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Strukturbildung, Selbstorganisation & Chaos

Diese Kategorie enthält 242 Beiträge

Sandentmischung durch Wasserwellen

Die am Strand auslaufenden Wellen des anstürmenden Meeres wühlen den aus dunklen und hellen Körnern gemischten Sand auf und tragen ihn ein stückweit mit sich. Dabei erkennt man, dass die Wellen den Sand teilweise in nahezu parallele Strähnen zerlegen und damit eine Entmischung bewirken. Sie hält allerdings nur solange vor, wie die Wellen sie auftürmen. Danach wird alles wieder vermischt.
Bei dieser interessanten Art der Entmischung (Segregation) spielen unterschiedliche physikalische Eigenschaften eine wesentliche Rolle. Die schwarzen Sandkörner haben beispielsweise eine deutlich größere Dichte als die weißen und verhalten sich in der Bewegung unterschiedlich.

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Wie Waben in der Wüste wachsen

Verwinkelte Grate: Schmale Wülste aus Salz teilen die Salzebene des Salar de Uyuni in Bolivien in regelmäßig anmutende Parzellen auf.

H. Joachim Schlichting. Spektrum der Wissenschaften (2023)

Aus Vor- und Rückwärts bildet sich der Kreislauf.
Franz Grillparzer

An der Oberfläche von ausgetrockneten Seen bilden sich polygonförmige Strukturen. Sie sind das Ergebnis von Konvektionsvorgängen, die von der Sonne angetrieben werden und Salz auf organisierte Weise ausfällen.

Wüsten sind als raue Schönheiten bei Touristen beliebt, gelten aber zu Unrecht als tote Landschaften. Tatsächlich sind sie ständig im Fluss, wenn auch manchmal auf subtile Art. In den weltweit vorkommenden Salzwüsten beispielsweise wachsen erstaunliche Wabenmuster am Boden. Deren Zustandekommen hat sich lange einer einheitlichen und konsistenten wissenschaftlichen Beschreibung entzogen.

Salzwüsten – ob im Death Valley in Kalifornien, im Chott el Djerid in Tunesien oder in der Salar de Uyuni in Bolivien – gehen aus austrocknenden Seen hervor, in denen mehr Wasser verdunstet, als der Regen nachliefert. Der Zufluss erfolgt meist durch Grundwasser, das aus Niederschlägen in den umgebenden Bergen gespeist wird.

Zu den ebenso beeindruckenden wie rätselhaften Merkmalen dieser trockengefallenen Seen gehören ästhetische polygonale Muster kristallisierten Salzes. Sie überziehen die Wüsten auf großen Flächen. Rein von der Struktur her erinnern sie zunächst vielleicht an überdimensionale Trockenrisse, die man von Pfützen oder lehmigen Flusssedimenten in der Sommerhitze kennt. In solchen Fällen richtet sich die Größe der auseinander klaffenden Bodenabschnitte nach der Dicke der Schlammschicht. Im Gegensatz dazu weisen die Vielecke aus Salzkristallen einen einheitlichen Durchmesser von ein bis zwei Metern auf, unabhängig von der Stärke der verkrusteten Schichten. Daran scheitern auch weitere Hypothesen zur Entstehung, etwa dass an die Oberfläche gelangendes Salz zu einer horizontalen Ausdehnung führen würde und damit zu einer Art Faltenbildung.

Als ich derlei Polygone zum ersten Mal vor Jahren in Tunesien gesehen habe, erinnerten sie mich an eine Art erstarrter Rayleigh-Bénard-Konvektionszellen. Solche Formen sieht man manchmal auf Milchkaffee, erwärmtem Fett in der Pfanne oder sogar Eisschichten (siehe »Verborgene Muster im Eis«, »Spektrum« Februar 2021, S. 64). Allerdings gab ich den Vergleich schnell wieder auf, weil die Gebilde aus Salz bestehen und in den meisten Fällen weit davon entfernt scheinen, flüssig zu sein.

Simulierte Dynamik: Eine Visualisierung der Vorgänge entlang und unter der Kruste eines Salzsees zeigt an der Oberfläche die aufsteigenden (blau) und absteigenden (rot) Ströme sowie darunter die Salzkonzentration (in Brauntönen; je dunkler, desto höher).

Nun liegt genau diese Vorstellung einem Modell zu Grunde, das im Februar 2023 von einer internationalen Forschungsgruppe um Jana Lasser von der Universität Graz veröffentlicht wurde. Das Team erklärt die polygonartigen Strukturen durch eine Wechselwirkung von Salzwasser-Konvektionsbewegungen mit den kristallisierten Krusten. Die bisherigen Ansätze haben meist übersehen, dass es unterhalb des festen Wüstenbodens im Allgemeinen nicht trocken ist, sondern Kontakt zu stark salzhaltigem Grundwasser gibt. Dieses reicht oft bis knapp unter die Oberfläche. Die Hypothese wurde durch Computersimulationen untermauert: Die Resultate geben das natürliche Phänomen erstaunlich gut wieder und erlauben verifizierbare Vorhersagen.

Für eine Vorstellung von der Dynamik des Vorgangs hilft zunächst ein Blick auf die normale Rayleigh-Bénard-Konvektion, auch wenn sich die Ergebnisse nicht eins zu eins übertragen lassen. Dabei hat man es mit einer Flüssigkeitsschicht zu tun, die typischerweise von unten geheizt und dadurch instabil wird. Die erwärmte und damit leichter gewordene untere Lage drückt die darüberliegende nach oben. Das kann nicht im Stück über die gesamte Fläche gelingen, sondern geschieht an vielen Stellen, indem sich ein Austausch zwischen kalten und warmen Partien einstellt. Das führt zu einem stationären Muster von charakteristischen Konvektionszellen. In deren Zentren erreicht die nach oben strömende warme Flüssigkeit die Oberfläche und breitet sich radial nach den Seiten aus, während ihre Temperatur abnimmt. Dort trifft sie auf die entsprechenden Strömungen der Nachbargebiete, und alle sinken gemeinsam – durch die Abkühlung dichter geworden – wieder nach unten. Dort erwärmen sie sich und durchlaufen eine neue Runde.

Konvektionsbewegungen | Pfeile kennzeichnen die Strömungen in einer Zelle, kräftigere Farben entsprechen höheren Salzkonzentrationen.

