Wir sitzen in der Küche an unserem runden Tisch, der mit einer glatten Marmorplatte ausgestattet ist, und unterhalten uns (oberes Foto). Plötzlich bleibt mir das Wort im Hals stecken, als sich ein Topfdeckel, den ich aus irgendwelchen Gründen kurz vorher auf den Tisch gelegt hatte, wie von Zauberhand bewegt auf die Tischkante und damit auf den Abgrund zu strebt. Ich höre es schon scheppern und wollte gerade zugreifen, als er leicht über die Tischkante hinausragend von selbst stehen blieb. Im Nachhinein hätte ich mir das auch denken können.
Um es gleich vorweg zu sagen, es war nicht der Einfluss böser Kobolde, die in diesen Rauhtagen und -nächten ihr Unwesen treiben. Die Aufklärung lässt sich zum Glück ganz im Rahmen der herkömmlichen Physik geben. Der Tisch ist offenbar nicht ganz horizontal – welcher Tisch ist das schon – also ein wenig geneigt. Das macht sich normalerweise nicht bemerkbar, weil insbesondere ein schwerer Deckel wie dieser durch Reibung fixiert wird. In diesem Fall hatte der Deckel jedoch eine unbeabsichtigte Vorgeschichte. Ich hatte ihn erst wenige Minuten vorher aus dem kühlen Wintergarten in die warme Küche geholt und auf den ebenso warmen Tisch gelegt. Der Deckel ist so beschaffen, dass seine Kante luftdicht mit der glatten Tischplatte abschließt (siehe unteres Foto mit dem umgedrehten Deckel). Die Luftdichtigkeit kommt dadurch zustande, dass Feuchtigkeit an dem kalten Deckel kondensiert und eine Dichtung zwischen Tisch und Deckelrand bildet.
Die unter dem Deckel gefangene und von ihm abgekühlte Luft wird nunmehr allmählich von der massiven Tischplatte erwärmt. Durch die Erwärmung erhöht sich der Luftdruck unter dem Deckel bis dieser so groß ist, dass der er etwas angehoben wird und gewissermaßen auf einem Luftpolster ruht. Auf diese Weise wird die Reibung zwischen Tisch und Deckel fast vollständig aufgehoben. Die durch die winzige Schräge des Tisches bedingte Hangabtriebskraft reicht nunmehr aus, den Deckel wie ein Luftkissenboot anzutreiben und auf die Tischkante zurasen zu lassen. Sobald er jedoch nur etwas über die Tischkante hinausragt, findet ein Druckausgleich statt, der Deckel setzt wieder auf der Tischplatte auf und bleibt reibungsbedingt stehen.
Da haben wir dann noch einmal Glück gehabt, dass wir es nicht mit Rauhnachtkobolden zu tun hatten, sondern lediglich mit (in diesem Fall gnädigen) Naturgesetzen in einer Situation, die man sich kaum so hätte ausdenken können.
Schlüssige Erklärung. Womöglich hätten sonst die besagten Kobolde es ganz schön dolle scheppern lassen, eventuell noch dem Verschreckdackel übers Fell…:-)
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In der Tat, eine rationale Erklärung kann manchmal sehr hilfreich sein, gerade in den Rauhnächten… 😉
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Das wäre der Sondernbarkeiten zuviel, liebe Sonja, auch noch den Dackel mit dem Deckel zu behelligen.
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In den Rauhnächten ist offenbar alles möglich. Da ziehen sich sogar Deckel und Dackel an…
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Wobei dann der Dackel wohl sehr verstört sein dürfte, da er das Geschehnis nicht integrieren kann.
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Die Dackel müssen oft noch größere Ungereimtheiten ertragen…
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Na_Na! Dieses Experiment hattest Du wohl (in doppeltem Sinne) vorbereitet, denn wer legt schon einen Deckel einfach so aufn Tisch. 😉
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Zuzutrauen wär mir das in der Tat. In diesem Fall war es aber anders. Ich würde es nur noch schlimmer machen, wenn ich die ganze Geschichte erzählte… Was das Phänomen betrifft, so ist es eh unwichtig. Die Geschichte sollte nur zeigen, dass man von selbst auf so etwas kaum kommen kann.
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die Raunachtkobolde aka Kalikantsari haben sich eben die Naturgesetze zu Nutze gemacht, um ihr Stückchen aufzuführen. Wie der König des kleinen Planeten, den der kleine Prinz besuchte (Sonnenuntergang).
