//
Didaktik, Geschichte, Wissenschaftstheorie, Marginalia, Physik und Kultur

Eratosthenes meets Arno Schmidt

Eratosthenes-Wüste2Wenn man über die astronomischen Errungenschaften der Antike liest, werden oft Dinge als selbstverständlich angenommen, die es in der damaligen Zeit nicht waren. So hat Eratosthenes den Erdumfang dadurch bestimmt, dass er in Alexandria zu dem Zeitpunkt, da die Sonne in Syene, dem heutigen Assuan, in einem Brunnen zu sehen war, also im Zenit stand, den Schatten eines Schattenstabs mit 7,2° bestimmte. Das ist der 50. Teil des Erdumfangs. Unter der Voraussetzung, dass beide Städte auf demselben Längengrad liegen – was nicht ganz zutrifft (3° Unterschied) – lässt sich daraus der Erdumfang bestimmen, wenn man nur den Abstand zwischen Alexandria und Syene hätte. Eratosthenes soll die Entfernung von Schrittzählern bestimmt haben lassen, so liest man oft ganz lapidar. Was das aber im Einzelnen bedeutet, darüber hat sich Arno Schmidt in seiner Erzählung „Enthymesis oder W.I.E.H.“ hineinzudenken versucht:

Wir haben heut alle mehr Schritte gebraucht; der Wind kam zu heftig und kalt. Außerdem wurde gegen Mittag der Sand tiefer, und ich ließ deshalb ein paarmal von Mabsut das Stadion vor uns auslegen (so brauchten wir keine schädliche Unterbrechung vorzunehmen): natürlich hat sich der Schritt noch mehr verkürzt; ich verglich vorhin mit Aemilianus, auch er hat nach allen Reduktionen weniger als sonst. Deinokrates erhielt beim Abschluß fast dieselbe Zahl wie ich, das sind 196,34 Stadien, wir einigten uns alle 3 nach der Geländediskussion auf 195,82 +- 0,41. Im Ganzen haben wir also jetzt 623,13 +- 1,04. – Wenn ich mir überlege, wieviel Fehlerquellen in unserem Verfahren verborgen liegen – ach, ihr Götter! Halten wir auch genau die Nord-Süd-Richtung ein? Schätzen wir bei welligem Gelände den Abzug für die Luftlinie richtig? Und unsere Schrittlänge? Verzählen wir uns auch nicht? Wind? Sand? Und schon am zweiten Tag mußten wir einen Umweg von nahezu einer halben Stunde machen, weil eine lange Felsrippe, zu steil zu überklimmen, unseren Pfad kreuzte (Pfad – dabei gehen wir wie Wolken im Blaus: vor uns kein Weg; hinten verwischt ein Windstoß die Spur. – Ich hätte besser >Richtung< sagen sollen; man ist immer noch zu faul, korrekt zu denken. >Man< und >immer noch< d. h. >ich< und >schon<) –

Diskussionen

3 Gedanken zu “Eratosthenes meets Arno Schmidt

  1. Meine Frau meinte, wir hätten vorgestern viele km zurückgelegt. Ein Schrittzähler hätte uns Auskunft geben können.
    Ich meinte: Da wir bei jeder interessanten Pflanze und jedem auffälligen Blatt mit Insekt Halt gemacht haben, so wird das Tippeln an Ort und Stelle das Maß gründlich verdorben haben.

    Like

    Verfasst von kopfundgestalt | 2. August 2022, 10:09

Trackbacks/Pingbacks

  1. Pingback: Das Schmidtsche gab es schon früher | Die Welt physikalisch gesehen - 30. November 2017

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..

Photoarchiv