Wenn man dieses überschaubare Geschehen vor Augen hat, ist es einfacher, die Vorgänge unter- und oberhalb der Wüstenebene anschaulich zu erfassen. In dem porösen Bodenmaterial steigt Salzwasser auf, nachdem es seine Dichte durch Kontakt mit dem Grundwasser verringert hat. Das passiert jeweils in der Mitte jedes Polygons. Oben angekommen breitet sich die Flüssigkeit radial nach allen Seiten aus. Dabei wird sie von der Sonne aufgeheizt, und ein Teil des Wassers verdunstet. Dadurch steigen dessen Salzgehalt und Dichte. Das hat einen doppelten Effekt. Einerseits wird Salz ausgefällt, das in der zunehmend konzentrierten Sole nicht mehr löslich ist. Andererseits nimmt die Dichte zu, woraufhin die übrige Lake am Übergang zu den Nachbarzellen absinkt. Entlang der Ränder der einzelnen Polygone wachsen dann Kristalle in die Höhe.

Im Prinzip ist diese Konvektionsdynamik rotationssymmetrisch. Es würden sich also kreisförmige Zellen ergeben. Wenn allerdings solche runden Gebilde gegeneinander wirken und eine gemeinsame Grenze bilden, kommt es im Idealfall zu Sechsecken. Das kennt man von Bienenwaben. Bei den Wüsten läuft es nicht ganz so perfekt ab. Hier stören unterschiedliche Bodenbeschaffenheiten an vielen Stellen den freien Fluss. Deswegen sind zwar die Zellen mit sechs Ecken in der Überzahl, aber meistens sind die Seiten nicht gleich lang. Dennoch ist die Musterung wunderschön. Sie beeindruckt umso mehr, wenn man sich bewusst macht, dass man gerade eine Momentaufnahme eines hochkomplexen dynamischen Geschehens vor Augen hat.

Quelle

Lasser J. et al.: Salt polygons and porous media convection, Physical Review X 13, 2023

Pfingstrose kurz vor der Entfaltung

Pfingstrose

Verhaucht sein stärkstes Düften
Hat rings der bunte Flor,
Und leiser in den Lüften
Erschallt der Vögel Chor.

Des Frühlings reichstes Prangen
Fast ist es schon verblüht –
Die zeitig aufgegangen,
Die Rosen sind verblüht.

Doch leuchtend will entfalten
Päonie ihre Pracht,
Von hehren Pfingstgewalten
Im tiefsten angefacht.

Gleich einer späten Liebe,
Die lang in sich geruht,
Bricht sie mit mächtgem Triebe
Jetzt aus in Purpurglut.
*

Die Pfingstrose – hier im typischen Kugelstadium – ist ein Verpackungskünstler. Jedenfalls erlaubt sie, die Entfaltung schrittweise nachzuvollziehen, wenn sie in den nächsten Tagen ihr Purpur zum Glühen bringt. Der Entfaltungsvorgang wie er in Blüten und Blättern stattfindet ist m.E. eine Art Naturorigami, das mich immer wieder begeistert. Siehe frühere Beiträge, z.B. hier und hier und hier und hier und hier und hier.

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* Ferdinand von Saar (1833 – 1906). Saar gehört neben Marie von Ebner-Eschenbach zu den bedeutendsten realistischen Erzählern der österreichischen Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Seine Werke zeichnen sich durch humanistisches Ethos und Sozialkritik aus.

Iris mit Pareidolie

Als ich mich ein wenig in die Naturschönheit einer blauen Iris versenkte erblickte ich plötzlich ein Fabeltier, das mich ein wenig an einen blauen Pfau mit offenem Schnabel und geschlossenem Auge erinnert. Ich habe die Blume fotografiert und zeige hier den Ausschnitt, der mir ins Auge gestochen war. Schaut selbst, seht ihr nicht auch das blaue Tierchen?

Spirale 18 – ein spiralförmiges Kontinuum

Texte, Kunstwerke transformieren lediglich andere Texte und andere Kunstwerke in ein netzartiges und spiralförmiges Kontinuum über die Zeiten hinweg. Das gestaltgebende Gewebe, das allen gemein ist, ist das des Mediums und der verfügbaren Konventionen. Individueller dichterischer GENIUS oder historische Einzigartigkeit sind totemistische Begriffe, die weitgehend auf Illusion beruhen. *

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* Georg Steiner. Von realer Gegenwart. Hat unser Sprechen Inhalt? Wien 1990, S. 159

Pareidolie im Holz

Der Wald hat heute viele seiner Geheimnisse verloren. Hänsel und Gretel sind ebenso verschwunden wie Rotkäppchen und der Wolf. Bevor Bäume absterben werden sie abgeholzt. Wälder sind meist aufgeräumt. Man darf kaum noch vom vorgezeichneten Weg abweichen. In unserem Wald gibt es Hinweisschilder auf „Kein Weg“, eine doppelte Paradoxie. Denn einerseits muss nicht eigens auf etwas hingewiesen werden, was nicht ist. Andererseits ist ein Weg nicht einfach weg, wenn man es mit einem Hinweisschild behauptet.
Aber man kann sich behelfen. Wälder und Bäume haben bestimmte Geheimnisse behalten. Sie sind voll von Pareidolien, also Strukturen, die visuell meist ohne unser Dazutun mit anderen Bedeutungen belegt werden. Man muss lediglich eine Bereitschaft mitbringen, solche Umdeutungen gegen das eigene Denken zuzulassen. Ein Beispiel ist der im Foto abgelichtete Baumstumpf. Er bekommt plötzlich ein Gesicht und zwar eines, das in der Lage ist, den derzeitigen Zustand des Waldes nonverbal zum Ausdruck zu bringen.

Physikalischer Widerspruch?

Aus Erfahrung und in voller Übereinstimmung mit den Gesetzen der Physik strömt das Wasser in Vorwärtsrichtung aus einem waagerechten Rohr und bewegt sich dann unter dem Einfluss der Schwerkraft in etwa in Form einer Wurfparabel nach unten – wie auf dem Foto zu sehen ist.
Doch wie so oft liegt der Widerspruch bereits im System. So auch hier. Man erkennt einen zweiten kleinen Wasserstrom, der offenbar Einspruch gegen diese Richtung zu erheben scheint – wenn auch tröpfchenweise.
Ob es wirklich weise ist, genau in Gegenrichtung zu strömen, ist physikalisch schwer zu beurteilen, da der Begriff der Weisheit in der Physik nicht definiert ist. Merkwürdig ist es dennoch. Vielleicht wird die Eine oder der Andere an ein ganz ähnliches Phänomen erinnert: Beim Einschenken von Tee aus einer herkömmlichen Teekanne in eine Tasse, weicht die Flüssigkeit zuweilen auch in Gegenrichtung aus und verfehlt die Tasse – insbesondere dann, wenn man vorsichtig vorgeht und genau diesen Effekt zu vermeiden versucht.
Aber weder das eine (Foto), noch das andere (Tee auf Tischdecke) geschieht aus Boshaftigkeit oder um die Physik Lügen zu strafen. Vielmehr betrifft es den sogenannten Teekanneneffekt, bei dem Kräfte ins Spiel kommen, die nicht so leicht zu durchschauen sind.
Aber das ist noch nicht alles. Wenn man der Flüssigkeit genügend Raum zur Entfaltung lässt oder sogar bietet, kommt es zu weiteren naturschönen Phänomenen, die man andeutungsweise bereits beim obigen Brunnenstrahl beobachten kann – der Strahl beginnt sich zu drehen.