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So wird es sein. Du meinst die STelle, wo der König den Sonnenuntergang befehlen soll.
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ja, die meine ich.
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🙂
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Toll. Danke für die Erklärung. Ich habe dieses Phänomen auch schon erlebt: und zwar auf meinem Arbeitstisch in der Mittagspause als ich dort einen Teller mit Fertignudeln mit heißem Wasser übergoss und einen zweiten Teller darüber stülpte, damit die Nudeln ein paar Minuten ziehen können. Als ich dann den darüber gestülpten Teller abnahm und richtig herum auf den Tisch stellte, rutschte er nach einem kurzen Moment wie von Zauberhand über den Tisch. Jetzt weiß ich warum und dass der Tisch nicht in Waage steht. 🙂
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Vielleicht sollte man sich das patentieren lassen – als Wasserwaage… 😉
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Ein vermutlich ähnliches Phänomen passiert, wenn ich einen bedampften Metalldeckel mit der flachen, feuchten Unterseite auf dem Tisch ablege. Es entsteht eine Sogwirkung (Unterdruck?), der den Deckel auf dem Tisch festhält. Erst wenn ich den Deckel zur Tischkante schiebe, lässt er sich wieder einfach anheben.
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Offenbar hältst du dich viel in der Kühe auf. Das von dir geschilderte Phänomen kommt wie du richtig vermutest durch Unterdruck zustande. Wenn der Deckel auf dem Tisch abgelegt wird, ist die unter ihm befindliche heiße Luft von geringerer Dichte als die Umgebungsluft. Wenn sich nun der Deckel und die Luft abkühlen, sinkt die Dichte und damit entsteht ein Unterdruck gegenüber der äußeren Umgebung, die die Deckel daher fest auf den Tisch drückt.
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Dankeschön. 🙂
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🙂
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Lieber Joachim!
Also, diese Töpfe besitzen wir auch, SuS, und ich benutze sie gerne. Meine Frau kennt den, wie sie sagt, von Dir beschriebenen Effekt und hat sich als Laie sehr über die fachkundige Erklärung des Phänomen durch den Profi gefreut. Wir hatten Spaß am Frühstückstisch. Liebe Grüße
Jürgen
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Das freut mich, lieber Jürgen, ich hatte schon befürchtet, dass wir die einzigen auf der Welt sind, die diese Töpfe haben (vor langer Zeit gekauft). Deswegen hatte ich noch ein Foto von dem umgedrehten Deckel gemacht, damit man sich den Vorgang vorstellen kann. Herzliche Grüße auch an deine physikinteressierte Frau! Joachim
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Als ich einmal in Portsmouth war sind ich und mein Kollege mit dem Hoovercraft zur isle of wight, nur um einmal mit dem Boot zu fahren.
Haben dann auf der Isle gefrühstückt und dann zurück, am Nachmittag war unser Rückflug.
Aber die Luftkissentechnik musste ich einfach erleben.
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Einen ähnlichen Ausflug habe ich vor vielen Jahren von Formentera nach Ibiza gemacht – auch nur, um die Technik kennenzulernen. Inzwischen reicht – wie du siehst – ein Topfdeckel aus… 😉
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Die sogenannte „Wohnzimmerreise“, die Puzzle in einem ihre letzten Artikel erwähnte.
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Genau, in diesen Zeiten muss man sich mit dem Prinzip begrügen…
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Oder die Nach-Weihnachtswichtel….
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Die hatte ich natürlich als erste im Verdacht…
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🤭
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So etwas ähnliches hatte ich neulich mit einem abgewaschenen Trinkglas auf der glatten, leicht geneigten Abtropffläche aus Edelstahl. Das heiße Glas hat die Luft im Inneren erwärmt und fing an, in Richtung Spülbecken zu gleiten. Fast gespenstisch.
Was auch Spaß macht: Wenn ein Deckel sehr gut auf den Topf passt, kann man ihn sehr lange wie einen Kreisel rotieren lassen, wenn Flüssigkeit im Topf vor sich hin köchelt und den Deckel leicht anhebt.
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Bei den Trinkgläsern kann es allerdings schief gehen. Die sind höher als der Deckel und wenn die dann ein Stück über den Rand gehen und wegen des Druckausgleichs stehen bleiben, kann sich der höher gelegene Schwerpunkt aus Trägheit noch ein Stück weiter bewegen und zum Überkippen führen.
Das Beispiel mit dem kreiselnden Deckel kenne ich nicht und werde es bei der nächsten Gelegenheit mals ausprobieren.
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