189
Die Poesie der Wissenschaft liegt nicht offen zutage. Sie stammt aus tieferen Schichten. Ob die Literatur imstande ist, mit ihr auf gleicher Höhe umzugehen, ist eine offene Frage. Letzten Endes kann es der Welt gleichgültig sein, wo sich die Einbildungskraft der Spezies zeigt, solange sie nur lebendig bleibt. Was die Dichter angeht, so mögen diese Andeutungen zeigen, daß es ohne ihre Kunst nicht geht. Unsichtbar wie ein Isotop, das der Diagnose und der Zeitmessung dient, unauffällig, doch kaum verzichtbar wie ein Spurenelement, ist die Poesie auch dort am Werk, wo niemand sie vermutet. Weiterlesen
Die Welt-Ausrechnung, Allmacht der Neuzeit, vor der auch Diktatoren sich beugen und Alle, die sich sonst hassen, verbrüdern, will alle Dinge entsiegeln. Im Freiraum der Kunst, wenngleich er folgenlos wurde: sie versiegeln sich wieder. Je mehr wissenschaftlicher Aufschluß, desto verschlossener erweisen die Dinge sich. Sie trotzen. Sie sehen den einzigen Fluchtweg, wenn sie überhaupt einen sehen: Umziehen ins Rätsel. Das Labyrinth, ihre Wohnung. So geht durch die Künste unserer Tage ein Zug, wir kennen ihn Alle. Jeder Vers sagt es, jedes Bild spricht davon: Die Dinge verrätseln sich. Das Unaufgeklärte, das Schwerverständliche ist ihre Zuflucht.
In der Neuzeit, in der totalen Welt-Ausrechnung, so will ihnen vorkommen: Es ist nur noch das Rätsel, das Rat gibt.*
* Erhart Kästner. Aufstand der Dinge. Frankfurt 1975, S. 191
Ich befinde mich in einem alten Steinbruch, stehe eine Weile vor einer Felswand und versuche mir vorzustellen, dass ich auf einen ehemaligen Meeresboden blicke. Meine Vorstellungskraft ist groß genug, sodass ich den Kopf nicht zur Seite neigen muss, um den Meeresboden auch in dieser durch erdgeschichtliche Vorgänge schräge aufgefalteten Lage als solchen zu erkennen. Ich erkenne in der Blätterteigstruktur das Ergebnis von Sedimentationen in einem ehemaligen Meer und deren späterer Versteinerung. Weiterlesen
Immer rascher fliegt der Funke,
Jede Dschunke und Spelunke
Wird auf Wissenschaft bereist,
Jede Sonne wird gewogen
Und in Rechnung selbst gezogen,
Was noch sonnenjenseits kreist.
Immer höhre Wissenstempel,
Immer richt’ger die Exempel,
Wie Natur es draußen treibt,
Immer klüger und gescheiter,
Und wir kommen doch nicht weiter,
Und das Lebensrätsel bleibt.
* Theodor Fontane (1819 – 1898)
Es mag zwar paradox klingen, doch alle exakte Wissenschaft wird vom Gedanken der Annäherung beherrscht.
Bertrand Russel (1872 – 1970)
Es ergibt sich der merkwürdije (aber feine & interessante) Casus : daß eine hochwichtije gestrenge Wissenschaft in RomanForm vorgetragn werdn sollte, um Ab=, womöglich VorBild von/für Lebm & Verhaltn zu sein.
Arno Schmidt (1914 – 1979): Zettels Traum. Bargfeld 2010 Weiterlesen
Die Welt-Ausrechnung, Allmacht der Neuzeit, vor der auch Diktatoren sich beugen und Alle, die sich sonst hassen, verbrüdern, will alle Dinge entsiegeln. Im Freiraum der Kunst, wenngleich er folgenlos wurde: sie versiegeln sich wieder. Je mehr wissenschaftlicher Aufschluß, desto verschlossener erweisen die Dinge sich. Sie trotzen. Weiterlesen
In der zeitgenössischen Physik ebenso wie in Kunst und Literatur lässt sich nicht mehr alles auflösen in anschauliche Zusammenhänge. Es zeigt sich, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht nur tiefer und fundamentaler, sondern in gleichem Maße labyrinthischer und rätselhafter werden. Es scheint als würden Wissenschaftler immer mehr zum Rätsellöser („puzzle solver“) wobei jede Lösung neue Rätsel aufgibt.
„Die Welt-Ausrechnung, Allmacht der Neuzeit, vor der auch Diktatoren sich beugen und Alle, die sich sonst hassen, verbrüdern, will alle Dinge entsiegeln. Im Freiraum der Kunst, wenngleich er folgenlos wurde: sie versiegeln sich wieder. Je mehr wissenschaftlicher Aufschluß, desto verschlossener erweisen die Dinge sich. Sie trotzen. Sie sehen den einzigen Fluchtweg, wenn sie überhaupt einen sehen: Umziehen ins Rätsel. Das Labyrinth, ihre Wohnung. So geht durch die Künste unserer Tage ein Zug, wir kennen ihn Alle. Jeder Vers sagt es, jedes Bild spricht davon: Die Dinge verrätseln sich. Das Unaufgeklärte, das Schwerverständliche ist ihre Zuflucht.
In der Neuzeit, in der totalen Welt-Ausrechnung, so will ihnen vorkommen: Es ist nur noch das Rätsel, das Rat gibt.“
Erhart Kästner: Aufstand der Dinge. Frankfurt: Insel 1975
(c) H. Joachim Schlichting
„Eigentlich tue ich nichts, als die eigene Physiologie zu beschreiben. Die Veränderungen des elektrischen Feldes auf der Netzhaut, Temperatur-schwankungen, die unterschiedliche Konzentration von Geruchspartikeln in der Luft, das Oszillieren der Schallwellenfrequenz. Daraus setzt sich die Welt zusammen. Alles übrige ist formalisierter Wahnsinn oder die Geschichte der Menschheit. Und wenn ich so gegenüber der Post von Dukla stehe, eine Zigarette rauche und den breitschultrigen Typen mit Spiegelreflexkamera zusehe, kommt mir der Gedanke, daß das Sein Fiktion sein muß, wenn wir überhaupt eine Chance haben sollen. Daß Fleisch, Blut, Licht und alle anderen Selbstverständlichkeiten sich eines Tages als ein einziger interessanter Trug herausstellen müssen, sonst stimmt hier etwas nicht, und Ciao Pamela, wir danken für Ihren Besuch, beehren Sie uns wieder morgen ab eins. Und so ein naiver Gedanke überfällt mich jetzt in Dukla, dessen Reglosigkeit darüber nachsinnen läßt, wie es um die Dinge stehen könnte. Laterna magica, camera obscura, Glaskugel, in der langsam Schnee rieselt, Kaleidoskop der letzten Hoffnung und metaphysische Peepshow“.
Stasiuk, Andrzej; Die Welt hinter Dukla. Frankfurt am Main 2000