Entwicklung eines Farns

Hier entwickelt – oder sollte man lieber sagen – entrollt sich ein pflanzliches Blatt, das später zu einem großen Farnblatt wird, das seine Fläche zur Sonne hin ausrichtet. Schaut man sich den pflanzlichen Ring genauer an, so entdeckt man im Innern bereits andeutungsweise die Verzweigungen einzelner Farnblätter, die zu diesem selbstähnlich sind. Selbstähnliche Strukturen sind solche, bei denen Ausschnitte wie das Ganze aussehen.

Mit einem vielzitierten Spruch von Wilhelm Busch, kann man nur sagen: So blickt man klar, wie selten nur, Ins innre Walten der Natur.

Reflexionen über Reflexionen am Strand

Der Himmel war klar, die Luft kalt und wenig bewegt. Auf dem glatten Sand, über den Sperber ging, hatte das sich zurückziehende Meer eine hauchdünne Wasserschicht hinterlassen, auf der sich das Himmelsblau und die wenigen darauf vorüberziehenden Wolken spiegelten, und wie schon einmal war Sperber, als hätte ihn jemand auf den Kopf gestellt und als liefe er zwischen weißen Wolken hindurch über den Himmel. Wie durchsichtig der Boden unter seinen Füßen war! Während Sperber so ging, öffnete sich unter ihm eine grenzenlose Weite, und er sah geradewegs in die Unendlichkeit hinein.*

Wer reflektierend über den reflektierenden Strand in dem Bereich spaziert, der weder eindeutig dem Meer noch dem Land zugerechnet werden kann, erlebt den Himmel nicht nur über, sondern auch unter sich. Mit leicht geneigtem Kopf blickt sie oder er in weiten gespiegelten Raum, ohne befürchten zu müssen abzustürzen. Wenn sich irgendwo das Gefühl der unendlichen Weite einstellt, dann hier auf der dünnen Wasserhaut, die mit jedem Atemzug des Meeres in Form von auslaufenden Wellen immer wieder erneuert wird.

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Anne Weber. Tal der Herrlichkeiten. Frankfurt 2012, S. 214

Rätselfoto des Monats Mai 2023

Wo und wie kommt es zu diesen Kristallen?

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Erklärung des Rätselfotos des Monats April 2023

Frage: Blickt man auf die Sonne oder den Mond?

Antwort: Wenn man nicht auf den Kontext achtet, könnte es sowohl der Mond als auch die Sonne sein. Vom Mond sind die Strukturen nicht zu erkennen, und die Sonne ist bei diesigem Wetter oft so gedimmt, dass sie wie der Mond aussieht. Aber es gibt Hinweise auf die Antwort. Im Vordergrund erscheinen die Blätter eines Baumes in einem roten Licht. Insbesondere die Blätter, deren Seite uns zugewandt ist, reflektieren rotes Sonnenlicht. Die Sonne liegt also hinter uns. Wir blicken daher auf den Mond, der ebenfalls im Licht der Sonne liegt.

Pareidolie am Sandstrand

Das Foto zeigt einen Stein auf einem Sandstrand, der von auf- und ablaufendem Wasser umströmt wird. Da der Sand aus hellen und dunklen Anteilen besteht, die sich in ihrer Dichte unterscheiden, kommt es bei der Strömung zu Entmischungen der beiden Sandsorten. Auf diese Weise werden die beiden Wirbel des sandbeladenen strömenden Wassers hinter dem Hindernis visualisiert. Insgesamt wird ein fast symmetrisches Strömungsmuster um den Stein herum gezeichnet.
Als ich an dem Strand an diesem Muster vorbeikam drängte sich mir allerdings ein ganz anderes Bild auf: Ich sah und sehe auf dem Foto einen Hundekopf oder den Kopf eines ähnlichen Tiers. Vielleicht geht es ja der einen oder dem anderen auch so. Dabei zeigt sich ein merkwürdiges Phänomen. Die Struktur drängte sich mir umso stärker auf, je weiter ich mich entferte, bzw. je kleiner das Netzhautbild wurde. Dieser Eindruck wiederholte sich, als ich das Foto hier zunächst möglichst groß darstellen wollte und dabei den Eindruck gewann, dass sich die Pareidolie umso deutlicher aufdrängt, je kleiner die Darstellung ist (siehe kleines Bild).
Das erinnert mich an ein Kunstwerk auf dem Straßenpflaster vor dem Picasso-Museum in Münster, in dem das Konterfei des Künstlers nur aus gehöriger Entfernung bzw. Höhe zu erkennen ist. Dazu gibt es einen früheren Beitrag.

Trockenrisse und Landgewinnung

Obwohl Trockenrisse heute mehr als Symbol für ausgetrocknete Gewässer und durch Trockenheit verlorenes Ackerland wahrgenommen werden, ist ihnen aufgrund von naturschönen Mustern oft ein ästhetischer Reiz nicht abzusprechen. Im vorliegenden Fall handelt es sich sogar um ein Beispiel, bei dem Land gewonnen wird. Das Foto ist am Wattenmeer in Ostfriesland aufgenommen worden. Es zeigt nicht nur, dass schlammartiger Boden ausgetrocket wird, sich daher zusammenzieht und in einzelne Erdschollen zerreißt. Darüberhinaus erkennt man, dass sich die Schollen nach oben krümmen, weil sie dort schneller austrocknen als unten und dadurch auf der Oberseite stärker schrumpfen als an der weniger trockenen Unterseite.
Im vorliegenden Fall rollen sich sogar mehrere dünne Schichten auf. Sie verweisen auf eine Periodizität während ihrer Entstehung, bei der in mehreren Überschwemmungen Sedimente abgelagert wurden.
Weitere Beiträge zu Trockenrissen findet man hier und hier und hier und hier und hier.

Eine Felswand mit „Kaustiken“

Visuelle Ähnlichkeiten entdeckt man oft in völlig verschiedenen Bereichen und Zusammenhängen. Als ich diese Felswand (links) fotografierte, erinnerten mich die hellen Lichtbänder an Kaustiken wie man sie oft in flachen Gewässern beobachten kann (rechts). Tatsächlich hat das eine mit dem anderen rein materiell gesehen nichts zu tun. Unser Mustererkennungsvermögen kennt oft keine Grenzen welcher Art auch immer und stellt Zusammenhänge her, die realiter gar nicht bestehen. Aber diese unsere Fähigkeit völlig verschiedene „Ansichten“ miteinander zu verknüpfen, stellen eine Grundlage für die Entwicklung neuer Ideen und Möglichkeiten dar, auf die man durch bloßes Nachdenken wohl kaum gekommen wäre.

Kinetische Kunst im Jachthafen

Wir blicken auf eine sanft bewegte Wasseroberfläche in einem Hafenbecken. Das Wasser ist zwar uneben gewellt aber gleichzeitig glatt und verhält sich wie ein Zerrspiegel in einem Science Center. Allerdings drängt sich dieser Eindruck hier nur deshalb auf, weil die Bewegung der Wasseroberfläche durch das Foto stillgestellt wurde und der in der Realität dominierende ständige Wechsel zwischen verschiedenen Verzerrungen und Deformationen der glatten Wasserfläche nicht wahrgenommen wird.
Dass glatte Wasseroberflächen die umgebenden Gegenstände spiegelnd reflektieren und das zuweilen mit einer Perfektion, die es schwierig macht, Original und Spiegelung zu unterscheiden, ist bekannt. Bereits eine gewöhliche Pfütze kann davon eindrucksvoll Zeugnis ablegen. Wichtig ist dabei, dass die Oberfläche des Wassers glatt und eben wie eine Fensterscheibe ist. Zumindest darf die Welligkeit des Wassers nicht so groß sein, dass sich die Spiegelungen in sichtbaren Krümmungen von im Original geraden Linien bemerkbar machen.
Wenn solche Krümmungen auftreten, dann beobachtet man verzerrte Spiegelungen. Bei leicht bewegtem Wasser sind diese Verzerrungen nur klein und die Spiegelungen lassen das Original noch erkennen. Wenn die Verzerrungen zu groß werden, gehen die vertrauten Formen in eine an abstrakte Kunst erinnernde Struktur über (siehe Foto).
Fasst man die derart bewegte Wasseroberfläche als Abfolge von Hohl- und Wölbspiegeln auf, so kann man bei kleinen Krümmungen (großen Krümmungsradien) davon ausgehen, dass sich der Betrachter innerhalb der Brennweite der Hohlspiegel befindet und alles so sieht wie bei einem ebenen Spiegel, nur mehr oder weniger stark verzerrt. Bei einer großen Krümmung der bewegten Spiegelelemente, sieht der Betrachter die gespiegelten Ansichten jedoch von außerhalb der Brennweiten der Hohlspiegel und nimmt Teile der gespiegelten Gegenstände auf dem Kopf stehend wahr, so dass die Kohärenz des gespiegelten Objekts (z.B. Teil eines Bootes) als solches vollends verloren geht.
Hinzu kommt, dass Teile des gespiegelten Objekts gleichzeitig von mehreren Stellen aus ins Auge des Betrachters reflektiert werden. Diesen Sachverhalt kennt man in einfacherer Version vom Schwert der Sonne. Indem das Licht der Sonne aufgrund des Vorhandenseins zahlreicher passender Neigungen von vielen Stellen der Wasseroberfläche aus gleichzeitig ins Auge des Betrachters reflektiert wird, entsteht der Eindruck einer ausgedehnten Lichtbahn. Dasselbe Phänomen wird natürlich auch von anderen hellen Lichtquellen wie Mond, Straßenlaternen oder hellen Gegenständen hervorgerufen und trägt insbesondere zur weiteren Erhöhung der Komplexität der hier diskutierten Reflexionen bei.
Wenn das Licht eines scharf begrenzten Objekts relativ steil auf die Wellentäler und –berge einfällt, kann die Deformation des Spiegelbildes sogar zu geschlossenen Ringen führen, wie es auf dem Foto deutlich zu erkennen ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Objekt linienförmig ist. Das können zum Beispiel Masten eines Segelschiffs, Taue oder andere lineare Bauteile sein.
Ein für derartige verzerrte Ansichten idealer Beobachtungsort ist ein Jachthafen mit möglichst bunten Schiffen und guter Beleuchtung durch die nicht zu hoch stehende Sonne. Das Wasser muss genügend bewegt, aber darf nicht kabbelig, also durch den Wind aufgewühlt sein, weil dann die Oberfläche nicht mehr sanft gekrümmt, sondern abrupte, unstetige Neigungen enthält. Dadurch werden die Reflexionen diffus. Das heißt, das reflektierte Licht wird so stark „zersplittert“, dass das Auge des Betrachters nur noch ein homogenes graues Farbgemisch wahrnimmt.

Ein Loch in den Wolken – hole-punch-cloud

Manchmal entstehen Löcher in der Wolkendecke, die den Durchblick auf den darüber liegenden Himmel erlauben, der oft wiederum bewölkt ist. Diese Löcher mögen verschiedene Ursachen haben. Aber wenn sie plötzlich auftreten, kann es sich wie im vorliegenden Fall um eine Hole-punch-Wolke handeln. Dieses Phänomen soll angeblich selten auftreten. Ich habe offenbar das Glück es schon mehrere Male erlebt zu haben. Wer sich für ihre komplizierte Entstehungsgeschichte interessiert kann sich in einem früheren Beitrag informieren. Fotos von unterschiedlichen Formen findet man hier.

Eine zauberhafte Felswand

Nicht ich schien die Wand zu berühren, sondern aus dem Stein lösten sich feine Teilchen und strömten meiner Hand zu, zogen mich in einen Regelkreis, in dessen pulsierendem Gleichmaß die Grenzen der Dinge mehr und mehr schwanden und einem Zustand Raum gaben, der alle Unterschiede, Konturen und Selbstgewißheiten zu einem chaotisch an- und abschwellenden Rauschen umschmolz.*

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* Klaus Modick. Die Schrift vom Speicher. Frankfurt 1994, S. 74.

Wasser verwandelt Formen in Substanzen

Angesichts des Wesens menschlicher Wirklichkeit ist die Interpretation von Träumen eine Tautologie und läßt sich bestenfalls durch das Mengenverhältnis zwischen Tageslicht und Dunkelheit rechtfertigen. Es ist jedoch zweifelhaft, ob dieses demokratische Prinzip in der Natur wirksam ist, wo sich nichts einer Majorität erfreut. Nicht einmal das Wasser, auch wenn es alles seiner Reflexion und Refraktion unterwirft, sich selbst eingeschlossen, wobei es Formen und Substanzen verwandelt, manchmal auf sanfte, manchmal auf monströse Weise.*

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* Joseph Brodsky. Ufer der Verlorenen. Frankfurt 2002, S. 57f

Supercilium – Augenbrauenwolke

Wolken sind faszinierende Gebilde. Jede sieht anders aus. Sie lassen sich aber hinsichtlich ihrer physikalischen und meteorologischen Merkmale klassifizieren. Kürzlich hatte ich zur Kenntnis genommen, dass Im Jahr 2017 die Weltorganisation für Meteorologie 12 Überarbeitungen des Internationalen Wolkenatlas angenommen hat. Darunter befindet sich auch die Einführung eines neuen zusätzlichen Wolkenmerkmals, der Asperitas. Und schon gibt es überzeugende Belege dafür, dass ein zusätzliches neues Wolkenmerkmal, das „Supercilium“, ebenfalls für die Aufnahme in den Atlas in Betracht gezogen werden sollte. Supercilium sind kurzlebige Wolkenmerkmale, die in turbulenten Luftströmungen über und meist im unmittelbaren Windschatten von Bergen auftreten können.
Ich habe vor einigen Jahren dieses Foto einer Wolkenformation gemacht, die bisher in der Kategorie „Ungewöhnliche Wolkenformationen“ abgespeichert war. Vielleicht gehört sie ja zzu dieser Kategorie Supercillium. Sie erinnert jedenfalls mehr an Augenbrauen als manche andere im Internet zu findende Wolken unter dieser Rubrik. Wie auch immer, der Anblick ist selten, naturschön und stimmungsvoll.

Sand, Licht und Schatten

Obwohl der Sand von einheitlicher Farbe ist, schaffen Licht und Schatten eine beeindruckende Koloration, die den sanft geschwungenen Dünen eine Struktur verleihen, von der man sich nur schwer vorstellen kann, dass sie durch die formende Kraft der Winde geschaffen wurde.

Nach den Eiskristallen kamen die Salzkristalle

Nachdem der Winter nunmehr schrittweise auf dem Rückzug ist, drängen sich immer mal wieder Hinterlassenschaften der kalten Jahreszeit in den Blick. Manchmal zeigen diese sich von der schönsten Seite, wie beispielsweise im obigen Foto. Es handelt sich um eine Fliese, die während der Vereisung vor einiger Zeit mit Salz bestreut wurde, um die Eisschicht zum Schmelzen zu bringen und damit die Rutschgefahr zu beseitigen.
Durch Salz wird der Schmelzpunkt von Wassereis herabgesetzt. Es gefriert bei einer niedrigeren Temperatur als reines Wasser. Es bleibt also auch bei Temperaturen flüssig, die allerdings nicht zu weit unter dem normalen Gefrierpunkt von 0 °C liegen dürfen.  Diese Bedingung ist in unseren Breiten den meisten Fällen erfüllt.
Auch eine bereits vorhandene Eisschicht kann oft mit Salz aufgetaut werden, weil sie stets mit einer dünnen Wasserschicht bedeckt ist, die sich mit dem Salz verbindet und zu immer tieferen Schichten vordringt.
Nachdem es wieder wärmer geworden, das Wasser verdunstet ist, bleibt das gelöste Salz zurück und verfestigt sich wieder. Dabei bilden sich der Gitterstruktur des Salzes (Natriumchlorid) entsprechend Salzkristalle, die teilweise ästhetisch ansprechende Muster bilden wie hier auf der früher vereisten und mit Salz behandelten Fliese.
Ich weiß, man sollte beim Enteisen mit Salz sparsam umgehen. Das tue ich normalerweise auch, aber in diesem Fall handelte es sich um eine lokal beschränkte Maßnahme, bei der alles Salz wieder zurückgewonnen wurde. Bevor ich die Fliesen säuberte, erlaubte ich mir jedoch das obige – wie ich meine naturschöne – Foto zu machen.

Ein Loch im Schnee

Der Winter hat gestern Nacht vermutlich mit einer schönen Schneelandschaft den Schlusspunkt unter seine diesjährige Saison gesetzt. Nachdem die letzten 10 Tage Eis, Wasser und Wasserdampf den Blick zum Himmel verstellt hatten, ist vorletzte Nacht alles heruntergekommen: Der Himmel ist frei, tiefblau, das Land mit einer weißen Schicht bedeckt… Halt, bevor ich fortfahre. Es ist nicht weiß; der Schnee hat einen deutlichen Blaustich, jedenfalls überall dort, wo die Sonne nicht hinkommt.

Physik der Thoreau-Reynolds-Welle Ein kaum bekanntes Naturphänomen

Wilfried Suhr, H. Joachim Schlichting. Physik in unserer Zeit 54/ 2 p. 82-85

Manchmal beobachtet man eine quer über ein Gewässer verlaufende, winzige stationäre Welle. Sie trennt eine ruhige von einer bewegten Zone und verweist auf interessante physikalische Zusammenhänge, die sich nicht sofort erschließen.

Im Jahre 1858 machte der Schriftsteller und Philosoph Henry David Thoreau (1817–1862) an einem fließenden Bach eine interessante Entdeckung, die er – von uns übersetzt – folgendermaßen beschreibt: „Ich sehe, wie sich von einer zur anderen Seite dieses glatten Baches eine scheinbar unsichtbare Wellenlinie erstreckt, wie ein Spinnenfaden, vor dem sich das Wasser ein wenig staut. (…) Ich versuche wiederholt, sie mit meiner Hand zu fangen und zu zerbrechen und das Wasser frei laufen zu lassen, aber zu meiner Überraschung klammere ich mich immer noch an nichts als Flüssigkeit, und die imaginäre Linie behält ihren Platz bei. Ist es der schwankende Rand einer leichteren Flüssigkeit, vielleicht eine öligere, die eine schwerere überläuft?“ [1]. Seine im letzten Satz geäußerte Frage deutet bereits darauf hin, dass er hinter dem von ihm entdeckten Naturphänomen eine Wechselwirkung des fließenden Wassers mit einer weitgehend unsichtbaren, dünnen Schicht vermutete.

Als erster Physiker entdeckte Osborne Reynolds (1842– 1912) unabhängig davon das Phänomen wieder. Er publizierte darüber im Jahr 1881 und brachte es mit der Wirkung der Oberflächenspannung in Verbindung [2]. Damit war die Spur aufgenommen, die Generationen von Forschenden bis in unsere Tage immer wieder auf die nunmehr Reynolds- oder Thoreau-Reynolds-Ridge bezeichnete Miniwelle zurückführte. Heute ist sie weitgehend experimentell und theoretisch erforscht. Die Untersuchungen beschränken sich inzwischen schon lange nicht mehr auf natürliche Gewässer, und die Thoreau-Reynolds-Welle ist zu einem Laborphänomen geworden.

Nachdem wir auf das Phänomen aufmerksam wurden [3], dauerte es nicht lange, bis wir es auf einem kleinen Bach in der Nähe ausfindig machen konnten. Bei der Untersuchung fiel uns auf, dass eine frühere Entdeckung dynamischer Vorgänge auf windbewegten Wasserpfützen als echte Variante der Thoreau-Reynolds-Welle anzusehen ist. Aber auch diese wurde bereits zuvor in einem sehr speziellen Zusammenhang entdeckt und kurz beschrieben [4].

 Die Welle auf Fließgewässern

Wenn sich in Fließgewässern durch angeströmtes Schwemmmaterial oder Ähnliches Barrieren aufbauen, die den freien Fluss des Wassers behindern, entdeckt man stromaufwärts davor die quer zur Strömung verlaufende Thoreau-Reynolds-Welle – häufiger als vermutet! Bei ungünstigen Lichtverhältnissen ist sie schwer zu erkennen. Bei Sonnenschein macht sie sich oft zunächst indirekt durch eine feine Kaustik auf der Sohle des flachen Gewässers bemerkbar (Abbildung 1). Wenn die Fließgeschwindigkeit einen Wert von 23 cm/s überschreitet, kann dies stromaufwärts vor der Thoreau-Reynolds-Welle Kapillarwellen auslösen, die dem Phänomen eine spektakuläre indirekte Sichtbarkeit verleihen (Abbildung 2).

Ein untrügliches Zeichen dafür, dass es sich um die gesuchte Thoreau-Reynolds-Welle handelt, zeigt sich auch darin, dass sie sich sofort wieder zurückbildet, nachdem man sie gestört hat. Die Eigenschaft, Störungen abzubauen, ist typisch für eine dissipative Struktur. Sie ist ein dynamisches System, das von Energie durchflossen wird und sich hier durch einen Symmetriebruch in Form der Thoreau- Reynolds-Welle aus dem Fließgleichgewicht des Baches entwickelt. Dadurch nimmt es einen stationären Zustand fernab vom thermodynamischen Gleichgewicht ein. Im vorliegenden Fall handelt es sich um die Höhenenergie, die vom fließenden Gewässer in dem Maße aufgenommen und durch Reibungsvorgänge an die Umgebung abgegeben wird, wie das Wasser an Höhe verliert…

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Eine kurze Beschreibung dieses außerordentlichen Phänomens habe ich in einem früheren Beitrag gegeben.

Winter ade, scheiden tut weh…

So haben wir früher gesungen mit lachendem Herzen. Da viele Anzeichen dafür sprechen, dass der Winter nach einem kurzen Aufbäumen nun endgültig Abschied zu nehmen scheint, möchte ich ihm noch eines meiner letzten Pfützenfotos hinterher schicken. Diese Eisstruktur zeigt den Winter einmal mehr von einer seiner ästhetisch ansprechenden Seite. Entsprechend vielfältig sind die physikalischen Vorgänge, die diesen Anblick hervorgebracht haben. Dazu habe ich mich früher mehrfach geäußert.

Berglandschaft mit Dendriten

Diese magische Berglandschaft mit dendritischen Strukturen und blauen Gipfeln ist nichts weiter als eine mit Tropfen belegte Glasscheibe, die einerseits den blauen Himmel und andererseits Bäume spiegeln. Die Orangefärbung verdankt sich einem intensiven Sonnenaufgang, der seine Farben insbesondere den Bäumen mitteilt, die sie wiederum an die Tropfen weiterreichen.

Bewegung in der Felswand

Als ich vor dieser aus einem Felsen mit einer überdimensionalen Säge herausgearbeiteten glatten Wand stand, hatte ich kurzfristig den Eindruck, das Steinpaar im rechten Drittel würde sich über den holprigen Hangweg von einer zur anderen Erhebung hüpfend nach links unten bewegen. Zugegeben – eine Täuschung. Aber vielleicht bewegt er sich ja tatsächlich, wenngleich dem Kontext entsprechend geologisch langsam 😉 , also mit einer Geschwindigkeit von derselben Größenordnung in der der Fels selbst entstanden ist. Man könnte die Szenerie aber auch als Dornröschenschlaf ansehen, das wäre wesentlich poetischer und würde die naturschöne Ansicht kongenial begleiten.

Vorspiegelung von Pflanzen

Nichts erscheint in solchem Maße vegetabilisch; nicht einmal, wo sie doch die Durchpausung wirklicher Pflanzen verewigen, die Spuren des Farns in der Steinkohle, der Meerlilie im Schiefer. Und trotzdem sind die Dendriten nie lebendig gewesen. Niemals bewässerte auch nur ein Tröpfchen ihre verzweigten Spitzengewebe, niemals schwärmten Samen aus geheimen Quersäcken in ihnen hoch, um sie ringsum zu vermehren. Ihr zartes Laubwerk wurde von einer blinden Kristallisation toter Stoffe, metallischer Oxyde in den Stein eingeschrieben. Doch ihre Büschel, ihr Gezweig erblühen so wunderbar, daß sich der Uneingeweihte mit Sicherheit darüber täuscht. Nur mit Mühe kann man ihn über seinen Irrtum aufklären.
Vorspiegelung sicherlich diese Salze, die das Pflanzlich so vollkommen simulieren, wobei sie allesamt dem Leben und dem Verderben enthoben sind. Trotzdem kann ich mich nicht der Überzeugung erwehren, daß diese falschen Farne, die mit der Pflanze nur das Aussehen gemeinsam haben und einer Welt angehören, die mit der ihrigen unvereinbar ist, auf ihre Weise den Geist belehren, daß es weit umfassendere Gesetzmäßigkeiten gibt, die gleichzeitig das Unbelebte wie das Belebte regieren.
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Caillois, Roger: Steine. München: Hanser 1983, S. 30f.

Fallende Gewänder aus Stein

Textilien, die man in bestimmter Weise „fallen“ lässt, „werfen“ Falten, die einem bestimmten „Fallprinzip“ gehorchen und vermutlich daher oft als ästhetisch ansprechend empfunden werden. An solche Textilien – Kleider, Vorhänge – musste ich denken, als ich in einer südfranzösischen Tropfsteinhöhle diese in vielen Jahrhunderten entstandenen Strukturen bewunderte. Sie sind Tropfen für Tropfen zur allmählichen Entfaltung gebracht worden, indem jeder Tropfen seinen Weg fand, bis er verdunstete und die gelösten Mineralien zurückließ. Man geht davon aus, dass die Tropfsteine nur etwa um einen Millimeter in zehn Jahren wachsen. Entscheidend ist dabei vor allem die Menge des tropfenden Wassers.
Gelenkt wird ein solcher langwieriger Prozess nicht durch einen innewohnenden Plan, sondern durch Zufall und Notwendigkeit. Dabei spielt das natürliche Prinzip, unter den gegebenen Umständen stets soviel Energie wie möglich an die Umgebung abzugeben, eine entscheidende Rolle. Würde der Prozess unter den gleichen Randbedingungen noch einmal ablaufen, so ergäbe sich zwar ein ähnliches aber nicht das gleiche Muster.

Sonnenaufgang in einer Pfütze

Bislang hat uns hier der Winter nicht gerade mit winterlichen Ansichten verwöhnt. Lediglich die in den letzten Nächten immer wieder zugefrorenen Wasserpfützen, gaben beim Sonnenaufgang immer mal wieder einen Eindruck der Schönheit winterlicher Kreationen, bevor sie von derselben Sonne gnadenlos und im wahrsten Sinn des Wortes liquidiert wurden (siehe Foto). Man sieht einerseits das Blau des Himmels, das hier durch die an der Unterseite mit weißem Reif bedeckten Eisflächen einen pastellfarbenen Ton angenommen hat. An anderen Stellen dominiert das orangefarbene Sonnenlicht, das an einigen prominenten klaren Eisrändern gebrochen bzw. reflektiert wird. Der unebene Untergrund der Pfütze sorgt im Übrigen dafür, dass die Eisgebilde eine naturschöne Musterung angenommen haben.

Eisige Ersatzblüten

Diese Pflanze hat eigentlich ihre Blütezeit lange hinter sich. Irgendwann kippte sie, der meisten Blüten verlustig, in den Teich, um dort allmählich zu verfaulen. Doch wie so oft im Leben nutzte sie dann die Gelegenheit, sich Ersatzblüten zuzulegen, um dem Zerfall noch eine letzte Grazie zu verleihen.
Die Gelegenheit ergab sich dadurch, dass sie mit einigen Ästen in einer Melange von Eis und Schnee steckte (siehe Foto). Als dann tags darauf die Sonne schien, erwärmten sich Teile der Pflanze wesentlich stärker als die Eis-Schnee-Mischung. Denn letztere reflektierte einen großen Teil der Strahlungsenergie und ließ einen anderen Teil durch, um am Boden des Teichs absorbiert zu werden.
Demgegenüber absorbierte die Pflanze einen großen Teil der auftreffenden Strahlungsenergie und sorgte dafür, dass das Eis-Schnee-Gemisch schmolz und sich um die Eintauchstellen herum verflüssigte. Möglicherweise wurde zusätzlich auch noch von der übrigen Pflanze absorbierte Energie durch Wärmeleitung zu den Eintauchstellen transportiert.
In der folgenden kalten Nacht froren dann diese Stellen wieder zu. Aber da sich dort kein Schnee mehr befand, blieb es dort transparent und damit dunkel, weil das einfallende Licht vom Teichboden absorbiert wurde.

Ostwind

…im Stau vor dem blauen Berg.

Wurzelholz

Wenn man diesen Ausschnitt aus einem natürlichen Gegenstand sieht, wird man wohl nur mit Mühe erkennen, dass es sich um Baumwurzeln handelt, die auf einem Wanderweg an die Oberfläche getreten und im Laufe der Zeit von den Tritten vieler Wanderer ihrer Borke verlustig gegangen sind und glatt getreten wurden. Ich habe oft das Gefühl, dass etwas auf dem Boden (z.B. Sonnentaler, zugefrorene Wasserpfützen, Blumenfelder…) so schön ist, dass ich nicht darauf zu treten wage. Wir haben es hier jedoch mit der paradoxen Situation zu tun, dass wenn wir diesen Vorsatz befolgt hätten, die Struktur gar nicht entstanden wäre. Dann hätten wir allerdings diesen Vorsatz auch gar nicht befolgen können… Wie komme ich aus diesem Zirkel wieder heraus? Indem ich diese Trittfiguren weiter trete und dazu beitrage, dass sich die Strukturen im Laufe der Zeit weiter wandeln.

Frostiges Kunstwerk

Dies ist eine zugefrorene Wasserpfütze mit einer ursprünglich sehr wilden Topologie. Als sie mit Wasser volllief, ragten nur noch einige Relikte des Untergrunds aus dem Wasser heraus. Auf dem Foto ist das der hellbraune zerklüfte Teil. Der ihn umgebende dunkelbraune Bereich bildet eine Art Tableau, das vom Wasser gerade noch bedeckt war bevor der Frost einsetzte. Und als das Wasser dann gefror und die gesamte Pfütze bis auf den hellbraunen Teil mit einer Eisschicht überzog, war der dunkelbraune Bereich fest mit der transparenten Eisschicht überdeckt und verbunden. Unter der übrigen Eisschicht konnte man den noch mit Wasser gefüllten tieferen Teil des Pfützenbodens sehen, der eine ähnliche Braunfärbung aufwies wie das Tableau. Soweit die Szenerie einige Stunden nach Einbruch des Frostes.
Am nächsten Tag zeigte sich dann die im Foto dargestellte Szenerie. Der helle Bereich besteht aus einer Eisschicht, die keine Berührung mehr mit dem Wasser hat, auf der sie ursprünglich entstanden ist. Sie kann daher auch nicht dicker werden. Vielmehr überdeckt sie einen Hohlraum über dem weitgehend im Boden versickerten Wasser. Durch die hohe Luftfeuchte unter dieser Eisschicht bildete sich auf deren innerer Seite ein Reifbelag, durch den die Eisschicht undurchsichtig wurde.
Die Strukturen in dieser weißen Eisschicht sind darauf zurückzuführen, dass das Wasser wegen unterschiedlicher Wassertiefen und demzufolge unterschiedlich langer Versickerungszeiten andere Verläufe der Reifbildung bewirkt wurden.
Wegen der Unförmigkeit der dreidimensionalen Pfützenmorphologie entstand keine einheitliche Eisfläche, die vielleicht zum Glitschen geeignet gewesen wäre, sondern ein zweidimensionales Natur-Kunstwerk (Oxymoron!), das es meines Erachtens wert war fotografiert und hier gezeigt zu werden.

Wintermalerei

Fenster unseres Wintergartens. Die Blume war an der Scheibe festgefroren und hinterließ dieses schöne Gemälde.

Der perfekte Dominoeffekt

H. Joachim Schlichting. Spektrum der Wissenschaft 2 (2023)

Es sollte ›alles, was der Fall ist‹
in theoretischen Gewahrsam kommen

Hans Blumenberg (1920–1996)

Wenn in einer Reihe von Dominosteinen einer umfällt, kommt es oft zur Kettenreaktion. Wie schnell diese abläuft und ob es ohne Unterbrechung klappt, hängt von mehreren Parametern ab: dem Abstand der Steine, der Reibung zwischen ihnen und der Wechselwirkung mit dem Untergrund.

Die beim Dominospiel verwendeten Steine haben schon vor vielen Jahren auf eine ganz andere Art Karriere gemacht. Sie werden dabei nicht mehr nach Regeln aneinander gelegt, sondern in einer möglichst langen Reihe hochkant aufgestellt. Das geschickte Arrangieren findet seinen Abschluss darin, den ersten Stein gegen den zweiten fallen zu lassen. Das löst eine mehr oder weniger schnell laufende Kippwelle aus, die in einer Kettenreaktion durch das gesamte System läuft. Die Energie zum Antrieb des Spektakels stammt aus der Höhenenergie der Dominos.

or dem Start ist jeder Stein in einem stabilen Gleichgewicht. Sein Schwerpunkt befindet sich senkrecht über der Auflagefläche, und seiner Höhe entsprechend besitzt der Dominostein Höhenenergie. Um ihn über seine Kante zu kippen, muss der Schwerpunkt zwangsläufig zunächst ein wenig angehoben werden, bevor der Stein fällt. Dann wird die Höhenenergie in Bewegungsenergie umgesetzt. Diese überträgt sich teilweise beim Aufprall auf den nächsten aufgestellten Stein und stößt ihn um, wodurch nun der übernächste in der Reihe umgeworfen wird und so weiter. Ein Ziel besteht darin, durch geeignete Platzierung der Dominos eine möglichst schnelle Welle auszulösen. Dabei wird in der Regel stillschweigend unterstellt, die Reibung mit dem Boden sei so groß, dass die Steine darauf nicht wegrutschen. Das ist bei den üblichen Untergründen meistens gewährleistet.

Es kann aber auch anders sein. Das zeigt zum Beispiel ein mit einer Hochgeschwindigkeitskamera aufgenommenes Video des Youtubers Destin Sandlin. Die auf seinem Kanal »SmarterEveryDay« dokumentierten Experimente haben David Cantor von der Polytechnique Montréal und Kajetan Wojtacki vom Forschungsinstitut für Grundlagentechnologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau zu näheren Untersuchungen inspiriert. Mit Hilfe von Computersimulationen brachten die beiden Physiker Ketten von bis zu 200 Dominos zu Fall. Sie variierten den Abstand zwischen den Steinen und die Reibungskräfte mit dem Untergrund sowie untereinander.

Eine Erkenntnis daraus: Bei kleinem Abstand zwischen Dominos, wenn also die Kante des angetippten Steins weit oben auf den Nachbarn prallt, breitet sich die Welle nur langsam aus. Denn zum einen ist infolge der geringen Höhendifferenz die Bewegungsenergie noch klein. Zum anderen gleiten während des gemeinsamen Kippens die Stirnflächen lange aneinander, das heißt die Reibungskraft wirkt über eine verhältnismäßig große Strecke, wodurch sich viel Bewegungsenergie in Wärme umwandelt.

Ein rutschiger Untergrund bremst die Kettenreaktion zusätzlich, weil die Steine infolge des Aufpralls im bodennahen Bereich etwas nach hinten weggleiten. Umgekehrt wird die Welle schneller, wenn die Reibung mit dem Untergrund steigt und die Streckenverluste durch solch ein Wegrutschen sinken. In der Praxis haben die Dominos meist gute Bodenhaftung.

Ein interessantes Verhalten ergibt sich bei einem größeren Zwischenraum bis hin zur dreifachen Steindicke. Hier ist kein rückwärtiges Weggleiten mehr zu beobachten – und zwar unabhängig von der Stärke der Reibung mit dem Boden. Der niedrigere Aufprallpunkt kippt den Nachbarn zwar weniger wirkungsvoll um als es beim Anstoßen mit einem kürzeren Hebel oberhalb des Schwerpunkts der Fall ist. Die große Fallhöhe sorgt aber für mehr Bewegungsenergie, und das verhindert weitgehend das Zurückrutschen des Steins. Die beiden gegensätzlichen Effekte gleichen sich teilweise aus, und in einem gewissen Abstandsbereich bleibt die Geschwindigkeit der Welle etwa gleich.

Überschreitet in den Simulationen die Lückenbreite jedoch die dreifache Dicke der Steine und wird die Reibung zwischen den Dominos größer und mit dem Untergrund kleiner, wird die Welle instabil. Denn bei einer solchen Kombination gleiten die Steine mitunter so weit zurück, dass sie ihre Nachbarn nicht mehr erreichen.

Außerdem ändert sich die Fortpflanzungsgeschwindigkeit nur noch wenig, sobald der Reibungskoeffizient zwischen den Dominos einen bestimmten Wert überschreitet. Vermutlich gleiten die Steine dann ohnehin kaum noch aneinander ab, und es tritt eine Art Sättigungseffekt auf. Ähnliche Erscheinungen gibt es beim Einfluss der Reibung auf den Böschungswinkel eines stabilen Haufens aus Sand. Daher vermuten die beiden Forscher hinter dem Verhalten ein universelles Phänomen.

Die schnellste Wellenausbreitung gibt es mit einer Konfiguration, bei der die Dominosteine relativ dicht zusammenstehen und eine große Reibungskraft mit dem Boden sowie eine kleine untereinander ausüben. Cantor und Wojtacki ermittelten eine Höchstgeschwindigkeit von 2,25 Metern pro Sekunde.

Solche Simulationen helfen zwar, das Verhalten einer Dominokette bis hin zu praktisch nicht mehr realisierbaren Konstellationen auszuloten und zu visualisieren. Damit versteht man jedoch nicht zwangsläufig alle Aspekte der komplexen Dynamik besser. So gibt es beispielsweise im Video von Destin Sandlin seitliche Drehungen, bei denen einzelne Steine regelrecht aus der Reihe zu tänzeln scheinen, wenn sie nicht perfekt mittig angestoßen wurden. Solche Auswirkungen erfasst das virtuelle Kippen von Cantor und Wojtacki nicht. Das manuelle Aufstellen hat Experimenten im Computer noch manche faszinierenden Aspekte voraus. Mehr Spaß macht es ohnehin.

Quelle

Cantor, D., Wojtacki, K.: Effects of friction and spacing on the collaborative behavior of domino toppling. Physical Review Applied 17, 064021 (2022)

Weiß und bunt – mineralisch und botanisch

Man könnte auch sagen Eis und bunt. Denn die weißen Pflanzen, die sich hier als Alternative zur Botanik aufspielen, sind Kristalle aus Eis. Interessanterweise haben sie sich an den Resten der botanischen Pflanzen niedergelassen, so als würden sie nur das fortsetzen, was die grünen Pflanzen zurzeit der Kälte wegen weitgehend ruhen lassen müssen. Sie wetteifern auf diesem Foto mit den bunten Farben auf dem zu Matsch marginalisierten und dann gefrorenen ehemaligen Bach. Farbgeber ist eine andere uns wenig vertraute aber dafür zur organischen Welt gehörende Lebenform: Bakterienkolonien. Sie existierten hier schon vor dem Frost als Biofilm, in einer dünnen Kahmhaut, die die Bakterien auf dem Wasser bildeten. An den schönen Interferenzfarben kann man erkennen, dass diese Haut sehr dünn ist (Größenordnung: Wellenlänge des sichtbaren Lichts). Ob die Tierchen trotz der Erstarrung zu einer Eisschicht noch leben und die Frostphase lebend überstehen, konnte ich auf die Schnelle nicht herausfinden.

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